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Bundesverwaltungsgericht Urteil A-7604/2008

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung I
Dossiernummer:A-7604/2008
Datum:06.02.2010
Leitsatz/Stichwort:Mehrwertsteuer
Schlagwörter : Bundes; Steuer; Beschwerde; Bundesgericht; Bundesverwaltung; Recht; Bundesverwaltungsgericht; Verzug; Mehrwertsteuer; Entscheid; Verfahren; Streit; Verzugszins; Quartal; Urteil; Beschwerdeführerin; Gutschrift; Vergütung; Steuerpflichtigen; Vergütungszins; Streitgegenstand; Vorinstanz; Forderung; Partei; Verfall; Verfügung; Sinne; Bundesgerichts; MWSTV; Schuldet
Rechtsnorm: Art. 107 BGG ; Art. 112 MWSTG ; Art. 113 MWSTG ; Art. 121 BGG ; Art. 124 BGG ; Art. 124 OR ; Art. 43 MWSTG ; Art. 49 VwVG ; Art. 55 VwVG ; Art. 61 VwVG ; Art. 62 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ;
Referenz BGE:101 Ib 252; 131 V 407; 95 I 258; ;
Kommentar zugewiesen:
ULRICH MEYER, Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Art. 107 BGG, 2008
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung I

A-7604/200 8

U r t e i l  v o m  6.  F e b r u a r  2 0 1 0

Besetzung

Parteien

Gegenstand

Richter Michael Beusch (Vorsitz),

Richter Daniel Riedo, Richter Lorenz Kneubühler, Gerichtsschreiber Lino Etter.

Genossenschaft X._______, vertreten durch A._______ Beschwerdeführerin,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Mehrwertsteuer (4. Quartal 1995 bis 2. Quartal 2000); Verzugszins.

Sachverhalt:

A.

Die Genossenschaft X._______ (im Folgenden: Steuerpflichtige) bezweckt gemäss Handelsregistereintrag den Erwerb und Betrieb der Gärtnerei L._______ als Selbstbewirtschafterin auf Selbsthilfebasis. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) führte vom 30. August bis zum 8. September 2000 eine Kontrolle über die Steuerperioden vom 1. Oktober 1995 bis zum 30. Juni 2000 bei der Steuerpflichtigen durch. Gestützt auf die diesbezüglichen Ergebnisse sandte die ESTV der Steuerpflichtigen am 14. September 2000 bzw. am 1. November 2000 zwei Gutschriftsanzeigen (Nr. ...1 und Nr. ...2) über Fr. 22'228.-

bzw. Fr. 2'265.-, sowie am 14. September 2000 eine Ergänzungsabrechnung (Nr. ...3) über Fr. 805'964.-. Mit Schreiben vom

13. Oktober 2000 wandte sich die Steuerpflichtige lediglich gegen die Ergänzungsabrechnung. An ihrem Standpunkt hielt die ESTV mit formellem Entscheid vom 13. März 2001 fest. Dagegen erhobene Rechtsmittel blieben erfolglos; zuletzt wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 16. November 2007 eine entsprechende Beschwerde der Steuerpflichtigen ab.

B.

Die Steuerpflichtige beschränkte mit Beschwerde an das Bundesgericht vom 4. Januar 2008 den Streitgegenstand und anerkannte eine Teilleistungspflicht über Fr. 10'736.70 hinsichtlich der Führung des Personalrestaurants. Mit Vernehmlassung vom 12. Februar 2008 kam die ESTV (neu) zum Schluss, dass für die Zinsberechnung im vorliegenden Falle (auch hinsichtlich des Teilbereiches "Personalrestaurant") das Zinsnummernverfahren anzuwenden sei.

C.

Das Bundesgericht entschied am 16. Mai 2008 (Urteil 2C_11/2008), in teilweiser Gutheissung der Beschwerde, die Sache (nur) betreffend Neufestsetzung der Verzugszinse an die ESTV zurückzuweisen. Mit Einspracheentscheid vom 27. Oktober 2008 verfügte die ESTV bezüglich der bereits festgestellten Leistungspflicht in der Höhe von Fr. 805'964.- einen Verzugszinsenlauf ab dem 15. Mai 1998.

D.

Am 27. November 2008 beantragte die Steuerpflichtige (im Folgenden: Beschwerdeführerin) vor dem Bundesverwaltungsgericht, den Entscheid der ESTV vom 27. Oktober 2008 aufzuheben und die ausstehende Mehrwertsteuerforderung um die Gutschriften von Fr. 22'227.60 und Fr. 2'265.- zu reduzieren und den Verzugszins, wie auch den mittleren Verfall auf den Betrag von Fr. 781'471.-, neu zu erheben und zu berechnen. Dies unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Lasten der ESTV.

E.

Die ESTV beantragte am 19. Februar 2009 die Abweisung der Beschwerde unter Kostenund Entschädigungsfolge und reichte ein ausgefülltes Veranlagungsformular und einen Steuerkontoauszug der Beschwerdeführerin betreffend das 3. Quartal 2000 ein.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021); als anfechtbare Verfügungen gelten auch Einspracheentscheide der Departemente und der ihnen unterstellten oder administrativ zugeordneten Dienststellen der Bundesverwaltung (Art. 5 Abs. 2 VwVG i.V.m. Art. 33 Bst. d VGG). Der angefochtene Einspracheentscheid der ESTV vom 27. Oktober 2008 ist damit als eine beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbare Verfügung zu qualifizieren. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (Art. 55 Abs. 1 VwVG).

    2. Am 1. Januar 2010 ist das Mehrwertsteuergesetz vom 12. Juni 2009 (MWSTG, SR 641.20) in Kraft getreten. Es löst das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG, AS 2000 1300), welches vom 1. Januar 2001 bis am 31. Dezember 2009 in Kraft war, ab. Der vorliegende Sachverhalt ereignete sich jedoch nicht nur vor dem 1. Januar 2010, sondern gar vor dem 1. Januar 2001 und somit unter der Herrschaft der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV, AS 1994 1464). Die damaligen gesetzlichen Bestimmungen sowie die darauf gestützt erlassenen Vorschriften bleiben grundsätzlich weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse anwendbar (Art. 112 Abs. 1 MWSTG bzw. Art. 93 Abs. 1 aMWSTG). Das vorliegende Verfahren untersteht deshalb in materieller Hinsicht der MWSTV. Unter Vorbehalt der Bestimmungen über die Bezugsverjährung ist dagegen das neue Verfahrensrecht im Sinne von Art. 113 Abs. 3 MWSTG auf sämtliche im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängige Verfahren anwendbar.

    3. Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige bzw. unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts wie auch die Unangemessenheit der vorinstanzlichen Verfügung gerügt werden (Art. 49 VwVG).

    4. Im Verfahren der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege gilt als Streitgegenstand das Rechtsverhältnis, das Gegenstand der angefochtenen Verfügung bildet, in dem Umfang, in dem es im Streit liegt. Beschwerdebegehren, die neue, in der angefochtenen Verfügung nicht geregelte Fragen aufwerfen, überschreiten den Streitgegenstand und sind deshalb unzulässig. Denn in einem Rechtsmittelverfahren kann der Streitgegenstand grundsätzlich nur eingeschränkt, aber nicht ausgeweitet werden. Was Streitgegenstand ist, bestimmt sich nach dem angefochtenen Entscheid und den Parteibegehren. Der Streitgegenstand umfasst ein ganzes Rechtsverhältnis und nicht lediglich einen Teilaspekt desselben (Urteil des Bundesgerichts 2C_642/2007 vom

      3. März 2008 E. 2 2 mit Hinweisen).

    5. Enthält ein Rückweisungsentscheid zwingende Anweisungen an die Adresse der Vorinstanz, so wird durch diesen Entscheid das Verfahren bezüglich der in den Erwägungen behandelten Punkte abgeschlossen. Erwächst das Urteil in Rechtskraft, so ist - obgleich das Verfahren als solches nicht abgeschlossen wird - die angesprochene Vorinstanz nicht nur an die zur Rückweisung führenden, sondern auch an die übrigen Erwägungen gebunden (ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, Basel 2008, Rz. 3.196). Entscheide des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Da im Rechtsmittelverfahren der Streitgegenstand nur eingeschränkt werden kann, kann im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bei dessen Anrufung nach Sprungrückweisung einer Streitigkeit vom Bundesgericht an die ESTV (Art. 107 Abs. 2 Satz 2 BGG) der Streitgegenstand nicht ausgedehnt werden. Somit ist auch das Bundesverwaltungsgericht an den Entscheid und die Erwägungen des Bundesgerichts indirekt gebunden, wenn ein durch eine Sprungrückweisung ausgelöster Einspracheentscheid der ESTV zu beurteilen ist. Davon ist ausnahmsweise lediglich dann abzuweichen, wenn sich ein Revisionsgrund ergibt (ULRICH MEYER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, Rz. 18 zu Art.107 BGG). Das Revisionsgesuch ist jedoch beim Bundesgericht einzureichen (Art. 124 Abs. 1 BGG).

    6. In Übereinstimmung mit der oben dargelegten Definition des Streitgegenstandes ist festzuhalten, dass das Beschwerdeverfahren grundsätzlich von der Dispositionsmaxime beherrscht wird. Das Gericht spricht den Parteien im Fall einer Gutheissung nicht mehr zu, als sie beantragt haben, bei Abweisung einer Beschwerde auch nicht weniger, als ihnen die Vorinstanz zugebilligt hat (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.198). Art. 62 VwVG relativiert jedoch die grundsätzliche Geltung der Dispositionsmaxime zugunsten der Offizialmaxime dahingehend, dass die Rechtsmittelinstanz über die Anträge der Parteien hinausgehen (Art. 62 Abs. 1 VwVG) sowie die angefochtene Verfügung zuungunsten einer Partei abändern kann, soweit diese Bundesrecht verletzt oder auf einer unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhaltsfeststellung beruht (Art. 62 Abs. 2 VwVG; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1913/2007 vom 12. Dezember 2008

E. 1.3).

2.

    1. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass für öffentlich-rechtliche Forderungen ein Verzugszins bezahlt werden muss, sofern dies nicht durch besondere gesetzliche Regelung oder dem Sinn nach ausgeschlossen ist (BGE 101 Ib 252 E. 4b; BGE 95 I 258

      E. 3). Im Steuerrecht ist die Verzinslichkeit der Steuerforderung im Gesetz regelmässig explizit geregelt (ERNST BLUMENSTEIN/PETER LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002,

      S. 312). Vom Verzugszins zu unterscheiden ist der Vergütungszins, der auf zu viel bezahlten und deshalb zurückzuerstattenden Beträgen geschuldet ist. Im Unterschied zum Verzugszins, der einen Verzug des Steuerpflichtigen voraussetzt, besteht ein Vergütungszins zugunsten des Steuerpflichtigen, der einen Steuerbetrag vorzeitig entrichtet, bevor er nach den allgemeinen Fälligkeitsterminen zur Bezahlung verpflichtet ist, oder der eine Steuer zu Unrecht bezahlt hat und dem die

      Steuer zurückerstattet werden muss. Vergütungszinse rechtfertigen sich besonders dort, wo der Steuerpflichtige bei nicht rechtzeitiger Zahlung der Steuerforderung einen Verzugszins schuldet. Eine solche Verzinsung versteht sich aber nicht von selbst, sondern muss positiv angeordnet sein. Vergütungszinse sind daher grundsätzlich nur geschuldet, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist. Ausnahmsweise ergibt sich aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, durch Analogieschluss oder aus allgemeinen Prinzipien, dass ein Vergütungszins zu bezahlen ist (zum Ganzen: Urteile des Bundesgerichts 2C_410/2008 vom 28. Oktober 2008 E. 3.2 ff. und vom 25. November 1983, veröffentlicht in: Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 53 S. 558 E. 2-7).

    2. Unter dem Titel "Rückerstattung von Steuern" wurde in Art. 39 Abs. 4 MWSTV bestimmt, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung bei Auszahlung des Überschusses an abziehbaren Vorsteuern oder eines anderen Saldoguthabens ab einem bestimmten Tag - ab dem

61. Tag nach Eintreffen der Steuerabrechnung bzw. des schriftlichen Gesuchs - einen Vergütungszins zu entrichten hat. Eine solche Vergütung wird auch dann ausgerichtet, wenn dem Steuerpflichtigen Steuern zurückzuerstatten sind, die zu Unrecht eingefordert wurden. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug verjährt fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist, wobei die Verjährung stillsteht, solange über den geltend gemachten Anspruch ein Rechtsmittelverfahren hängig ist (Art. 41 MWSTV). Bereits die Trennung der Verjährungsbestimmungen (Art. 40 und 41 MWSTV) zeigt auf, dass die Voraussetzungen der Zinsen zu Lasten des Bundes sich unterscheiden von denjenigen zu Lasten der Steuerpflichtigen: Bei verspäteter Zahlung (nach selbständiger Veranlagung bzw. trotz Unterlassung derselben) schuldet der Steuerpflichtige ohne Mahnung einen Verzugszins (Art. 38 Abs. 2 MWSTV). Dagegen ist die Verwaltung nach dem klaren Wortlaut (und vergleichbar mit einer Mahnung gemäss Art. 102 Abs. 1 des Obligationenrechts vom 30. März 1911 [OR, SR 220]) mit schriftlicher Geltendmachung in Verzug zu setzen. Dieses Ungleichgewicht ist als Ausfluss des Selbstveranlagungsprinzips hinzunehmen und als Obliegenheit, die Abrechnungsperiode von 60 Tagen im Sinne von Art. 37 MWSTV einzuhalten, zu verstehen.

3.

    1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine allgemeine Verfahrensgarantie der Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV, SR 101]). Konkretisiert als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beinhaltet es die Pflicht der Behörden, die Vorbringen der vom Entscheid in ihrer Rechtstellung Betroffenen auch tatsächlich zu hören, sorgfältig und ernsthaft zu prüfen und in der Entscheidfindung zu berücksichtigen (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.103). Im Sinne eines Mittels zur entsprechenden Durchsetzung besteht u.a. der Beschwerdegrund der unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes (Art. 49 Bst. b VwVG).

    2. Aufgrund der dem Bundesverwaltungsgericht allgemein zustehenden vollen Kognition entscheidet dieses zwar grundsätzlich reformatorisch (Art. 61 Abs. 1 VwVG). Anders verhält es sich dagegen nach ständiger Rechtsprechung bei erkannter Verletzung des rechtlichen Gehörs, welche - ungeachtet der materiellen Auswirkungen - nur ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt (vgl. anstelle vieler BVGE 2008/47 E. 3.3.4, mit weiteren Hinweisen). Ebenfalls zu einer Rückweisung führt eine mangelhafte Abklärung des Sachverhalts durch die Vorinstanz, wenn sich das Versäumte nicht ohne eine aufwändige Beweiserhebung nachholen lässt. Die Vorinstanz ist mit den tatsächlichen Verhältnissen besser vertraut und darum im Allgemeinen besser in der Lage, die erforderlichen Abklärungen durchzuführen; zudem bleibt der betroffenen Partei dergestalt der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug erhalten (vgl. anstelle zahlreicher Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission [SRK] vom 31. August 2004, veröffentlich in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden [VPB] 69.6 E. 7; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O.,

Rz. 2.152 und 3.193 ff.). Bei der Wahl zwischen diesen beiden Entscheidarten steht dem Gericht ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 131 V 407 E. 2.1.1; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A- 5550/2008 vom 21. Oktober 2009 E. 1.3).

4.

Die Beschwerdeführerin rügt eine unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts, woraus ein unrichtiger Vollzug des bundesgerichtlichen Urteils resultiere.

    1. Im vorliegenden Fall hob das Bundesgericht am 16. Mai 2008 das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2007 "betreffend die Verzugszinse" auf. Das Bundesgericht erwog, dass die ESTV selber in der Vernehmlassung eingeräumt hätte, dass die Nachbelastungen der einzelnen Jahresperioden unterschiedlich ausgefallen seien und deshalb auf das Zinsnummernverfahren abzustellen sei. Explizit verwies das Bundesgericht dabei auch auf die vor höchster Instanz nicht mehr im Streit gewesene Steuernachforderung betreffend das Personalrestaurant. Gemäss bundesgerichtlicher Auffassung beachtete die ESTV jedoch die vierteljährlichen Abrechnungsperioden mit sich daraus jeweils ergebenden unterschiedlichem Beginn des Zinsenlaufs nicht hinreichend. Das Bundesgericht hielt fest:

      "Zwar ermittelt sie [die ESTV] für die Zeit vom 4. Quartal 1995 bis zum 4. Quartal 1996 sowie für die Kalenderjahre 1997 einerseits und 1998 anderseits zunächst je mittlere Verfalldaten unter Berücksichtigung der vierteljährlichen Fälligkeiten [...]. Obwohl die Umsätze bzw. die entsprechenden Steuerschulden quartalsweise ebenfalls variierten, verfährt sie dabei jedoch nicht nach dem auch insoweit anzuwendenden Zinsnummernverfahren. Mit Blick auf die vierteljährlichen Fälligkeiten muss bei der Festsetzung des mittleren Verfalldatums konsequenterweise nicht nur den unterschiedlich hohen Steuernachforderungen der jeweiligen Jahre, sondern auch der jeweiligen Jahresquartale Rechnung getragen werden. Da dem Bundesgericht die entsprechenden Zahlen der Jahre 1995 und 1996 nicht vorliegen, kann es das mittlere Verfalldatum für sämtliche Nachzahlungen nicht selber kalkulieren. Demnach ist es angezeigt, die Sache an die EStV zur Neuberechnung des mittleren Verfalldatums im Sinne der Erwägungen zurückzuweisen (vgl. Art. 107 Abs. 2 Satz 2 BGG)."

    2. Die Beschwerdeführerin rügt, die ESTV habe die Gutschriftsanzeigen vom 14. September 2000 bzw. vom 1. November 2000 (Nr 1

      und Nr. ...2) nicht berücksichtigt, welche von der bundesgerichtlich festgestellten Nachforderung abzuziehen seien. Des Weiteren verändere sich - sogar wenn diese Gutschriften nicht abgezogen werden könnten - die Zinsberechnung zu Gunsten der Steuerpflichtigen, denn es sei nicht zulässig, den vollen Verzugszins auf der Nachforderung der ESTV zu berechnen, während ein Guthaben (aus Vorsteuern) gegenüber der ESTV bestehe.

    3. Das Bundesgericht hat den Umfang der Mehrwertsteuerpflicht der Beschwerdeführerin vom 4. Quartal 1995 bis zum 2. Quartal 2000 verbindlich festgelegt. Der Streitgegenstand als solches und damit das ganze Rechtsverhältnis, d.h. die Leistungspflicht als solche (über die

      strittigen Steuerperioden), wurde damit abschliessend beurteilt und steht keiner (weiteren) Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht offen (vgl. oben E. 1.5). Es kann lediglich Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein, zu prüfen, ob die ESTV betreffend die zurückgewiesene Teilmaterie im Sinne des höchstrichterlichen Urteils verfügt hat. Im Übrigen zeigen das von der ESTV eingereichte Kontoblatt und das Veranlagungsformular vom 27. November 2000 auf, dass die Beschwerdeführerin die Gutschriften bei Bezahlung der Mehrwertsteuern des 3. Quartals 2000 bezogen hat. Somit wird zu Recht auch keine Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Bundesgericht oder andere Revisionsgründe im Sinne eines - an falscher Stelle eingereichten - Revisionsbegehrens gemäss Art. 121 ff. BGG geltend gemacht. Auf den Antrag, die Mehrwertsteuerschuld sei zu reduzieren, ist mithin nicht einzutreten.

    4. Hinsichtlich der Berechnung des mittleren Verfallsdatums der Zinse betreffend festgestellte Nachleistungspflicht über Fr. 805'964.- entscheidet das Bundesverwaltungsgericht mit voller Kognition. Bei der Berechnung der Zinse bezüglich des Guthabens ist zu unterscheiden zwischen dem Zinsenlauf während der Kontrollperiode bis und mit dem

60. Tag nach schriftlicher Geltendmachung des Saldos und dem Zinsenlauf ab dem 61. Tag nach Eintreffen der Steuerabrechnung.

      1. Gemäss klarem gesetzlichen Willen besteht kein Anspruch auf Vergütungszins für Vorsteuern im Falle verspäteter Abrechnung. Hinsichtlich von der ESTV festgestellter Guthaben ist somit kein Zins bis zur schriftlichen Geltendmachung der Vorsteuern (und 60 Tage darüber hinaus) geschuldet (vgl. oben E. 2.2).

      2. Die Gutschriftsanzeige Nr. ...2 wurde gemäss deren Beiblatt durch ein Schreiben der Steuerpflichtigen vom 14. Oktober 2000 ausgelöst. Dagegen erfolgte keine schriftliche Geltendmachung, die die Gutschrift Nr....1 auslöste, sondern das Guthaben wurde nach Kontrolle der ESTV durch diese festgestellt. Ein Vergütungszins für den zurückzuerstattenden Betrag gemäss Art. 39 Abs. 4 MWSTV könnte somit frühstens 61 Tage nach Eröffnung der Gutschriftsanzeige Nr. ...2 (14. September 2000) geschuldet sein. Die Steuerpflichtige nahm beide Gutschriften gemäss Steuerkontoblatt am 7. Dezember 2000 in Anspruch, und zwar durch Teilverrechnung mit den inzwischen aufgelaufenen Mehrwertsteuern des 3. Quartals 2000. Obgleich für die Mehrwertsteuern des 3. Quartals eines Jahres erst ab Dezember

        dieses Jahres ein Verzugszins von der Steuerpflichtigen geschuldet ist, werden die Mehrwertsteuern ab Ende der Abrechnungsperiode erfüllbar (Art. 46 MWSTG) und ab diesem Zeitpunkt verrechenbar mit Gutschriften. Eine Verrechnung mit den das erwähnte 3. Quartal betreffenden Steuerforderungen war mithin bereits ab dem 1. Oktober 2000, also vor Beginn der Vergütungszinspflicht der ESTV (14. November 2000) möglich. Die (verspätete) Teilzahlung bzw. Verrechnung der Steuerpflichtigen wirkt jeweils zum Zeitpunkt zurück, in dem die Steuerforderungen und die beiden Gutschriften zur Verrechnung geeignet einander gegenüberstanden (Art. 124 Abs. 2 OR; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 2A.149/2006 vom 28. Juni 2006 E. 2.2; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1620/2006 vom 22. Juni 2009

        E. 5.1). Beide Gutschriften erloschen demgemäss vor Beginn ihrer Vergütungszinspflicht, nämlich im Moment der gegenseitigen Verrechenbarkeit. Es konnte mithin kein Vergütungszins entstehen.

      3. Abgesehen davon, ist darauf hinzuweisen, dass gemäss ständiger Rechtsprechung der Steuerpflichtige mit vorbehaltloser Zahlung unmissverständlich zum Ausdruck bringt, er sei bereit, die von ihm als geschuldet betrachtete Steuer zu bezahlen (Urteile des Bundesgerichts 2C_356/2008 vom 21. November 2008 E. 3.2, 2A.339/2003 vom 18. Februar 2004 E. 4.2, 2A.304/2003 vom 14. November 2003 E. 3.5,

2A.320/2002 vom 2. Juni 2003 E. 3, insb. E. 3.4.3.2-3.4.3.5 je mit

Hinweisen). Dieser vom Gesetzgeber in Art. 43 Abs. 1 Bst. b MWSTG nunmehr ausdrücklich berücksichtigte Gedanken gilt auch hinsichtlich Gutschriftsanzeigen (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer vom 25. Juni 2008, BBl 2008 6986).

4.5 Im Sinne der Rechtsanwendung von Amtes wegen ist jedoch ein Blick auf die Tabelle (Ziff. 15 der Verfügung vom 27. Oktober 2008) zu werfen, mit deren Hilfe die ESTV den Tag des mittleren Verfalls errechnete. In der Vernehmlassung erklärt die Vorinstanz, dass sie hinsichtlich des 3. Quartals 1996 einem Berechnungsfehler unterlegen sei, der jedoch den berechneten Verfallstag (15. Mai 1998) nicht beeinflusse. Dem ist zwar zuzustimmen. Jedoch übersieht sie, dass der letzte Betrag der Tabelle sich über den gesamten kontrollierten Zeitraum erstreckt. Dieser Betrag, offenbar der Umsatz des Personalrestaurants, wurde somit entgegen den bundesgerichtlichen Weisungen nicht quartalsmässig aufgeschlüsselt. Zwar war die Nachforderung zum Personalrestaurant über (gerundet) Fr. 10'737.- vor Bundesgericht nicht mehr strittig, jedoch hat dieses mit expliziter Bezugnahme in den

Erwägungen hinsichtlich der betreffenden Berechnungen der ESTV zum Personalrestaurant und entsprechender genereller Zurückweisung deutlich gemacht, dass auch diesbezüglich das Zinsnummernverfahren anzuwenden sei. Insofern ist die Beschwerde gutzuheissen.

5.

Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise auf die Quartalsumsätze des Personalrestaurants. Diese Angaben sind für die korrekte Berechnung im Rahmen des Zinsnummernverfahrens nötig. Weil die entsprechende exakte Berechnung aufwändige Beweiserhebungen nach sich ziehen würde und ihr Fehlen eine schwere Verletzung von Art. 49 Bst. b VwVG darstellt, ist die Sache zur erneuten Berechnung des Verzugszinses an die Vorinstanz zurückzuweisen.

6.

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde zwar teilweise gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, jedoch obsiegt die Beschwerdeführerin bezogen auf den Streitwert lediglich in einem erheblich untergeordneten Punkt. Im Hinblick darauf, dass die finanziellen Konsequenzen der Rückweisung nicht der Beschwerdeführerin anzulasten sind, rechtfertigt es sich jedoch nicht, ihr die Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 3'300.- vollumfänglich aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; vgl. dazu auch MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 4.43 Fn. 114). Der Beschwerdeführerin sind unter diesen Umständen Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 3'000.- aufzuerlegen und mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe zu verrechnen. Keine Verfahrenskosten werden Vorinstanzen auferlegt (Art. 63 Abs. 2 VwVG). Angesichts des lediglich geringfügigen Obsiegens ist auch die Parteientschädigung entsprechend zu reduzieren (Art. 64 Abs. 1 VwVG). Diese beläuft sich auf Fr. 450.- (Mehrwertsteuer und Barauslagen inbegriffen).

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird.

2.

Der Einspracheentscheid der Eidgenössische Steuerverwaltung vom

27. Oktober 2008 wird im Sinne der Erwägungen aufgehoben und die Sache zu Neuberechnung der Verzugszinse an die Eidgenössische Steuerverwaltung zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

3.

Der Beschwerdeführerin werden Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 3'000.- auferlegt und mit dem von ihr in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

4.

Die Eidgenössische Steuerverwaltung wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 450.- zu bezahlen.

5.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. ...; Gerichtsurkunde)

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Michael Beusch Lino Etter

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (vgl. Art. 42 BGG).

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