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Bundesverwaltungsgericht Urteil C-1531/2008

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung III
Dossiernummer:C-1531/2008
Datum:16.11.2009
Leitsatz/Stichwort:Rente
Schlagwörter : Pflege; Beschwerde; Beschwerdeführerin; Witwe; Pflegekind; Anspruch; Witwen; Verstorbene; Verstorbenen; Zeitpunkt; Pflegeverhältnis; Leibliche; Mutter; Witwenrente; Partei; Pflegeeltern; Recht; Kinder; Gemeinsamen; Haushalt; Bundesverwaltungsgericht; Sinne; Verwaltung; Vater; Pflegekinder; Schweiz; Begründung; Verwitwung; Witwer; Einsprache
Rechtsnorm: Art. 23 AHVG ; Art. 24 AHVG ; Art. 25 AHVG ; Art. 294 ZGB ; Art. 52 VwVG ; Art. 53 VVG ; Art. 60 ATSG ; Art. 62 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 85b AHVG ;
Referenz BGE:117 V 282; 119 V 344; 120 1b 229; 122 II 469; 122 V 158; 125 V 195; 126 V 360; 130 V 1; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung II I

C-1531/200 8 /ma s

U r t e i l  v o m  1 6.  N o v e m b e r  2 0 0 9

Besetzung

Parteien

Gegenstand

Richter Stefan Mesmer (Vorsitz),

Richter Michael Peterli, Richter Alberto Meuli,

Gerichtsschreiberin Susanne Marbet Coullery.

X._______, vertreten durch

Gasser und Partner AG für Treuhand und Beratung, Dorfstrasse 126, 8706 Meilen,

Beschwerdeführerin, gegen

Schweizerische Ausgleichskasse SAK, avenue Edmond-Vaucher 18, Postfach 3100,

1211 Genf 2, Vorinstanz.

AHV, Einspracheentscheid vom 6. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.

Der 1965 geborene Schweizer Bürger Y. ___ lebte seit 1992 in Brasilien. Aus einer Beziehung mit Z._______ stammt der Sohn O._______, geboren 1993. Anfang 2003 heiratete Y. ____ die brasilianische Staatsangehörige X._______, geboren 1970, mit der er bis zu seinem Tod im Februar 2006 in B._______ (Brasilien) lebte.

Am 20. April 2006 meldete sich die Witwe X._______ (im Folgenden: Beschwerdeführerin) bei der Schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) für den Bezug einer Hinterlassenenrente für Personen mit Wohnsitz ausserhalb der Schweiz an. Nach Prüfung der von ihr angeforderten Unterlagen kam die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) am 19. Juli 2007 zum Schluss, die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente. Zur Begründung führte sie aus, als Witwe habe die Beschwerdeführerin nur dann Anspruch auf eine Rente, wenn sie zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehegatten mindestens ein Kind habe, oder aber - falls sie keine Kinder habe - das 45. Altersjahr vollendet habe und mindestens fünf Jahre verheiratet gewesen sei. Den Kindern von Witwen oder Witwern gleichgestellt seien Kinder des verstorbenen Ehegatten, die im Zeitpunkt der Verwitwung mit der Witwe oder dem Witwer im gemeinsamen Haushalt lebten und von ihr oder ihm als Pflegekinder aufgenommen würden, oder Pflegekinder, die im Zeitpunkt der Verwitwung mit der Witwe oder dem Witwer im gemeinsamen Haushalt lebten und von ihr oder ihm adoptiert würden. Es liege kein offizielles Dokument vor, welches beweise, dass das Kind O. _____ zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters im gemeinsamen Haushalt des Ehepaares gelebt habe. Aus diesem Grund müsse das Rentengesuch abgewiesen werden.

B.

Gegen diese Verfügung erhob die Beschwerdeführerin bei der SAK Einsprache und reichte verschiedene Unterlagen ein, die belegen sollten, dass O._______ von ihr und ihrem verstorbenen Ehemann betreut worden sei und mehrere Jahre bei ihnen gelebt habe. Mit Entscheid vom 6. Februar 2008 wies die SAK die Einsprache der Beschwerdeführerin ab mit der Begründung, die heutige Aktenlage erlaube es immer noch nicht, eine Witwenrente auszurichten, da der offizielle Nachweis, dass das Kind O._______ im Moment der Verwitwung im gemeinsamen Haushalt gewohnt habe und von der

Witwe als Pflegekind aufgenommen worden sei, nach wie vor ausstehe.

C.

Mit Eingaben vom 28. Februar 2008 und 6. März 2008 sowie der Beschwerdeergänzung vom 27. März 2008 erhob die Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht gegen diesen Einspracheentscheid Beschwerde und beantragte die Zusprechung einer Witwenrente. Zur Begründung führte sie aus, der Sohn ihres verstorbenen Ehemannes habe bereits seit mehreren Jahren bei ihnen im gemeinsamen Haushalt gelebt. Zwischen ihr und O. _____ bestehe eine richtige MutterSohn-Beziehung und sie kümmere sich sowohl in schulischer und finanzieller, als auch in moralischer Hinsicht um eine gute Erziehung des Kindes.

D.

In ihrer Vernehmlassung vom 13. Mai 2008 führte die SAK aus, das Gesuch um Auszahlung einer Witwenrente sei abgewiesen worden, weil die Beschwerdeführerin als kinderlose Witwe unter 45 Jahren die Anspruchsbedingungen nicht erfülle, und weil der Sohn ihres verstorbenen Ehemannes nicht als ihr Pflegekind anerkannt werden könne. Auch die nachgereichten Beweismittel könnten nicht eindeutig belegen, dass sich O._______ im Zeitpunkt des Todes seines Vaters zusammen mit der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt aufgehalten habe, seien doch die Aufenthaltsbestätigung und die Erklärung der leiblichen Mutter erst nach dem Tod des Vaters ausgestellt worden. Zudem sei auch der Nachweis nicht erbracht, dass das Pflegeverhältnis unentgeltlich gewesen sei.

E.

Mit ihrer Replik vom 16. Oktober 2008 reichte die Beschwerdeführerin weitere Beweismittel bezüglich der Aufenthaltsdauer von O._______ in ihrem Haushalt ein.

F.

In der Duplik vom 6. November 2008 führte die SAK aus, die vorgelegten Dokumente wiesen zwar darauf hin, dass ein pflegekindähnliches Verhältnis bestehe. Es stehe aber immer noch nicht fest, ob dieses Verhältnis bereits im Zeitpunkt des Todes des Vaters im Februar 2006 bestanden habe und ob es unentgeltlich gewesen sei.

G.

Am 17. November 2008 wurde der Schriftenwechsel geschlossen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

Angefochten ist der Einspracheentscheid vom 6. Februar 2008 der SAK, mit dem die Verfügung vom 19. Juli 2007 bestätigt wurde, wonach die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf eine Witwenrente hat.

    1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) in Verbindung mit Art. 33 lit. d VGG und Art. 85bis Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Altersund Hinterlassenenversicherung (AHVG, SR 831.10) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden von Personen im Ausland gegen Verfügungen der Schweizerischen Ausgleichskasse. Da keine Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG vorliegt, ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Beschwerde zuständig.

    2. Aufgrund von Art. 3 lit. dbis des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) findet das VwVG keine Anwendung in Sozialversicherungsrechtssachen, soweit das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) anwendbar ist. Gemäss Art. 1 Abs. 1 AHVG sind die Bestimmungen des ATSG auf die im ersten Teil geregelte Alters- und Hinterlassenenversicherung anwendbar, soweit das AHVG nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht.

    3. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Einspracheentscheid berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung, so dass sie im Sinne von Art. 59 ATSG beschwerdelegitimiert ist.

    4. Da die Beschwerde im Übrigen fristund formgerecht (Art. 60 Abs. 1 ATSG und Art. 52 Abs. 1 VwVG) eingereicht wurde, ist auf sie einzutreten.

2.

Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich im Wesentlichen nach den Vorschriften des VGG, des ATSG sowie des VwVG (vgl. E. 1.2 hiervor). Dabei finden nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln diejenigen Rechtssätze Anwendung, welche im Zeitpunkt der Beschwerdebeurteilung Geltung haben (BGE 130 V 1 E. 3.2, vgl. auch Art. 53 Abs. 2 VVG).

    1. Mit der Beschwerde kann gerügt werden, die angefochtene Verfügung verletze Bundesrecht (einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs von Ermessen), beruhe auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder sei unangemessen (Art. 49 VwVG).

    2. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäss dem Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen nicht an die Begründung der Begehren der Parteien gebunden (Art. 62 Abs. 4 VwVG). Es kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder den angefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer Begründung bestätigen, die von jener der Vorinstanz abweicht (vgl. FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 212).

    3. Die Verwaltung als verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das Gericht dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind (MAX KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 136).

      1. Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 126 V 360

        E. 5b, BGE 125 V 195 E. 2, je mit Hinweisen). Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung oder das Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und weitere Beweismassnahmen könnten an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so ist auf die Abnahme weiterer Beweise zu verzichten (antizipierte Beweiswürdigung; UELI KIESER, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, Zürich 1999, S. 212, Rz.

        450; ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 111 und 320;

        GYGI, a.a.O., S. 274; vgl. auch BGE 122 II 469 E. 4a, BGE 120 1b 229

        E. 2b, BGE 119 V 344 E. 3c mit Hinweisen).

      2. Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet zum einen sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 125 V 195 E. 2, BGE 122 V 158 E. 1a, je mit Hinweisen). Zum anderen umfasst die behördliche und richterliche Abklärungspflicht nicht unbesehen alles, was von einer Partei behauptet oder verlangt wird. Vielmehr bezieht sie sich nur auf den im Rahmen des streitigen Rechtsverhältnisses (Streitgegenstand) rechtserheblichen Sachverhalt. Rechtserheblich sind alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über den streitigen Anspruch so oder anders zu entscheiden ist (GYGI, a.a.O., S. 43 und 273). In diesem Rahmen haben Verwaltungsbehörden und Sozialversicherungsgericht zusätzliche Abklärungen stets vorzunehmen oder zu veranlassen, wenn hierzu aufgrund der Parteivorbringen oder anderer sich aus den Akten ergebender Anhaltspunkte hinreichender Anlass besteht (BGE 117 V 282 E. 4a mit Hinweis; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG] I 520/ 99 vom 20. Juli 2000).

      3. Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwaltungsund Beschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Danach haben Versicherungsträger und Sozialversicherungsgerichte die Beweise frei, d.h. ohne förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Gericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruchs gestatten.

3.

Zu prüfen ist im Folgenden, ob die Beschwerdeführerin als Witwe des Versicherten Anspruch auf eine Hinterlassenenrente (Witwenrente) hat.

    1. Anspruch auf eine Witwenoder Witwerrente haben Witwen oder Witwer, sofern sie im Zeitpunkt der Verwitwung Kinder haben (Art. 23 AHVG). Witwen haben überdies Anspruch auf eine Witwenrente, wenn sie im Zeitpunkt der Verwitwung keine Kinder oder Pflegekinder im Sinne von Art. 23 AHVG haben, jedoch das 45. Altersjahr vollendet haben und mindestens fünf Jahre verheiratet gewesen sind (Art. 24 Abs. 1 AHVG).

      Den Kindern von Witwen und Witwern gleichgestellt sind Kinder des verstorbenen Ehegatten, die im Zeitpunkt der Verwitwung mit der Witwe oder dem Witwer im gemeinsamen Haushalt leben und von ihr oder ihm als Pflegekinder im Sinne von Art. 25 Abs. 3 aufgenommen werden (Art. 23 Abs. 2 Bst. a AHVG) oder Pflegekinder im Sinne von Art. 25 Abs. 3, die im Zeitpunkt der Verwitwung mit der Witwe oder dem Witwer im gemeinsamen Haushalt leben und von ihr oder ihm adoptiert werden (Art. 23 Abs. 2 Bst. b AHVG).

    2. Die Beschwerdeführerin, die keine gemeinsamen Kinder mit ihrem verstorbenen Ehemann hatte, war im Zeitpunkt seines Todes 35 Jahre alt und seit 3 Jahren verheiratet. Unter diesen Umständen hat sie keinen Anspruch auf eine Witwenrente gestützt auf Art. 24 Abs. 1 AHVG. Zu prüfen ist daher im Folgenden, ob der Sohn des verstorbenen Ehegatten als Pflegekind im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Bst. a AHVG zu betrachten ist, wie dies die Beschwerdeführerin geltend macht.

      Art. 23 Abs. 2 Bst. a und b AHVG verweisen für die Definition des Begriffs Pflegekinder auf Art. 25 Abs. 3 AHVG, gemäss dem der Bundesrat den Anspruch der Pflegekinder auf Waisenrente regelt. Gestützt auf diese Delegationsnorm hat der Bundesrat in Art. 46 Abs. 2 der Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Altersund Hinterlassenenversicherung (AHVV, SR 831.101) festgelegt, dass als Pflegekinder im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Bst. b AHVG Kinder gelten, denen beim Tod der Pflegemutter oder des Pflegevaters eine Waisenrente nach Art. 49 zustehen würde. In gleicher Weise ist auch der Begriff des Pflegekindes in Art. 23 Abs. 2 Bst. a AHVG auszulegen. Gemäss Art. 49 Abs. 1 AHVV haben Pflegekinder beim Tod der Pflegeeltern Anspruch auf eine Waisenrente nach Art. 25 AHVG, wenn sie unentgeltlich zu dauernder Pflege und Erziehung aufgenommen worden sind.

    3. Im vorliegenden Fall geht es allerdings nicht um die Prüfung des Anspruchs auf eine Waisenrente, da der leibliche Sohn des verstorbenen Ehegatten zweifellos Anspruch auf eine solche hat (vgl. Art. 25 Abs. 1 AHVG); vielmehr ist zu untersuchen, ob zwischen der Beschwerdeführerin und dem leiblichen Sohn ihres verstorbenen Ehemannes ein Pflegeverhältnis bestand und besteht, welches den Anspruch auf die Ausrichtung einer Witwenrente entstehen lässt. Auch in diesem Fall sind die Kriterien der Unentgeltlichkeit und der dauernden Pflege und Erziehung heranzuziehen.

  1. Eine Pflegekindschaft im weiten Sinne liegt vor, wenn ein Unmündiger in der Obhut von Personen lebt, die nicht seine Eltern sind. Sie ist kein selbstständiges Rechtsinstitut, sondern ein faktisches Familienverhältnis, dem das Recht einzelne Wirkungen des Kindesverhältnisses beilegt (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG, heute Bundesgericht] H 123/02 vom 24. Februar 2003 E. 2).

    1. Nach der Rechtsprechung gilt als Pflegekind im Sinne von Art. 49 AHVV ein Kind, das sich in der Pflegefamilie tatsächlich der Lage eines ehelichen Kindes erfreut und dessen Pflegeeltern die Verantwortung für Unterhalt und Erziehung wie gegenüber einem eigenen Kind wahrnehmen. Das sozialversicherungsrechtlich wesentliche Element des Pflegekindverhältnisses liegt in der tatsächlichen Übertragung der Lasten und Aufgaben, die gewöhnlich den leiblichen Eltern zufallen, auf die Pflegeeltern; auf den Grund der Übertragung kommt es nicht an. Welche Aufgaben und Verpflichtungen den Pflegeeltern, namentlich in finanzieller Hinsicht, zufallen, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt vielmehr von der gesamten Ausgestaltung des fraglichen Verhältnisses ab (Urteil des EVG H 123/02 vom 24. Februar 2003 E. 2; ZAK 1992 S. 124 Erw. 3b; je mit Hinweisen). Nach der Verwaltungspraxis muss zwischen Pflegekind und Pflegeeltern ein eigentliches Pflegeverhältnis bestanden haben. Das Kind muss zur Pflege und Erziehung und nicht zur Arbeitsleistung oder beruflichen Ausbildung in die Hausgemeinschaft der Pflegeeltern aufgenommen worden sein und dort faktisch die Stellung eines eigenen Kindes innegehabt haben. Ohne Belang ist, ob die Pflegeeltern mit dem Pflegekind verwandt sind oder nicht (Rz. 3207 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen vom 1. Januar 2003 über die Renten [RWL]). Das Pflegeverhältnis muss ferner auf Dauer begründet worden sein, wobei nicht erforderlich ist, dass es vor dem Rentenfall schon bestimmte Zeit gedauert hat. Nach dem Tode eines Pflegeelternteils

      muss der überlebende Teil das Pflegeverhältnis allerdings unbefristet fortsetzen. Als Indiz für eine dauernde Bindung des Pflegekindes zur Pflegefamilie kann der Umstand gelten, dass das Pflegeverhältnis seit der Begründung nie unterbrochen worden ist, dass die Eltern ihre Elternrechte nicht mehr ausüben, oder dass das Kind den Namen der Pflegeeltern angenommen hat (Rz. 3315 f. RWL).

    2. Die Frage der Entgeltlichkeit eines Pflegeverhältnisses regelt Art. 294 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210; vgl. ALFRED MAURER/GUSTAVO SCARTAZZINI/MARC HÜRZE-

      LER, Bundessozialversicherungsrecht, 3. Aufl., Basel 2009, § 11, Rz. 78, Fn. 61). Danach haben Pflegeeltern Anspruch auf ein angemessenes Pflegegeld, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist oder sich eindeutig aus den Umständen ergibt (Art. 294 Abs. 1 ZGB). Unentgeltlichkeit ist allerdings zu vermuten, wenn Kinder von nahen Verwandten oder zum Zweck späterer Adoption aufgenommen werden (Art. 294 Abs. 2 ZGB).

      Im Sozialversicherungsrecht gilt ein Pflegeverhältnis auch dann noch als unentgeltlich, wenn die an die Pflegeeltern für das Kind von dritter Seite erbrachten Leistungen weniger als einen Viertel der tatsächlichen Unterhaltskosten decken (Rz. 3310 RWL; mit Verweis auf ZAK 1958 S. 335; ZAK 1973 S. 573).

    3. Zum Nachweis des bestehenden Pflegeverhältnisses hat die Beschwerdeführerin diverse Unterlagen eingereicht.

      1. So hat sie unter anderem die Erklärung vom 25. August 2006 der leiblichen Mutter beigebracht. In dieser notariell beglaubigten Urkunde bestätigt die leibliche Mutter, dass ihr Sohn O._______ seit seinem 4. Lebensjahr bei der Beschwerdeführerin lebt und von ihr aufgezogen wird, als wäre er ihr eigenes Kind. Im Weiteren erklärt sich die leibliche Mutter damit einverstanden, dass ihr Sohn im Hinblick auf eine Adoption weiterhin von der Beschwerdeführerin betreut und erzogen wird, da diese die moralischen, finanziellen und ethischen Voraussetzungen erfülle, um eine gute Mutter zu sein. Dies sei an deren Wohnort auch bekannt.

        Im Weiteren hat die Beschwerdeführerin einen richterlichen Entscheid vom 19. Oktober 2006 eingereicht, wonach ihr im Hinblick auf die Adoption des Kindes O. _____ das vorübergehende Sorgerecht zugesprochen wird. Auch wenn dieser Entscheid den ausdrücklichen

        Hinweis enthält, dass es sich um eine provisorische Regelung handle und die leibliche Mutter bezüglich ihres Einverständnisses zur Adoption noch einmal befragt werden müsse, gibt es doch keinerlei Anhaltspunkte, die darauf hindeuten würden, dass O._______ nicht bei seinem verstorbenen Vater und dessen Ehefrau gewohnt hätte.

        Allerdings ist festzuhalten, dass in Bezug auf die Aufenthaltsdauer von O._______ bei der Beschwerdeführerin unterschiedliche Angaben gemacht werden. So spricht die leibliche Mutter davon, dass ihr Sohn seit seinem 4. Lebensjahr, also seit 1997/1998, von der Beschwerdeführerin aufgezogen wird, während der Bruder des Verstorbenen in seiner Erklärung vom 8. Oktober 2008 bestätigt, dass O._______ seit 1999 im gemeinsamen Haushalt seines verstorbenen Bruders und dessen Ehefrau gelebt hat. In der Wohnsitzbescheinigung vom 23. Februar 2008 schliesslich wird bestätigt, dass O. _____ seit 8 Jahren Wohnsitz an der Rua A._______ in B._______, also dem Wohnsitz der Beschwerdeführerin und ihres verstorbenen Ehemanns, hatte - demnach seit etwa 2000. Es kann jedoch offen bleiben, ob O. _____ seit dem Jahre 2000 oder 1999 oder allenfalls schon früher bei seinem Vater und dessen Partnerin (die er Anfang 2003 ehelichte) gewohnt hat, ist es doch nach der Praxis nicht erforderlich, dass das Pflegeverhältnis vor dem Rentenfall schon eine bestimmte Zeit gedauert hat. Entscheidend ist, dass O._______ gemäss Wohnsitzbescheinigung vom 23. Februar 2008 auch nach dem Tod seines Vaters weiterhin und dauernd bei der Beschwerdeführerin wohnte.

        Die Erklärung der leiblichen Mutter sowie der richterliche Entscheid vom 19. Oktober 2006 lassen zudem nur den Schluss zu, dass das Pflegeverhältnis auf längere Dauer ausgerichtet war und ist. Es ist offensichtlich, dass das Pflegeverhältnis seit der Begründung nie unterbrochen worden ist, und dass die leibliche Mutter ihre Elternrechte seit langem nicht mehr ausübt.

      2. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen steht fest, dass O._______ bereits seit längerer Zeit bei seinem verstorbenen Vater und der Beschwerdeführerin gelebt hat, und seit dem Tod des Vaters weiterhin bei ihr wohnt und von ihr erzogen wird. Das Erfordernis der dauernden Pflege und Erziehung ist damit gegeben.

      3. Was die Unentgeltlichkeit des Betreuungsverhältnisses angeht, werden in der Tat keine konkreten Angaben gemacht. Allerdings sprechen die Umstände dafür, dass die leibliche Mutter nicht in der Lage

ist, Unterhaltsbeiträge für ihren Sohn zu bezahlen, da aus ihrer Erklärung vom 25. August 2006 hervorgeht, dass sie ledig und Hausfrau ist ("do lar") und keiner regelmässigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Vielmehr hat sie ausdrücklich bestätigt, es sei ihr Wunsch, dass ihr Sohn unter anderem auch aus materiellen Gründen weiterhin von der Beschwerdeführerin aufgezogen werde. Zudem finden sich in den Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin von der leiblichen Mutter oder Dritten für den Unterhalt von O._______ so weit gehend entschädigt würde, dass ein Viertel der tatsächlichen Unterhaltskosten gedeckt wären. Für das Bundesverwaltungsgericht steht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der verstorbene Vater zusammen mit der Beschwerdeführerin alleine für den Unterhalt von O._______ aufgekommen ist, und dass auch weiterhin von einer unentgeltlichen Betreuung durch die Beschwerdeführerin ausgegangen werden kann - umso mehr, als den eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin beabsichtigt, O._______ zu adoptieren.

5.

Demnach ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zwischen der Beschwerdeführerin und dem Sohn ihres verstorbenen Ehemannes im Zeitpunkt der Verwitwung ein unentgeltliches Pflegeverhältnis im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Bst. a AHVG in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 AHVV bestanden hat und nach wie vor besteht. Damit hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Witwenrente ab März 2006.

Der angefochtene Einspracheentscheid vom 6. Februar 2008 ist daher aufzuheben und die Vorinstanz ist anzuweisen, in dieser Sache nach Berechnung der Witwenrente neu zu verfügen.

6.

Zu befinden bleibt noch über die Verfahrenskosten sowie eine allfällige Parteientschädigung.

    1. Das Verfahren ist für die Parteien kostenlos (Art. 85bis Abs. 2 AHVG), so dass keine Verfahrenskosten zu erheben sind.

    2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der obsiegenden Beschwerdeführerin eine von der Vorinstanz zu entrichtende Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG; Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädi-

gungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]), welche mangels Kostennote gemäss Art. 14 Abs. 1 VGKE aufgrund der Akten zu bestimmen ist. Das einer Partei zu entschädigende Honorar bestimmt sich nach dem notwendigen Zeitaufwand des Vertreters, wobei der Stundenansatz für nichtanwaltliche Vertreter und Vertreterinnen Fr. 100.- bis Fr. 300.- beträgt (Art. 10 Abs. 2 VGKE). Das Bundesverwaltungsgericht erachtet aufgrund der Akten ein Honorar (inklusive Auslagen, ohne MWSt) von Fr. 1'000.- für angemessen.

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Einspracheentscheid vom

6. Februar 2008 wird aufgehoben.

Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen mit der Anweisung, der Beschwerdeführerin ab März 2006 eine ordentliche Witwenrente auszurichten.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.

Der Beschwerdeführerin wird eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'000.- zugesprochen, die von der Vorinstanz zu leisten ist.

4.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. _______)

  • das Bundesamt für Sozialversicherungen

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Stefan Mesmer Susanne Marbet Coullery

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die Rechtsschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (vgl. Art. 42 BGG).

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