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Entscheid des Bundesstrafgerichts: BG.2023.59 vom 07.02.2024

Hier finden Sie das Urteil BG.2023.59 vom 07.02.2024 - Beschwerdekammer: Strafverfahren

Sachverhalt des Entscheids BG.2023.59

Der Bundesstrafgericht BG.2023.52 hat einen Gerichtsstandskonflikt zwischen den beiden Strafverfolgungsbehörden des Kantons Appenzell Innerrhoden (StA AI) und dem Kanton St. Gallen (StA SG) hinsichtlich der Verfahren ST.2021.459, ST.2022.362 und UT.2023.88 zur Last gelegten Straftaten betreffend mutmasslich mangelhaft geführte Buchhaltungen der von A. beherrscheten Gesellschaften B. AG (mit Sitz an der X.-Strasse, Y. [AI]) und C. GmbH (mit Sitz an der W.-Strasse, Y. [AI]). Der Gesuchsteller, D., hat seine Zuständigkeit konkludent anerkannt. Der Bundesstrafgericht BG.2023.52 hat die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts abgewiesen und es ist nicht berechtigt und verpflichtet, die den Beschuldigten in den Verfahren ST.2021.459, ST.2022.362 und UT.2023.88 zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat keinen Rechtsmittelbelehrung gegeben.

Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Strafverfahren

Fallnummer:

BG.2023.59

Datum:

07.02.2024

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Verfahren; Kanton; Verfahrens; Gesellschaft; Verfahrensakten; Appenzell; Ordner; Lasche; Innerrhoden; Gallen; Gesuch; Konkurs; Gerichtsstand; Gesellschaften; Gesuchs; Übernahme; Kantons; Staatsanwalt; Person; Bundesstrafgerichts; Beschluss; Beschwerdekammer; Gossau; Anzeige; Polizei; Gesuchsteller; Misswirtschaft

Rechtskraft:

Kein Rechtsmittel gegeben

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 13 StGB ;Art. 15 StGB ;Art. 165 StGB ;Art. 18 DBG ;Art. 3 StPO ;Art. 31 StPO ;Art. 34 StPO ;Art. 36 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 423 StPO ;Art. 66 BGG ;

Referenz BGE:

129 IV 202; 86 IV 222; 87 IV 144; ;

Entscheid des Bundesstrafgerichts

BG.2023.52

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2023.52

Beschluss vom 7. Februar 2024 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Daniel Kipfer Fasciati und Miriam Forni,    

Gerichtsschreiberin Inga Leonova

Parteien

Kanton Appenzell I.Rh., Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell I.Rh.,

Gesuchsteller

gegen

Kanton St. Gallen, Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO)

Sachverhalt:

A. Im Zusammenhang mit mutmasslich mangelhaft geführten Buchhaltungen der von A. beherrschten Gesellschaften B. AG (mit Sitz an der X.-Strasse, Y. [AI]) und C. GmbH (mit Sitz an der W.-Strasse, Y. [AI]) erstattete die Kantonale Steuerverwaltung Appenzell Innerrhoden (nachfolgend «Steuerverwaltung AI») am 6. Oktober 2021 bei der Staatanwaltschaft Appenzell Innerrhoden (nachfolgend «StA AI») Strafanzeige wegen des Verdachts auf Steuerbetrug nach Art. 181 StG und Art. 186 DBG für die Steuerperiode Januar bis Dezember 2019 (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Urk. S1/1). In der Folge eröffnete die StA AI das Verfahren ST.2021.459 und beauftragte am 20. Oktober 2021 die Kantonspolizei Appenzell Innerrhoden (nachfolgend «Polizei AI») mit der Durchführung der erforderlichen Ermittlungen (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Urk. S 1/2).

B. D. war im Handelsregister ab dem 21. August 2019 als geschäftsführender Gesellschafter der F. GmbH eingetragen. Am 7. Februar 2020 eröffnete das Bezirksgericht Appenzell Innerrhoden über die Gesellschaft Konkurs. Mit Rapport vom 23. August 2022 hielt die Polizei AI zuhanden der StA AI in Bezug auf den Verdacht der Misswirtschaft fest, dass D. den Konkurs der F. GmbH verschleppt habe, indem er trotz Anzeichen der Überschuldung nicht die für diese Situation gemäss OR vorgeschriebenen Massnahmen ergriffen und dadurch ermöglicht habe, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft verschlimmere (Verfahrensakten AI, Ordner 2, Lasche S2, Urk. S2/1). Dieses Verfahren wird bei der StA AI unter der Geschäftsnummer ST.2022.362 geführt.

C. Am 23. November 2022 erstattete der Steuerberater der C. GmbH und B. AG bei der Polizei Gossau Strafanzeige und gab an, Ungereimtheiten bei der Prüfung der Buchhaltung für das Jahr 2021 festgestellt zu haben. Es seien vom Firmenkonto Bargeldbeträge ohne Belege und ohne erkennbare Gegenleistung von weit über Fr. 2 Mio. abgehoben und mutmasslich für Erwerb von vier Liegenschafen im Raum St. Gallen verwendet worden. In der Folge eröffnete der Kanton St. Gallen gegen D. unter der Geschäftsnummer ST.2022.40151 ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Veruntreuung, eventuell ungetreue Geschäftsbesorgung (Verfahrensakten SG, ST.2022.40151, Urk. S/1 und D/1). In der Folge ersuchte das Untersuchungsamt Gossau (nachfolgend «StA Gossau») die StA AI am 14. Dezember 2022 um Übernahme des im Kanton St. Gallen hängigen Verfahrens ST.2022.40151 gegen D. (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche GS, Urk. GS 1).

D. Unter Verweis auf das gleichentags stattgefundene Telefongespräch teilte die zuständige Staatsanwältin bei der StA Gossau der StA AI mit E-Mail vom 25. Januar 2023 mit, dass der leitende Staatsanwalt in der Gerichtsstandsfrage in der kommenden Woche ein Telefonat seitens des leitenden Staatsanwaltes der StA AI erwarte (Verfahrensakten SG, ST.2022.40151, Urk. GS/2).

E. Am 11. April 2023 liessen A. und die B. AG bei der StA AI Strafanzeige wegen Betrugs, Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung etc. gegen Unbekannt einreichen, wobei als mutmasslich verantwortliche Personen D. und dessen Bruder genannt wurden (Verfahrensakten AI, Ordner 3, Lasche S4, Urk. S4/1). Mit Schreiben vom 4. Juli und 3. August 2023 ergänzten sie ihre Strafanzeige (Verfahrensakten AI, Ordner 3, Lasche S4, Urk. S4/3-S4/4). Daraufhin eröffnete die StA AI das Strafverfahren UT.2023.88 (Verfahrensakten AI, Ordner 3, Lasche S4, Urk. S4/6).

F. Mit Schreiben vom 1. Juni 2023 gelangte das Kantonale Untersuchungsamt St. Gallen (nachfolgend «StA SG») an die StA AI und ersuchte um Übernahme des bei ihr gegen D. hängigen Verfahrens ST.2022.25405 wegen Geldwäscherei. Das Ersuchen wurde damit begründet, dass der Kanton St. Gallen ein Strafverfahren in Bezug auf eine aus Albanien und dem Kosovo operierende Täterschaft führe, welche im Internet betrügerische Investmentplattformen betrieben habe. Im Rahmen dieser Ermittlungen seien deliktische Geldflüsse zuhanden der C. GmbH festgestellt worden. Daher werde gegen D. als verantwortliche Person der C. GmbH bzw. für den Empfang der deliktischen Gelder wegen Geldwäscherei ermittelt. Im Kanton Appenzell Innerrhoden sei gegen ihn u.a. ein Verfahren wegen Misswirtschaft und damit wegen eines schwerwiegenderen Delikts hängig (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche GS, Urk. GS 4).

G. Mit Schreiben vom 23. August 2023 lehnte die StA AI die Übernahme der Ersuchen vom 14. Dezember 2022 (Verfahren ST.2022.40151) und 1. Juni 2023 (Verfahren ST.2022.25405) ab und ersuchte ihrerseits um Übernahme der bei ihr hängigen Verfahren ST.2021.459, ST.2022.362 und UT.2023.88 (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche GS, Urk. GS 5).

H. Im Verfahren ST.2021.459 ging bei der StA AI am 5. September 2023 der (Sammel-)Bericht der Polizei AI vom 4. September 2023 ein, in welchem A. und D. als beschuldigte Personen aufgeführt wurden. Im Bericht wurde darauf hingewiesen, dass D. bei der C. GmbH über Einzelunterschrift verfüge und ausserdem bei weiteren Gesellschaften, wovon die meisten in Liquidation (darunter auch B. AG und C. GmbH), in diversen Kantonen als Vertreter aufgeführt werde. Abschliessend wurde auf den von der Polizei AI an die StA AI bereits am 23. August 2022 erstatteten Rapport wegen des Verdachts auf Misswirtschaft im Zusammenhang mit der F. GmbH hingewiesen (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Urk. S1/3).

I. Im Sinne eines abschliessenden Meinungsaustausches lehnten die Kantone St. Gallen und Appenzell Innerrhoden mit Schreiben vom 4. September und 17. Oktober 2023 ihre Zuständigkeit ab und hielten an ihren jeweiligen Übernahmeersuchen fest (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche GS, Urk. GS/6 und GS/7).

J. Daraufhin gelangte die StA AI mit Gesuch vom 22. November 2023 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragt, die Behörden des Kantons St. Gallen seien zur Verfolgung und Beurteilung der vornehmlich D. in den Verfahren ST.2021.459, ST.2022.362 und UT.2023.88 vorgeworfenen Delikte für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).

K. Das Schreiben vom 6. Dezember 2023, worin der leitende Staatsanwalt der StA Gossau die Abweisung des Gesuchs beantragte, wurde der StA AI am darauffolgenden Tag zur Kenntnis gebracht (act. 3, 4).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form; vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. März 2014 E. 1) sind vorliegend erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf das Gesuch ist einzutreten.

2.

2.1 Für die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem die Tat verübt worden ist (Art. 31 Abs. 1 und 2 StPO). Der Ausführungsort befindet sich dort, wo der Täter gehandelt hat (BGE 86 IV 222 E. 1). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO).

2.2 Die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage richtet sich nach der aktuellen Verdachtslage. Massgeblich ist nicht, was der beschuldigten Person letztlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder sei sicher ausgeschlossen. Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore, wonach im Zweifelsfall auf den für den Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.10 vom 10. Juni 2014 E. 2.1).

3.

3.1 Der Gesuchsteller begründet sein Gesuch damit, dass sich die verschiedenen Verfahren in der Hauptsache nicht gegen die Gesellschaften, sondern gegen D. richten würden. D. habe sein Geschäftsdomizil und Wohnsitz stets im Kanton St. Gallen gehabt und habe keine Bezugspunkte zum Kanton Appenzell Innerrhoden, weshalb er jegliche Handlungen als faktisches Organ der Gesellschaften im Kanton St. Gallen getätigt habe. Am Sitz der drei fraglichen Gesellschaften (F. GmbH, B. AG und C. GmbH), soweit dieser in Y. (AI) gewesen sei, hätten keine Geschäftstätigkeiten stattgefunden. Im Kanton Appenzell Innerrhoden habe es nur einen Briefkasten gegeben und die Korrespondenz sei per Nachsendeauftrag in den Kanton St. Gallen geleitet worden. Es handle sich daher um fiktive Sitze. Der Tatort liege mithin im Kanton St. Gallen, weshalb auch die Vornahme erster Ermittlungen gemäss Art. 34 StPO durch die StA AI irrelevant sei (act. 1).

3.2 Der Gesuchsgegner wendet dagegen im Wesentlichen ein, die F. GmbH habe im Kanton Appenzell Innerrhoden nicht nur einen fiktiven Sitz. Nach deren Übernahme durch D. im August 2019 sei der Sitz in Y. (AI) gewesen, wo auch der Konkurs eröffnet worden sei. Dasselbe gelte für die anderen beiden Gesellschaften. Da die Vorwürfe der Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Misswirtschaft gleichhohe Strafdrohung aufweisen, komme es darauf an, wo die ersten Verfolgungshandlungen vorgenommen worden seien. Dies sei im Kanton Appenzell Innerrhoden geschehen. Ausserdem sei von einer konkludenten Anerkennung des Gerichtsstandes durch den Gesuchsgegner auszugehen, da von der ersten Anzeige bis zum vorliegenden Gerichtsstandskonflikt mehr als ein Jahr vergangen sei (act. 3).

3.3

3.3.1 Gemäss Art. 36 Abs. 1 StPO sind bei Straftaten nach den Artikeln 163–171bis StGB die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig. Betreibungs- und Konkursdelikte sollen an ihrem Ursprungsort, in der Regel am Sitz der betreffenden Unternehmung (regelmässig gleichzeitig Ort der Zwangsvollstreckung), verfolgt werden, da an diesem Ort die Beweise am besten gesammelt werden können (Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2011.5 vom 1. Juni 2011 E. 2.2 m.w.H.). Dabei ist massgeblich, wo sich der Sitz zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung befunden hat (vgl. die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2018.1 vom 2. März 2018 E. 2.2; BG.2016.4 vom 7. Juni 2016 E. 3.1; BG.2015.23 vom 24. August 2015 E. 3.1; s.a. TPF 2011 178 E. 3.3). Ist der (formelle) Sitz rein fiktiv, bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Geschäftssitz bzw. Wohnsitz des Schuldners (Moser/Schlapbach, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 36 StPO N. 2 m.w.H.; Schlegel, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 2020, Art. 36 StPO N. 2). Die Annahme eines fiktiven Sitzes darf nicht leichthin angenommen werden. Sie drängt sich nur auf, wenn konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass dieser bloss vorgeschoben und die effektive Geschäftstätigkeit anderswo vorgenommen wird (Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2016.4 vom 7. Juni 2016 E. 3.1; für zahlreiche Beispiele vgl. Beschluss der Beschwerdekammer BG.2018.14 vom 14. August 2018 E. 3.1-3.4).

3.3.2 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften unter einander auch) einen anderen als den in Art. 31-37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO). Ein solches Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann aus Zweckmässigkeits-, Wirtschaftlichkeits- oder prozessökonomischen Gründen gerechtfertigt sein, soll indes die Ausnahme bleiben (BGE 129 IV 202 E. 2 S. 203; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.8 vom 9. April 2014 E. 2.1 m.w.H.).

3.4

3.4.1 Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass die D. vorgeworfenen Tatbestände der Misswirtschaft (Art. 165 Ziff. 1 StGB), der Veruntreuung (Art. 138 StGB) und der ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) die mit der schwersten Strafe bedrohten Delikte darstellen. Aktenkundig ist, dass der angezeigte Sachverhalt in Bezug auf die Misswirtschaft im Zusammenhang mit der F. GmbH am 23. August 2022 im Kanton Appenzell Innerrhoden und damit vor Eingang der Strafanzeige betreffend die C. GmbH und B. AG vom 23. November 2022 im Kanton St. Gallen erfolgt ist. Dementsprechend ist für die Bestimmung des Gerichtsstandes grundsätzlich der Sitz der F. GmbH massgebend.

3.4.2 Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung am 18. Februar 2020 hatte die F. GmbH ihren Sitz in Y. (AI), wo in Anwendung von Art. 36 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch der ordentliche Gerichtsstand liegt. Die Gesellschaft wurde im März 2015 durch E. gegründet und hatte ihren Sitz in Z. (SG). Mit deren Übernahme durch D. per 21. August 2019 wurde der Sitz gleichentags nach Y. (AI) verlegt. D. gab anlässlich der Konkurseröffnung an, dass er mit der Gesellschaft seit seiner Übernahme keinerlei Aufträge ausgeführt habe und die Gesellschaft daher inaktiv gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung bestanden laut D. weder Miet- noch Arbeitsverträge (Verfahrensakten AI, Ordner 2, Lasche S2, Konkurseinvernahme vom 18. Februar 2020). E. bestätigte, dass bei Konkurseröffnung keine Arbeitsverträge bestanden und gab an, dass ein Mitarbeiter im Jahr 2018 für ca. ein halbes Jahr bei der Gesellschaft tätig gewesen sei. Das Inventar der Konkursitin bestand hauptsächlich aus einer Forderung gegenüber dem Gesellschafter E., der angab, bis 2019 gratis gearbeitet und dies mit dem Lohn verrechnet zu haben (Verfahrensakten AI, Ordner 2, Lasche S2, Konkurseinvernahme vom 26. Februar 2020). Gestützt auf diese Angaben ist anzunehmen, dass die Gesellschaft seit der Übernahme durch D. im August 2019 weder an ihrem Sitz noch am Wohnsitz ihres Gesellschafters aktiv war. Die Feststellung der Polizei AI im Rapport vom 23. August 2022, wonach allfällige Geschäftstätigkeit der F. GmbH nach der Verlegung des Gesellschaftssitzes per 21. August 2019 in Y. (AI) ausgeführt worden sein dürfte (Verfahrensakten AI, Ordner 2, Lasche S2, Urk. S2/1), stellt wohl lediglich eine nicht zutreffende Mutmassung dar. Die Polizei AI hat diesbezüglich – soweit ersichtlich – keine Abklärungen vorgenommen. Unter diesen Umständen sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, dass die effektive Geschäftstätigkeit der F. GmbH nach der Sitzverlegung im August 2019 in Z. (SG) vorgenommen worden und der Sitz in Y. (AI) lediglich vorgeschoben wäre. Damit besteht kein Anlass, vom ordentlichen Gerichtsstand am Konkursort abzuweichen. Das Gesuch ist daher abzuweisen.

3.5 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Ansicht des Gesuchstellers, wonach A. lediglich «vorgeschobene Person» bzw. «Sündenbock» von D. gewesen sei, angesichts der vorliegenden Verfahrensakten nicht überzeugt. Zwar werden die Rollen der mutmasslich Beteiligten erst im Strafverfahren zu klären sein und gestützt auf bisherige Erkenntnisse ist anzunehmen, dass in den angezeigten Sachverhalten D. möglicherweise die Hauptfigur darstellt, die ausschliesslich oder hauptsächlich im Kanton St. Gallen gehandelt hat. Dennoch ergeben sich aus den vorliegenden Akten diverse Hinweise dafür, dass A. von seinem Wohn- und Geschäftsort in Y. (AI) für die C. GmbH und B. AG Handlungen vorgenommen hat und in die mutmasslich deliktischen Handlungen von D. involviert sein könnte. A. gründete im Jahr 2018 die C. GmbH und ist im Handelsregister als deren einziges Organ eingetragen. Ebenso wurde er nach der Übernahme der B. AG im April 2019 als deren einziges Organ im Handelsregister eingetragen. Bei beiden Gesellschaften war A. einzelunterschriftberechtigt (Verfahrensakten AI, Ordner 3, Lasche S4, Urk. S4/1, Beilage 3). Ferner hatte A. seinen Wohn- und Geschäftssitz als Einzelunternehmer an derselben Adresse (X.-Strasse, Y. [AI]) wie die B. AG (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Register 14, Personen- und Firmenabklärungen). An der Geschäftsadresse der C. GmbH (W.-Strasse, Y. [AI]) könnte die Einzelfirma von A. laut den polizeilichen Abklärungen im Parterre ihr Magazin bzw. ihre Werkstatt haben (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Urk. S1/3, Register 14, Liegenschaftsabklärungen). Der Umstand, dass A. D. die Geschäftsführung der beiden Gesellschaften überlassen und ihn damit faktisch zum Organ der beiden Gesellschaften gemacht haben soll, wie dies von ihm behauptet wird, führt nicht zwangsläufig dazu, dass A. für sie keine Handlungen vorgenommen hat und an deren Geschäftstätigkeit in keiner Weise beteiligt war. Beispielsweise führte A. in seiner Strafanzeige vom 11. April 2023 aus, D. habe ihn Ende August 2022 aufgefordert, offene Betreibungen der C. GmbH in der Höhe von ca. Fr. 30'000.-- beim Betreibungsamt Appenzell Innerrhoden zu bezahlen, was er auch getan habe. Nachdem A. vom Betreibungsamt Appenzell Innerrhoden gleichentags erfahren habe, dass auch B. AG finanzielle Schwierigkeiten habe, habe er mit zwei Steuerberatern bzw. Buchhaltern eine Sitzung einberufen (Verfahrensakten AI, Ordner 3, Lasche S4, Urk. S4/1, S. 9 ff.). Wie der Gesuchsteller zutreffend einwendet, gab es Umleitungen der Post von den Geschäftsadressen der beiden Gesellschaften in Y. (AI) an die Geschäfts- oder Wohnadresse von D. in Z. (SG). Aktenkundig ist indes auch eine für die C. GmbH von D. in Auftrag gegebene Umleitung der Post für die Zeit vom 26. November 2020 bis 25. November 2021 von der V.-Strasse in U., SG (wo sich der Showroom der B. AG befand) an deren Gesellschaftssitz an der W.-Strasse in Y. (AI) (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Urk. S1/3, S. 23 und Register 13). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in diesem Zeitraum die Post von A. als einzigem Organ der Gesellschaft entgegengenommen wurde. Überdies geht aus der Strafanzeige der Steuerverwaltung AI vom 6. Oktober 2021 hervor, dass A. als Einzelunternehmer der von ihm vertretenen B. AG veraltetes Material im Betrag von rund Fr. 70'000.-- verkauft habe. Weiter habe D. in der Funktion des Geschäftsführers der C. GmbH an einer Liegenschaft von A. Bauarbeiten koordiniert. Weiter hält es die Steuerverwaltung AI für möglich, dass von C. GmbH an Dritte bezahlte überhöhte Aufwendungen allenfalls via Darlehen teilweise wieder an A. zurückgeflossen sein könnten (Verfahrensakten AI, Ordner 1, Lasche S1, Urk. S1/1). Damit kann eine aktivere Rolle von A. an den D. vorgeworfenen Handlungen im Zusammenhang mit den beiden Gesellschaften im jetzigen Verfahrensstadium nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Soweit A. für die beiden Firmen gehandelt hat, wäre das jedenfalls auch in Y. (AI) gewesen. All dies spricht im Übrigen gegen die Behauptung des Gesuchstellers, wonach es sich auch bei den Sitzen der C. GmbH und B. AG im Kanton Appenzell Innerrhoden lediglich um fiktive Sitze handle.

3.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der ordentliche Gerichtsstand im Kanton Appenzell Innerrhoden liegt und vorliegend kein triftiger Grund ersichtlich ist, von diesem abzuweichen. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Gesuchsteller seine Zuständigkeit konkludent anerkannt hat.

4. Nach dem Gesagten ist das Gesuch abzuweisen und es sind die Strafbehörden des Kantons Appenzell Innerrhoden für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die den Beschuldigten in den Verfahren ST.2021.459, ST.2022.362 und UT.2023.88 zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

5. Praxisgemäss ist bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten in der Regel (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 649 ff.) keine Gerichtsgebühr zu erheben (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 Abs. 4 BGG per analogiam; vgl. schon BGE 87 IV 144). Vorliegend ist auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr zu verzichten.

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Appenzell Innerrhoden sind berechtigt und verpflichtet, die den Beschuldigten in den Verfahren ST.2021.459, ST.2022.362 und UT.2023.88 zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und beurteilen.

2. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

Bellinzona, 7. Februar 2024

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell I.Rh.

- Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

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