Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | RR.2023.165, RP.2023.48 |
Datum: | 25.01.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Kanton; Verfahren; Kantons; Verfahrens; Gesuch; Gerichtsstand; Verfahrensakten; Gerichtsstands; Staatsanwaltschaft; Gesuchsteller; Vergewaltigung; Behörde; Übernahme; Behörden; Erkenntnisse; Zuständigkeit; Beschwerdekammer; Unbekannt; Betrug; Untersuchung; Behörden; Verdacht; Taten; Verfolgung; Verfolgung; Überprüfung; Oberstaatsanwalt; örtlich |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 14 StPO ;Art. 20 StGB ;Art. 34 StPO ;Art. 38 StPO ;Art. 39 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 4 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 42 StPO ;Art. 423 StPO ;Art. 66 BGG ; |
Referenz BGE: | 87 IV 144; 92 IV 57; 97 IV 146; 98 IV 205; ; |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
BG.2023.41
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BG.2023.41 |
Beschluss vom 25. Januar 2024 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Miriam Forni und Patrick Robert-Nicoud, Gerichtsschreiber Stephan Ebneter | |
Parteien | Kanton Zug, Staatsanwaltschaft, Gesuchsteller | |
gegen | ||
Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft, Gesuchsgegner | ||
Gegenstand | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO) |
Sachverhalt:
A. Die Kantonspolizei Zürich rapportierte am 21. Januar 2023, ergänzt am 30. Januar 2023, gestützt auf Aussagen von A. unter anderem gegen B. und C. wegen Verdachts der Vergewaltigung, begangen im Dezember 2021 und im Februar 2022 in Z./ZG (Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug [nachfolgend «Verfahrensakten StA ZG»], 1A 2023 327, pag. 1/1/1, 1/1/2).
B. Am 14. Februar 2023 ersuchte die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug (nachfolgend «StA ZG») um Übernahme des gegen B., C. und Unbekannt geführten Verfahrens D-8/2022/10047077 (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/1).
C. Die StA ZG verfügte am 28. Februar 2023, dass das Verfahren gegen C. betreffend Vergewaltigung etc. durch sie übernommen werde. Vorbehalten blieben neue Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machten (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/2). Gleichentags lehnte sie die Übernahme des Verfahrens gegen B. betreffend Vergewaltigung etc. zunächst ab (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/2). Nach weiterem Meinungsaustausch zwischen der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland und der StA ZG (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/3, 7/4) verfügte die StA ZG am 20. März 2023, dass auch das Verfahren gegen B. betreffend Vergewaltigung etc. durch sie übernommen werde. Vorbehalten blieben neue Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machten (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/5).
D. Am 20. März 2023 verfügte die StA ZG, dass das von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Berner Jura-Seeland, geführte Verfahren BJS 23 1770 gegen C. betreffend einfache Körperverletzung und Tätlichkeiten durch sie übernommen werde. Vorbehalten blieben neue Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machten (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/6).
E. Am 13. April 2023 verfügte die StA ZG, dass das von der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland geführte Verfahren D-8/2023/10008479 gegen B. betreffend mehrfachen Betrug übernommen werde. Vorbehalten blieben neue Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machten (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/11).
F. Am 11. Mai 2023 verfügte die StA ZG, dass das vom Kanton Bern geführte Verfahren EO 23 5197 gegen B. betreffend Betrug durch sie übernommen werde. Vorbehalten blieben neue Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machten (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/14).
G. Mit Gerichtsstandsanfrage vom 6. Juli 2023 ersuchte die StA ZG die Oberstaatsanwaltschaft Zürich (nachfolgend «OStA ZH») um Übernahme der (unter den Verfahrensnummern 1A 2023 327, 1A 2023 328 und 1A 2023 329) geführten Strafuntersuchung gegen C., B. und Unbekannt. Zwischenzeitlich sei A. am 20. Juni 2023 befragt worden. Anlässlich der Befragung habe die Privatklägerin über eine weitere Vergewaltigung durch B. berichtet, die sich in Y./ZH ereignet habe. Diese Aussagen der Privatklägerin seien neue Erkenntnisse in der Strafuntersuchung gegen B., C. und Unbekannt, welche die Ausgangslage massgeblich veränderten und ein Zurückkommen auf den Anerkennungsentscheid vom 28. Februar 2023 resp. 13. April 2023 rechtfertigten (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/15). Die OStA ZH lehnte die Übernahme der Strafuntersuchung am 13. Juli 2023 ab (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/16).
H. Am 26. Juli 2023 ersuchte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl die StA ZG um Übernahme des gegen B., D. und E. geführten Verfahrens F-5/2023/10024323 wegen Verdachts des Betrugs etc. (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 328, pag. 7/17).
I. Unter Bezugnahme auf die Gerichtsstandsablehnung der OStA ZH vom 13. Juli 2023 ersuchte am 11. August 2023 die Oberstaatsanwältin der StA ZG die OStA ZH, für die Strafuntersuchung gegen C., B. und Unbekannt betreffend Vergewaltigung etc. den Gerichtsstand anzuerkennen (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/7; 1A 2023 328, pag. 7/18). Am 13. September 2023 lehnte die OStA ZH die Anerkennung des Gerichtsstands und Übernahme der Untersuchung ab, mit dem Hinweis, dass, sofern die Oberstaatsanwältin der StA ZG mit der Ablehnung nicht einverstanden sei, sie sich zwecks Durchführung des Meinungsaustauschs erneut an die OStA ZH wenden könne (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/8; 1A 2023 328, pag. 7/19). Auf nochmalige Nachfrage der Oberstaatsanwältin der StA ZG vom 19. September 2023 (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/9; 1A 2023 328, pag. 7/20) teilte die OStA ZH am 22. September 2023 mit, die Übernahme nach wie vor abzulehnen (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 7/10; 1A 2023 328, pag. 7/21).
J. Mit Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstands vom 5. Oktober 2023 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts beantragt der Leitende Oberstaatsanwalt der StA ZG, den Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich sei das Recht und die Pflicht zu übertragen, das Strafverfahren gegen C., B. und Unbekannt betreffend Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Nötigung, mehrfache einfache Körperverletzung etc. zu führen (act. 1).
K. Die OStA ZH beantragt mit Gesuchsantwort vom 16. Oktober 2023, der Antrag des Kantons Zug vom 5. Oktober 2023 sei abzuweisen und es seien die Strafbehörden des Kantons Zug für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die beschuldigten Personen (weiter) zu verfolgen und (weiter) zu beurteilen (act. 3). Die Gesuchsantwort wurde der StA ZG mit Schreiben vom 19. Oktober 2023 zur Kenntnis gebracht (act. 4).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter (Art. 39 Abs. 1 StPO). Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zuständig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzüglich über die wesentlichen Elemente des Falles und bemühen sich um eine möglichst rasche Einigung (Art. 39 Abs. 2 StPO). Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid (Art. 40 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG). Hinsichtlich der Frist, innerhalb welcher die ersuchende Behörde ihr Gesuch einzureichen hat, ist im Normalfall die Frist von zehn Tagen gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO analog anzuwenden (vgl. hierzu TPF 2019 62 E. 1; TPF 2011 94 E. 2.2). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Art. 14 Abs. 4 StPO).
1.2 Der Leitende Oberstaatsanwalt des Kantons Zug ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der Beschwerdekammer zu vertreten (§ 46 Abs. 4 des Gesetzes über die Organisation der Zivil- und Strafrechtspflege des Kantons Zug vom 26. August 2010 [Gerichtsorganisationsgesetz, GOG/ZG; BGS 161.1]). Auf Seiten des Gesuchsgegners steht diese Befugnis der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich zu (§ 107 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 [GOG/ZH; LS 211.1]). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass. Auf das Gesuch ist einzutreten.
2.
2.1 Der Gesuchsteller bringt vor, B. stehe im Verdacht, mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt zu haben, darunter auch zwei mit weiteren Personen im Dezember 2021 und Juli 2022 im Kanton Zug bzw. im Kanton Zürich begangene Vergewaltigungen i.S.v. Art. 190 Abs. 1 i.V.m. Art. 200 StGB. Diese seien mit gleicher Strafe bedroht, womit gemäss Art. 34 Abs. 1 StPO die Behörde des Ortes zuständig sei, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden seien. Die ersten Verfolgungshandlungen seien im Kanton Zürich vorgenommen worden, weshalb ohne Übernahme durch die Zuger Behörden der Gesuchsgegner für alle Strafuntersuchungen zuständig wäre (act. 1 S. 3).
2.2 Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO).
2.3 Es ist unbestritten, dass vorliegend die mit der schwersten Strafe bedrohten Taten die im Raum stehenden gemeinschaftlich begangenen Vergewaltigungen (Art. 190 Abs. 1 i.V.m. Art. 200 StGB) sind. Unbestritten ist auch, dass sich diese Straftaten einerseits in X./ZG und andererseits in Y./ZH ereignet haben sollen. Folglich sind die ersten Verfolgungshandlungen gerichtsstandsbestimmend (vgl. Art. 34 Abs. 1 StPO). Diese setzen einen örtlichen Anknüpfungspunkt voraus, denn die Handlungen einer Strafverfolgungsbehörde eines örtlich nicht zuständigen Kantons entfalten bei der Bestimmung des forum praeventionis keine Wirkungen (vgl. Baumgartner, Die Zuständigkeit im Strafverfahren, 2014, S. 179; Schweri/Bänziger, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl. 2004, N. 155). In diesem Sinne kann der Gerichtsstand der ersten Verfolgungshandlungen nur in einem Kanton begründet werden, dem an sich in der betreffenden Sache die Gerichtsbarkeit zusteht, nicht aber in einem Kanton, dessen Behörden sich vorläufig mit einer Sache befassen, die, für sich allein betrachtet, in einem anderen Kanton verfolgt werden müsste (BGE 92 IV 57 E. 3; 73 IV 58; 72 IV 92 E. 1). Ebenso ist die Einreichung einer Strafanzeige für das forum praeventionis nur von Bedeutung, wenn die Anzeige bei derjenigen Behörde eingereicht wird, welche zumindest einen örtlichen Anknüpfungspunkt zum beanzeigten Sachverhalt aufweist (Baumgartner, a.a.O. S. 179), bzw. ist eine auf Ersuchen eines andern Kantons durchgeführte Rechtshilfehandlung keine Verfolgungshandlung, wenn sachverhaltsmässig kein örtlicher Anknüpfungspunkt zum ersuchten Kanton besteht (vgl. Baumgartner, a.a.O., S. 177). Die Einvernahme von A. als beschuldigte Person durch die Kantonspolizei Zürich betraf eine Betrugsanzeige gegen sie als Täterin, und hatte ursprünglich keinen Bezug zu allfälligen Straftaten gegen sie als Opfer. Dies ist im Polizeirapport vom 21. Januar 2023 sehr klar ersichtlich: «Anlässlich einer Betrugsanzeige wurde A. durch mich, als beschuldigte Person, auf die Polizeistation W./ZH vorgeladen und schriftlich zum Tathergang befragt. Während der Einvernahme zur Person machte A. Aussagen, welchen den Verdacht auslöste, dass sie im Dezember 2021 [in X./ZG] Opfer eines Sexualdelikts wurde. Bei der im Anschluss durchgeführten Einvernahme zur Sache wurden weitere Erkenntnisse gewonnen und der Verdacht auf Vergewaltigung sowie auf weitere, durch die gleiche Täterschaft begangene Delikte, erhärtete sich» (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 1/1/1). Wie aus den Aussagen der Privatklägerin vom 24. Januar 2023 bei der Kantonspolizei Zürich hervorgeht, schilderte sie mehrere im Kanton Zug erfolgte sexuelle Übergriffe (Verfahrensakten StA ZG, 1A 2023 327, pag. 2/1/2). Zu diesen Sexualdelikten wies der Kanton Zürich keinen örtlichen Anknüpfungspunkt auf. Insofern bezogen sich die von ihm diesbezüglich getätigten Untersuchungshandlungen ausschliesslich auf Sexualstraftaten, welche im Kanton Zug erfolgt sein sollen, darunter auch die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat, welche im Dezember 2021 in Z./ZG erfolgt sei. Die Zürcher Behörden befassten sich somit vorläufig mit einer Sache, die im Kanton Zug verfolgt werden musste. Die entsprechenden im Kanton Zürich getätigten Handlungen sind daher für die Prävention unbeachtlich.
2.4 Nach dem Gesagten erweist sich das Gesuch bereits in diesem Punkt als unbegründet.
3.
3.1 Im Übrigen erweist sich das Gesuch auch als unbegründet, als sich der Gesuchsteller auf den Standpunkt stellt, die Aussagen der Privatklägerin vom 20. Juni 2023 rechtfertigten ein Zurückkommen auf die Gerichtsstandsanerkennung.
3.2 Ein nach den Art. 38–41 StPO festgelegter Gerichtsstand kann nur aus neuen wichtigen Gründen und nur vor der Anklageerhebung geändert werden (Art. 42 Abs. 3 StPO). In Frage kommen insbesondere eine Ermessensüberschreitung durch die Kantone beim Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand, das Fehlen eines Anknüpfungspunktes beim verfolgenden Kanton oder das Auftauchen neuer Tatsachen, wonach sich aus verfahrensökonomischen Gründen ein Wechsel des Gerichtsstands gebieterisch aufdrängt (Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2006.13 vom 21. August 2006 E. 4.1). Dagegen liegen keine wichtigen Gründe für eine Neubeurteilung des Gerichtsstands vor, wenn ein Teil der in die Untersuchung einbezogenen Handlungen aus der Strafverfolgung ausscheidet, wenn die verfolgten Handlungen nachträglich rechtlich anders gewürdigt werden, wenn weitere gleichartige Delikte hinzukommen oder wenn die Untersuchung kurz vor dem Abschluss steht (Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2012.9 vom 10. Mai 2012 E. 3.1; vgl. zum Ganzen Baumgartner, a.a.O., S. 428 f.; Bouverat, Commentaire romand, 2. Aufl. 2019, Art. 42 StPO N. 7; Kuhn, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 42 StPO N. 8 f.; Schlegel, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 42 StPO N. 6).
3.3 Mit Verfügungen vom 28. Februar 2023 und 20. März 2023 hat der Gesuchsteller den Gerichtstand für das vom Gesuchsgegner geführte Verfahren gegen B., C. und Unbekannt wegen Verdachts der Vergewaltigung etc. ausdrücklich anerkannt (vgl. supra lit. A–C). In der Folge hat der Gesuchsteller den Gerichtsstand auch noch für weitere von anderen Kantonen geführte Verfahren ausdrücklich anerkannt (vgl. supra lit. D–F).
3.4 Der Gesuchsteller bringt vor, die Übernahme des Gerichtsstands sei in unvollständiger Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse erfolgt. Wie der Übernahmeverfügung zu entnehmen sei, habe sich die Staatsanwaltschaft des Gesuchstellers bereit erklärt, die Untersuchung zu führen, vorbehältlich neuer Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machten. Neue Erkenntnisse lägen nun vor. Im Übrigen beruhe die Gerichtsstandsanerkennung auf einem Irrtum, der einem Revisionsgrund gleichzustellen wäre. Die Voraussetzungen von Art. 42 Abs. 3 StPO seien somit erfüllt.
Dem Gesuchsteller kann nicht gefolgt werden. Ob ein neuer wichtiger Grund vorliegt, beurteilt sich nach objektiven Gesichtspunkten, nicht nach den Überlegungen und Vorstellungen der Behörde, die den Gerichtsstand anerkannte. Auch wenn bei der Anerkennung ein Vorbehalt gemacht wurde, können diese Überlegungen und Vorstellungen nicht schlechthin massgebend sein (BGE 97 IV 146 E. 2; Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 175a und 530). Inwiefern der Gesuchsteller bei der Anerkennung des Gerichtsstands versehentlich erhebliche Tatsachen nicht berücksichtigt hätte, die sich – bereits damals – aus den Akten ergaben (vgl. BGE 98 IV 205 E. 2; Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 544), legt er nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.
3.5 Der Gesuchsteller bringt weiter vor, die Strafuntersuchung im Kanton Zug stehe am Anfang, wohingegen aus den Akten eindeutig hervorgehe, dass sich die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich schon mehrfach und seit längerem mit B. befassten. Dieser stehe unter dem Verdacht, sich des Betrugs resp. der Geldwäscherei strafbar gemacht zu haben. Im Kanton Zürich seien zunächst einmal drei Strafanzeigen gegen B. erstattet worden. Zwischenzeitlich sei der Rapport der Stadtpolizei Zürich vom 19. April 2023 der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug zur Prüfung des Gerichtsstands zugestellt worden. Aus dem Rapport gehe hervor, dass noch weitere 17 Geschädigte im Rahmen der Zürcher Ermittlungen festgestellt worden seien. Darüber hinaus habe der Kanton Zürich auch die Ermittlungen gegen C. betreffend einfache Körperverletzung zum Nachteil von F. und G. vorgenommen, habe der Tatort doch im Kanton Zürich gelegen. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zug müssten sich in all diesen Fällen in die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich einarbeiten, die Strafuntersuchung in enger Zusammenarbeit mit der Jugendanwaltschaft des Kantons Zürich führen, welche die Verfahren betreffend Betrug führe, da die «money mules» jeweils minderjährig gewesen seien und die Zuständigkeit diesbezüglich bei der Jugendanwaltschaft des Kantons Zürich liege. Aus praktischen und prozessökonomischen Gründen könne das nicht angehen.
Auch in diesem Punkt kann dem Gesuchsteller nicht gefolgt werden. Weder wiegen die neu hinzugekommenen Deliktvorwürfe schwerer (als der Vorwurf der Vergewaltigung i.S.v. Art. 190 Abs. 1 i.V.m. Art. 200 StGB) noch ergibt sich ein deutlich anderes Schwergewicht der mutmasslichen Delinquenz. Der Grundsatz der Verfahrenseinheit bringt regelmässig mit sich, dass ein Kanton auch kantonsfremde Dossiers behandeln muss.
4. Nach dem Gesagten ist das Gesuch abzuweisen, und es sind die Strafbehörden des Kantons Zug für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die den Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
5. Praxisgemäss ist bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten in der Regel (vgl. Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 649 ff.) keine Gerichtsgebühr zu erheben (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 Abs. 4 BGG per analogiam; vgl. schon BGE 87 IV 144).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Strafbehörden des Kantons Zug sind berechtigt und verpflichtet, die B., C. und Unbekannt zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
Bellinzona, 25. Januar 2024
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Staatsanwaltschaft des Kantons Zug
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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