Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | BVGE 2010/40 |
Datum: | 15.07.2010 |
Leitsatz/Stichwort: | Amts- und Rechtshilfe |
Schlagwörter : | Recht; Staat; Recht; Vertrag; Staats; Staatsvertrag; Vertrags; Amtshilfe; Völkerrecht; Schweiz; Bundes; Rechts; Verträge; Urteil; Schutz; Verhältnis; Steuer; Abkommen; Barkeit; UNO-Pakt; Staaten; VILLIGER; Vertragspartei; Privat; Interesse; Convention |
Rechtsnorm: | Art. 139 BV ;Art. 15 EMRK ;Art. 19 BV ;Art. 194 BV ; |
Referenz BGE: | 109 Ib 62; 112 Ib 576; 115 Ib 517; 120 Ib 112; 120 Ib 360; 122 I 360; 122 II 373; 123 II 134; 123 II 175; 124 I 176; 124 II 293; 126 II 324; 133 I 77; 133 II 450; 133 V 237; 135 I 191 |
Kommentar: | - |
STAATSVERTRAGSRECHT — ACCORDS INTERNATIONAUX — ACCORDI INTERNAZIONALI
Internationales Recht im Allgemeinen Droit international public général
Diritto internazionale pubblico generale
Auszug aus dem Urteil der Abteilung I
S. A. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung,
Task Force Amtshilfe USA
A-4013/2010 vom 15. Juli 2010
Am 19. August 2009 schlossen die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Vereinigten Staaten von Amerika ein Abkommen über ein Amtshilfegesuch des Internal Revenue Service der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend UBS AG, einer nach schweizerischem Recht errichteten Aktiengesellschaft (AS 2009 5669, nachfolgend: Abkommen 09).
Unter Berufung auf dieses Abkommen stellte der Internal Revenue Service (IRS) in Washington am 31. August 2009 ein Amtshilfegesuch an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). Er ersuchte um Herausgabe von Informationen über amerikanische Steuerpflichtige, die in
der Zeit zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2008 die Unterschriftsberechtigung oder eine andere Verfügungsbefugnis über Bankkonten hatten, die von einer Abteilung der UBS AG oder einer ihrer Niederlassungen oder Tochtergesellschaften in der Schweiz (nachfolgend: UBS AG) geführt, überwacht oder gepflegt wurden. Betroffen waren Konten, für welche die UBS AG (1) nicht im Besitz eines durch den Steuerpflichtigen ausgefüllten Formulars « W-9 » war und (2) nicht rechtzeitig und korrekt mit dem Formular « 1099 » namens des jeweiligen Steuerpflichtigen dem amerikanischen Fiskus alle Bezüge dieser Steuerpflichtigen gemeldet hatte.
Gestützt auf eine Editionsverfügung der ESTV vom 1. September 2009 im Sinn von Art. 20d Abs. 2 der Verordnung vom 15. Juni 1998 zum schweizerisch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen vom
2. Oktober 1996 (SR 672.933.61, nachfolgend: V DBA-USA) übermittelte die UBS AG das A. betreffende Dossier am 23. November 2009.
Mit Urteil A-7789/2009 vom 21. Januar 2010 (teilweise veröffentlicht in BVGE 2010/7) kam das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) zum Schluss, dass das Abkommen 09 als Verständigungsvereinbarung nicht über Art. 26 des Abkommens vom 2. Oktober 1996 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (SR 0.672.933.61, nachfolgend: DBA-USA 96) hinausgehen dürfe, weshalb im damals entschiedenen Fall keine Amtshilfe zu leisten war.
Am 31. März 2010 schloss die Schweiz nach weiteren Verhandlungen mit den USA ein Protokoll zur Änderung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Amtshilfegesuch des Internal Revenue Service der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend UBS AG, einer nach schweizerischem Recht errichteten Aktiengesellschaft, unterzeichnet in Washington am 19. August 2009 (Änderungsprotokoll Amtshilfeabkommen; am 7. April 2010 im ausserordentlichen Verfahren veröffentlicht, mittlerweile AS 2010 1459, nachfolgend: Protokoll 10). Gemäss Art. 3 Abs. 2 Protokoll 10 ist dieses ab Unterzeichnung und damit ab dem
31. März 2010 vorläufig anwendbar.
In ihrer Schlussverfügung vom 20. April 2010 gelangte die ESTV zum Ergebnis, betreffend A. sei Amtshilfe zu leisten. A. bestritt dies.
Die Bundesversammlung genehmigte am 17. Juni 2010 sowohl das Abkommen 09 als auch das Protokoll 10 (die konsolidierte Fassung [SR 0.672.933.612] wird nachfolgend als Staatsvertrag 10 bezeichnet) und ermächtigte den Bundesrat (BR) zur Ratifikation der beiden Verträge. Die Verträge wurden im entsprechenden Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Amtshilfegesuch betreffend UBS AG sowie des Änderungsprotokolls vom 17. Juni 2010 (AS 2010 2907) nicht dem Staatsvertragsreferendum unterstellt.
Das BVGer weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
Gemäss Art. 190 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) haben die rechtsanwendenden Behörden das Völkerrecht anzuwenden. Massgebend sind somit nicht nur die von der Bundesversammlung und allenfalls auch vom Volk beziehungsweise von Volk und Ständen gutgeheissenen völkerrechtlichen Verträge, sondern das gesamte gesetzte und nicht gesetzte Völkerrecht mit Einschluss der von völkerrechtlichen Organen erlassenen Regelungen entsprechend der jeweils zutreffenden Interpretation (BGE 133 II 450 E. 6.1; ausführlich: BVGE 2010/7 E. 3.1.1 f. mit Hinweisen; YVO HANGARTNER, St. Galler Kommentar zur Schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Zürich etc. 2008, N. 19 zu Art. 190 BV).
Art. 190 BV enthält keine Regel über allfällige Konflikte zwischen verschiedenen, für die Schweiz verbindlichen Normen des Völkerrechts. Kann der Konflikt nicht auf dem Weg der Auslegung ausgeräumt werden, muss auf die völkerrechtliche Normenhierarchie oder auf andere Kollisionsregelungen zurückgegriffen werden (BGE 133 II 450 E. 6.2; vgl. E. 6). Beachtet werden darf in solchen Situationen überdies das Gebot landesrechtskonformer Handhabung von Völkerrecht. Das Verhältnis von verschiedenen untereinander allenfalls in Widerspruch stehenden Normen des Völkerrechts ist so letztlich vor Eintritt in den Anwendungsbereich von Art. 190 BV zu klären, wäre es doch logisch unhaltbar und würde Art. 190 BV gerade zuwiderlaufen, würde eine Stellung, die das massgebende Völkerrecht beziehungsweise die Vertragsparteien einem
Staatsvertrag zugewiesen haben, durch Art. 190 BV wieder aufgehoben (BVGE 2010/7 E. 3.1.2 mit Hinweisen).
Die Schweiz folgt dem monistischen System, demgemäss Völkerrecht direkt anwendbar wird, ohne dass seine Transformation ins Landesrecht notwendig wird. Dabei behält Ersteres seinen Charakter als Völkerrecht (BVGE 2010/7 E. 3.2.1). Auseinanderzuhalten sind dabei die völkerrechtlich eingegangenen Verpflichtungen und deren Einordnung in das innerstaatliche Recht.
Soweit der Gesetzgeber nicht bewusst durch einen innerstaatlichen Rechtsetzungsakt eine Völkerrechtsverletzung in Kauf genommen hat (sog. Schubert-Praxis, vgl. etwa Urteil des BVGer A-2744/2008 vom
23. März 2010 E. 1.4 mit weiteren Hinweisen; ANNE BENOÎT, Vers une hiérarchie des normes internationales en droit interne suisse? in: Zeitschrift für schweizerisches Recht 128 [2009] I S. 453 ff., S. 464 ff.), ist gemäss schweizerischer Lehre und Praxis im Konfliktfall dem Völkerrecht gegenüber dem Landesrecht der Vorzug zu geben (PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern 2004, § 9 Rz. 12 ff., insbes. Rz. 20 ff. und Rz. 29 ff.; RENÉ RHINOW/MARKUS SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 3616 ff., die jedoch darauf hinweisen, dass nach einigen Auffassungen der Kerngehalt nationaler Grundrechtsgarantien entgegenstehenden völkerrechtlichen Bestimmungen vorgehe, Rz. 3622; vgl. auch die differenzierenden Lehrmeinungen betreffend das Verhältnis zwischen grundlegenden Menschenrechtsgarantien in der Bundesverfassung und technischen Abkommen auf internationaler Ebene bei ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER/HELEN KELLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Aufl., Zürich etc. 2008, Rz. 1922; BENOÎT, a. a. O., S. 461 und 463 [je mit Hinweisen], S. 470). Das BVGer ist gemäss Art. 190 BV - trotz einer möglichst landesrechtskonformen Auslegung des Völkerrechts (vgl. BVGE 2010/7 E. 3.1.2) - mithin auch dann gehalten, Völkerrecht anzuwenden, wenn dieses gegen die Verfassung verstösst. Dies ist logische Folge des in Art. 190 BV geregelten Verhältnisses zwischen als massgebend bezeichnetem Völkerrecht und BV (BGE 133 II 450 E. 6; GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2007, N. 10 zu Art. 190 BV; HANGARTNER, a. a. O.,
N. 13 zu Art. 190 BV). Das Völkerrecht ist jedenfalls dann nicht auf seine Übereinstimmung mit Bundesrecht zu prüfen, wenn das Völkerrecht jünger ist (betreffend Bundesgesetze ausdrücklich
HÄFELIN/HALLER/KELLER, a. a. O., Rz. 1924). Dies führt etwa dazu, dass schon aus diesem Grund nicht weiter auf den Umstand eingegangen zu werden braucht, dass vom im Jahr 2010 abgeschlossenen Protokoll 10 und dem Staatsvertrag 10 entgegen den seit dem 1. Januar 2010 in Kraft stehenden Vorgaben von Art. 13 Abs. 1 des Sprachengesetzes vom 5. Oktober 2007 (SpG, SR 441.1) keine Originalfassung in mindestens einer Amtssprache des Bundes vorliegt (...).
Regelungsgegenstand des Völkerrechts ist insbesondere die zwischenstaatliche Beziehung (vgl. anstelle zahlreicher: WALTER KÄLIN/ASTRID EPINEY/MARTINA CARONI/JÖRG KÜNZLI, Völkerrecht -
Eine Einführung, 2. Aufl., Bern 2006, S. 1, 6), wobei die Rechtsquellen des Völkerrechts in Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945 (SR 0.193.501) kodifiziert sind. Die völkerrechtlichen Regeln über das Vertragsrecht beruhen auf Gewohnheitsrecht, welches im Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (SR 0.111, nachfolgend: VRK; für die Schweiz seit 6. Juni 1990 in Kraft) kodifiziert worden ist (BGE 120 Ib 360 E. 2c; siehe auch JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 3. Aufl., Bern 2001, S. 148 f. mit zahlreichen Hinweisen).
Art. 26 VRK statuiert - als kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht - den Grundsatz, dass ein - in Kraft gesetzter - Vertrag die Parteien bindet und von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen ist (pacta sunt servanda). Unter « Vertragsparteien » sind die Staaten als solche zu verstehen (Art. 2 Abs. 1 Bst. g VRK). Nach Art. 27 VRK kann sich eine Vertragspartei grundsätzlich - ausser bei offenkundiger Verletzung der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung (Art. 46 VRK; vgl. E. 5.3.4) - nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen (BGE 124 II 293 E. 4, BGE 120 Ib 360 E. 2c). Völkerrechtlich sind die Staaten somit verpflichtet, ungeachtet ihres innerstaatlichen Rechts völkerrechtliche Verpflichtungen einzuhalten; das Völkerrecht beansprucht absolute Geltung. Jeder Vertragsbruch stellt eine Völkerrechtsverletzung dar, für welche der handelnde Staat völkerrechtlich verantwortlich wird (BVGE 2010/7 E. 3.3.3 mit Hinweisen, auch zum Folgenden). Auf welche Weise hingegen ein Staat auf der innerstaatlichen Ebene seinen Verpflichtungen nachkommen muss, wird vom Völkerrecht nicht geregelt. Das Völkerrecht verweist in diesem Punkt auf das Landesrecht. Der Zweck von
Art. 27 VRK erschöpft sich darin zu vermeiden, dass sich ein Staat auf sein innerstaatliches Recht beruft, um sich seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen und der damit einhergehenden Verantwortlichkeit zu entziehen (ANNEMIE SCHAUS, in: Olivier Corten/Pierre Klein [Hrsg.], Les Conventions de Vienne sur le droit des traités: Commentaires article par article, 3 Bd., Brüssel 2006, N. 2 f. zu Art. 27 VRK von 1969).
Die vorläufige Anwendung eines Vertrags oder eines Vertragsteils ist in Art. 25 VRK geregelt. Gemäss Art. 25 Abs. 1 VRK wird ein Vertrag ganz oder partiell bis zu seinem Inkrafttreten vorläufig angewendet, wenn entweder der Vertrag es so vorsieht oder wenn die verhandelnden Staaten dies in anderer Weise vereinbart haben. Ohne anderslautende Vereinbarung endet die vorläufige Anwendung eines Vertrags oder eines Teils des Vertrags für einen Staat, wenn dieser Staat seinem Vertragspartner notifiziert, kein Vertragspartner zu werden (Art. 25 Abs. 2 VRK).
Bestimmt ein völkerrechtlicher Vertrag (vgl. E. 3.1.1 und 4.1) sein Inkrafttreten nicht selbst (Art. 24 Abs. 1 VRK), so tritt er in Kraft, sobald die Zustimmung aller Verhandlungsstaaten vorliegt, durch den Vertrag gebunden zu sein (Art. 24 Abs. 2 VRK). An das Inkrafttreten wird auch die Bindungswirkung des Vertrages geknüpft. Art. 25 VRK ermöglicht - als dispositives Recht - eine auf dem Willen der Vertragsparteien beruhende vorläufige Anwendung der durch übereinstimmende Willenserklärung geschlossenen Vereinbarung vor seiner Inkraftsetzung. Die Bindungswirkung gemäss Art. 26 VRK wird damit - zumindest vorläufig - vorgezogen (MARK E. VILLIGER, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Leiden/Boston 2009 [nachfolgend: Vienna Convention], N. 4 zu Art. 25 VRK; THOMAS SÄGESSER, Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetz [RVOG], Bern 2007,
N. 6 zu Art. 7b RVOG). Die vorläufige Anwendung eines Vertrages impliziert, dass dessen Inkraftsetzung von gewissen, noch zu erfüllenden Voraussetzungen wie insbesondere einem innerstaatlichen (parlamentarischen) Genehmigungsverfahren abhängt (VILLIGER, Vienna Convention, N. 5 zu Art. 25 VRK; URS SAXER/PATRICK SUTTER, Die Vor-
anwendung internationaler Verträge durch den Bundesrat: Dringlichkeit, Rechtsstaat und Demokratie im schweizerischen Staatsvertragsrecht, in: Aktuelle Juristische Praxis 2003, S. 1406 ff., S. 1407). Aus der Vertragsfreiheit wird - in maiore minus - abgeleitet, dass die Staaten
jederzeit die vorläufige (integrale oder partielle) Vertragsanwendung vereinbaren können (VILLIGER, Vienna Convention, N. 6 zu Art. 25 VRK). Nach dem Konzept von Art. 25 VRK bezieht sich die « vorläufige Anwendbarkeit » eines Vertrages nur auf seine Anwendbarkeit; letztlich wird damit während eines bestimmten Zeitraums eine Rechtsgrundlage angewendet, welche ihrerseits gar nicht in Kraft steht beziehungsweise deren Inkraftsetzung von einem künftigen, ungewissen Ereignis abhängt. Des Weiteren ist zwischen dem Vertrag, welcher vorläufig angewendet wird, und der völkerrechtlichen Vereinbarung betreffend vorläufige Anwendbarkeit zu unterscheiden. Mag auch der Vertrag an sich noch nicht in Kraft sein, die Vereinbarung betreffend vorläufige Anwendbarkeit ist es sehr wohl (DENISE MATHY, in: Olivier Corten/Pierre Klein [Hrsg.], Les Conventions de Vienne sur le droit des traités: Commentaires article par article, 3. Bd., Brüssel 2006, N. 21 zu Art. 25 VRK von 1969).
Weder die VRK noch das innerstaatliche Recht sprechen sich darüber aus, welche Wirkungen die vorläufige Anwendbarkeit eines Staatsvertrages hat. Eine solche Anwendbarkeit ergibt jedoch nur dann Sinn, wenn gestützt auf sie bereits Dispositionen getroffen werden können. Andernfalls würde sie ihren Zweck verfehlen beziehungsweise überflüssig sein. Daraus folgt, dass die vorläufige Anwendbarkeit resolutiv bedingt ist. Der Vertrag wird so angewendet, als sei er bereits in Kraft, bis er entweder auch formell in Kraft tritt oder bis feststeht, dass er nicht in Kraft gesetzt werden wird. Im letzteren Fall endet die vorläufige Anwendung, sobald der eine Vertragsstaat den anderen in Kenntnis setzt, dass er nicht Vertragspartner werden möchte (Art. 25 Abs. 2 VRK). Die vorläufige Anwendung bedeutet aber, dass der ganze Vertrag oder zumindest einige Bestimmungen sofort Wirkungen entfalten (MATHY,
a. a. O., N. 1 zu Art. 25 VRK von 1969, vgl. auch N. 8). Sie kann beispielsweise eine Reaktion auf Notfalloder andere Situationen sein, die rasch neue Verträge erfordern, insbesondere dann, wenn der parlamentarische Genehmigungsprozess längere Zeit in Anspruch nehmen würde. Schliesslich wird sie des Öftern auch vereinbart, wenn der Vertragsinhalt wünschenswert erscheint und die spätere Ratifizierung des Vertrages ausser Zweifel steht oder wenn Staaten den Weg für das vollständige Inkrafttreten des Vertrages ebnen wollen (VILLIGER, Vienna Convention,
1 zu Art. 25 VRK; MATHY, a. a. O., N. 5 zu Art. 25 VRK von 1969
mit Hinweisen). Auch wenn Art. 25 VRK nicht von einem vorläufigen
oder provisorischen Inkrafttreten spricht, wirkt die vorläufige Anwendung in der Praxis so, als sei der Vertrag in Kraft (vgl. MATHY,
a. O., N. 16 ff. zu Art. 25 VRK von 1969; vgl. auch VILLIGER, Vienna Convention, N. 4, 8 zu Art. 25 VRK, der davon spricht, die Notifikation eines Staates, nicht Vertragspartei werden zu wollen, entfalte Wirkung ex nunc).
Gemäss Art. 28 VRK wirken Verträge nicht rückwirkend, sofern sich keine abweichende Absicht aus dem Vertrag ergibt oder anderweitig festgestellt wird. Wie bereits aus dem klaren Wortlaut hervorgeht, ist die Nichtrückwirkung zwar die Regel, doch steht es den Vertragsparteien frei, eine Rückwirkung entweder ausdrücklich zu vereinbaren oder implizit vorzusehen (VILLIGER, Vienna Convention, N. 6 ff. zu Art. 28 VRK). Mit anderen Worten steht Art. 28 VRK dem Willen der Parteien, einen Vertrag rückwirkend anzuwenden, nicht entgegen.
Bestehen zwei oder mehrere, in Kraft stehende Verträge über denselben Gegenstand, also über dieselbe Materie mit gleicher beziehungsweise vergleichbarer Bestimmtheit, und regeln die betreffenden Verträge denselben Gegenstand in abweichender Weise, so stellt Art. 30 VRK die Kriterien zur Beurteilung der Rechte und Pflichten der beiden Staaten bereit (VILLIGER, Vienna Convention, N. 6 zu Art. 30 VRK; FELIPE PAOLILLO, in: Olivier Corten/Pierre Klein [Hrsg.], Les Conventions de Vienne sur le droit des traités: Commentaires article par article, 3 Bd., Brüssel 2006, N. 16 und 26 zu Art. 30 VRK von 1969). Art. 30 VRK regelt folglich ausschliesslich die Frage des Anwendungsvorrangs von aufeinanderfolgenden Verträgen über denselben Gegenstand, wobei die Vertragsparteien abweichende Regeln vereinbaren können (VILLIGER, Vienna Convention, N. 8 zu Art. 30 VRK; PAOLILLO,
a. a. O., N. 19 f. zu Art. 30 VRK von 1969). Die Staaten sind - vorbehältlich Art. 30 Abs. 1 VRK (BGE 133 II 450 E. 5.1) - frei, das Verhältnis zwischen von ihnen geschlossenen Verträgen untereinander zu bestimmen. So können die Vertragsparteien namentlich vorsehen, dass ein Vertrag alle entgegenstehenden vertraglichen Bestimmungen aufhebt oder dass bestimmte vertragliche Bestimmungen allen übrigen Bestimmungen eines früheren (oder allfällig später abgeschlossenen) Vertrags vorgehen. Einer entsprechenden ausdrücklichen Anweisung ist Folge zu leisten (Art. 30 Abs. 2 VRK). Fehlt eine ausdrückliche Kollisionsregel, so hält Art. 30 Abs. 3 VRK für Verträge zwischen denselben Vertragsparteien - in Übereinstimmung mit der lex posteriorRegel - fest, dass der frühere Vertrag nur soweit Anwendung findet, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist (BVGE 2010/7 E. 3.4; PAOLILLO, a. a. O., N. 35 f. zu Art. 30 VRK von 1969). Gehören nicht alle Vertragsparteien des früheren Vertrags zu den Vertragsparteien des späteren, so regelt zwischen einem Staat, der Vertragspartei beider Verträge ist, und einem Staat, der Vertragspartei nur eines der beiden Verträge ist, der Vertrag, dem beide Staaten als Vertragsparteien angehören, ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten (Art. 30 Abs. 4 Bst. b VRK; PAOLILLO, a. a. O., N. 47 ff. zu Art. 30 VRK von 1969). Versuche innerhalb der International Law Commission - die in Wien zwischen 1968 und 1969 die VRK auf der Grundlage verschiedener Berichte erarbeitete -, unter den Vertragsparteien ähnlich dem ius cogens (vgl.
E. 6.1.3) eine inhaltlichen Kriterien folgende Vertragshierarchie einzuführen, scheiterten ebenso wie Versuche, gewisse Vertragskategorien von Art. 30 Abs. 3 VRK auszunehmen (PAOLILLO, a. a. O., N. 52 f. zu Art. 30 VRK von 1969).
Der Staatsvertrag 10 wurde, wie erwähnt, nicht dem (fakultativen) Referendum unterstellt (...). Dies ändert freilich nichts daran, dass er völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen enthält (vgl. E. 3.1.1). Eine andere Aussage wäre nur dann denkbar, wenn sich durch die erwähnte Nichtunterstellung die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung als im Sinn von Art. 46 VRK offenkundig verletzt erwiese (vgl. E. 4.2). Dem ist allerdings nicht so. Bereits innerstaatlich wurde in der Schweiz kontrovers diskutiert, ob der Staatsvertrag 10 dem Referendum zu unterstellen sei (gegen eine Unterstellung unter das fakultative Referendum Botschaft des Bundesrats zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Amtshilfegesuch betreffend UBS AG sowie des Änderungsprotokolls vom
14. April 2010 [BBl 2010 3000; nachfolgend: Genehmigungsbotschaft]; desgleichen THOMAS COTTIER/RENÉ MATTEOTTI, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen, in: Jusletter vom 8. März 2010, Rz. 20, http://www.jusletter.ch; einen Ausschluss des fakultativen Referendums als vertretbar erachtend MARKUS REICH, Das Amtshilfeabkommen in Sachen UBS oder die Grenze der Staatsvertragskompetenz des Bundesrats - Die Rechtslage nach dem BVGer-Urteil vom 21.1.2010, IFF Forum für Steuerrecht 2010, S. 126 f.; für eine Unterstellung unter das fakultative Referendum
URS R. BEHNISCH/ANDREA OPEL, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2009, Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins [ZBJV] 2010, S. 446 ff., S. 507 f.; zur entsprechenden Diskussion im Parlament vgl. etwa die Voten von Ständerat Alain Berset, in: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung [AB] 2010 S 481, oder Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, in: AB 2010 N 841 f., oder Nationalrat Caspar Baader, in: AB 2010 N 842 f.). Mithin kann keine Rede davon sein, es sei für die USA als Vertragsstaat offenkundig und nach Treu und Glauben objektiv erkennbar gewesen, dass die innerstaatliche Zuständigkeit in dem Sinn verletzt worden sei, dass der Staatsvertrag 10 zwingend dem fakultativen Referendum hätte unterstellt werden müssen. Eine Berufung auf Art. 46 VRK ist somit nicht möglich (vgl. E. 4.2). Selbst wenn der Staatsvertrag 10 tatsächlich unter Missachtung der Zuständigkeiten im innerstaatlichen Genehmigungsprozess zustande gekommen wäre, könnte dies der völkerrechtlichen Wirksamkeit nicht entgegengehalten werden. Nicht mehr einzugehen ist deshalb darauf, ob es sich bei der Frage der Unterstellung unter das Referendum um eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung im Sinn von Art. 46 Abs. 1 VRK handelt, da - damit der Staatsvertrag 10 für unwirksam erklärt werden könnte - beide Voraussetzungen (offenkundige Verletzung der Zuständigkeit und Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung) kumulativ erfüllt sein müssen (vgl. VILLIGER, Vienna Convention, N. 16 zur Art. 46 VRK).
Analoges gilt hinsichtlich der im Staatsvertrag 10 in Art. 9
Satz vorgesehenen und in Art. 3 Ziff. 2 des Protokolls 10 ausdrücklich explizit vereinbarten vorläufigen Anwendbarkeit als völkerrechtliche Vereinbarung, welche in Kraft ist, auch wenn der Vertrag, auf den sie sich bezieht, es noch nicht ist (E. 4.3.1). Auch diese stellt verbindliches Völkerrecht dar (vgl. E. 3.1.1 und 4.3.2). Betreffend die vorläufige Anwendbarkeit kann ohnehin nicht geltend gemacht werden, sie sei aufgrund einer offenkundigen Kompetenzverletzung im Sinn von Art. 46 Abs. 1 und 2 VRK zustande gekommen (vgl. MATHY, a. a. O., N. 11 zu Art. 25 VRK), ist doch der BR gemäss innerstaatlichem Recht bei gegebenen entsprechenden Voraussetzungen für die Festlegung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages zuständig (Art. 7b des Regierungsund Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 [RVOG, SR 172.010]). Von einer für den anderen Vertragsstaat offenkundig erkennbaren Verletzung der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung kann dergestalt keine Rede sein. Ob der BR dabei innerstaatlich die Voraussetzungen für die Vereinbarung der vorläufigen Anwendbarkeit, nämlich die Wahrung wichtiger schweizerischer Interessen und eine besondere Dringlichkeit (Art. 7b Abs. 1 RVOG), tatsächlich beachtet hat, ist mithin angesichts der erwähnten allein massgeblichen Optik von Art. 46 VRK unerheblich und braucht nicht geprüft zu werden.
Die Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) ist ein multilateraler
völkerrechtlicher Vertrag. Gelegentlich wird auch von einem supranationalen Vertrag gesprochen. Dieser bringt den europäischen ordre public zum Ausdruck und soll einen grundrechtlichen Mindeststandard in Europa herbeiführen. Die Individualrechte, welche die Konvention gewährleistet, werden unmittelbar durch das Völkerrecht geschaffen und müssen
von jedem Staat vom Zeitpunkt der Ratifizierung an beachtet werden
(vgl. BGE 122 II 373 E. 2d; JOCHEN ABRAHAM FROWEIN/WOLFGANG
PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar,
Aufl., Kehl am Rhein 2009, N. 5 f. zu Einführung; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK]: unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage, 2. Aufl., Zürich 1999 [nachfolgend: VILLIGER, EMRK], N. 16; ROK BEZGOVSEK,
Art. 6 Ziff. 1 EMRK und das steuerrechtliche Verfahren, Zürich/Basel/Genf 2002, S. 5 f. mit Hinweisen). Unerheblich für die für die Schweiz geltende völkerrechtliche Verpflichtung zur Beachtung der EMRK ist, dass die USA ihrerseits nicht Vertragsstaat der EMRK sind. Die EMRK erweist sich freilich nur insoweit als einschlägig, als der Schutzbereich der von ihr geschützten Grundrechte durch die vorliegend zu beantwortende Frage nach der Zulässigkeit der Gewährung von Amtshilfe tangiert ist. Zu prüfen sind die Art. 6, Art. 7 und Art. 8 EMRK.
In persönlicher Hinsicht umfasst Art. 6 EMRK jede Person, somit juristische ebenso wie natürliche Personen, Ausländer ebenso wie Inländer oder Staatenlose. In sachlicher Hinsicht werden zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie strafrechtliche Anklagen umfasst, wobei diese Begriffe vertragsautonom auszulegen sind (FROWEIN/PEUKERT, a. a. O., N. 4 f. zu Art. 6 EMRK). Nach der Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR) wird bei Rechtshilfegesuchen jedoch weder über die strafrechtliche Anklage noch über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen entschieden.
Die Entscheidung, Daten auszuliefern, betreffe ausschliesslich die Durchführung von Verpflichtungen, die im Rahmen von internationalen Vereinbarungen eingegangen worden seien. Deshalb gelangten die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK nicht zur Anwendung (EKMREntscheid M. gegen Schweiz vom 1. Dezember 1986, Nr. 11514/85 E. 1, wiedergegeben in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden [VPB] 51.73; vgl. Urteil des Bundesgerichts [BGer] 1A.186/2005 vom 9. Dezember 2005 E. 6.3). Diese in Bezug auf das Rechtshilfeverfahren gemachten Aussagen gelten auch für das Amtshilfeverfahren (BGE 123 II 175 E. 6e, BGE 120 Ib 112 E. 4; Urteil des BGer 2A.234/2000 vom 25. April 2001
E. 2b/ee). Selbst Auslieferungsverfahren, bei denen nicht nur über die Übermittlung von Daten, sondern über die Auslieferung einer Person entschieden wird, fallen nicht unter Art. 6 EMRK (VILLIGER, EMRK,
N. 401). Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn im anderen Staat die Gefahr besteht, dass die grundlegenden Rechte der auszuliefernden Person verletzt werden (BEZGOVSEK, a. a. O., S. 20 f.; STEPHAN BREITENMOSER, Neuerungen in der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, in: Stephan Breitenmoser/Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.], Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, St. Gallen 2009,
S. 9 ff., 20 f.; vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR], Soering gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, in: Publications de la Cour Européenne des Droits de l'homme, Serie A: Arrêts et décisions, Bd. 161, § 86 am Ende, allerdings in Bezug auf Art. 3 EMRK, der mit dem Verbot der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung ius cogens statuiert [vgl. E. 6.1.3]; vgl. dazu des Weiteren auch STEPHAN BREITENMOSER, Das Risiko von Grundrechtsverletzungen im Recht der internationalen Amtsund Rechtshilfe, in: Risiko und Recht, Festgabe zum schweizerischen Juristentag 2004, Basel 2004, S. 248 ff.). Derlei ist vorliegend nicht der Fall. Damit ist Art. 6 EMRK auf Amtshilfeverfahren nicht anwendbar.
Auf Art. 7 EMRK kann sich wiederum jede Person berufen. Sachlich beschränkt sich seine Geltung hingegen auf Straftatbestände. In einem Amtshilfeverfahren wird jedoch nicht über die Strafbarkeit einer bestimmten Handlung befunden, sondern es wird wiederum einzig darüber entschieden, ob Daten an einen anderen Staat übergeben werden. Damit handelt es sich bei den Amtshilfebestimmungen um Verfahrensrecht, für welches Art. 7 Abs. 1 EMRK, insbesondere das Verbot der Rückwirkung, grundsätzlich nicht gilt (FROWEIN/PEUKERT, a. a. O., N. 8
zu Art. 7 EMRK; VILLIGER, EMRK, N. 537). Insbesondere ist Art. 7 EMRK sogar auf Auslieferungsverfahren nicht anwendbar (LOUISEDMOND PETTITI/EMMANUEL DECAUX/PIERRE-HENRI IMBERT, La
Convention européenne des droits de l'homme: commentaire article par article, 2. Aufl., Paris 1999, S. 303). Die allfällige Durchführung eines Strafverfahrens, in dem die beschwerdeführende Partei ihre Rechte gemäss den Gesetzen des ersuchenden Staates wird geltend machen können, ist Sache des ersuchenden Staates (vgl. Robert Waldburger, Das Amtshilfeverfahren wegen « Steuerbetrugs und dergleichen » mit den USA, in: IFF Forum für Steuerrecht 2009, S. 91 ff., S. 95, 100 ff.; anderer Meinung URS R. BEHNISCH, Amtshilfe der Schweiz in Steuer- [straf]sachen, insbesondere an die USA: Durcheinandertal, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 77 S. 737 ff., S. 745 f.). Eine Ausnahme und damit eine Anwendbarkeit von Art. 7 EMRK im schweizerischen Verfahren stünde wiederum nur dann zur Diskussion, wenn der von der Amtshilfe betroffenen Person im ersuchenden Staat ein gegen Art. 7 EMRK verstossendes Verfahren drohen würde (BGE 135 I 191
E. 2.1, BGE 126 II 324 E. 4c). Davon kann vorliegend keine Rede sein.
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat « jede Person » das Recht auf Achtung ihres Privatlebens. Nach Lehre und Rechtsprechung sind alle natürlichen Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit Rechtsträger von Art. 8 EMRK (vgl. beispielhaft EGMR, Boultif gegen die Schweiz, Urteil vom 2. August 2001, Recueil des arrêts et décisions 2001-IX § 39 ff., wiedergegeben in VPB 65.138; VILLIGER, EMRK,
N. 99 ff.). Auch Ausländer und Ausländerinnen können sich deshalb auf die Garantie von Art. 8 EMRK berufen, soweit sie der Hoheitsgewalt der Schweiz unterstehen (vgl. Art. 1 EMRK).
Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privatund Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Das Recht auf Achtung des Privatlebens gewährleistet jeder Person eine Sphäre, in der sie ihr Leben frei gestalten und ihre Persönlichkeit entwickeln kann (vgl. FROWEIN/PEUKERT, a. a. O., N. 3 zu Art. 8 EMRK; JENS MEYER-LADEWIG, Europäische Menschenrechtskonvention: Handkommentar, 2. Aufl., Baden-Baden 2006, N. 3 ff. zu Art. 8 EMRK; CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., Wien 2005, S. 178 ff.).
Zum Recht auf Privatleben gehört der Anspruch auf eine persönliche Geheimsphäre und Schutz persönlicher Daten. Art. 8 Abs. 1 EMRK wird deshalb durch die Beschaffung, Aufbewahrung, Verwendung und Bekanntgabe persönlicher Daten berührt (BGE 122 I 360 E. 5a; bestätigt etwa in BGE 133 I 77 E. 3.2). Erlangt der Staat Kenntnis von Aspekten der Privatsphäre, ist es ihm grundsätzlich untersagt, diese Informationen zu registrieren oder für andere als die Erhebungszwecke zu verwerten (EGMR, Leander gegen Schweden, Urteil vom 26. März 1987, Serie A, Bd. 116, § 48 [betr. Speicherung und Verwertung von Personaldaten] sowie EGMR, S. und M. Marper gegen Grossbritannien, Urteil vom
Dezember 2008, Recueil des arrêts et décisions 2008 § 66 ff.; Europäische Grundrechte Zeitschrift [EuGRZ] 2009 S. 299 ff. [betr. Aufbewahrung genetischer Daten auf unbestimmte Zeit]).
In die Geheimsphäre einer Person fallen namentlich ihre Vermögensverhältnisse (vgl. FROWEIN/PEUKERT, a. a. O., N. 8 zu Art. 8 EMRK mit Hinweis auf einen EKMR-Entscheid, wonach die Verpflichtung gegenüber den Steuerbehörden, private Angaben zu rechtfertigen, als Eingriff in die Privatsphäre zu werten sei). Der behördliche Informationsaustausch in Steuersachen tangiert den Schutzbereich von Art. 8 EMRK (BVGE 2009/31 E. 5.1; vgl. EKMR-Entscheid vom 1. Dezember 1986,
und A. gegen die Schweiz, wiedergegeben in VPB 51.82; YVES NOËL, L'entraide administrative, in: François Bellanger/Thierry Tanquerel [Hrsg.], L'entraide administrative nationale en matière fiscale, Zürich 2005, S. 103 ff., S. 105; ferner zu Art. 13 BV FRANO KOSLAR/JEAN-
DANIEL SCHMID, Aktive internationale Amtshilfe der Schweiz in Steuersachen: Grundrechte und Datenschutz, Der Schweizer Treuhänder
2009, S. 768 ff.).
Der Staat hat zum einen die (negative) Verpflichtung, Eingriffe in die Privatsphäre zu unterlassen. Zum andern trifft ihn die (positive) Verpflichtung zur Gewährleistung der Privatsphäre durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung (statt vieler EGMR, Caroline von Hannover gegen Deutschland, Urteil vom 24. Juni 2004, Recueil des arrêts et décisions 2004-VI § 74; EuGRZ 2004 S. 404 ff. [betr. Schutz gegen Veröffentlichungen persönlicher Daten {Fotos} durch die Boulevardpresse]; ferner FROWEIN/PEUKERT, a. a. O., N. 11 ff. zu Art. 8 EMRK). Der Staat ist in der Auswahl der Schutzmassnahmen frei. In der Schweiz erfolgt der Schutz der Vermögensverhältnisse gegen unberechtigte Einblicke Dritter unter anderem durch die Datenschutzgesetzgebung sowie durch den Geheimnisschutz (Berufs-, Steuerund Bankgeheimnis).
Gemäss Art. 17 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2, nachfolgend: UNO-Pakt II) darf niemand willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden (Abs. 1), wobei ein Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen besteht (Abs. 2). Allerdings ist fraglich, ob gemäss schweizerischer Praxis Schutzund Leistungsansprüche aus dem Pakt abgeleitet werden können (DANIEL WÜGER, Anwendbarkeit und Justiziabilität völkerrechtlicher Normen im schweizerischen Recht: Grundlagen, Methoden und Kriterien, Diss. Bern 2005, S. 394 f.). Art. 17 UNO-Pakt II geht bezüglich der vorliegend relevanten Bereiche - Ehre und Ruf sind nicht betroffen - nicht über Art. 8 EMRK hinaus (vgl. MANFRED NOWAK, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll: CCPR-Kommentar, Kehl am Rhein/Strassburg/Arlington 1989, Rz. 15 zu Art. 17 des Paktes; GIORGIO MALINVERNI, Les pactes et la protection des droits de l'homme dans le cadre européen, in: Walter Kälin/Giorgio Malinverni/Manfred Nowak [Hrsg.], Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte. La Suisse et les pactes des Nations Unies relatif aux droits de l'homme, Basel/Frankfurt am Main 1991, S. 37 ff., S. 50; WÜGER, a. a. O., S. 393). Der Schutz personenbezogener Daten gemäss dem Pakt stellt lediglich eine besondere Form der Achtung der Intimität dar (NOWAK, a. a. O., Rz. 21 zu Art. 17 des Paktes). Damit ist fraglich, ob Daten über die finanzielle Situation überhaupt in den Schutzbereich von Art. 17 UNO-Pakt II fallen, ob dieser also vorliegend tangiert ist. Letztlich kann dies jedoch offenbleiben (vgl. E. 6.3 und 6.6).
Die erwähnten einschlägigen Vertragsbestimmungen sind allesamt sogenannt self-executing (...). Die vorliegend relevanten Bestimmungen sind inhaltlich genügend konkret und klar, so dass ein Entscheid direkt auf sie gestützt ergehen kann. Soweit (und nur soweit als) die Verfahren nicht in den Abkommen selbst beschrieben sind, ist auf das innerstaatliche Recht zurückzugreifen, welches insbesondere für die Doppelbesteuerungsabkommen mit der V DBA-USA entsprechende Bestimmungen bereithält (siehe E. 6.2.2). Auch die EMRK ist unmittelbar - und zwar wie die Grundrechte in der Bundesverfassung - anwendbar
(RHINOW/SCHEFER, a. a. O., Rz. 1050; HÄFELIN/HALLER/KELLER, a. a. O., Rz. 193, 253 ff.).
Bestehen - wie hier mit dem DBA-USA 96, dem Staatsver-
trag 10, der EMRK und der VRK - für die Frage der Zulässigkeit der Gewährung von Amtshilfe (« Datenlieferung ») an die USA verschiedene grundsätzlich unter das Anwendungsgebot von Art. 190 BV fallende Verträge, so ist die Frage zu beantworten, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen (vgl. E. 3.1.2). Erst das bezüglich ihres Verhältnisses geklärte « Produkt » - und nicht die einzelnen Abkommen als solche - wird von Art. 190 BV als massgebendes Völkerrecht als für das BVGer verbindlich erklärt.
Unter den völkerrechtlichen Verträgen existiert - mit Ausnahme der in Art. 103 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (SR 0.120) statuierten Rangordnung - grundsätzlich keine festgelegte Hierarchie (BENOÎT, a. a. O., S. 453 ff.; THOMAS COTTIER/RENÉ MATTEOTTI,
Das Abkommen über ein Amtshilfegesuch zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika vom
19. August 2009: Grundlagen und innerstaatliche Anwendbarkeit, ASA 78 S. 349 ff., S. 360; Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht, Bericht des Bundesrates vom 5. März 2010, in Erfüllung des Postulats 07.3764 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 16. Oktober 2007 und des Postulats 08.3765 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 20. November 2008, BBl 2010 2282 ff. [nachfolgend: Botschaft Verhältnis Völkerrecht-Landesrecht], auch zum Folgenden). Bestehen aufeinander folgende Verträge über den gleichen Inhalt, so regelt Art. 30 VRK das gegenseitige Verhältnis (vgl. E. 4.5). Allgemein anerkannt ist sodann der Grundsatz des Vorrangs der lex specialis sowie der lex posterior (BGE 133 V 237 E. 4.1; BENOÎT,
a. a. O., S. 454; ANDREAS R. ZIEGLER, Einführung in das Völkerrecht, Bern 2006, N. 160, 261 f.). Eingeschränkt werden diese Grundsätze allerdings dadurch, dass zwingendes Völkerrecht (sog. ius cogens) auch durch allenfalls jüngere Staatsverträge nicht eingeschränkt werden darf. Dem ius cogens entgegenstehende völkerrechtliche Verträge sind nichtig (vgl. Art. 53, Art. 64 und Art. 71 VRK; ROBERT BAUMANN,
Völkerrechtliche Schranken der Verfassungsrevision, Schweizerisches Zentralblatt für Staatsund Verwaltungsrecht 2007, S. 181 ff., S. 184 f.).
Zum ius cogens, also denjenigen Normen des Völkerrechts, von denen auch im gegenseitigen Einverständnis nicht abgewichen werden darf, gehören die elementaren Menschenrechte wie das Recht auf Leben, der Schutz vor Folter und erniedrigender Behandlung, die Freiheit von Sklaverei und Menschenhandel, das Verbot von Kollektivstrafen, der Grundsatz der persönlichen Verantwortung in der Strafverfolgung sowie das non-refoulement-Gebot (BGE 133 II 450 E. 7.3; vgl. auch [unter Bezugnahme auf Art. 193 Abs. 4 und Art. 194 Abs. 2 BV] HÄFELIN/HALLER/KELLER, a. a. O., Rz. 1756 ff.; WÜGER, a. a. O., S. 91 mit
weiteren Hinweisen). Im Übrigen ist aber umstritten, welche weiteren Garantien diese Rechtsqualität erfüllen (WALTER KÄLIN/JÖRG KÜNZLI, Universeller Menschenrechtsschutz, Basel 2005, S. 78 und S. 134 f.). Teilweise werden auch der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und gewisse, damit zusammenhängende Verfahrensgarantien zum ius cogens gezählt. Dagegen gehören weitere Grundrechte, selbst wenn sie für die Schweiz von überragender Bedeutung sind (Eigentumsund Wirtschaftsfreiheit, Anspruch auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II; Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II) nicht zum notstandsfesten Kern der internationalen Menschenrechtskonventionen (vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK; Art. 4 Abs. 2 UNO-Pakt II) und damit grundsätzlich nicht zum ius cogens (BGE 133 II 450 E. 7.3 mit Hinweisen; Urteil des BGer 1A.48/2007 vom 22. April 2008 E. 7.3; BAUMANN, a. a. O., S. 186 ff.; vgl. dazu auch die Übersicht über den notstandsfesten Kern der Menschenrechte in FRÉDÉRIC SUDRE, Droit européen et international des droits de l'homme, 5. Aufl., Paris 2001, N. 135 ff.).
Was das Verhältnis der massgebenden steuerrechtsspezifischen
Abkommen (...) zueinander betrifft, so ergibt sich aus dem Wortlaut der einschlägigen Artikel des Protokolls 10 vorab, dass dieses das Abkommen 09 modifizieren und in der Folge nur der daraus resultierende Vertrag Anwendung finden soll. Demzufolge muss im Folgenden nur das Verhältnis des Staatsvertrages 10 als Synthese aus dem Protokoll 10 und dem Abkommen 09 zu den übrigen relevanten Bestimmungen geklärt werden.
Der Staatsvertrag 10 ist sodann gemäss dem in seinem Wortlaut materialisierten Willen der Vertragsparteien nicht mehr - wie noch das
Abkommen 09 - eine Verständigungsvereinbarung, die sich innerhalb des vom DBA-USA 96 gesteckten Rahmen bewegen muss (vgl. Urteil des BVGer A-7789/2009 vom 21. Januar 2010 E. 5.5.2), sondern es steht mit dem DBA-USA 96 auf der gleichen Stufe. Da beide Verträge zwischen den gleichen Parteien geschlossen worden sind, handelt es sich um einen Fall von Art. 30 Abs. 3 VRK, demgemäss der frühere Vertrag nur insoweit Anwendung findet, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist (vgl. E. 4.5). Überdies präzisiert Art. 7a des Staatsvertrags 10, dass er zum Zweck der Behandlung des vorliegenden Amtshilfegesuchs (nämlich jenem des IRS vom 31. August 2009) Vorrang vor dem DBAUSA 96 sowie der Verständigungsvereinbarung vom 23. Januar 2003 zwischen der ESTV und dem Department of the Treasury der USA betreffend die Anwendung von Art. 26 DBA-USA 96 (veröffentlicht in: Pestalozzi/Lachenal/Patry [Hrsg.] [bearbeitet von SILVIA ZIMMERMANN unter Mitarbeit von MARION VOLLENWEIDER], Rechtsbuch der schweizerischen Bundessteuern, Therwil [Nachtragssammlung], Bd. 4, Kennziffer I B h 69, Beilage 1; die deutsche Fassung befindet sich in Beilage 4) habe, sofern er diesen zuwiderlaufe. Demgemäss hat der Staatsvertrag 10 auch nach Art. 30 Abs. 2 VRK Vorrang gegenüber den älteren Verträgen, soweit das genannte Amtshilfegesuch betroffen ist. Zugleich wird jedoch auf das DBA-USA 96 Bezug genommen, was verdeutlicht, dass dieses anwendbar ist, sofern der Staatsvertrag 10 keine abweichenden Bestimmungen enthält. Solches gilt beispielsweise für das Verfahren: Anwendbar bleibt - soweit der Staatsvertrag 10 keine spezielleren Bestimmungen enthält - die sich auf das DBA-USA 96 stützende V DBA-USA (...), was sich im Übrigen auch aus Art. 1 Ziff. 2 des Staatsvertrags 10 ergibt.
Zu klären bleibt mithin das Verhältnis des Staatsvertrags 10 zu den einschlägigen Regeln der EMRK und des UNO-Pakts II, konkret zum Recht auf Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK; Art. 17 UNO-Pakt II; vgl. E. 5.4 f.). Vorab ist dazu festzuhalten, dass weder Art. 8 EMRK noch Art. 17 UNO-Pakt II in die Kategorie der ius cogens darstellenden notstandsfesten Menschenrechte fallen (vgl. E. 6.1.3), was sich nicht zuletzt bereits aus der in Art. 8 Abs. 2 EMRK selbst vorgesehenen Möglichkeit zur Einschränkung des Rechts auf Privatleben beziehungsweise aus der Formulierung von Art. 17 Abs. 1 UNO-Pakt II ergibt. Demnach erweisen sich für die Hierarchisierung grundsätzlich die allgemeinen Regeln von Art. 30 VRK als einschlägig (vgl. E. 6.1.2). Was
das Verhältnis zur EMRK betrifft, so handelt es sich um einen Fall von Art. 30 Abs. 4 Bst. b VRK, sind doch die USA nicht Vertragsstaat der EMRK (vgl. E. 4.5): Der Staatsvertrag 10 geht mithin den Regeln der EMRK vor. Dies entspricht auch den allgemeinen anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen der lex specialis und der lex posterior (vgl.
E. 6.1.2). Dem UNO-Pakt II gehören sowohl die Schweiz als auch die USA als Vertragsstaaten an. Der Staatsvertrag 10 geht hier aufgrund der Kollisionsregel von Art. 30 Abs. 3 VRK ebenfalls als lex specialis und lex posterior vor. Damit ist die einzig nach völkerrechtlichen Kriterien zu bestimmende Rangordnung zugunsten des Staatsvertrags 10 geklärt und erübrigten sich an sich weitere Ausführungen.
Nun ist allerdings nicht zu übersehen, dass diese eben zur Anwendung gebrachten eher technischen Grundsätze zur Lösung von Konflikten zwischen den Normen des Völkerrechts wenig über die Tragweite der betroffenen völkerrechtlichen Bestimmungen aussagen (Botschaft Verhältnis Völkerrecht-Landesrecht, BBl 2010 2282). Fraglich sein könnte deshalb, ob nicht gerade die EMRK als europäischer ordre public (vgl. E. 5.4.1) auch ausserhalb des Bereichs des ius cogens in einem Überordnungsverhältnis zu spezielleren Verträgen stehe (BGE 126 II 324
E. 4d [allerdings betreffend das Verhältnis einer ohnehin zum ius cogens gehörenden Norm der EMRK zu einer Norm eines anderen Staatsvertrags]; vgl. dazu auch WALTER KÄLIN/REGINA KIENER/ANDREAS KLEY/ PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2000 und 2001, ZBJV 2005
S. 605 ff., S. 691 f., die von einer sachgerechten Anerkennung der Überordnung der Menschenrechtsverträge und « ihrer Teilhabe an einem überall zu beachtenden internationalen ordre public » sprechen; HÄFELIN/HALLER/KELLER, a. a. O., Rz. 1926a; HANGARTNER, a. a. O., N. 32
zu Art. 139 [neu] BV, N. 32 zu Art. 190 BV; Botschaft Verhältnis Völkerrecht-Landesrecht, BBl 2010 2282; in diesem Sinn auch - bezogen auf das Verhältnis von ebenfalls unter Art. 190 BV fallenden Bundesgesetzen zu den völkerrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte
- BENOÎT, a. a. O., S. 464 ff.).
Selbst wenn dem aber so sein sollte, was vorliegend offen gelassen werden kann, vermöchte dies im Ergebnis am Vorrang des Staatsvertrags 10 nichts zu ändern. Wohl erwiese sich dann Art. 8 Abs. 1 EMRK in einem ersten Schritt als dem Staatsvertrag 10 übergeordnet. Übergeordnet und zu beachten wäre alsdann aber auch Art. 8 Abs. 2 EMRK, wonach in das
Recht auf Achtung des Privatlebens eingegriffen werden darf, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dies wäre, wie nachstehend zu zeigen ist, der Fall.
Einschränkungen von Art. 8 Abs. 1 EMRK sind nur zulässig,
soweit der Eingriff « gesetzlich vorgesehen » ist. Gemeint ist, der Eingriff müsse auf einer generell-abstrakten Norm beruhen, der innerstaatlich Gesetzeskraft zukommt und welche die Behörde zum Eingriff ermächtigt (VILLIGER, EMRK, N. 545). Eine Norm ist generell-abstrakt, wenn sie sich an eine unbestimmte Zahl von Adressaten richtet und eine unbestimmte Zahl von Fällen erfasst. Das Erfordernis der generellabstrakten Natur der Norm dient der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit. Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt ein formelles Gesetz oder eine Verordnung, die sich auf ein formelles Gesetz zurückführen lässt, aber auch ungeschriebenes Recht in Betracht (grundlegend EGMR, Sunday Times gegen Grossbritannien, Urteil vom 26. April 1979, Serie A, Bd. 30, § 47 ff.; EuGRZ 1979 S. 386). Der EGMR geht von einem materiellen Gesetzesbegriff aus, weshalb die Anforderungen weniger streng sind als im schweizerischen Verfassungsrecht (vgl. REGINA KIENER/WALTER KÄLIN, Grundrechte, Bern 2007, S. 86 f.; FRÉDÉRIC
SUDRE, Les grands arrêts de la Cour européenne des Droits de l'Homme, Paris 2009 [nachfolgend: Les grands arrêts], S. 52 ff.). Ausgehend vom Gedanken des Schutzes gegen die Exekutive ist zentral, dass sich die Rechtsgrundlage auf ein Parlamentsgesetz zurückführen lässt (FROWEIN/ PEUKERT, a. a. O., N. 2 zu Vorbemerkungen zu Art. 8-11). Als
Grundlage in Frage kommt bei alledem auch Staatsvertragsrecht, soweit
es unmittelbar anwendbare Normen enthält (VILLIGER, EMRK, N. 545;
KIENER/KÄLIN, a. a. O., S. 87; KOSLAR/SCHMID, a. a. O., S. 769; vgl.
auch EGMR, Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, Urteil vom 30. Juni 2005, Recueil des arrêts et décisions 2005-VI, insbes. § 150, teilweise in deutscher Übersetzung wiedergegeben in: Neue Juristische Wochenschrift [NJW] 2006, 197, insbes. S. 202).
Des Weitern muss die Rechtsgrundlage zugänglich und vorhersehbar sein und eine gewisse Garantie gegen behördliche Willkür bieten. Der Einzelne soll staatliches Handeln vorhersehen und sein Verhalten danach ausrichten können. Dies erfordert, dass das Gesetz hinreichend bestimmt ist. Je stärker in das Grundrecht eingegriffen wird, umso höhere Anforderungen werden an die Normierungsdichte gestellt (EGMR, Rotaru gegen Rumänien, Urteil vom 4. Mai 2000, Recueil des arrêts et décisions 2000-V § 52 ff. [betr. das Sammeln und Speichern von Informationen im Geheimen]; GRABENWARTER, a. a. O., S. 193; SUDRE, Les grands arrêts,
S. 54 ff.). Mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Gesetzes verbunden ist das Rückwirkungsverbot, welches aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitet wird. Der Rechtsunterworfene soll in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsordnung darauf vertrauen dürfen, dass die Gesetze, die im Zeitpunkt einer Handlung in Kraft sind, zur Anwendung gelangen und nicht Normen gelten, welche dieses Verhalten rückwirkend anders beurteilen (vgl. KIENER/KÄLIN, a. a. O., S. 343).
Weniger strenge Anforderungen an die Rechtsgrundlage gelten im Bereich des Verfahrensrechts. Erforderlich ist eine generell-abstrakte Norm, die einen hinreichenden Bestimmtheitsgrad aufweist. Jedoch dürfen Verfahrensvorschriften rückwirkend auf bereits abgeschlossene Sachverhalte zur Anwendung gelangen. Dies zeigt sich besonders deutlich im Bereich des Strafrechts. Das Verbot rückwirkender Strafgesetze (Art. 7 Abs. 1 EMRK) gilt nur für das materielle Strafrecht, nicht auch für das Strafprozessrecht (EGMR, Coëme gegen Belgien, Urteil vom 22. Juni 2000, Recueil des arrêts et décisions 2000-VII, § 149; FROWEIN/PEUKERT, a. a. O., N. 8 zu Art. 7 EMRK mit weiteren Praxishinweisen; VILLIGER, EMRK, N. 537; vgl. E. 5.4.3).
Gleiches muss damit erst recht im Verwaltungsverfahrensrecht, insbesondere im Bereich der Rechtsund Amtshilfe, gelten. So sind denn auch nach der Rechtsprechung des BGer Bestimmungen über die Rechtsund Amtshilfe und die Pflicht von Privaten, von ihnen verlangte Informationen herauszugeben, Vorschriften verfahrensrechtlicher Natur, welche mit ihrem Inkrafttreten sofort anwendbar sind (zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen: BGE 123 II 134 E. 5b/bb, BGE 115 Ib 517
E. 9b, BGE 112 Ib 576 E. 2, BGE 109 Ib 62 E. 2; zur internationalen Amtshilfe im Bereich der Börsenaufsicht: Urteil des BGer 2A.266/2006 vom 8. Februar 2007 E. 2; zur internationalen Steueramtshilfe an die USA: Urteil des BGer 2A.551/2001 vom 12. April 2002 E. 2 und Urteil des BGer 2A.250/2001 vom 6. Februar 2002 E. 3). Die Grundrechtskonformität der sofortigen Anwendung von Amtsund Rechtshilfevorschriften ist in den zitierten Bundesgerichtsurteilen nicht in Frage gestellt worden. Ein Rückwirkungsverbot von Normen über die Amtshilfe in
Doppelbesteuerungsabkommen lässt sich aus grundrechtlichen Garantien somit nicht ableiten, sondern müsste ausdrücklich vereinbart sein (vgl. dazu MICHAEL ENGELSCHALK, in: Klaus Vogel/Moris Lehner [Hrsg.], Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, Kommentar auf der Grundlage der Musterabkommen, 5. Aufl., München 2008, N. 36 zu Art. 26; STEFAN OESTERHELT , Amtshilfe im internationalen Steuerrecht der Schweiz, Rz. 141, in: Jusletter vom 12. Oktober 2009, http://www . jusletter.ch). Dies gilt im Übrigen umso mehr dann, wenn sich, wie vorliegend, aus den nach Art. 31 VRK auszulegenden Bestimmungen des Staatsvertrags 10 (...) derart deutlich ergibt, dass auch eine - völkerrechtlich ohnehin zulässigerweise vereinbarte - Rückwirkung (vgl. E. 4.4) in Kauf genommen wird.
Nach dem Gesagten ist unter dem Blickwinkel von Art. 8 Abs. 2 EMRK ein Eingriff in die Privatsphäre im Rahmen eines Amtshilfeverfahrens auf eine hinreichend präzis formulierte Rechtsgrundlage abzustützen. Jedoch darf dieses Gesetz mit seinem Inkrafttreten sofort und damit auch auf bereits abgeschlossene Sachverhalte angewendet werden. Zu prüfen bleibt mithin, ob der Staatsvertrag 10 eine im Sinn von Art. 8 Abs. 2 EMRK genügende gesetzliche Grundlage für die Einschränkung des Anspruchs auf Schutz der Privatsphäre darstellt.
Rechtsgrundlage der an die USA zu leistenden Amtshilfe ist der Staatsvertrag 10. Dieser steht auf der Stufe eines Bundesgesetzes. Gemäss Genehmigungsbotschaft besteht das Hauptziel des Staatsvertrages 10 in der Lösung eines akuten Justizund Souveränitätskonflikts (Genehmigungsbotschaft, BBl 2010 2969 f.). Nach Ansicht des BR selbst enthält der Staatsvertrag allerdings keine generell-abstrakten Normen. Zwar werde darin unter anderem eine ganz bestimmte Auslegung eines Begriffs (« fraud and the like ») aus dem geltenden DBA-USA 96 verbindlich festgelegt, jedoch nur für ein einziges Amtshilfegesuch, bezogen auf einen konkret definierten Kreis von circa 4'450 Kunden der UBS AG. Das Abkommen habe demnach - so unter Verwendung der nationalen Terminologie - nur generell-konkrete, nicht aber generell-abstrakte Bedeutung (Genehmigungsbotschaft, BBl 2010 3000). Diesen Ausführungen gemäss könnte fraglich sein, ob die zur Grundrechtseinschränkung erforderliche Voraussetzung einer generell-abstrakten Norm, welche sich (generell) an eine unbestimmte Zahl von Adressaten richtet und
(abstrakt) auf eine unbestimmte Zahl von Fällen zur Anwendung gelangt (vgl. E. 6.5.2), erfüllt ist.
Massgebend für die Beantwortung der Frage, ob der Staatsvertrag 10 eine hinreichende gesetzliche Grundlage im Sinn von Art. 8 Abs. 2 EMRK darstelle, sind aber nicht nationale Begrifflichkeiten. Entscheidend ist vielmehr und einzig, ob eine solche im Sinn der vertragsautonom auszulegenden EMRK besteht (vgl. E. 5.4.1 und 6.5.1 f., auch zum Folgenden). Dies ist im Ergebnis zu bejahen. Vorab erweisen sich die konventionsrechtlichen Vorgaben allgemein als im Vergleich zum Landesrecht weniger streng. Beim Staatsvertrag 10 handelt es sich um einen parlamentarisch und damit auch demokratisch legitimierten Akt. Damit wird dem - dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage zentralen - Anliegen des Schutzes vor der Exekutivgewalt Rechnung getragen. Des Weitern dient der Staatsvertrag 10 der verbindlichen Festlegung der Auslegung eines Begriffs aus dem geltenden DBA-USA 96 und enthält präzis festgelegte Kriterien genereller Natur, nach denen Amtshilfe geleistet wird. Die konkrete Identifikation der betroffenen Personen erfolgt erst in einem zweiten Schritt. Sodann enthält das von der Schweiz und den USA bereits im September 2009 unterzeichnete neue Doppelbesteuerungsabkommen eine erweiterte Amtshilfeklausel nach Art. 26 OECDMusterabkommen. Damit wird dem Anliegen der Rechtsgleichheit, welches dem Erfordernis einer generell-abstrakten Norm zur Grundrechtsbeschränkung zugrunde liegt, inskünftig zusätzlich Genüge getan. Das Rückwirkungsverbot ist, wie erläutert (vgl. E. 4.4 und 6.5.2), im Bereich der Amtshilfe nicht von Bedeutung. Schliesslich fällt ins Gewicht, dass Daten über Einkommensund Vermögensverhältnisse nicht zu den besonders schützenswerten Personendaten (wie beispielsweise Daten über religiöse, weltanschauliche, politische oder gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten) gehören und finanzielle Angaben generell nicht den gleichen Schutz wie spezifisch persönlichkeitsbezogene Daten geniessen (BGE 124 I 176 E. 5c/cc und nicht publizierte E. 4e, in: Plädoyer 1999
S. 79). Eine weniger strenge Handhabung der Anforderungen an die Rechtsgrundlage zur Einschränkung der Privatsphäre im Vermögensbereich ist auch unter diesem Blickwinkel gerechtfertigt. Schliesslich ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass der innerstaatlich über Gesetzeskraft verfügende Staatsvertrag 10 auch in analoger Anwendung der Schubert-Praxis (vgl. E. 3.3) als genügende Grundlage zu betrachten
wäre.
Art. 8 Abs. 2 EMRK verlangt, dass sich die Einschränkung des Grundrechts auf einen zulässigen Eingriffszweck abstützt. Genannt sind folgende öffentliche Interessen: die nationale oder öffentliche Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten, der Schutz der Gesundheit oder der Moral und der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Im Bereich der internationalen Rechtsund Amtshilfe gestalten sich die Interessen des Staates unterschiedlich, je nachdem, ob er Gesuchsteller oder Gesuchsempfänger ist. Bei ausgehenden Ersuchen steht der Strafverfolgungsund Strafvollstreckungsanspruch, das Interesse an der Durchsetzung der Wirtschaftsordnung oder fiskalische Interessen im Vordergrund. Bei eingehenden Gesuchen stehen die entsprechenden Interessen des fremden Staates an. Entsprechend der doppelköpfigen Zielsetzung der Rechtsund Amtshilfe leistet der ersuchte Staat in diesem Fall Hilfe zur Wahrung künftiger eigener Interessen an der Durchsetzung der innerstaatlichen Rechtsordnung oder an der Eintreibung von Steuerforderungen (Gegenrechtsaspekt; vgl. PETER POPP, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2001, N. 405 f.). Zu diesen können weitere Interessen, beispielsweise die Wahrung guter Wirtschaftsbeziehungen mit dem ersuchenden Staat, treten. Das wirtschaftliche Wohl des Landes gehört nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu den zulässigen Eingriffszwecken (vgl. Urteil des BGer 2A.234/2000 vom 25. April 2000
E. 2b/bb). Ebenfalls als im öffentlichen Interesse liegend gelten kann das Bestreben, eingegangene völkerrechtliche Verpflichtungen in Anwendung des Grundsatzes « pacta sunt servanda » zu erfüllen (vgl. auch EGMR, Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, Urteil vom 30. Juni 2005, Recueil des arrêts et décisions 2005-VI, insbes. § 150; NJW 2006, 197, insbes. S. 202).
Was den erforderlichen Eingriffszweck (öffentliches Interesse) betrifft, so begründet der BR die Gewährung von Amtshilfe an die USA mit dem wirtschaftlichen Wohl des Landes. Bei der UBS AG handle es sich um eine systemrelevante Bank. Ein Ausfall der UBS AG hätte einen beträchtlichen Schaden für den übrigen Bankensektor der Schweiz und für die gesamte schweizerische Volkswirtschaft zur Folge (Genehmigungsbotschaft, BBl 2010 2970 ff., 2982 f.). Wie gross die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens wäre und wie hoch dieser ausfallen könnte, kann nicht geprüft werden. Es genügt, dass die Annahme des BR nicht von vornherein haltlos ist. Volkswirtschaftliche Interessen stellen
einen zulässigen Eingriffszweck dar. Gleiches gilt für das Bestreben, eingegangene völkerrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen.
Der Eingriff muss überdies « in einer demokratischen Gesellschaft notwendig » sein. Nach der Praxis des EGMR muss der Grundrechtseingriff « einem dringenden sozialen Bedürfnis » entsprechen, das eingesetzte Mittel verhältnismässig sein und die Abwägung zu einem angemessenen Verhältnis zwischen den betroffenen Interessen führen (vgl. die zahlreichen Praxishinweise bei FROWEIN/PEUKERT, a. a. O.,
N. 13 ff.; MEYER-LADEWIG, a. a. O., N. 42 ff.; GRABENWARTER, a. a. O., S. 194 ff.).
Dementsprechend müssen Amtsund Rechtshilfemassnahmen für das ausländische Verfahren zwecktauglich sein. Unter mehreren tauglichen Massnahmen muss diejenige gewählt werden, welche die Position des von der Massnahme Betroffenen möglichst schont und schliesslich müssen die auf dem Spiel stehenden öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Betroffenen überwiegen.
Was den vorliegenden konkreten Fall angeht, so ist die Verhältnismässigkeit zu bejahen. Angesichts der Ausgangslage (Konflikteskalation, hoher Zeitdruck), der Forderungen der USA (in erster Linie Erzwingung der Steuerehrlichkeit der Bankkunden) und der schweizerischen Rechtsordnung (Hinnahme einer Verletzung der schweizerischen Rechtsordnung), mithin ausgehend von einem Justizund Souveränitätskonflikt zwischen der Schweiz und den USA, erscheint der Abschluss des Staatsvertrags 10 nicht zuletzt vor dem Hintergrund der vom BR geprüften Alternativen als zulässige Möglichkeit für die Schweiz, der Situation angemessen zu begegnen (vgl. Genehmigungsbotschaft, BBl 2010 2974 f.). Die auf dem Spiel stehenden, als erheblich einzustufenden volkswirtschaftlichen Interessen der Schweiz sowie das Interesse, völkerrechtlich eingegangene Verpflichtungen erfüllen zu können, überwiegen die vorliegenden Individualinteressen der vom Gesuch um Gewährung von Amtshilfe Betroffenen an der Geheimhaltung der Vermögensverhältnisse.
Selbst bei einer Überordnung von Art. 8 EMRK über den Staatsvertrag 10 erwiese sich Letzterer aufgrund des Gesagten mithin als in dem Sinn genügende Grundlage, dass gestützt darauf in Art. 8 Abs. 1 EMRK eingegriffen werden könnte.
Analoges gilt für Art. 17 UNO-Pakt II, sofern überhaupt davon ausgegangen wird, dessen Schutzbereich sei vorliegend tangiert (vgl.
E. 5.5). Auch dieser kann bei Bestehen einer einschlägigen gesetzlichen Grundlage eingeschränkt werden, wobei darunter nicht nur Gesetze im
formellen Sinn zu verstehen sind. Jedoch ist ein Eingriff in die garantierten Rechte von Art. 17 UNO-Pakt II dann rechtswidrig, wenn er der nationalen Rechtsordnung widerspricht. Im Übrigen darf der Eingriff nicht willkürlich und muss verhältnismässig sein (NOWAK, a. a. O., Rz. 11 ff.
zu Art. 17 des Paktes). Nach dem soeben bezüglich Art. 8 EMRK Ausge-
führten kann hier festgehalten werden, dass, selbst wenn Art. 17 UNOPakt II anwendbar wäre, er durch den Staatsvertrag 10 - gleich wie Art. 8 EMRK - in zulässiger Weise eingeschränkt würde.
Es bleibt somit festzuhalten, dass der Staatsvertrag 10 für das BVGer im Sinn von Art. 190 BV verbindlich ist. Selbst bei Verstössen gegen die Bundesverfassung oder Bundesgesetze wäre er anzuwenden (vgl. E. 3.3). Innerstaatliches Recht und innerstaatliche Praxis können ihm somit nicht entgegengehalten werden.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.