Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Rechtshilfe |
Fallnummer: | RR.2024.44, RP.2024.5 |
Datum: | 13.06.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Auslieferung; Recht; Ungarn; Verfahren; Urteil; Delikt; Justiz; Staat; Verfahren; Gericht; Stellung; Über; Einrede; Auslieferungsentscheid; Bundesgericht; Beschwerdekammer; Delikts; Entscheid; Behörden; Informationen; Stellungnahme; Behandlung; Bundesgerichts; Haftbefehl; Schweiz; Garantie; Verteidigung |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 10 BV ;Art. 25 BV ;Art. 29 BV ;Art. 3 EMRK ;Art. 48 BGG ;Art. 50 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 84 BGG ; |
Referenz BGE: | 117 Ib 337; 125 II 356; 126 II 324; 127 I 213; 129 II 56; 130 II 337; 132 II 469; 134 IV 156; 142 IV 175; 148 IV 314; ; |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
RR.2024.10, RR.2024.16
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: RR.2024.10+16 |
Entscheid vom 13. Juni 2024 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Daniel Kipfer Fasciati und Patrick Robert-Nicoud, Gerichtsschreiber Martin Eckner | |
Parteien | A., Beschwerdeführer und Antragsgegner | |
gegen | ||
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, Beschwerdegegner und Antragssteller | ||
Gegenstand | Auslieferung an Ungarn Einrede des politischen Delikts (Art. 55 Abs. 2 IRSG); Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG) |
Sachverhalt:
A. Die ungarischen Behörden ersuchten mit Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) vom 15. November 2019 (Anordnung vom 22. November 2016) um Verhaftung des ungarischen Staatsangehörigen A., geb. […] 1989, zwecks Auslieferung zur Verbüssung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren aufgrund von Urteilen des Gerichtes der Stadt Z./HU sowie des Berufungsgerichts im Bezirk Y./HU. Er sei in Abwesenheit wegen Mordes und schwerer Körperverletzung verurteilt worden (act. 1.1).
Gemäss dem ungarischen internationalen Haftbefehl vom 30. Juni 2020 (RR.2023.156, act. 1.11) soll A. am 7. Februar 2008 frühmorgens in betrunkenem Zustand und in Begleitung von vier Personen in Z./HU unterwegs gewesen sein. Er habe einen Jugendlichen (*1994) alleine auf dem Trottoir angetroffen. Er soll ihm seinen Arm auf die linke Schulter gelegt und Geld verlangt haben. Der Jugendliche habe ihm gesagt, kein Geld zu haben. Daraufhin soll A. sein Mobiltelefon verlangt haben. Als der Jugendliche daraufhin fliehen wollte, soll er ihn eingeholt, festgehalten und ihm das einer Drittperson gehörende Mobiltelefon abgenommen haben. Er habe das Mobiltelefon am 11. Februar 2018 bei der Untersuchungsbehörde zurückgegeben. Er wurde gemäss der französischen Übersetzung in den Akten wegen «cambriolage» verurteilt, wobei die Verurteilung gemäss den strafrechtlichen Bestimmungen des internationalen Haftbefehls vom 30. Juni 2020 wegen Diebstahls mit Gewalteinwirkung erfolgt sei (RR.2023.156, act. 1.11; act. 1.14 Urteil des Gerichts der Stadt Z./HU […] vom 18. November 2008 S. 2 ff.; Urteil des Berufungsgerichts im Bezirk Y./HU […] vom 5. Februar 2009).
Ebenfalls gemäss dem ungarischen internationalen Haftbefehl soll A. in Z./HU am Abend des 2. Mai 2007 in betrunkenem Zustand und ohne jegliche Veranlassung ein Opfer angegriffen haben. Der Komplize von A. habe dem Opfer einen Tritt mit dem Knie ins Gesäss versetzt. Sie hätten sich daraufhin vom Opfer entfernt, seien jedoch wieder zurückgekommen. Der Komplize habe versucht, das Opfer zu schlagen, das dem Schlag aber habe ausweichen können. A. soll dem Opfer daraufhin einen Fusstritt mittlerer Stärke ins Gesicht verpasst haben, so dass dessen Nase geblutet habe. Er wurde wegen schwerer Körperverletzung verurteilt (RR.2023.156, act. 1.14 Urteil des Gerichts der Stadt Z./HU […] vom 27. Mai 2008 S. 3 ff.; Urteil des Berufungsgerichts im Bezirk Y./HU […] vom 5. Februar 2009).
B. Das Bundesamt für Justiz (nachfolgend «BJ») ordnete am 9. Juni 2023 gegen A. die provisorische Auslieferungshaft an (RR.2023.156, act. 1.2). Die […] Staatsanwaltschaft liess ihn gleichentags verhaften und einvernehmen (RR.2023.156, act. 1.3). Er sagte aus, seit 13 Jahren kein Ungarisch mehr gesprochen zu haben. Er habe keine persönlichen Beziehungen zu Ungarn und dort auch keine Wohnung. Sein Vater lebe im Ausland. Die Anschuldigungen stimmten nicht. Er habe im ungarischen Geheimdienst gearbeitet und seine Auslieferung werde aus geheimdienstrechtlichen Gründen verlangt. B. sei Chef des ungarischen Sicherheitsrates im Parlament. Er habe ein grosses Problem mit ihm. Er kenne B. persönlich. A. war mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden und hielt am Spezialitätsprinzip fest.
C. Nach einem Suizidversuch in seiner Zelle durch Strangulation mit einem T‑Shirt wurde A. am 11. Juni 2023 stationär in die Psychiatrie C. eingewiesen. Er habe beim Eintritt in die Klinik berichtet, von ungarischen Geheimdiensten verfolgt zu werden und lebensgefährdet zu sein. Seine einzige Rettungsmöglichkeit seien Geheimunterlagen, welche sich auf einer verschlüsselten Festplatte in seinem Rucksack befänden. Auf der Station der Klinik berichtete er, wie er mit 17 Jahren bereits mit dem ungarischen Geheimdienst gearbeitet habe. Er habe viel Material gesammelt, das die ungarische Regierung in Schwierigkeiten bringen würde. Seine Auslieferung nach Ungarn gleiche einem Todesurteil. Da bringe er sich lieber selber um. Die Klinik diagnostizierte eine wahnhafte Störung (F22.0), mit einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis als Differenzialdiagnose. A. erhielt antipsychotische Medikamente, die ihn entspannten und besser schlafen liessen, die wahnhafte Symptomatik aber nicht verbesserten (RR.2023.156, act. 1.7, Kurzbericht vom 13. Juni 2023; act. 1.10 Abschlussbericht vom 19. Juni 2023).
D. Das BJ erliess am 12. Juni 2023 den Auslieferungshaftbefehl gegen A. (RR.2023.156, act. 1.4). Das Amt übermittelte ihn dem von A. erwünschten Verteidiger, Rechtsanwalt D. (RR.2023.156, act. 1.5).
E. A. wurde am 15. Juni 2023 auf die überwachte somatisch-psychiatrische Station E. verlegt (RR.2023.156, act. 1.10).
F. Das ungarische Justizministerium ersuchte die Schweiz mit auf den 18. Juni 2017 datierten Schreiben [recte 2023] auf elektronischem Weg formell um die Auslieferung von A. Dem Ersuchen war der internationale Haftbefehl des Gerichtes der Stadt Z./HU vom 30. Juni 2020 (RR.2023.156, act. 1.11) beigelegt.
Das BJ ersuchte das ungarische Justizministerium am 20. Juni 2023 um Zustellung des Originals des Auslieferungsersuchens per Post, mitsamt vier gerichtlichen Entscheiden (RR.2023.156, act. 1.12). Am 4. Juli 2023 erhielt das BJ per Post und elektronisch vier Entscheide in Ungarisch (RR.2023.156, act. 1.13) und am 13. Juli 2023 auf elektronischem Weg französische Übersetzungen (RR.2023.156, act. 1.14).
G. Am 18. Juli 2023 ernannte das BJ Rechtsanwalt D. zum amtlichen Rechtsbeistand von A. (RR.2023.156, act. 1.16).
Gleichentags ordnete das Amt die polizeiliche Befragung von A. zum Auslieferungsersuchen an (RR.2023.156, act. 1.15). Sie fand am 26. Juli 2023 in der Forensisch-psychiatrischen Station F. statt (RR.2023.156, act. 1.17). A. wollte Belege liefern und sie diskutieren. Die Polizei wies ihn an, die Belege seinem Rechtsanwalt zu übergeben und nahm ein Dokument auf Ungarisch entgegen. In den Akten zur Einvernahme findet sich auch ein Beleg (mit Datum 20. Mai 2010), der von der Webseite von Transparency International Global stammen könnte (vgl. auch RR.2023.156, act. 3, Beleg 1) und sich zum unkontrollierten Umgang hinsichtlich der Klassifikation von Informationen in Ungarn äussert.
A. gab an, der Haftbefehl sei ein «Fake». Das Datum der SIS-Ausschreibung sei der 16. November 2016 und es habe einen Monat vorher einen anderen Haftbefehl gegen ihn gegeben, wegen dem, was auf seinem übergebenen Dokument stehe (S. 2). Er teilte auf die Frage zu den persönlichen Verhältnissen mit, dass er im Jahr 2010 die Arbeit für den Geheimdienst quittiert habe. Er sei auf die Kanaren gegangen und habe im Jahr 2011 die Familie des Präsidenten des ungarischen Geheimdienstes infiltriert. Er habe herausgefunden, dass dieser und seine Familie korrupt seien in jeder Weise, Drogen, Geldwäscherei und so weiter. Er habe die Familie auffliegen lassen. 2013 sei er zu einem Menschenrechtsaktivisten geworden, 2014 habe er in Spanien gelebt, im August 2015 sei er in die Schweiz gekommen. Seine Schwester habe ihn via Facebook informiert, dass sie bei der Polizei als Grenzwache arbeite. Er habe in Genf vor der UNO gegen die ungarische Regierung demonstriert und sei dabei ganz kurz auf einem Video der Berichterstattung zu sehen. Er habe darüber elektronische Daten, die er dem BJ vorlegen wolle. Die Botschaft Ungarns in Bern habe ihm im September (wohl 2015) keinen neuen Reisepass ausstellen wollen. Im Oktober 2016 habe es einen Haftbefehl gegen ihn wegen Herausgabe von Geheiminformationen gegeben. Später habe er die Menschenrechtsorganisation «Hungarian Civil Liberties Union» über seinen Haftbefehl informiert. Sie hätten nichts für ihn tun können, aus Angst vor Konsequenzen. Er habe danach bei der Botschaft von Paraguay ein Asylgesuch gestellt, wobei sie ihm kein politisches Asyl hätten geben können. Er habe aber ein offizielles Dokument erhalten, das ihn als Menschenrechtsvertreter ausgewiesen habe. 2017 habe er als Freiwilliger beim «G.» gearbeitet, eine Organisation, die sich um Flüchtlinge kümmere. Er habe mitgearbeitet, die Dublin-Überstellungen nach Ungarn zu stoppen und Frontex zu blockieren. Er habe Angst um sein Leben, da er denke, Ungarn wolle ihn ermorden lassen (S. 3 f.).
A. erhielt eine Frist, um sich zum Auslieferungsersuchen zu äussern.
H. Rechtsanwalt D. nahm am 9. August 2023 für A. Stellung zum Auslieferungsersuchen (RR.2023.156, act. 1.18). Er beantragte in materieller Hinsicht, die Auslieferung sei abzulehnen und A. sofort aus der Auslieferungshaft zu entlassen, eventuell gegen eine Meldepflicht als Ersatzmassnahme. Er brachte sodann vor, die Auslieferung sei politisch bedingt (S. 4), die Belege zur Auslieferung seien ungenügend (S. 4 f.), die Verteidigungsrechte seien in Ungarn verletzt worden (S. 5–7), das ausländische Verfahren habe nicht den Grundsätzen von Art. 2 IRSG entsprochen (S. 7 f.) und der Gesundheitszustand von A. erlaube keine Auslieferung (S. 8 f.). Der Stellungnahme war der medizinische Verlaufsbericht der psychiatrischen Dienste vom 18. August 2023 beigelegt (RR.2023.156, act. 1.19).
I. Das BJ kontaktierte am 24. August 2023 das ungarische Justizministerium (RR.2023.156, act. 1.20). Es wies auf den Gesundheitszustand von A. hin und dass Ungarn sich das Recht vorbehalten habe, eine Auslieferung aus humanitären Gründen abzulehnen, wenn diese für die auszuliefernde Person z.B. aufgrund ihres Gesundheitszustands eine besondere Härte bedeuten würde. Das BJ bat angesichts dessen die ungarischen Behörden um Auskunft, ob sie weiterhin am Auslieferungsersuchen festhielten. Diesfalls bat das BJ um die folgende Garantie auf Ungarisch und auf Deutsch:
«A. wird nach seiner Auslieferung umgehend einer geeigneten psychiatrischen Klinik zugeführt, in welcher er erneut psychiatrisch beurteilt wird und je nach Ergebnis dieser Abklärungen die von ihm benötigte stationäre, fachärztliche Behandlung durchgeführt werden kann.»
Nach Rückfrage des BJ vom 12. September 2023 (RR.2023.156, act. 1.21) leitete das ungarische Justizministerium dem BJ am 18. September 2023 die Garantie des Nationalen Gefängnisdienstes zu (act. 1.22):
«Aufgrund der Stellungnahme der Hauptabteilung Gesundheitswesen der Landeskommandantur des Justizvollzugs kümmert sich der Gesundheitsdienst des ungarischen Justizvollzugs im Falle der Auslieferung des Genannten unverzüglich gemäss den fachlichen Regeln um seine Gesundheitsversorgung.
Die erforderliche psychiatrische Versorgung kann von dem über angemessene Erfahrung verfügenden Fachpersonal der im Gesundheitsversorgungssystem des Justizvollzugs tätigen Gerichtsmedizinischen Psychiatrischen Beobachtungs- und Heilanstalt (IMEI) sowohl stationär als auch ambulant gewährt werden.
Es wird im Justizvollzug sichergestellt, dass Zoltan A. bei seiner Ankunft in Ungarn sofort in der stationären psychiatrischen Abteilung untergebracht und untersucht wird sowie abhängig von dem Untersuchungsergebnis die erforderliche Heilbehandlung im Justizvollzug erhält.»
J. Am 15. September 2023 wurde A. in die Justizvollzugsanstalt H. verlegt.
K. Das BJ setzte Rechtsanwalt D. am 19. September 2023 Frist zur Stellungnahme zur in vorstehender Litera I erwähnten Korrespondenz (RR.2023.156, act. 1.23). Er nahm dazu am 27. September 2023 Stellung und rügte darin die abgegebene ungarischen Garantie (vgl. oben lit. I).
L. Das BJ ordnete am 4. Oktober 2023 die Auslieferung von A. an Ungarn für die dem Auslieferungsersuchen vom 19. Juni 2023 (ergänzt am 4. und 13. Juli sowie 18. September 2023) zugrunde liegenden Straftaten an. Dies unter dem Vorbehalt des Entscheids des Bundesstrafgerichts über die Einrede des politischen Delikts im Sinne von Art. 55 Abs. 2 IRSG. Das Amt beantragte der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts gleichentags, die Einrede sei gestützt auf die Erwägungen im Auslieferungsentscheid abzulehnen (RR.2023.156, act. 1, 1.0).
A. persönlich nahm am 17. Oktober 2023 unter Hinweis auf Art. 55 Abs. 2 IRSG Stellung bezüglich der Einrede des politischen Delikts (RR.2023.156, act. 3). Die Eingabe wurde am 19. Oktober 2023 dem BJ sowie Rechtsanwalt D. zur Kenntnis gebracht (RR.2023.156, act. 4).
M. A. persönlich erhob am 30. Oktober 2023 Beschwerde gegen den Auslieferungsentscheid des BJ vom 4. Oktober 2023 (RR.2023.161, act. 1). Die ungarische Garantie vom 18. September 2023 sei unzureichend. Er verwies auf die Stellungnahme von Rechtsanwalt D. vom 27. September 2023, die der Beschwerde beigelegt war.
Das BJ reichte am 13. November 2023 die Beschwerdeantwort ein. Das Amt beantragte, die Beschwerde sei abzuweisen (RR.2023.161, act. 6). A. hielt am 17. November 2023 an seinen Anträgen und Vorbringen fest (RR.2023.161, act. 10). Das Gericht brachte dies dem BJ am 21. November 2023 zur Kenntnis (RR.2023.161, act. 11).
N. Mit Entscheid RR.2023.156+161 vom 4. Dezember 2023 hiess die Beschwerdekammer die Beschwerde von A. gut, hob den Auslieferungsentscheid vom 4. Oktober 2023 auf und wies die Sache für ergänzende Abklärungen an das BJ zurück.
O. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2023 ersuchte das BJ die ungarischen Behörden um Übermittlung von ergänzenden Informationen bis zum 27. Dezember 2023 (RR.2024.10, act. 1.29). Auf Antrag des ungarischen Justizministeriums vom 19. Dezember 2023 gewährte das BJ Fristerstreckung bis am 10. Januar 2024 (RR.2024.10, act. 1.31). Am 8. Januar 2024 ernannte das BJ Rechtsanwalt D. zum amtlichen Rechtsbeistand von A. (RR.2024.10, act. 1.34). Es übermittelte ihm gleichzeitig die Korrespondenz zwischen dem BJ und dem ungarischen Justizministerium sowie eine vom BJ veranlasste französischen Übersetzung des von A. eingebrachten Schreibens der Staatsanwaltschaft Y./HU vom 31. Oktober 2019. Es gewährte A. eine Frist bis zum 25. Januar 2024 zur Einreichung einer ergänzenden Stellungnahme.
P. Mit Schreiben vom 18. Januar 2024 ersuchte das BJ das ungarische Justizministerium um Bestätigung der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes, was das ungarische Justizministerium mit Schreiben vom selben Tag bestätigte (RR.2024.10, act. 1.36). Diese Korrespondenz leitete das BJ A. mit Schreiben vom 19. Januar 2024 weiter (RR.2024.10, act. 1.37).
Q. Am 23. Januar 2024 ersuchte A. um Fristerstreckung zur ergänzenden Stellungnahme bis zum 23. Februar 2024, welche ihm das BJ bis zum 8. Februar 2024 gewährte.
R. Mit Schreiben vom 7. Februar 2024 nahm RA D. für seinen Klienten zur beantragten Auslieferung Stellung (RR.2024.16, act. 1.5). Er hielt an seinen Anträgen und Rügen aus dem ersten Verfahren fest. Mit Schreiben vom 7. Februar 2024 reichte A. seine ergänzende Stellungnahme ein (RR.2024.10, act. 1.40).
S. Am 14. Februar 2024 erliess das BJ einen neuen Auslieferungsentscheid (RR.2024.10, act. 1.0). Am selben Tag stellte das BJ den Antrag, die Einrede des politischen Delikts sei abzuweisen (RR.2024.10, act. 1). Dagegen führt A. am 28. Februar 2024 erneut persönlich Beschwerde und erhebt sinngemäss auch die Einrede des politischen Delikts (RR.2024.16, act. 1).
T. Mit Beschwerdeantwort vom 8. März 2024 beantragt das BJ die Abweisung der Beschwerde (RR.2024.16, act. 4); die Replik des Beschwerdeführers datiert vom 17. März 2024 (RR.2024.16, act. 8). Eine weitere Stellungnahme reichte der Beschwerdeführer am 4. April 2024 (RR.2024.16, act. 10) ein, worauf sich auch das BJ am 17. April 2024 noch einmal vernehmen liess (RR.2024.16, act. 12), mit zusätzlichen Dokumenten von den ungarischen Behörden (RR.2024.16, act. 12.–12.4).
U. Das darauf vom Gerichtsschreiber mit dem zuständigen Sachbearbeiter des BJ am 18. April 2024 geführte Telefonat ist in der Telefonnotiz vom 23. April 2024 dokumentiert (RR.2024.10, act. 11). Sowohl die Eingabe des BJ vom 17. April 2024 samt Beilagen als auch die Telefonnotiz sind dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zugestellt worden, welcher sich nicht mehr vernehmen liess.
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und Ungarn sind primär massgebend das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) und die hierzu ergangenen Zusatzprotokolle vom 15. Oktober 1975 (ZPI EAUe; SR 0.353.11) und 17. März 1978 (ZPII EAUe; SR 0.353.12), welchen beide Staaten beigetreten sind.
Überdies anwendbar sind das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (Schengener Durchführungsübereinkommen [SDÜ]; CELEX-Nr. 42000A0922(02); Abl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19–62; Text nicht publiziert in der SR, jedoch abrufbar auf der Website der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.1 Anhang A; https://www.admin.ch/opc/de/european-union/international-agreements/008.html) i.V.m. der Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission, namentlich Art. 26–31 (CELEX-Nr. 32018R1862; Abl. L 312 vom 7. Dezember 2018, S. 56–106; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.4 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), sowie diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Auslieferungsübereinkommen; CELEX-Nr. 41996A1023(02); Abl. C 313 vom 23. Oktober 1996, S. 12–23), welche gemäss dem Beschluss des Rates 2003/169/JI vom 27. Februar 2003 (CELEX-Nr. 32003D0169; Abl. L 67 vom 12. März 2003, S. 25 f.; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.2 Anhang B) eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen. Die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler oder multilateraler Abkommen bleiben unberührt (Art. 59 Abs. 2 SDÜ; Art. 1 Abs. 2 EU-Auslieferungsübereinkommen).
1.2 Soweit diese Staatsverträge bestimmte Fragen nicht abschliessend regeln, sind das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) und die dazugehörige Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11) anwendbar (Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG). Das innerstaatliche Recht gelangt nach dem Günstigkeitsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn es geringere Anforderungen an die Rechtshilfe stellt (sog. Günstigkeitsprinzip; BGE 148 IV 314 E. 2.1; 147 II 432 E. 3.1; 142 IV 250 E. 3; 145 IV 294 E. 2.1; 140 IV 123 E. 2; 136 IV 82 E. 3.1; 135 IV 212 E. 2.3; Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 5. Aufl. 2019, N. 229), Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 148 IV 314 E. 3; 145 IV 294 E. 2.1; 139 II 65 E. 5.4; 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c).
2.
2.1 Gegen Auslieferungsentscheide des BJ kann innert 30 Tagen seit der Eröffnung des Entscheides bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 55 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG; Art. 50 Abs. 1 VwVG). Auf Beschwerdeverfahren in internationalen Rechtshilfeangelegenheiten sind die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021) anwendbar (Art. 39 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 37 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 StBOG), wenn das IRSG nichts anderes bestimmt (siehe Art. 12 Abs. 1 IRSG).
2.2 Über ausländische Auslieferungsersuchen entscheidet das BJ (vgl. Art. 55 Abs. 1 IRSG). Macht der Verfolgte geltend, er werde eines politischen De-likts bezichtigt, oder ergeben sich bei der Instruktion ernsthafte Gründe für den politischen Charakter der Tat, so entscheidet die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts darüber auf Antrag des BJ und nach Einholung einer Stellungnahme des Verfolgten (Art. 55 Abs. 2 IRSG). Das Verfahren der Beschwerde nach Art. 25 IRSG ist dabei sinnge-mäss anwendbar (Art. 55 Abs. 3 IRSG). Die Beschwerdekammer hat nur über die Einrede des politischen Delikts in erster Instanz zu befinden und dem BJ den Entscheid über die übrigen Auslieferungsvoraussetzungen zu überlassen (TPF 2008 24 E. 1.2 m.w.H.). Auch in Fällen, bei denen Einreden des politischen Delikts erfolgen oder sich bei der Instruktion entsprechende Fragen stellen, hat das BJ die notwendigen Sachabklärungen hinsichtlich aller Auslieferungsvoraussetzungen vollumfänglich vorzunehmen (BGE 130 II 337 E. 1.1.2; 128 II 355 E. 1.1.2).
2.3 Der Beschwerdeführer hatte vor dem ersten Auslieferungsentscheid geltend gemacht, er werde aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt. Mit Entscheid vom 4. Oktober 2023 bewilligte das BJ seine Auslieferung unter Vorbehalt des Entscheides der Beschwerdekammer über die Einrede des politischen Delikts und beantragte der Beschwerdekammer mit Eingabe vom selben Tag, die Einrede des politischen Delikts abzulehnen. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, wie es Art. 55 Abs. 2 IRSG vorsieht, sich zum Antrag des BJ zu äussern. Die Beschwerdekammer hatte die erste Beschwerde gutgeheissen im Wesentlichen mit der Begründung, der Sachverhalt sei nicht klar genug, weshalb zusätzliche Abklärungen erforderlich seien. Der Beschwerdeführer hat sich nach den vom BJ veranlassten zusätzlichen Abklärungen und vor dem Erlass des hier gegenständlichen zweiten Auslieferungsentscheids erneut so vernehmen lassen, dass seine Strafverfolgung politisch motiviert sei und er bringt das auch in seiner Beschwerde vor (RR.2024.16, act.1 und 1.5).
2.4 Der Beschwerdeführer ist als Betroffener legitimiert und die Beschwerde gibt in formeller Hinsicht zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf sie und auf die Einrede des politischen Delikts einzutreten ist.
3. Vorliegend sind das Verfahren betreffend Einrede des politischen Delikts (RR.2024.10, vorher RR.2023.156) und das Beschwerdeverfahren (RR.2024.16, vorher RR.2023.161) aufgrund ihrer inhaltlichen Konnexität zu vereinigen (vgl. Ludwiczak Glassey, Entraide judiciaire internationale en matière pénale, 2018, N. 1044).
4.
4.1 Der Beschwerdeführer bringt in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2023 vor (RR.2023.156, act. 3), es sei unzutreffend, wenn das BJ im Auslieferungsentscheid schreibe (ebd., act. 1, S. 7 Ziff. 6.2), ein Strafverfahren wegen Weitergabe bzw. Missbrauchs geheimer Informationen sei kein Indiz für eine politische Verfolgung. Weitergabe bzw. Missbrauchs geheimer Informationen sei in Ungarn ein politisches Verbrechen. Nach dem Gesetz über die nationale Sicherheit sei es ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit des Staates. Er habe in der Schweiz geheime Informationen preisgegeben. Er sei zudem Menschenrechtsaktivist, dem gewöhnliche Straftaten vorgeworfen würden, um ihn an der Ausübung seiner politischen Tätigkeit zu hindern (ebd., act. 3). Er bekräftigt diese Vorbringen in seinen weiteren Eingaben (RR.2023.161, act. 1, 10). Im vorliegenden zweiten Verfahren vor der Beschwerdekammer bekräftigt er seine Vorbringen abermals; insbesondere weist er darauf hin, dass die ungarischen Behörden die vom BJ diesbezüglich gestellten Fragen nicht beantworten wollten. Das bestätige seine Annahme, dass im Hintergrund des Auslieferungsersuchens politische Motive lägen, welche den Schweizer Behörden vorenthalten würden (insb. RR.2024.16, act 10).
Vor dem BJ brachte der amtliche Rechtsbeistand des Beschwerdeführers vor, es stünden politische Gründe hinter dem Auslieferungsersuchen. Anlässlich seiner Anhörung vom 26. Juli 2023 habe der Beschwerdeführer ein Dokument vom 31. Oktober 2019 eingereicht. Daraus gehe hervor, dass in Ungarn ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer laufe wegen Weitergabe bzw. Missbrauchs geheimer Informationen, zu welchen er nicht befugt gewesen sei. Sollte dieses Strafverfahren noch am Laufen sein, dann könne der wahre Grund der Auslieferung die Weitergabe vertraulicher staatlicher Informationen sein und somit einen politischen Hintergrund haben. Nur 15 Tage nach der Mitteilung vom 31. Oktober 2019 habe Ungarn um die Auslieferung ersucht wegen Vorfällen, die sich am 2. Mai 2007 und 7. Februar 2008 ereignet hätten (RR.2023.156, act. 1.18, S. 4, Ziff. 7; act. 3). Nach seinen eigenen Schilderungen, so der amtliche Rechtsbeistand weiter, sei der Beschwerdeführer im Geheimdienst tätig gewesen und habe dabei auf den kanarischen Inseln den Vorsitzenden des parlamentarischen Ausschusses für nationale Sicherheit B. ausspioniert und diverse Straftaten aufgedeckt (vgl. obige lit. G). Sämtliche Unterlagen betr. vertraulicher Informationen befänden sich auf einer geschützten, verschlüsselten Harddisk. Der Rechtsbeistand offeriert die Hard Disk als Beweis, der nachgereicht werde (act. 1.18 S. 7 f. Ziff. 18–21). Im neuen Verfahren hält der Rechtsbeistand an seinen Gründen fest; er sieht sich insbesondere in seinem Verdacht einer politisch motivierten Verfolgung seines Mandanten durch die Weigerung der ungarischen Behörden bestätigt, weitere Fragen zum hängigen Verfahren (irrtümlicherweise wegen des Missbrauchs geheimer Informationen, vgl. Erwägung 4.4 unten) zu beantworten (vgl.RR.2024.10, act. 1.40).
4.2 Das BJ erachtet die behauptete Geheimdienstaktivität und den Besitz von skandalträchtigen Geheimunterlagen als unbelegte Schutzbehauptungen. Der Beschwerdeführer widerspreche sich, wenn er auf den kanarischen Inseln einmal den Vorsitzenden des parlamentarischen Ausschusses für nationale Sicherheit B. (Stellungnahme vom 9. August 2023) und dann den Präsidenten des ungarischen Geheimdienstes (Einvernahme vom 26. Juli 2023) und seine Familie ausspioniert und dabei Straftaten aufgedeckt haben wolle. Die Festplatte mit Belegen habe er nicht eingereicht. Gemäss den Auslieferungsunterlagen habe der Beschwerdeführer noch im Jahr 2008 eine handwerkliche Ausbildung absolviert (vgl. Urteil des Gerichts der Stadt Z./HU […] vom 18. November 2008 S. 2). Eine anschliessende Anstellung im ungarischen Geheimdienst sei nicht glaubhaft. Das BJ erachtet die Behauptungen des Beschwerdeführers als nicht geeignet, eine Verfolgungssituation gemäss Art. 3 Ziff. 2 EAUe konkret und glaubhaft aufzuzeigen. Es bestünden namentlich keine ernsthaften Zweifel am Funktionieren der ungarischen Institutionen und an der Unabhängigkeit der Gerichte (RR.2023.156, act. 1.0 S. 6 f.).
Ein weiteres Strafverfahren in Ungarn gegen den Beschwerdeführer wäre nach Auffassung des BJ kein Indiz für eine politische Verfolgung. Die ungarischen Behörden seien an das Spezialitätsprinzip gebunden und könnten den Beschwerdeführer für weitere, vor einer Auslieferung begangene Handlungen nur unter den in Art. 14 Abs. 1 lit. a und b EAUe genannten Bedingungen strafrechtlich verfolgen. Nach dem völkerrechtlichen Vertrauensprinzip sei die Einhaltung des Spezialitätsprinzips zu vermuten. Bei einem Mitgliedstaat der EMRK und der Europäischen Union sei es unerheblich, ob Ungarn das Abkommen gegen Verschwindenlassen ratifiziert habe. Gemäss dem Länderbericht des US State Departments bestünden keine Hinweise, dass dies in Ungarn ein Problem sei (act. 1.0 S. 7).
Im neuen Verfahren hält das BJ an seinem Standpunkt fest. Es sieht sich durch die Ergebnisse der zusätzlichen Abklärungen darin bestätigt, dass eine politisch motivierte Verfolgung des Beschwerdeführers ausgeschlossen werden könne bzw. nicht hinreichend plausibel dargetan sei.
4.3 Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung angesehen wird (Art. 3 Abs. 1 EAUe; vgl. auch Art. 3 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 2 IRSG). In der Praxis wird zwischen so genannt «absolut» politischen und «relativ» politischen Delikten unterschieden. «Absolut» politische Delikte stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit politischen Vorgängen. Darunter fallen namentlich Straftaten, welche sich ausschliesslich gegen die soziale und politische Staatsorganisation richten, wie etwa Angriffe gegen die verfassungsmässige Ordnung, Landes- oder Hochverrat. Ein «relativ» politisches Delikt liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn einer gemeinrechtlichen Straftat im konkreten Fall ein vorwiegend politischer Charakter zukommt. Der vorwiegend politische Charakter ergibt sich aus der politischen Natur der Umstände, Beweggründe und Ziele, die den Täter zum Handeln bestimmt haben und die in den Augen des Rechtshilfegerichts vorherrschend erscheinen. Das Delikt muss stets im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staat begangen worden sein und in einem engen Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Kampfes stehen. Darüber hinaus müssen die fraglichen Rechtsgüterverletzungen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen, und die auf dem Spiel stehenden politischen Interessen müssen wichtig und legitim genug sein, um die Tat zumindest einigermassen verständlich erscheinen zu lassen (BGE 142 IV 175 E. 4.3/4.8; 131 II 235 E. 3.2; 130 II 337 E. 3.2; 128 II 355 E. 4.2; Urteil des Bundesgerichts 1C_274/2015 vom 12. August 2015 E. 5.3; TPF 2008 24 E. 3.1 S. 27).
4.4 Die BK hatte die erste Beschwerde gutgeheissen, weil es aufgrund des vom Beschwerdeführer eingereichten Dokuments als nicht unplausibel erschien, dass ein entsprechendes, potentiell auf politischen Gründen beruhendes Verfahren in Ungarn geführt werden könnte. Im Nachgang zum Entscheid der BK hatte das BJ das Dokument übersetzen lassen und gestützt darauf und auf von der BK aufgeworfene Fragen den ungarischen Behörden einige zusätzliche Fragen zu den prozessualen Umständen in Ungarn gestellt. Die zusätzlichen Abklärungen haben Folgendes ergeben (vgl. insb. zusammenfassende Telefonnotiz RR.2024.10, act. 11, mit. Hinw.): Die in der Notiz unter Ziff. 1 aufgeführten Verfahren sind Gegenstand des vorliegenden Auslieferungsverfahrens. Sie haben keinerlei Bezug zu einem politischen Delikt. Zu dem unter Ziff. 2 aufgeführten Verfahren wegen Missbrauchs geheimer Informationen hat sich Folgendes ergeben: Dieses Verfahren bzw. der Vollzug des dazu offenbar 2016 ergangenen Haftbefehls ist 2019 zufolge Verjährung eingestellt und der Haftbefehl revoziert worden (vgl. auch RR.2024.10, act. 10.2). Das Verfahren ist tatsächlich einmal geführt worden, ist aber rechtskräftig als verjährt erledigt worden, weshalb die beantragte Auslieferung bereits aus zeitlichen Gründen keinen Zusammenhang mit diesem Verfahren mehr haben kann; dazu kommt, dass auch der Sachverhalt keinen erkennbaren Zusammenhang mit dem hier gegenständlichen ungarischen Haftbefehl hat. Das unter Ziff. 3 erwähnte Strafverfahren wegen Diebstahls ist am 14. Mai 2008 rechtskräftig erledigt worden; es hat keinen Zusammenhang mit dem Auslieferungsverfahren und die Auslieferung ist für dieses Delikt auch nicht verlangt. Schliesslich hat sich ergeben, dass das in Ziff. 4 erwähnte Strafverfahren wegen Erpressung sich noch in der Untersuchungsphase befindet. Darauf hat sich die Weigerung der ungarischen Behörden zur Beantwortung weiterer Fragen des BJ bezogen; offenbar bestand hier ein Missverständnis, zumal auch das BJ in seinem neuen Auslieferungsentscheid davon auszugehen scheint, dass das Verfahren wegen Missbrauchs geheimer Informationen immer noch hängig ist und sich die (verweigerten) Antworten der ungarischen Behörden darauf bezögen. Die Antwort Ungarns bezieht sich jedoch nicht auf das potentiell politisch motivierte Strafverfahren wegen Missbrauchs geheimer Informationen – welches eben nicht mehr existiert –, sondern auf den Vorwurf einer Erpressung. Es ist nicht ersichtlich, dass es sich dabei um ein politisches Delikt handeln könnte und die diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, einen politischen Hintergrund als plausibel erscheinen zu lassen. Im Übrigen haben die ungarischen Behörden das Spezialitätsprinzip zu beachten, dies umso mehr, als sie eine entsprechende explizite Erklärung abgegeben haben (vgl. oben Sachverhalt, lit. P).
Die weiteren Unklarheiten, auf welche die Beschwerdekammer in ihrem ersten Entscheid hingewiesen hatte, sind vom BJ mit dem neuen Auslieferungsentscheid ausgeräumt worden (vgl. Auslieferungsentscheid, RR.2024.16, act. 1.2, Ziff. 6.2). Es gibt auch keine weiteren Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer von Ungarn aus anderen Gründen verfolgt würde als für den Vollzug der rechtkräftig ausgefällten Freiheitsstrafe von zwei Jahren.
4.5 Bei den Straftaten, für welche Ungarn um Auslieferung ersucht, handelt es sich weder um absolut noch um relativ politische Delikte im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung. Die Delikte stehen offensichtlich nicht im Zusammenhang mit einem Kampf um die Macht. Derartiges wird auch vom Beschwerdeführer selbst nicht geltend gemacht. Die Einrede des politischen Delikts ist vor dem Hintergrund der zusätzlich erfolgten Abklärungen also abzuweisen. Es kann hierzu auf die zutreffenden Ausführungen des BJ verwiesen werden (RR.2024.16, act. 1.2 Ziff. 6.2 S. 7–10). Soweit der Beschwerdeführer ernsthafte Zweifel am Funktionieren der Institutionen und an der Unabhängigkeit der Justiz im ersuchenden Staat vorbringt und insbesondere moniert, Ungarn biete keinerlei Gewähr dafür, dass er im Falle seiner Auslieferung im Sinne der internationalen Verpflichtungen menschenrechtskonform behandelt würde, ist auf die nachfolgende Erwägung zu verweisen.
5.
5.1 Die Schweiz prüft die Auslieferungsvoraussetzungen des EAUe auch im Lichte ihrer grundrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Nach Völkerrecht – wie auch schweizerischem Landesrecht – sind Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung verboten (Art. 3 EMRK und Art. 7 sowie Art. 10 Abs. 1 UNO-Pakt II [SR 0.103.2], Art. 10 Abs. 3 BV). Niemand darf in einen Staat ausgeliefert werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht (vgl. Art. 25 Abs. 3 BV; BGE 134 IV 156 E. 6.3; Urteil des Bundesgerichts 1C_644/2015 vom 23. Februar 2016 E. 8.1, nicht publ. in BGE 142 IV 175). Die Haftbedingungen dürfen nicht unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK sein; die physische und psychische Integrität der ausgelieferten Person muss gewahrt sein (vgl. auch Art. 7 und 17 des UNO-Pakts II). Die Gesundheit des Häftlings muss in angemessener Weise sichergestellt werden (BGE 148 IV 314 E. 3).
Die Prüfung dieses Ausschlussgrundes setzt ein Werturteil über die inneren Angelegenheiten des ersuchenden Staats voraus, insbesondere über sein politisches System, seine Institutionen, sein Verständnis der Grundrechte und ihrer tatsächlichen Gewährleistung sowie die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz. Dies gebietet besondere Vorsicht (BGE 125 II 356 E. 8a; 123 II 511 E. 5b; 123 II 161 E. 6b). Die im ausländischen Strafverfahren beschuldigten Personen müssen deshalb glaubhaft machen, dass sie objektiv und ernsthaft eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten haben (BGE 132 II 469 E. 2.4 S. 473; 130 II 217 E. 8.1; 129 II 268 E. 6.3; TPF 2008 24 E. 3.1 S. 27 f.; siehe auch Zimmermann, a.a.O., N. 628 f.). Soweit es sich beim ersuchenden Staat um einen EMRK-Vertragsstaat handelt, ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich davon auszugehen, dass er die Konventionsgarantien in der Praxis gewährleistet (BGE 126 II 324 E. 4e; Urteil des Bundesgerichts 1C_146/2022 vom 21. März 2022 E. 2). Wird im Verfahren im ersuchenden Staat die EMRK dennoch verletzt, hat der Betroffene die Möglichkeit, dies zunächst dort und in der Folge mit Individualbeschwerde an den EGMR (Art. 34 EMRK) geltend zu machen (Urteil des Bundesgerichts 1C_146/2022 vom 21. März 2022 E. 2).
5.2
5.2.1 Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, das Verfahren, in welchem er in Ungarn verurteilt worden sei und in dessen Zusammenhang er nun für den Vollzug der Strafe ausgeliefert werden solle, sei nicht mit den elementaren Garantien der EMRK vereinbar gewesen, weil er von dem Urteil keine Kenntnis gehabt habe und nicht vorgeladen, nicht anwesend und nicht verteidigt gewesen sei (vgl. insb. RR.2023.156, act. 1.18).
Das BJ nimmt in seinem zweiten Auslieferungsentscheid auf dieses Vorbringen Bezug und führt aus, dass sich aus den Rechtshilfeakten ergebe, dass sich der Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren geäussert, im Hauptverfahren vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht habe und dass er verteidigt gewesen sei (RR.2024.10, act. 1.0, Ziff. 6.3).
5.2.2 In Strafprozessen sind die minimalen prozessualen Verfahrensrechte des Angeschuldigten zu gewährleisten (vgl. Art. 6 EMRK, Art. 14 UNO-Pakt II). Der Angeschuldigte hat grundsätzlich Anspruch darauf, in Anwesenheit beurteilt zu werden (Art. 6 EMRK; Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 14 UNO-Pakt II). Dieses Recht ist jedoch nicht absolut: Nach der Praxis des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind Abwesenheitsverfahren zulässig, sofern der in Abwesenheit Verurteilte nachträglich verlangen kann, dass ein Gericht, nachdem es ihn zur Sache angehört hat, nochmals überprüft, ob die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen begründet sind (BGE 127 I 213 E. 3a S. 215 m.w.H.). Eine Neubeurteilung kann abgelehnt werden, wenn der in Abwesenheit Verurteilte wirksam verteidigt war und auf sein Anwesenheitsrecht verzichtet, sich geweigert hat, an der Verhandlung teilzunehmen oder die Unmöglichkeit, dies zu tun, selber verschuldet hat. Dies muss allerdings zur Überzeugung des Gerichts feststehen; dem Beschwerdeführer darf die Beweislast für diese Tatsachen nicht auferlegt werden. Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist die Abwesenheit nicht nur im Falle höherer Gewalt (objektive Unmöglichkeit zu erscheinen) gültig entschuldigt, sondern auch im Falle subjektiver Unmöglichkeit aufgrund der persönlichen Umstände oder eines Irrtums. Ein Verzicht setzt voraus, dass der Verfolgte zur Gerichtsverhandlung gültig vorgeladen wurde. Auch dafür darf die Beweislast nicht dem Verurteilten auferlegt werden (BGE 129 II 56 E. 6.2 S. 60; 127 I 213 E. 3a und 4 S. 215 ff.; Urteile des Bundesgerichts 1A.2/2004 vom 6. Februar 2004 E. 4.3 und 4.5; 1A.289/2003 vom 20. Januar 2004 E. 3.3).
Für die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils enthält sodann Art. 3 des 2. ZP zum EAUe eine spezielle Regelung: Danach kann die ersuchte Vertragspartei die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ablehnen, wenn nach ihrer Auffassung in dem diesem Urteil vorangegangenen Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, die anerkanntermassen jedem einer strafbaren Handlung Beschuldigten zustehen. Die Auslieferung wird jedoch bewilligt, wenn die ersuchende Vertragspartei eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, der Person, um deren Auslieferung ersucht wird, das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren zu gewährleisten, in dem die Rechte der Verteidigung gewahrt werden (Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2005 vom 22. August 2005 E. 3.1; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1A.261/2006 vom 9. Januar 2007 E. 3.2).
Nach der Rechtsprechung sind die minimalen Verteidigungsrechte des abwesenden Angeklagten im Sinne von Art. 3 des 2. ZP zum EAUe gewahrt, wenn dieser an der Gerichtsverhandlung durch einen frei gewählten Verteidiger vertreten wurde, der sich an der Verhandlung beteiligen und Anträge stellen konnte (BGE 129 II 56 E. 6.2 am Schluss und E. 6.3 S. 60 f.; Urteil des Bundesgerichts 1A.261/2006 vom 9. Januar 2007, E. 3.2), bzw. der in Abwesenheit Verurteilte gegen das Abwesenheitsurteil bei einer Rechtsmittelinstanz, welche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht über eine umfassende Kognition verfügt, ein Rechtsmittel erheben konnte und in diesem Verfahren die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt wurden (BGE 129 II 56 E. 6.4 S. 61 f.). Diesfalls besteht kein Anlass für die Ablehnung der Auslieferung oder die Einholung einer Zusicherung nach Art. 3 des 2. ZP zum EAUe beim ersuchenden Staat (Urteil des Bundesgerichts 1A.261/2006 vom 9. Januar 2007 E. 3.2).
Bei der Beurteilung der Frage, ob im ausländischen Abwesenheitsverfahren die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, verfügen die Rechtshilfebehörden des ersuchten Staates über einen erheblichen Ermessensspielraum (BGE 117 Ib 337 E. 5c S. 345; Urteil des Bundesgerichts 1A.261/2006 vom 9. Januar 2007 E. 3.2). Es kann nicht Aufgabe der Rechtshilfebehörden sein, die Wirksamkeit der Verteidigung im Einzelnen zu überprüfen; dies ist ihnen in aller Regel, mangels Kenntnis der Akten und der Verfahrensordnung des ersuchenden Staates, auch nicht möglich. Insofern kann ein Auslieferungshindernis allenfalls bei einer offensichtlich ungenügenden Verteidigung in Frage kommen (Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2005 vom 22. August 2005 E. 3.2.2).
5.2.3 Aus den Rechtshilfeakten ergibt sich im vorliegenden Zusammenhang das Folgende: Der Beschwerdeführer hatte sich gemäss erstinstanzlichem Urteil des Gerichts der Stadt Z./HU ([…], vgl. RR.2023.156, act. 1.11) anlässlich der öffentlichen Hauptverhandlung auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen, weshalb das Gericht seine Aussagen aus der Untersuchung verlesen liess. Es ergibt sich weiter, dass eine Verteidigung zu seinen Gunsten vorgetragen worden sein muss. Aus dem Umstand, dass eine Rechtsvertretung im Urteil nicht genannt wird, kann, wie sich nachfolgend zeigt, nicht abgeleitet werden, dass keine Verteidigung anwesend war. Weiter ergibt sich aus dem zweitinstanzlichen Urteil in dieser Sache des Bezirksgerichts Y./HU ([…], ebd.), dass der Beschuldigte und sein Verteidiger Beschwerde gegen das Urteil erhoben haben. Auch in diesem zweitinstanzlichen Verfahren wird im Rubrum keine Verteidigung genannt, obwohl eine solche in diesem Verfahren offensichtlich beteiligt war. Die entsprechenden Behauptungen des Beschwerdeführers erweisen sich mithin als falsch. Es gibt keine Hinweise darauf, dass seine elementaren Verfahrensrechte in der Strafsache, für deren Urteilsvollzug er ausgeliefert werden soll, verletzt worden wären. Die Beschwerde ist insoweit unbegründet.
5.3
5.3.1 Der Beschwerdeführer bringt in einem nächsten Punkt vor, dass sein schlechter gesundheitlicher Zustand gegen seine Auslieferung an Ungarn spreche, dass Ungarn eine hinreichende Behandlung nicht garantieren könne. Er rügte in seiner Stellungnahme vom 27. September 2023 (RR.2023.156, act. 1.24) und auch im neuen Verfahren, dass eine psychiatrische Abteilung in einer Justizvollzugsanstalt nicht den hohen Kriterien einer «geeigneten psychiatrischen Klinik» entspreche, wie das BJ jedoch verlangt habe. Eine Klinik sei eine medizinische Institution, welche als getrennt von einer Justizvollzugsanstalt zu verstehen sei. Die von Ungarn gelieferten Angaben erlaubten auch keine Prüfung der Anstalt. Gemäss dem Beschwerdeführer gebe es keine psychiatrischen Abteilungen in den ungarischen Strafanstalten (S. 1 f.).
5.3.2 Das BJ legt dar, dass gemäss dem aktuellsten Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter vom 17. März 2020 (Besuch im November 2018) Inhaftierte in ungarischen Gefängnissen grundsätzlich eine angemessene medizinische Versorgung erhielten. Bei psychiatrischen Notfällen würden Inhaftierte in die Gerichtsmedizinische Psychiatrische Beobachtungs- und Heilanstalt (IMEI) verlegt (vgl. Erwägung lit. G oben). Das IMEI sei eine psychiatrische Klinik mit drei Gebäuden innerhalb des Budapester Gefängnisses. Im IMEI würden neue Patienten von einem multidisziplinären Team umfassend untersucht und individuelle Behandlungspläne erstellt. Es gebe neben der medikamentösen Behandlung auch Einzel- und Gruppenpsychotherapien, psycho-pädagogische Therapien und es stünden verschiedene Arten von Rehabilitationsprogrammen (Kunst, Theater, Musik) zur Verfügung. Ungarn habe zugesichert, den Beschwerdeführer sofort im IMEI unterzubringen und zu untersuchen und ihn abhängig vom Untersuchungsergebnis die erforderliche Behandlung im Justizvollzug zu geben. Die BJ erachtet damit die verlangte Garantie als grundsätzlich abgegeben und die in Aussicht gestellte Behandlung als genügend. Der Beschwerdeführer werde in Ungarn die notwendige medizinische Betreuung erhalten. Eine besondere Härte gemäss dem ungarischen Vorbehalt zu Art. 1 EAUe liege damit nicht vor. Tatsächlich könne seine Behandlung in einem Land, dessen Sprache er spricht, effektiver sein als in der Schweiz, wo ihm aufgrund seines illegalen Aufenthaltes eine migrationsrechtliche Ausweisung drohe (RR.2023.156, act. 1.0 S. 9–11).
5.3.3 Bei Ländern mit bewährter Rechtsstaatskultur – insbesondere jenen Westeuropas – bestehen regelmässig keine ernsthaften Gründe für die Annahme, dass der Verfolgte bei einer Auslieferung dem Risiko einer die EMRK verletzenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Deshalb wird hier die Auslieferung ohne Auflagen gewährt. Demgegenüber gibt es Fälle, in denen zwar ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte im ersuchenden Staat einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein könnte, dieses Risiko aber mittels diplomatischer Garantien behoben oder jedenfalls auf ein so geringes Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint, so dass dem Auslieferungsersuchen, unter Auflagen, dennoch stattgegeben werden kann. Eine gänzliche Verweigerung der Auslieferung rechtfertigt sich nur ausnahmsweise, wenn das Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung auch mit diplomatischen Zusicherungen nicht auf ein Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint (BGE 148 IV 314 E. 3; 148 I 127 E. 4.4; 135 I 191 E. 2.3; 134 IV 156 E. 6.7; Urteil des Bundesgerichts 1C_592_2022 vom 4. September 2023 E. 4.1).
5.3.4 Die Begründung des BJ setzt sich mit den Verhältnissen im ungarischen Strafvollzug und der Behandlungsbedürftigkeit des Beschwerdeführers auseinander. Das Amt prüft insbesondere die reziproke Anwendung (BGE 148 IV 314 E. 2) des ungarischen Vorbehalts zum EAUe («Hungary reserves the right to refuse extradition on humanitarian grounds if it would cause particular hardship to the person claimed, for example, because of his youth, advanced age or state of health, or any other condition affecting the individual in question, having regard also to the nature of the offence and the interests of the requesting State»). Das BJ trägt der Verletzlichkeit des Beschwerdeführers angemessen Rechnung. Der Wortlaut der abgegebenen ungarischen Garantie entspricht dem, worum das BJ ersuchte. Die ungarische Garantie vom 18. September 2023 (act. 1.22) stellt auf jeden Fall sicher, dass die Schweiz ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen entspricht. Richtig ist, was der Beschwerdeführer rügt (RR.2023.156, act. 1.22; RR.2023.161, act. 1), dass die Garantie keine zeitliche Begrenzung der allfälligen medizinischen Massnahme nennt. Dazu ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer für den Vollzug eines Strafurteils von zwei Jahren Freiheitsstrafe ausgeliefert werden soll. Im Übrigen ist es an Ungarn, die Einhaltung der EMRK auf seinem Gebiet zu gewährleisten. Die Rüge ist unbegründet.
5.4
5.4.1 Der Beschwerdeführer bringt schliesslich vor, dass ihm bei einer Auslieferung drohe, Opfer von «Verschwindenlassen» zu werden, da Ungarn das Internationale Übereinkommen vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (SR 0.103.3) nicht unterzeichnet habe. Art. 16 Abs. 1 des Übereinkommens verbiete eine Auslieferung, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Person im Zielstaat Gefahr liefe, Opfer eines Verschwindenlassens zu werden (RR.2023.156, act. 1.24 S. 2; RR.2023.161, act. 1). Dem wirke auch die Garantie nicht entgegen. Sie äussere sich nicht dazu, wohin er nach der sogenannten «Untersuchung» durch die Behörden gebracht werde. Daher bestehe ein sehr grosses Risiko eines Verschwindenlassens. In Ungarn komme es unter der Regierung von Viktor Orban systematisch und weitverbreit zu Menschenrechtsverletzungen. Aus diesem Grund habe das Staatssekretariat für Migration SEM die Rücküberstellung von Personen aus der Schweiz nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens eingestellt (RR.2023.161, act. 1). Daran hält der Rechtsbeistand durch Verweis auf seine Stellungnahmen vom 9. August und vom 27. September 2023 im neuen Verfahren fest (RR.2024.10, act. 1.40, S. 4).
5.4.2 Das BJ setzt sich im neuen Auslieferungsentscheid vom 14. Februar 2024 mit der Rüge auseinander (act. 1.2 S. 10). Es weist zu Recht darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, ob der ersuchende Staat das internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (SR.0.103.3) ratifiziert habe. Ungarn garantiere als Mitglied des Europarates die Einhaltung der EMRK, womit ein hinreichender Schutz gewährleistet sei; und im Übrigen gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass Ungarn ein Problem mit dem Verschwindenlassen von Personen habe. Dem ist aus gerichtlicher Sicht nichts hinzuzufügen. Auch diese Rüge ist unbegründet.
6. Insgesamt erweisen sich die vorgebrachten Rügen als unbegründet. Es sind auch keine weiteren Auslieferungshindernisse ersichtlich. Die Beschwerde wie auch die Einrede des politischen Delikts sind damit abzuweisen. Die Auslieferung an Ungarn, wie angeordnet im Auslieferungsentscheid des BJ vom 14. Februar 2024 (Dispositiv Ziffer 1, erster Satz), ist damit zulässig.
7. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Bei der Festsetzung der Spruchgebühr kann gemäss Art. 63 Abs. 4bis VwVG der womöglich schwierigen finanziellen Situation des Beschwerdeführers Rechnung getragen werden (siehe u.a. die aufgrund der Auslieferungshaft erfolgte Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber; act. 6.14a). Die reduzierte Gerichtsgebühr ist auf Fr. 1'000.– festzusetzen (Art. 63 Abs. 5 VwVG i.V.m. Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und 8 Abs. 3 lit. a des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Beschwerde und die Einrede des politischen Delikts werden abgewiesen.
2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
Bellinzona, 13. Juni 2024
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- A. (Zustellung gegen Empfangsbestätigung)
- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung
Rechtsmittelbelehrung
Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Im Falle der elektronischen Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind (Art. 48 Abs. 2 BGG).
Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG).
Weiterzug
- 1C_366/2024 Nichteintreten
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