Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | A-5689/2011 |
Datum: | 11.07.2012 |
Leitsatz/Stichwort: | Zölle |
Schlagwörter : | Erlass; Urteil; Bundesverwaltungsgericht; Einfuhr; Recht; Forderung; Veredelung; Verfahren; MWSTG; Bundesverwaltungsgerichts; Lieferantin; Zollerlass; Verhältnisse; Abgabe; Quot;; Mehrwertsteuer; Bundesgericht; Verfügung; Bewilligung; Härte; Urteile; Veredelungsverkehr; Erlassgr; Zollabgabe; Zollabgaben; Einfuhren |
Rechtsnorm: | Art. 112 MWSTG ;Art. 113 MWSTG ;Art. 116 ZG ;Art. 13 ZG ;Art. 132 BGG ;Art. 132 ZG ;Art. 18 ZG ;Art. 59 ZG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 86 ZG ; |
Referenz BGE: | 94 I 475 |
Kommentar: | -, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, Art. 84 MWSTG, 2000 |
Abteilung I
A-5689/2011
Besetzung Richter Markus Metz (Vorsitz),
Richter Pascal Mollard, Richter Daniel Riedo, Gerichtsschreiber Jürg Steiger.
Parteien A. ,
Beschwerdeführerin,
gegen
Gegenstand Erlass Zollabgaben
Die A.
bezweckt gemäss Handelsregister die Veredelung von
Geweben. Mit Verfügung vom 3. Juni 2010 forderte die Zollkreisdirektion Schaffhausen von ihr Einfuhrabgaben in der Höhe von Fr. 134'981.40 nach. Zur Begründung legte die Zollkreisdirektion Schaffhausen dar, gemäss dem Prüfbericht der deutschen Zollbehörden seien mehrere Ursprungsnachweise zu Unrecht ausgestellt worden. In der Folge seien in den Jahren 2005 bis 2007 verschiedene Einfuhren zu Unrecht abgabebefreit erfolgt.
Gegen diese Verfügung vom 3. Juni 2010 erhob die A. am 1. Juli 2010 Beschwerde. Am 27. Januar 2011 zog sie diese indessen wieder zurück.
Mit Schreiben vom 22. März 2011 ersuchte die A. um Erlass der Nachforderung. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, sie sei für die widerrechtliche Ausstellung der Ursprungszeugnisse in keiner Weise verantwortlich. Sie habe die Waren entsprechend der Deklaration ihrer deutschen Lieferantin als präferenzbegünstigte Ursprungsware der Europäischen Union (EU) importiert. Sie habe überhaupt keine Kenntnis davon gehabt, dass die Lieferantin die Ursprungsnachweise für die Seidengewebe falsch ausgestellt habe. Ebenfalls sei ihr nicht bekannt gewesen, dass diese als Vormaterial Garn aus Drittländern verwendet habe und somit das Seidengewebe keinen Präferenzursprung aufweisen konnte. Im Übrigen hätte sie das Seidengewebe im Veredelungsverkehr abgabefrei einund wieder ausführen können. Im Weiteren stelle sie der Nachbezug vor gravierende finanzielle Schwierigkeiten.
Mit Verfügung vom 14. September 2011 wies die Oberzolldirektion (OZD) das Erlassgesuch ab. Zur Begründung legte die OZD im Wesentlichen dar, die A. habe die Gewebesendungen zu Unrecht zum Präferenzzollansatz eingeführt, da die Ursprungszeugnisse ungültig seien. Im Weiteren sei die A. erst seit dem Jahr 2008 im Besitz einer Bewilligung für den Veredelungsverkehr. Für die in den Jahren 2005 bis 2007 eingeführten Gewebesendungen habe sie keine entsprechende Bewilligung aufgewiesen und damit die formellen Voraussetzungen für den Veredelungsverkehr nicht erfüllt. Der Nachbezug sei die vom Gesetzgeber für diesen Fall vorgesehene Konsequenz. Die Zollnachforderung sei demnach auf die ordnungsgemässe Anwendung der zollrechtlichen Bestimmungen und nicht auf aussergewöhnliche Umstände zurückzuführen. Ein Erlass der Zollabgaben sei nicht möglich.
Gegen diese Verfügung der OZD vom 14. September 2011 führte die
A.
(Beschwerdeführerin) am 13. Oktober 2011 Beschwerde an
das Bundesverwaltungsgericht. Sie stellt folgende Anträge: "(1) Die Verfügung vom 14. September 2011 sei aufzuheben. (2) Die mit Verfügung vom 3. Juni 2010 eingeforderten Einfuhrabgaben im Betrag von Fr. 134'981.40 seien der Beschwerdeführerin zu erlassen. (3) Alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegnerin".
Zur Begründung legte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen dar, die Ursprungsnachweise seien durch die deutsche Lieferantin falsch ausgestellt worden. Im Weiteren hätten die eingeführten Gewebe alle Voraussetzungen erfüllt, um im Veredelungsverkehr abgabefrei einund ausgeführt zu werden. Sie habe in den Jahren 2005 bis 2007 über keine entsprechende Bewilligung verfügt, da sie gutgläubig davon ausgegangen sei, die Ursprungszeugnisse seien korrekt. Nicht sie habe Sorgfaltspflichten verletzt, sondern ihre Lieferantin, da diese die Ursprungszeugnisse falsch ausgestellt habe. Im Weiteren könne sie sich bei ihrer Lieferantin nicht schadlos halten, da diese in Konkurs gefallen sei. Vorliegend seien deshalb aussergewöhnliche Umstände gegeben und ein Zollerlass gemäss Art. 86 Abs. 1 Bst. d des Zollgesetzes vom 18. März 2005 (ZG, SR 631.0) zu gewähren. Eine besondere Härte ergebe sich insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Zollnachforderung bei korrekter Deklaration gar nie entstanden wäre. Die deutschen Zollbehörden hätten ihrer Lieferantin rückwirkend für die Jahre 2005 bis 2007 die Bewilligung für eine passive Veredelung im Warenverkehr mit der Schweiz erteilt und die Nachprüfungsgesuche gegenüber den Schweizer Zollbehörden zurückgezogen. In der Folge werde sie gegenüber ihrer Lieferantin aber auch gegenüber ausländischen Konkurrenten benachteiligt. Die angefochtene Verfügung verstosse gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Diese sei offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich. Die OZD habe zudem überspitzt formalistisch gehandelt.
In ihrer Vernehmlassung vom 14. Dezember 2011 schloss die OZD auf Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zulasten der Beschwerdeführerin.
Auf die Vorbringen der Parteien wird - soweit entscheidwesentlich - im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Entscheide der OZD betreffend den Erlass von Einfuhrabgaben können beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (Art. 31 und Art. 33 Bst. d des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht [VGG, SR 173.32] in Verbindung mit Art. 116 Abs. 4 ZG). Das Verfahren richtet sich - soweit das Verwaltungsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt - nach den Vorschriften des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Verfügung der OZD vom 14. September 2011 berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung (Art. 48 VwVG). Auf die formund fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
Am 1. Mai 2007 sind das ZG sowie die Zollverordnung vom
1. November 2006 (ZV, SR 631.01) in Kraft getreten. Zollveranlagungen, die zu diesem Zeitpunkt hängig waren, werden gemäss Art. 132 Abs. 1 ZG nach dem bisherigen Recht und innerhalb der nach diesem gewährten Frist abgeschlossen. Die vorliegend zur Diskussion stehenden Einfuhren erfolgten zwischen dem 13. Juli 2005 und dem 5. Dezember 2007. In der Sache sind somit für die Einfuhren vor dem 1. Mai 2007 noch die Vorschriften des alten Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925 (aZG, AS 42 287 und BS 6 465) sowie der Verordnung vom 10. Juli 1926 zum aZG (aZV, AS 42 339 und BS 6 514) anzuwenden. Unabhängig davon ist organisations- und zollverfahrensrechtlich grundsätzlich auf das neue Recht abzustellen, soweit das jeweilige Verfahren nicht bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes hängig war (Art. 132 ZG, vgl. auch Art. 132 Abs. 1 BGG; Urteile des Bundesgerichts 2C_728/2009 vom 15. März 2010 E. 2.1, 2C_369/2007 vom 3. April 2008 E. 1.1). Für die Einfuhren ab dem 1. Mai 2007 ist demgemäss vollumfänglich das neue Recht anwendbar.
Am 1. Januar 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG, SR 641.20) in Kraft getreten. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sowie die darauf gestützt erlassenen Vorschriften bleiben grundsätzlich weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse
anwendbar (Art. 112 Abs. 1 MWSTG). Das vorliegende Verfahren untersteht deshalb in materieller Hinsicht dem Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG, AS 2000 1300). Unter Vorbehalt der die Bezugsverjährung betreffenden Bestimmungen ist dagegen das neue Verfahrensrecht im Sinne von Art. 113 Abs. 3 MWSTG auf sämtliche im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängige Verfahren anwendbar. Beim Steuererlass handelt es sich jedoch nicht um Verfahrensrecht, sondern um ein spezielles Verfahren - das Vollstreckungsverfahren -, welches dem ordentlichen Verfahren (Veranlagungsverfahren) folgt. Das neue Erlassrecht findet daher auf bereits hängige Verfahren keine Anwendung. Hinsichtlich der anwendbaren Erlassbestimmungen betreffend Mehrwertsteuer gilt für den sich vor dem Jahr 2010 verwirklichten Sachverhalt das aMWSTG, das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 1.3).
Steht nach Abschluss des Veranlagungsverfahrens die Zollschuld rechtskräftig fest, kann sie aus den in Art. 86 ZG festgelegten Gründen erlassen werden. Diese Bestimmung knüpft weitgehend an Art. 127 aZG an, zu dessen Anwendung eine gefestigte Rechtsprechung der Eidgenössischen Zollrekurskommission (ZRK) besteht, die vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt wird (MICHAEL BEUSCH, in Kocher/Clavadetscher [Hrsg.], Stämpflis Handkommentar Zollgesetz, Bern 2009, Art. 86 N 12). Der Zollerlass bildet eine Massnahme der Vollstreckung an sich rechtskräftiger Zollentscheide und nicht der Veranlagung. Eine allfällige Unbegründetheit der Zollerhebung bzw. die Fehlerhaftigkeit des Veranlagungsverfahrens ist nach konstanter Rechtsprechung im entsprechenden Rechtsmittelverfahren geltend zu machen (Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juni 2004, veröffentlicht in Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 74 S. 246 ff. E. 3.3; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-7682/2009 vom 15. Juni 2010 E. 2.1, A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.1).
Gemäss Art. 86 Abs. 1 Bst. c ZG kann ein Zollbetrag erlassen werden, "wenn eine Nachforderung mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse die Zollschuldnerin oder den Zollschuldner unverhältnismässig belasten würde". Dieser Erlassgrund entspricht materiell demjenigen von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 aZG. Unter der "Nachforderung" im Sinne der genannten Bestimmungen ist der aufgrund des Art. 85 ZG bzw. Art. 126 aZG erhobene Anspruch der Zollverwaltung zu verstehen (BGE 94 I 475 E. 2 mit
weiteren Hinweisen; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1714/2006 vom 11. August 2008 E. 2.3). Auf dieser Grundlage kann die zuständige Zollbehörde binnen Jahresfrist seit der Zollabfertigung oder Abgabefestsetzung eine Zollabgabe nachfordern, wenn infolge Irrtums der Zollverwaltung bei der Zollabfertigung eine nach Gesetz geschuldete Abgabe nicht oder zu niedrig, oder ein rückvergüteter Abgabebetrag zu hoch festgesetzt worden ist (vgl. Art. 126 Abs. 1 aZG bzw. Art. 85 ZG; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.2,
A-6898/2009 vom 29. April 2010 E. 2.3).
Art. 86 Abs. 1 Bst. d ZG enthält ferner eine Härteklausel. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich weitgehend dem bisherigen Erlassgrund von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 4 aZG. Die Härteklausel ist als allgemeiner Auffangtatbestand konzipiert, der subsidiär zur Anwendung kommt, das heisst nur dann, wenn der Sachverhalt nicht bereits von den Art. 127 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. a bis c ZG erfasst wird. Danach muss ein Zollnachlass gewährt werden, wenn aussergewöhnliche, nicht die Bemessung der Zollabgaben betreffende Verhältnisse den Bezug als besondere Härte erscheinen liessen. Diese drei Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, damit einem Zollerlassgesuch stattgegeben werden kann. Liegen sie vor, greift kein behördliches Ermessen, sondern es besteht ein Anspruch auf Nachlass (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2A.534/2005 vom 17. Februar 2006 E. 2.1; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-7682/2009 vom 15. Juni 2010 E. 2.2, A-1554/2007
vom 25. Januar 2010 E. 2.3, A-4619/2007 vom 21. Dezember 2009
E. 2.1.4).
Die aussergewöhnlichen Verhältnisse gemäss Art. 127 Abs. 1 Ziff. 4 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. d ZG müssen erstens mit Bezug auf das Zollverfahren vorliegen (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.3.1, A-1676/2006 vom 9. Oktober
2007 E. 3.3.1, A-1699/2006 vom 13. September 2007 E. 2.3.3). Wann ei-
ne solche Verfahrenssituation gegeben ist, bedarf der Auslegung. Mit Blick auf Sinn und Zweck dieser Härteklausel ist festzuhalten, dass solche Verhältnisse nicht leichthin anzunehmen sind. Eine grosszügige Zulassung des Zollerlasses würde zu einer vom Gesetzgeber nicht bezweckten Abschwächung der Rechtskraft von Zollentscheidungen führen (Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juni 2004, veröffentlicht in ASA 74
S. 246 ff. E. 3.5). Die Bestimmung soll nicht dazu dienen, die unter Umständen erheblichen finanziellen Folgen früherer Fristversäumnisse bzw. von Pflichtverletzungen im Veranlagungsverfahren wieder gut zu machen.
Ein Versäumnis, welches mit entsprechender Vorbereitung und Instruktion hätte vermieden werden können, ist nicht als aussergewöhnlich im Sinn dieser Bestimmung zu qualifizieren (vgl. dazu Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.3.2,
A-5264/2008 vom 27. August 2009 E. 3.3, A-1883/2006 vom 4. September 2007 E. 3.2). Allgemein vermögen aussergewöhnliche Umstände durch die ordnungsgemässe Anwendung der zollrechtlichen Bestimmungen nicht begründet zu werden (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-7682/2009 vom 15. Juni 2010 E. 2.2.1).
Ausnahmsweise können anlässlich der Einfuhrverzollung eingetretene bloss formale Versehen der anmeldepflichtigen Person als aussergewöhnliche Umstände anerkannt werden. So galt beispielhaft unter dem aZG gemäss höchstrichterlich bestätigter Verwaltungspraxis die irrtümliche Unterlassung des Antrags auf Präferenzbehandlung als aussergewöhnlicher Umstand, wenn sowohl sämtliche formellen als auch materiellen Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung im Zeitpunkt der Wareneinfuhr tatsächlich erfüllt waren. Diesbezüglich stellte das Bundesgericht insbesondere fest, dass aufgrund eingeschränkter Kontrollmöglichkeiten eine derartige Praxis für Waren, die bereits aus der Zollkontrolle entlassen wurden, ausgeschlossen sei (zum Ganzen: Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juni 2004, veröffentlicht in ASA 74 S. 246 ff. E. 3.5). Diese Haltung übernahm auch der Gesetzgeber mit Art. 34 ZG indem er für die Berichtigung der Zollanmeldung nach Freigabe der Waren bzw. Aufgabe des Zollgewahrsams restriktive Regelungen vorsah (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6898/2009 vom 29. April 2010 E. 2.4.1).
Diese aussergewöhnlichen Verhältnisse dürfen zweitens nicht die Bemessung der Abgaben betreffen; ein Zollnachlass darf nicht zur Korrektur des Zolltarifs führen (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-7682/2009 vom 15. Juni 2010 E. 2.2.2, A-6619/2008 vom 19. Oktober
2009 E. 14). Das Zollgesetz regelt die Bemessung der Abgaben in den Art. 21 bis Art. 24 aZG bzw. Art. 18 bis 20 ZG. Wer ein Gesuch um Zollnachlass stellt, hat nachzuweisen, dass die Gründe, das heisst die aussergewöhnlichen Verhältnisse, ausserhalb der Bemessung der Abgaben liegen (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.3.2, A-1676/2006 vom 9. Oktober 2007 E. 3.3.2).
Der Bezug der Abgabe muss drittens eine besondere Härte darstellen. Dieses Kriterium betrifft die persönliche Lage der zahlungspflichtigen Person. Der Zollnachlass hat nicht die Aufgabe, finanzielle Schwierigkeiten zu lösen, welche die Geschäftstätigkeit mit sich bringen kann und insoweit das unternehmerische Risiko zu decken (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.3.3,
A-6619/2008 vom 19. Oktober 2009 E. 15, A-5264/2008 vom 27. August
2009 E. 2.3.3).
Die Erhebung der Mehrwertsteuer auf der Einfuhr von Gegenständen bestimmt sich vorab nach den entsprechenden Vorschriften der Mehrwertsteuergesetzgebung (Art. 72 - 84 aMWSTG).
Die Zollgesetzgebung gilt überall dort, wo das Mehrwertsteuergesetz nichts anderes anordnet (so ausdrücklich Art. 72 aMWSTG). Der Erlass der Mehrwertsteuer auf der Einfuhr von Gegenständen ist in Art. 84 aMWSTG geregelt. Ein ganzer oder teilweiser Erlass der Mehrwertsteuer kommt abgesehen von den hier offensichtlich unzutreffenden Fällen (von Abs. 1 Bst. a, b und d) zur Anwendung, "wenn eine Nachforderung mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse die steuerpflichtige Person unbillig belasten würde" (Art. 84 Abs. 1 Bst. c aMWSTG). Wie bei allen Erlasstatbeständen müssen die Voraussetzungen kumulativ gegeben sein (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1554/2007 vom 25. Januar 2010 E. 2.4.1).
Die Regelung von Art. 84 Abs. 1 Bst. c aMWSTG entspricht derjenigen über den Zollerlass gemäss Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. c ZG. In materieller Hinsicht kann deshalb auf die betreffenden Erwägungen verwiesen werden (E. 2.2). Der Erlassgrund von Art. 84 Abs. 1 Bst. c aMWSTG ist demnach ausschliesslich für "Nachforderungen" nach Art. 126 aZG bzw. Art. 85 ZG bestimmt (PETER A. MÜLLER, mwst.com, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, Basel 2000, Art. 84 N 7).
Im vorliegenden Fall ist durch den am 27. Januar 2011 getätigten Rückzug der Beschwerde vom 1. Juli 2010 die Nachbezugsverfügung der Zollkreisdirektion Schaffhausen vom 3. Juni 2010 in der Höhe von insgesamt Fr. 134'981.40 Einfuhrabgaben (Fr. 125'448.-- Zoll und Fr. 9'533.40 Mehrwertsteuer) in Rechtskraft erwachsen. Im vorliegenden Verfahren geht es einzig darum zu prüfen, ob die OZD mit ihrem Entscheid vom
14. September 2011 das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass der Einfuhrabgaben zu Recht abgewiesen hat.
Unbestritten ist, dass sich die Nachforderung nicht aufgrund eines Irrtums der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) bei der Festsetzung der Zollabgaben ergeben hat. Es liegt demnach keine Nachforderung im Sinn von Art. 126 Abs. 1 aZG bzw. Art. 85 ZG vor. In der Folge kann der Erlassgrund von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. c ZG nicht zur Anwendung kommen (E. 2.2). Im Übrigen treffen auch die Erlassgründe von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. a und b ZG unbestrittenermassen nicht zu. Die Beschwerdeführerin beruft sich hingegen auf den Erlassgrund von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 4 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. d ZG, gemäss welchem aussergewöhnliche, nicht die Bemessung der Abgabe betreffende Verhältnisse den Bezug der Abgabe als besondere Härte erscheinen lassen. Wie in E. 2.3.1 ausgeführt, können solche aussergewöhnliche Umstände grundsätzlich nicht durch die ordnungsgemässe Anwendung der zollrechtlichen Bestimmungen begründet werden. Da die Beschwerdeführerin hinsichtlich der zur Diskussion stehenden Einfuhren in den Jahren 2005 bis 2007 nicht über gültige Ursprungsnachweise verfügt hat, musste die EZV die Präferenzzollbehandlung nachträglich aufheben und die Differenz zum Normalzolltarif nachfordern. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass die Beschwerdeführerin allenfalls die materiellen Bedingungen für den aktiven Veredelungsverkehr erfüllt hätte. Wer Waren zur aktiven Veredelung ins Zollgebiet verbringt, braucht gemäss Art. 17 Abs. 1 aZG i.V.m. Art 39b Abs. 1 aZV bzw. Art. 59 Abs. 2 ZG nämlich eine Bewilligung der OZD. Über eine solche hat die Beschwerdeführerin bezüglich der vorliegenden Einfuhren in den Jahren 2005 bis 2007 unbestrittenermassen nicht verfügt. Im Zeitpunkt der betreffenden Wareneinfuhren hat die Beschwerdeführerin damit die formellen Voraussetzungen für eine Einfuhr im Rahmen des Veredelungsverkehrs nicht erfüllt. Es liegt deshalb kein blosses formales Versehen vor, welches allenfalls ausnahmsweise als aussergewöhnlicher Umstand anerkannt werden könnte (E. 2.3.1).
Angesichts dieser klaren Rechtslage, wonach die aktive Veredelung einer (vorgängigen) Bewilligung der OZD bedarf, geht der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Verweigerung des Zollerlasses aufgrund des Fehlens einer solchen Bewilligung sei unhaltbar und überspitzt formalistisch, fehl. Die Zollnachforderung ist die Konsequenz der im Zollrecht für Deklarationen allgemein sowie für die ordnungsgemässe Abwicklung des Veredelungsverkehrs im Besonderen geltenden Formstrenge. Nur eine konsequente und damit einheitliche Handhabung der gesetzlichen Formvorschriften vermag in diesem Bereich den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit zu genügen.
Der Zollerlass soll nicht dazu dienen, die (erheblichen) finanziellen Folgen früherer Fristversäumnisse bzw. von Pflichtverletzungen im Veranlagungsverfahren wieder gut zu machen (E. 2.3.1). Die Beschwerdeführerin macht diesbezüglich geltend, nicht sie, sondern ihre Lieferantin habe sorgfaltswidrig gehandelt, da diese die Ursprungsnachweise falsch erstellt habe. Die Beschwerdeführerin ist auf das im Zollrecht geltende Selbstdeklarationsprinzip hinzuweisen (Art. 24 aZG bzw. Art. 25 ZG). Sie war verpflichtet, die Ware korrekt anzumelden und hat für die Richtigkeit der Zolldeklaration einzustehen (Urteil des Bundesgerichts 2A.566/2003 vom 9. Juni 2004 E. 2.4). Dies unabhängig davon, ob sie auf die Angaben der deutschen Lieferantin vertraute. Aus ihrer Behauptung, sie habe von der Ungültigkeit der Ursprungszeugnisse nichts gewusst, kann sie deshalb von vornherein nichts zu ihren Gunsten ableiten. Es wäre an ihr gelegen, Vorkehrungen zu treffen, um das - aufgrund der Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung der Ursprungserklärung stets bestehende - Risiko fehlerhafter bzw. nachträglich widerrufener Ursprungserklärungen abzusichern. Unterlässt sie dies, hat sie dafür selber die Verantwortung zu tragen (Urteil des Bundesgerichts 2C_32/2011 vom 7. April 2011
E. 3.4). Insoweit ist also eine Sorgfaltspflichtwidrigkeit der Beschwerdeführerin zu bejahen. Eine Gutheissung des Gesuchs um Zollerlass würde einer Wiedergutmachung der festgestellten Sorgfaltspflichtverletzung der Beschwerdeführerin bei der Einfuhr gleichkommen, was nicht Sinn und Zweck eines Erlasses ist. Im Übrigen stellt die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Unmöglichkeit der Schadloshaltung gegenüber ihrer deutschen Lieferantin ein zivilrechtliches Problem dar. Der Konkurs ihrer Geschäftspartnerin vermag demnach von Anfang an keine aussergewöhnlichen Verhältnisse im Sinn der Härteklausel zu begründen, da er in keinen Zusammenhang mit dem Zollverfahren steht (E. 2.3.1).
Ebenfalls keine aussergewöhnlichen Verhältnisse, die einen Zollerlass rechtfertigen könnten, sind darin zu erblicken, dass die deutschen Zollbehörden der deutschen Lieferantin nachträglich eine Bewilligung für die passive Veredelung erteilt haben. Weder das aZG noch das ZG sehen eine rückwirkende Bewilligung des Veredelungsverkehrs vor und das Handeln der deutschen Zollbehörden ist für das schweizerische Zollverfahren nicht entscheidend.
Zusammengefasst sind keine aussergewöhnlichen Verhältnisse im Sinn von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 4 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. d ZG gegeben. Unbestrittenermassen liegt auch kein Fall von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 aZG bzw. Art. 86 Abs. 1 Bst. a bis c ZG vor. Damit entfällt der Zollerlass, ohne dass zu prüfen ist, ob die weiteren gesetzlichen Anforderungen erfüllt wären. Namentlich ist nicht mehr wesentlich, ob sich durch den Zollbezug für die Beschwerdeführerin eine besondere Härte ergeben würde. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt indessen nicht, dass die Zollnachforderung für die Beschwerdeführerin eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen kann und die Umstände wie es zu der Nachforderung kam, für sie ärgerlich sein mögen. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Zollerlass vorliegend jedoch nicht erfüllt sind, darf das Bundesverwaltungsgericht einen solchen nicht gewähren.
Im Weiteren ist zu beachten, dass bei den Einfuhren in den Jahren 2005 bis 2007 die Einfuhrsteuer zwar erhoben worden ist, jedoch auf dem Kaufpreis der betreffenden Waren ohne Zoll. Weil die Zollabgaben in die Bemessungsgrundlage der Steuer auf der Einfuhr einzubeziehen sind (vgl. Art. 76 Abs. 3 Bst. a aMWSTG), forderte die Zollkreisdirektion Schaffhausen in ihrer Verfügung vom 3. Juni 2010 neben den Zollabgaben von Fr. 125'448.-- auch die nach diesem Zollbetrag zu bemessende Steuer nach, ausmachend Fr. 9'533.40 (7,6% von Fr. 125'448.--). Zu prüfen ist deshalb, ob allenfalls ein Grund für einen Erlass dieser Einfuhrsteuer besteht.
Wie bereits ausgeführt (E. 3.1.1), stellt die Nachforderung der EZV keine solche im Sinn von Art. 126 aZG bzw. Art. 85 ZG dar. In der Folge kann auch kein Erlass nach Art. 84 Abs. 1 Bst. c aMWSTG gewährt werden, denn dieser Erlassgrund ist ausschliesslich für solche Nachforderungen bestimmt (E. 2.4.2).
Die Verfahrenskosten im Betrag von Fr. 4'000.-- sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen und mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe zu verrechnen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Eine Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin ist nicht zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG e contrario).
Dieses Urteil kann nicht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden (Art. 83 Bst. m des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [BGG, SR 173.110]).
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 4'000.-- verrechnet.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Einschreiben)
die Vorinstanz (Ref-Nr. ; Einschreiben)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Markus Metz Jürg Steiger
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