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Entscheid des Bundesstrafgerichts: RR.2023.155 vom 09.08.2024

Hier finden Sie das Urteil RR.2023.155 vom 09.08.2024 - Beschwerdekammer: Strafverfahren

Sachverhalt des Entscheids RR.2023.155

Der Bundesstrafgericht BG.2024.40 hat einen Beschwerdekammerbeschluss vom 9. August 2024, in dem die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau gegen den Kanton St. Gallen und andere Strafbehörden wegen der Abtrennung des Verfahrens gegen A., B. und unbekannter Täterschaft zur Last gelegten Straftaten verlangt. Der Gesuchsteller, A., wird abgesetzt, da er die Zuständigkeit des Kantons St. Gallen nicht beanstandet hat, obwohl es vorliegend 22 Delikte zur Beurteilung stehen und sämtliche Mittäter von A. unbekannten Aufenthalts sind. Die Strafbehörden des Kantons St. Gallen werden berechtigt und verpflichtet erklärt, die A., B. und unbekannter Täterschaft zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen. Es werden keine Kosten erhoben. Der Beschwerdekammerbeschluss ist nicht ordentliches Rechtsmittel (Art. 79 BGG).

Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Strafverfahren

Fallnummer:

RR.2023.155

Datum:

09.08.2024

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Kanton; Verfahren; Verfahrens; Kantons; Gallen; Täter; Gerichtsstand; Gesuch; Staatsanwaltschaft; Mittäter; Übernahme; Untersuchung; Verfahrensakten; Täterschaft; Gerichtsstandsakten; Verfolgung; Beurteilung; Diebstahl; Thurgau; Untersuchungsamt; Altstätten; Graubünden; Kantone; Bundesstrafgerichts; Bischofszell; «E»; «F»

Rechtskraft:

Kein Rechtsmittel gegeben

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 139 StGB ;Art. 3 StPO ;Art. 31 StPO ;Art. 33 StPO ;Art. 34 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 7 BGG ;

Referenz BGE:

129 IV 202; 135 IV 158; 86 IV 222; ;

Entscheid des Bundesstrafgerichts

BG.2024.40

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2024.40

Beschluss vom 9. August 2024 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Miriam Forni und Giorgio Bomio-Giovanascini,

Gerichtsschreiberin Inga Leonova

Parteien

Kanton Thurgau, Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau,

Gesuchsteller

gegen

1.    Kanton St. Gallen, Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt Altstätten,

2.    Kanton Graubünden, Staatsanwaltschaft Graubünden,

3.    Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,

4.    Kanton Aargau, Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,

5.    Kanton Schaffhausen, Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO)

Sachverhalt:

A. A. wurde am 12. Oktober 2023 im Kanton Thurgau verhaftet. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft Bischofszell (nachfolgend «StA Bischofszell) gegen A. am 14. Oktober 2023 ein Strafverfahren mit dem Zeichen SUV_B.2023.1506 wegen mehrfachen, evtl. gewerbsmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs (Verfahrensakten TG, Allgemeine Akten, unpaginiert, Eröffnungsverfügung vom 14. Oktober 2023).

B. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl (nachfolgend «StA Zürich-Sihl) ersuchte die StA Bischofszell am 8. November 2023 um Übernahme des bei ihr hängigen Verfahrens mit dem Zeichen F3-/2003/10042288 gegen A. betreffend einen am 1./2. Juli 2023 in Zürich begangenen Einbruchsdiebstahl (Verfahrensakten TG, Allgemeine Akten, unpaginiert, Schreiben vom 8. November 2023).

C. Mit Schreiben vom 29. Januar 2024 lehnte die StA Bischofszell das Gesuch der StA Zürich-Sihl vom 8. November 2023 ab und ersuchte ihrerseits wiederum um Übernahme des mittlerweile gegen A. und B. (alias C.; nachfolgend «B.») geführten (Sammel-)Verfahrens SUV_B.2023.1506 wegen mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom 29. Januar 2024). Dieses Übernahmeersuchen lehnte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (nachfolgend «OStA ZH») am 20. Februar 2024 ab und ersuchte erneut um Übernahme des in Kanton Zürich hängigen Verfahrens (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom 20. Februar 2024).

D. In der Folge gelangte die StA Bischofszell mit Gerichtsstandsanfrage vom 29. Februar 2024 an diverse Staatsanwaltschaften der Kantone St. Gallen, Schaffhausen, Graubünden und Aargau und ersuchte um Übernahme des im Kanton Thurgau gegen A., B. und Unbekannt geführten Sammelverfahrens SUV_B.2023.1506, SUV_B.2024.184 und SUV_B.2024.353 (Dossiers S1-S22) u.a. wegen mehrfachen Diebstahls (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom 29. Februar 2024).

E. Mit Verfügung vom 6. März 2024 übernahm die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten, das Verfahren gegen A. Die Übernahme der Untersuchung gegen die übrigen Beschuldigte lehnte sie mit Schreiben vom 6. März 2024 mit der Begründung ab, A. sei inhaftiert, weshalb das Strafverfahren gegen ihn vordringlich zu führen sei. B. sei hingegen unbekannten Aufenthalts und somit nicht greifbar. Vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebotes und der Unerreichbarkeit von B. seien die Verfahren getrennt zu führen (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Verfügung und Schreiben vom 6. März 2024).

F. Die Staatsanwaltschaft Schaffhausen (nachfolgend «StA SH») lehnte das Gesuch der StA Bischofszell mit Schreiben vom 4. März 2024 ab und sprach sich für die Zuständigkeit des Kantons St. Gallen aus, der von ihr das Dossier S5 (dazumal gegen Unbekannt) bereits am 4. Dezember 2023 übernommen hatte (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom 4. März 2024). Die Staatsanwaltschaft Graubünden (nachfolgend «StA SG») lehnte das Übernahmeersuchen der StA Bischofszell mit Schreiben vom 6. März 2024 ab (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom 6. März 2024).

G. Mit Schreiben vom 12. März 2024 gelangte die StA Bischofszell erneut an die involvierten Staatsanwaltschaften der Kantone Schaffhausen, Aargau, St. Gallen, Zürich und Graubünden. Sie orientierte diese über die Übernahme des gegen A. geführten Verfahrens und über die Ablehnung der Übernahme des Verfahrens gegen B. und Unbekannt seitens des Untersuchungsamtes Altstätten. Zudem merkte sie an, dass die ersten B. resp. unbekannter Täterschaft vorgeworfen Taten nicht im Kanton Thurgau geschehen seien, weshalb sie die Akten der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (nachfolgend «GStA TG») zwecks Einleitung des Meinungsaustausches weiterleiten werde (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom 12. März 2024).

H. Daraufhin ersuchte die GStA TG am 2. Mai 2024 die OStA AG, OStA ZH, StA SH, StA GR und das Untersuchungsamt Altstätten um Übernahme des Sammelverfahrens gegen B. und drei unbekannte Täterschaften (mutmasslich D., «E.» und «F.») u.a. wegen bandenmässigen Diebstahls (Verfahrens—akten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom am 2. Mai 2024). Die OStA AG, OStA ZH, StA GR und StA SH lehnten das Übernahmeersuchen mit Schreiben vom 6., 14., 15. Mai und 5. Juli 2024 ab (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben vom am 6., 14., 15. Mai und 5. Juli 2024).

I. Mit Verfügung vom 17. Mai 2024 übernahm das Untersuchungsamt Altstätten das Verfahren gegen die unbekannte Täterschaft (mutmasslich D.) betreffend die Dossiers S1-S5 und lehnte zugleich die Übernahme des Verfahrens gegen B. und die übrige unbekannte Täterschaft ab. Der abschlägige Entscheid wurde damit begründet, dass durch die Abtrennung des Verfahrens gegen A. die Anknüpfung aufgrund von Mittäterschaft dahingefallen sei, weshalb sich die Zuständigkeit für jeden Täter nun nach seinen eigenen Taten und unabhängig von den Taten der anderen Mittäter richte (Verfahrensakten TG, Gerichtsstandsakten, unpaginiert, Schreiben und Verfügung vom 17. Mai 2024).

J. Mit Gesuch vom 10. Juli 2024 gelangte die GStA TG an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragt, der Kanton St. Gallen sei zur Verfolgung und Beurteilung der B. und den zwei unbekannten Tätern «E.» und «F.» zur Last gelegten Straftaten für berechtigt und verpflichtet zu erklären. Eventualiter seien die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Graubünden für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die B. und der unbekannten Täterschaft «F.» und jene des Kantons Zürich die der unbekannten Täterschaft «E.» zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen (act. 1).

K. Die OStA AG nahm zum Gesuch mit Eingabe vom 12. Juli 2024 Stellung (act. 3). Die StA SH verzichte am 15. Juli 2024 auf eine Gesuchsantwort (act. 4). Die OStA ZH und StA GR liessen sich zum Gesuch mit Eingaben vom 12. und 15. Juli 2024 vernehmen und sprachen sich für die Zuständigkeit des Kantons St. Gallen aus (act. 5-6). Das Untersuchungsamt Altstätten beantragte in der Stellungnahme vom 22. Juli 2024, den Kanton Graubünden und/oder den Kanton Zürich für berechtigt und verpflichtet zu erklären, das Strafverfahren gegen B., «E.» und «F.» zu führen, und reichte die Anklageschrift betreffend A. vom 14. Mai 2024 zu den Akten (act. 7). Die Gesuchsantworten wurden den Parteien gegenseitig zur Kenntnis zugestellt (act. 8).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form; vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. März 2014 E. 1) sind vorliegend erfüllt.

2.

2.1 Für die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem die Tat verübt worden ist (Art. 31 Abs. 1 und 2 StPO). Der Ausführungsort befindet sich dort, wo der Täter gehandelt hat (BGE 86 IV 222 E. 1; TPF 2022 154 E. 3.2 m.w.H.).

2.2

2.2.1 Ist eine Straftat von mehreren Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 33 Abs. 2 StPO). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO).

2.2.2 Begehen mehrere Beschuldigte zusammen in verschiedenen Kantonen mehrere Delikte, so sind Art. 33 und Art. 34 Abs. 1 StPO so miteinander zu kombinieren, dass in der Regel alle Mitwirkenden an dem Orte verfolgt werden, wo von einem Mittäter die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist. Bei gleich schweren Strafdrohungen bestimmt sich der Gerichtsstand für alle Beteiligten nach dem Ort, wo die Verfolgungshandlungen zuerst vorgenommen worden sind (vgl. u. a. die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2016.28 vom 25. Oktober 2016 E. 2.1; BG.2016.19 vom 20. Juli 2016 E. 2.2; BG.2016.14 vom 14. Juni 2016 E. 2.2; jeweils m.w.H.). Die schwerste Tat im gerichtsstandsrechtlichen Sinn ist diejenige mit der höchsten abstrakten gesetzlichen Strafdrohung, wobei Qualifizierungs- und Privilegierungselemente des besonderen Teils des StGB, welche den Strafrahmen verändern, zu berücksichtigen sind (Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2010.14 vom 20. September 2010 E. 2.1).

2.3 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften unter einander auch) einen anderen als den in Art. 31-37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO). Ein solches Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann aus Zweckmässigkeits-, Wirtschaftlichkeits- oder prozessökonomischen Gründen gerechtfertigt sein, soll indes die Ausnahme bleiben (BGE 129 IV 202 E. 2 S. 203; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.8 vom 9. April 2014 E. 2.1 m.w.H.). Aus Zweckmässigkeitsgründen kann ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand u.a. gerechtfertigt sein, wenn mehrere Tätergruppen zu beurteilen sind. Eine Aufteilung des Verfahrens nach verschiedenen Tätergruppen soll in der Regel nur vorgenommen werden, wenn zwei oder mehrere Tätergruppen zur Hauptsache unabhängig voneinander gehandelt haben und nur wenige Querverbindungen zwischen ihnen bestanden, so dass sich eine geteilte Verfolgung und Beurteilung ohne grosse Schwierigkeiten durchführen lässt und sich auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie aufdrängt (vgl. zum Ganzen eingehend Schweri/Bänziger, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl. 2004, N. 491 ff. m.w.H.; s.a. Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2008.26 vom 8. Januar 2009 E. 3.1; Moser/Schlapbach, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 38 StPO N. 6 m.w.H.).

2.4 Die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage richtet sich nach der aktuellen Verdachtslage. Massgeblich ist nicht, was der beschuldigten Person letztlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder sei sicher ausgeschlossen. Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore, wonach im Zweifelsfall auf den für den Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.10 vom 10. Juni 2014 E. 2.1).

3.

3.1 Der Gesuchsteller begründet sein Gesuch im Hauptpunkt dahingehend, dass er die Abtrennung des Verfahrens durch den Kanton St. Gallen nicht beanstande, da A. inhaftiert sei, B. unbekannten Aufenthalts sei und die anderen Mittäter (noch) völlig unbekannt seien. Die Abtrennung des Verfahrens gegen A. vom Strafverfahren gegen seine Mittäter ändere jedoch nichts an der Zuständigkeit des Kantons St. Gallen, da dort der erste bandenmässige Diebstahl begangen und angezeigt worden sei. Damit ergebe sich die Zuständigkeit des Kantons St. Gallen auch zur Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten, auch wenn A. als Bindeglied zwischen den einzelnen Tätern bzw. Tätergruppen separat verfolgt werde. Dies gelte umso mehr, als nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei der unbekannten Täterschaft – mutmasslich D. – auch um einen der Mittäter handeln könnte, welche von A. als «E.» und «F.» bezeichnet worden seien (act. 1, S. 5 ff.).

3.2 Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 139 Ziff. 1 StGB). Der Dieb wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft, wenn er gewerbsmässig stiehlt (Art. 139 Ziff. 3 lit. a StGB) oder den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat (Art. 139 Ziff. 3 lit. b StGB). Nach der Rechtsprechung ist Bandenmässigkeit gegeben, wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im Einzelnen möglicherweise noch unbestimmter Straftaten zusammenzuwirken (BGE 135 IV 158 E. 2 und E. 3).

3.3

3.3.1 Gemäss der Darstellung im Gesuch (act. 1, S. 3 f.), die der Anklageschrift des Untersuchungsamtes Altstätten vom 14. Mai 2024 entspricht (act. 7.1), wird A. verdächtigt, zwischen 24. September 2022 und 12. Oktober 2023 in diversen Kantonen 22 Einbruchsdiebstähle (Dossier S1-S22) begangen zu haben. Abgesehen von den Einbruchsdiebstählen S6-S10 soll A. die Delikte jeweils mit mindestens einer weiteren Person begangen haben. Namentlich soll er die Einbruchsdiebstähle S1-S5, welche das Untersuchungsamt Altstätten bereits am 17. Mai 2024 übernommen hat, zusammen mit unbekannter Täterschaft (mutmasslich D.) in den Kantonen St. Gallen und Schaffhausen verübt haben. Die Tat S1 und S2, beide begangen am 24. September 2022, wurden im Kanton St. Gallen am 24. September 2022 (23:42 Uhr) und 25. September 2022 (2:12 Uhr) angezeigt. Die Einbruchsdiebstähle S11-S15 in den Kantonen Zürich und Thurgau habe A. mit «E.» und S16-S17 sowie S22 im Kanton Graubünden mit B. begangen, wobei es sich bei S16 um geringfügigen Diebstahl und Sachbeschädigung handelt. Schliesslich wird A. vorgeworfen, die Einbruchsdiebstähle S18-S21 in den Kantonen Zürich, Thurgau und Aargau zusammen mit B. und «F.» verübt zu haben.

3.3.2 Dass die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat der bandenmässig begangene Diebstahl ist, ist zwischen den Parteien unbestritten. Der Gesuchsteller legt ausführlich und unter Verweis auf bisherige Ermittlungsergebnisse nachvollziehbar dar, weshalb er davon ausgeht, dass A. bei den Einbruchsdiebstählen S1-S5 zusammen mit einer weiteren Person (mutmasslich D.) im Sinne einer Bande gehandelt haben soll (act. 1, S. 4). Da Mittäter grundsätzlich gemeinsam verfolgt und beurteilt werden, liegt der gesetzliche Gerichts—stand für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Mittäter oder/und Teilnehmer im Kanton St. Gallen, wo die ersten Verfolgungshandlungen des bandenmässigen Diebstahls vorgenommen worden sind (vgl. Art. 29 Abs. 1 lit. b und Art. 33 Abs. 1 StPO; supra E. 2.2). Dies wird vom Kanton St. Gallen nicht in Abrede gestellt (act. 7, S. 2). Vielmehr wendet er gegen seine Zuständigkeit ein, es lägen für eine Verfahrenstrennung sachliche Gründe i.S.v. Art. 30 StPO vor, da A. festgenommen, mit den Tatvorwürfen konfrontiert und angeklagt worden sei. B., «F.» und «E.» seien hingegen unbekannten Aufenthalts und hätten – anders der ebenfalls nicht anwesende D. – im Kanton St. Gallen kein Delikt begangen. Wurden die Strafverfahren nach Art. 30 StPO getrennt, entfalle der gerichtsstandsrelevante Anknüpfungspunkt der Mittäterschaft für diesen Beschuldigten und es gelte wieder die örtliche Zuständigkeit. Um zu vermeiden, dass gegen Mittäter widersprüchliche Urteile hinsichtlich Sachverhaltsfeststellung, rechtlicher Würdigung und Strafzumessung ergehe, sei konsequent – während laufender Untersuchung und mit abschliessendem Urteil – auf eine Eintragung im Strafregister zu achten (act. 7, S. 2 f.).

3.3.3 Die vom Kanton St. Gallen vorgebrachten Argumente für die getrennte Verfahrensführung stellen keine triftigen Gründe dar, welche vorliegend ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand gebieten. Gestützt auf das im Gesuch Dargelegte lässt sich nicht feststellen, dass es sich um verschiedene voneinander unabhängige Tätergruppen handelt, welche unter sich nur wenige Querverbindungen aufweisen würden. Insbesondere soll A. an allen bisher bekannten 22 Delikten beteiligt gewesen sein. Da die vier mutmasslichen Mittäter von A. derzeit unbekannten Aufenthalts sind und zu den Vorwürfen bisher nicht einvernommen werden konnten, stehen die zwischen ihnen und A. bestehenden Querverbindungen noch nicht fest. Laut Gesuchsteller kann sogar nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der unbekannten Täterschaft der als S1-S5 erfassten Taten (mutmasslich D.) auch um einen der Mittäter handeln könnte, welcher von A. als «E.» und «F.» bezeichnet worden sei (supra E. 3.1). Da vorliegend 22 Delikte zur Beurteilung stehen und sämtliche Mittäter von A. unbekannten Aufenthalts sind, wird mit der Führung der Verfahren in mehreren Kantonen kein vom Gesuchsteller befürchtete Grossprozess verhindert, weshalb auch keine prozessökonomischen Gründe für das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand sprechen. Dies gilt umso mehr, als der Kanton St. Gallen die 22 gegenüber A. erhobenen Tatvorwürfe bereits angeklagt und auch die Dossier S1-S5, mutmasslich begangen von A. und D., im Mai 2024 übernommen hat. Die vorliegend mutmasslich mittäterschaftlich verbundenen Beschuldigten sind unter diesen Umständen einheitlich zu beurteilen. Die vom Kanton St. Gallen bereits vorgenommene Trennung der Verfahren steht der einheitlichen Beurteilung nicht entgegen, da diese auch durch die getrennte, jedoch durch dieselbe Behörde vorgenommene Beurteilung sichergestellt werden kann (vgl. Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2008.26 vom 8. Januar 2009 E. 3.2).

4. Das Gesuch ist gutzuheissen, und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Kantons St. Gallen berechtigt und verpflichtet zu erklären, die A., B. und unbekannter Täterschaft zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

5. Praxisgemäss ist bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten keine Gerichtsgebühr zu erheben (TPF 2023 130 E. 5.1 mw.H.).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafbehörden des Kantons St. Gallen sind berechtigt und verpflichtet, die A., B. und unbekannter Täterschaft zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

2. Es werden keine Kosten erhoben.

Bellinzona, 9. August 2024

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau

- Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten

- Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau

- Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Allgemeine Abteilung

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben (Art. 79 BGG).

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