Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BE.2024.6, BP.2024.37 |
Datum: | 08.08.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Kanton; Kantons; Vertrag; Vertrags; Beschuldigte; Gerichtsstand; Betrug; Sinne; Veruntreuung; Beschuldigten; Beschwerdekammer; Obwalden; Eigentum; Oberstaatsanwalt; Gerichtsstands; Verfahren; Gesuch; Behörde; Käufer; Oberstaatsanwaltschaft; Staatsanwaltschaft; Behörden; Parteien; Beurteilung; Betrugs; Verkäufer; Verfahrens; Verfolgung |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 13 StGB ;Art. 138 StGB ;Art. 14 StGB ;Art. 14 StPO ;Art. 146 StGB ;Art. 184 OR ;Art. 34 StPO ;Art. 39 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 423 StPO ;Art. 66 BGG ; |
Referenz BGE: | 111 IV 130; 124 IV 241; 128 IV 216; 147 IV 73; ; |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
BG.2024.30
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BG.2024.30 |
Beschluss vom 8. August 2024 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Miriam Forni und Felix Ulrich, Gerichtsschreiber Stefan Graf | |
Parteien | Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft, Gesuchsteller | |
gegen | ||
1. Kanton Aargau, Oberstaatsanwaltschaft, 2. Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft, 3. Kanton Obwalden, Staatsanwaltschaft, Gesuchsgegner | ||
Gegenstand | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO) |
Sachverhalt:
A. Am 16. März 2023 erhob die Bank A. bei der Kantonspolizei Bern Strafanzeige gegen B. «wegen Betrug im Sinne von Art. 146 StGB, wegen vermuteter Veruntreuung im Sinne von Art. 138 StGB sowie wegen Sachentziehung im Sinne von Art. 141 StGB». Zur Begründung führte sie aus, B. habe am 22. September 2022 mit der C. GmbH in Z./AG einen Kaufvertrag mit Teilzahlung für einen Personenwagen der Marke BMW, Modell […], abgeschlossen. Als Kaufpreis seien nebst einer Anzahlung in der Höhe von Fr. 1'000.– insgesamt 48 monatliche Raten von Fr. 438.45 vereinbart worden. Zudem habe der Vertrag vorgesehen, dass der Kaufgegenstand erst nach vollständiger Bezahlung des Kaufpreises in das Eigentum des Käufers übergehe. In der Folge habe B. keine einzige der vertraglich vorgesehenen Ratenzahlungen geleistet. Trotz der diesbezüglichen Aufkündigung des Vertrags habe B. das Fahrzeug nicht zurückgegeben (siehe Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern BM 23 40710, nachfolgend «Verfahrensakten BE»).
B. Bereits am 31. Oktober 2022 stellte die Kantonspolizei Obwalden fest, dass B. in Y./OW trotz entzogenem Führerausweis ein Motorfahrzeug lenkte und dabei die signalisierte Höchstgeschwindigkeit missachtete. Diesbezüglich ersuchte die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden (nachfolgend «StA OW») die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (nachfolgend «GStA BE») am 17. November 2023 um Übernahme des bisher im Kanton Obwalden gegen B. geführten Verfahrens (act. 1.1).
C. Am 23. November 2023 richtete die GStA BE eine Gerichtsstandsanfrage an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (nachfolgend «OStA ZH») und ersuchte diese um Übernahme der bisher in den Kantonen Bern und Obwalden gegen B. geführten Strafverfahren (act. 1.2). Am 1. Dezember 2023 lehnte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl die Anerkennung des Gerichtsstands und die Übernahme der Untersuchung ab (act. 1.3). Daraufhin bestätigte die GStA BE gegenüber der StA OW, sie halte deren Verfahren bis zum Abschluss des Gerichtsstandskonflikts pendent (act. 1.4).
D. Nach weiteren Ermittlungen zur Wohn- und Meldesituation des Beschuldigten gelangte die GStA BE am 29. April 2024 an die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und ersuchte sie um Anerkennung ihrer Zuständigkeit (1.5). Diese lehnte mit Schreiben vom 6. Mai 2024 die Anerkennung des Gerichtsstandes und die Übernahme der Untersuchung erneut ab (act. 1.6).
E. Mit Schreiben vom 16. Mai 2024 an die OStA ZH und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (nachfolgend «OStA AG») sowie an den Oberstaatsanwalt des Kantons Obwalden (nachfolgend «OStA OW») eröffnete die GStA BE diesbezüglich den abschliessenden Meinungsaustausch (act. 1.7). Keine der adressierten Behörden erklärte sich zur Übernahme des Verfahrens gegen B. bereit (act. 1.8–1.10).
F. Daraufhin gelangte die GStA BE mit Gesuch vom 4. Juni 2024 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (act. 1). Sie stellt die folgenden Anträge:
1. Es seien die Behörden des Kantons Zürich zur Verfolgung und Beurteilung des Beschuldigten bezüglich der ihm vorgeworfenen Taten für berechtigt und verpflichtet zu erklären.
2. Eventualiter seien die Behörden des Kantons Aargau zur Verfolgung und Beurteilung des Beschuldigten bezüglich der ihm vorgeworfenen Taten für berechtigt und verpflichtet zu erklären.
Die OStA ZH beantragt diesbezüglich mit Schreiben vom 7. Juni 2024, der Kanton Aargau sei für berechtigt und verpflichtet zu erklären, das Verfahren zu führen (act. 3). Der OStA OW teilte derweil mit, eine Zuständigkeit der Behörden des Kantons Obwalden sei nicht ersichtlich (act. 4). Die OStA AG schliesslich beantragt, es sei der Kanton Zürich zur Weiterverfolgung des obgenannten Strafverfahrens für zuständig zu erklären (act. 5). Die verschiedenen Gesuchsantworten wurden den Parteien am 13. Juni 2024 wechselseitig zur Kenntnisnahme übermittelt (act. 6).
G. Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter (Art. 39 Abs. 1 StPO). Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zuständig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzüglich über die wesentlichen Elemente des Falles und bemühen sich um eine möglichst rasche Einigung (Art. 39 Abs. 2 StPO). Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid (Art. 40 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG). Hinsichtlich der Frist, innerhalb welcher die ersuchende Behörde ihr Gesuch einzureichen hat, ist im Normalfall die Frist von zehn Tagen gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO analog anzuwenden (vgl. hierzu TPF 2019 62 E. 1; TPF 2011 94 E. 2.2 S. 96). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Art. 14 Abs. 4 StPO).
1.2 Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der Beschwerdekammer zu vertreten (Art. 24 lit. b des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung des Kantons Bern vom 11. Juni 2009 [EG ZSJ/BE; BSG 271.1]). Auf Seiten der Gesuchsgegner steht diese Befugnis der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (§ 20 des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Strafprozessordnung des Kantons Aargau vom 16. März 2010 [EG StPO/AG; SAR 251.200]), der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (§ 107 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 [GOG/ZH; LS 211.1]) und dem Oberstaatsanwalt des Kantons Obwalden zu (Art. 44a Abs. 3 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation des Kantons Obwalden vom 22. September 1996 [GOG/OW; GDB 134.1]). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, weshalb auf das Gesuch einzutreten ist.
2. Unter den Parteien umstritten ist in erster Linie, ob das B. zur Last gelegte Vermögensdelikt (siehe oben Sachverhalt lit. A) unter den Tatbestand des Betrugs oder unter denjenigen der Veruntreuung fällt. Je nachdem ergibt sich in gerichtsstandsrechtlicher Hinsicht eine unterschiedliche örtliche Anknüpfung hinsichtlich der Tathandlung.
3.
3.1 Die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage richtet sich nach der aktuellen Verdachtslage. Massgeblich ist nicht, was dem Beschuldigten letztlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder als sicher ausgeschlossen. Der Gerichtsstand bestimmt sich also nicht nach dem, was der Täter begangen hat, sondern nach dem, was ihm vorgeworfen wird, das heisst, was aufgrund der Aktenlage überhaupt in Frage kommt. Dabei stützt sich die Beschwerdekammer auf Fakten, nicht auf Hypothesen. Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore, wonach im Zweifelsfall auf den für den Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist (TPF 2021 167 E. 3.2.3; TPF 2019 82 E. 2.4; TPF 2019 52 E. 2.1 S. 55 f.; TPF 2019 28 E. 2.2 S. 31; jeweils m.w.H.).
3.2
3.2.1 Einen Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB begeht, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt. Als Sanktion droht das Gesetz Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe an.
3.2.2 Einer Veruntreuung im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 StGB macht sich u. a. schuldig, wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen anderen damit unrechtmässig zu bereichern. Die diesbezüglich angedrohte Sanktion lautet ebenfalls Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
3.2.3 Konkurrenz und Abgrenzung zwischen den beiden Tatbeständen sind vor allem in Fällen strittig, in welchen der Täter die Verfügungsmöglichkeit über Sachen oder Vermögenswerte durch Täuschung des Treugebers erlangt (vgl. hierzu im Einzelnen Niggli/Riedo, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 138 StGB N. 209 m.w.H.; siehe auch Trechsel/Crameri, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, Art. 146 StGB N. 41 m.w.H. oder Bommer, Urteilsanmerkung: Zum Verhältnis von Betrug und Veruntreuung, ZBJV 2005, S. 116 ff.). In BGE 111 IV 130 hielt das Bundesgericht hierzu sinngemäss fest, wer unrechtmässig über die ihm anvertraute Sache eines andern verfügt, über die er aufgrund einer Vereinbarung mit dem Eigentümer die tatsächliche Verfügungsmacht hat, ist der Veruntreuung schuldig zu sprechen. Wo zwar ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Täter besteht, dieser die tatsächliche Verfügungsmacht aber durch eine arglistige Täuschung erlangt, da die ihm verliehenen Befugnisse nicht ausreichen, ist Betrug gegeben und ausschliesslich Art. 146 StGB anwendbar.
3.3
3.3.1 Ob eine Sache «fremd» im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ist, hängt von der zivilrechtlichen Beurteilung der konkreten Sachlage ab. Soweit die Parteien im vorliegenden Fall teilweise auf angebliche Präjudizien in den Beschlüssen des Bundesstrafgerichts BG.2021.45 vom 10. August 2021 E. 3.3, BG.2020.33 vom 9. September 2020 E. 2.2 oder BG.2018.20 vom 17. Juli 2018 E. 3.4.3 Bezug nehmen, ist in erster Linie festzuhalten, dass diese allesamt Leasinggeschäfte betrafen. Im vorliegenden Fall wurde zwischen den beteiligten Vertragsparteien jedoch ein Kreditkaufgeschäft abgeschlossen. Bei solchen Geschäften geht das Eigentum gegen Bezahlung des Kaufpreises grundsätzlich auf den Käufer über, sodass eine Veruntreuung als ausgeschlossen erscheint. Die Fremdheit der Sache hängt jedoch von der zivilrechtlichen Beurteilung des Vertrags ab (vgl. Niggli/Riedo, a.a.O., Art. 138 StGB N. 18). Auch beim Leasing sind die zivilrechtlichen Vorschriften über den Eigentumsübergang massgeblich. Grundsätzlich geht beim Leasing das Eigentum nicht über und die Sache erscheint als anvertraut. Je nach Ausformung des Vertrags kann dieser auch den Regeln über den Kauf auf Abzahlung folgen, wobei hier das Eigentum übergeht und eine Veruntreuung fremder Sachen ausgeschlossen bleibt (vgl. Niggli/Riedo, a.a.O., Art. 138 StGB N. 19).
3.3.2 Gemäss dem aktenkundigen Vertragsdokument kauft der Käufer vom Verkäufer das eingangs erwähnte Fahrzeug zum vereinbarten Gesamtkaufpreis, wobei ihm der Verkäufer die Möglichkeit von Teilzahlungen einräumt (siehe den Vertrag «Finanzierung Plus» Nr. W32-553702/W02 mit Vertragsbedingungen als Beilage 1 zur Strafanzeige vom 16. März 2023; in Verfahrensakten BE). Durch den Kaufvertrag verpflichten sich der Verkäufer, dem Käufer den Kaufgegenstand zu übergeben und ihm das Eigentum daran zu verschaffen, und der Käufer, dem Verkäufer den Kaufpreis zu bezahlen (Art. 184 Abs. 1 OR). Die zwischen den Vertragsparteien geschlossene Vereinbarung sieht weiter vor, der Käufer werde erst Eigentümer des Kaufgegenstandes, wenn sämtliche Verpflichtungen des Käufers im Zusammenhang mit dem vorliegenden Finanzierungsvertrag erfüllt worden seien (siehe auch Ziff. 3 der Vertragsbedingungen). Bis zum Übergang ins Eigentum des Käufers darf dieser nicht über den Kaufgegenstand verfügen, insbesondere ihn weder verkaufen noch vermieten noch verpfänden (Ziff. 3 der Vertragsbedingungen). Aus diesen Vertragsbestimmungen ergibt sich, dass der Wagen im Zeitpunkt der mutmasslich erfolgten Aneignung durch den Beschuldigten noch im Eigentum der Verkäuferschaft war. Das wird weiter bestätigt durch den dazugehörigen Eintrag im Eigentumsvorbehaltsregister beim Betreibungsamt Bern-Mittelland (Beilage 6 zur Strafanzeige vom 16. März 2023; in Verfahrensakten BE). Insofern war der Wagen als «fremde Sache» im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB anzusehen. Ob er trotz der durch den Vertrag bezweckten Übertragung des Eigentums an den Beschuldigten auch noch als «anvertraut» im Sinne des Gesetzes anzusehen war, kann aufgrund der nachfolgenden Ausführungen offenbleiben.
3.4 Dem Prinzip in dubio pro duriore folgend ist aufgrund der aktuellen Aktenlage auch die Annahme eines Betrugs von vornherein weder haltlos noch sicher ausgeschlossen. Die Umstände lassen nämlich darauf schliessen, dass der Beschuldigte bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags keinerlei Willen hatte zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten. So hat er gemäss Strafanzeige vom 16. März 2023 (siehe dort S. 1 unten) keine einzige der vertraglich vorgesehenen Ratenzahlungen geleistet. Die bisherigen Ermittlungen lassen zudem darauf schliessen, dass der Beschuldigte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 22. September 2022 ein falsches Wohndomizil (in X./BE) angab, da er seit dem 16. August 2022 schriftenpolizeilich in Essen (Deutschland) angemeldet gewesen sei (siehe Berichtsrapport der Kantonspolizei Bern vom 18. April 2024, S. 2). Damit verschwieg der Beschuldigte dem Verkäufer gegenüber mutmasslich auch seinen im Ausland liegenden tatsächlichen Wohnsitz. Dies obwohl bereits die Absicht einer Verlegung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts des Käufers ins Ausland der finanzierenden Bank das vertragliche Recht einräumte, den Vertrag fristlos zu kündigen (Ziff. 6 der Vertragsbedingungen), womit dieser Umstand für die finanzierende Bank bei Abschluss des Vertrags offenbar von erheblicher Bedeutung war. In ihrem Beschluss BG.2021.45 vom 10. August 2021 hat die Beschwerdekammer hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Betrugs verneint, nachdem in jenem Fall immerhin die erste (Leasing-)Ratenzahlung vertragsgemäss geleistet wurde und der Beschuldigte erst nach Vertragsschluss nach Unbekannt abgemeldet worden sei (vgl. dort E. 3.4-3.6). Sowohl der Vertragstyp als auch diese konkreten, auf einen von Beginn weg fehlenden Erfüllungswillen hindeutenden Umstände legen im vorliegenden Fall eine andere Beurteilung nahe. Die Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft ist als Täuschung über innere Tatsachen grundsätzlich arglistig (vgl. BGE 147 IV 73 E. 3.3). Die gestützt auf diesen Irrtum betreffend Erfüllungswillen erfolgte (vertraglich vorgesehene) Übergabe des Fahrzeugs an den Beschuldigten ist eine Erfüllung einer vertraglichen Verbindlichkeit, welche eine Vermögensverfügung im Sinne von Art. 146 StGB darstellen kann (Maeder/Niggli, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 146 StGB N. 134). Konkrete Gründe, welche im vorliegenden Fall die Annahme eines Betrugs als von vornherein haltlos oder sicher ausgeschlossen erscheinen lassen würden, wurden von keiner der Parteien dargetan.
3.5 Nach dem Gesagten und in Anwendung des in Gerichtsstandssachen mass—gebenden Grundsatzes in dubio pro duriore ist als Zwischenfazit festzuhalten, dass für das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten sowohl der Tatbestand der Veruntreuung als auch derjenige des Betrugs in Frage kommen. Aufgrund der im Einzelfall heiklen Abgrenzung zwischen diesen Tatbeständen (siehe oben unter E. 3.2.3) erscheint zumindest keiner als von vornherein haltlos oder sicher ausgeschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt nicht massgeblich ist, was dem Beschuldigten letztlich wird nachgewiesen werden können. Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO). Unter den Parteien unbestritten und nicht weiter zu kommentieren sind die Handlungsorte hinsichtlich der beiden Tatbestände (vgl. act. 1, S. 4 und act. 5 zur Veruntreuung; act. 1, S. 4 und act. 3, S. 2 zum Betrug). Hinsichtlich der Veruntreuung massgeblich ist im vorliegenden Fall der Ort der Entreicherung und damit der Sitz der Anzeigeerstatterin in Zürich (vgl. hierzu die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2021.45 vom 10. August 2021 E. 3.3; BG.2020.33 vom 9. September 2020 E. 2.2; BG.2018.20 vom 17. Juli 2018 E. 3.4.3; jeweils mit Hinweis auf BGE 124 IV 241 E. 4c/d). Ein Betrug gilt als dort verübt, wo der Täter jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen zu einem Verhalten bestimmt, das den Irrenden oder einen Dritten am Vermögen schädigt (Urteil des Bundesgerichts 6B_127/2013 vom 3. September 2013 E. 4.2.2 m.H.). Im vorliegenden Fall erfolgte die Täuschung anlässlich des Vertragsschlusses am Sitz der Verkäuferin in Z./AG.
3.6 Die Tatbestände der Veruntreuung und des Betrugs unterliegen den gleich schweren Strafdrohungen (siehe oben E. 3.2.1 und 3.2.2). Diesbezügliche Verfolgungshandlungen ergingen bisher ausschliesslich im Kanton Bern. Dort hat die Geschädigte zwar ihre Strafanzeige eingereicht, liegt aber keiner der in Frage kommenden Handlungsorte. Keiner der zur Diskussion stehenden Tatortkantone (Zürich/Aargau) hat bisher Verfolgungshandlungen vorgenommen. Eine Gerichtsstandsbestimmung ist hier somit weder aufgrund der Schwere der Strafdrohung noch gestützt auf das forum pareventionis im Sinne von Art. 34 Abs. 1 StPO möglich. Besteht bei dieser Ausgangslage auch kein Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit, ist massgebend, wo die beschuldigte Person das erste Delikt begangen hat (BGE 128 IV 216 E. 3; siehe zuletzt auch TPF BG.2024.18 vom 17. Juni 2024 E. 3.2 und 4.2, zur Publikation vorgesehen). Die Täuschungshandlung eines möglichen Betrugs muss vorliegend spätestens bei Vertragsabschluss erfolgt sein. Diese liegt in zeitlicher Hinsicht zwingend vor einer erst danach möglichen Aneignung der durch diesen Vertrag anvertrauten und fremden Sache im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
4. Nach dem Gesagten liegt der gesetzliche Gerichtsstand hinsichtlich der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten im Kanton Aargau. Den Akten sind keine Gründe zu entnehmen, welche vorliegend ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand aufdrängen würden. Der vom Gesuchsteller formulierte Eventualantrag ist gutzuheissen und es sind die Strafbehörden des Kantons Aargau für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
5. Praxisgemäss ist bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten keine Gerichtsgebühr zu erheben (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 Abs. 4 BGG per analogiam; TPF 2023 130 E. 5.1 m.w.H.).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Strafbehörden des Kantons Aargau sind berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
Bellinzona, 8. August 2024
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
- Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.