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Entscheid des Bundesstrafgerichts: BB.2024.36 vom 21.02.2024

Hier finden Sie das Urteil BB.2024.36 vom 21.02.2024 - Beschwerdekammer: Rechtshilfe

Sachverhalt des Entscheids BB.2024.36


Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Rechtshilfe

Fallnummer:

BB.2024.36

Datum:

21.02.2024

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Auslieferung; Recht; Entscheid; Deutschland; Schweiz; Verfahren; Staat; Bundesstrafgerichts; Verfahren; Bundesgericht; Recht; Rechtshilfe; Urteil; Betäubungsmittel; Auslieferungsentscheid; Bundesgerichts; Beschwerdeführer; Beschwerdekammer; Ersuchen; Beschwerdeführers; Verfahrens; Auslieferungshaft; Haftentlassungsgesuch; Haftbefehl; Behörde

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 48 BGG ;Art. 50 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 66 StGB ;Art. 84 BGG ;

Referenz BGE:

117 Ib 210; 123 II 161; 123 II 511; 124 II 586; 129 II 100; 132 II 81; 139 II 65; 142 II 49; 142 IV 250; ;

Entscheid des Bundesstrafgerichts

RR.2024.8

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: RR.2024.8

Entscheid vom 21. Februar 2024 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Miriam Forni und Felix Ulrich,    

Gerichtsschreiberin Inga Leonova

Parteien

A., zzt. in Auslieferungshaft, vertreten durch Advokat Gabriel Giess,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Auslieferung an Deutschland

Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG); akzessorisches Haftentlassungsgesuch (Art. 50 Abs. 3 IRSG)

Sachverhalt:

A. Die Staatsanwaltschaft Freiburg (DE) führt u.a. gegen den deutschen Staatsangehörigen A. ein Strafverfahren wegen des Verdachts des bandenmässigen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 27 tatmehrheitlichen Fällen. Gestützt auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Lörrach vom 11. April 2023 ersuchte das Ministerium der Justiz und für Migration von Baden-Württemberg am 21. November 2023 die Schweiz um Festnahme und Auslieferung von in Z./BS wohnhaften A. (act. 6.1, 6.1A).

B. A. wurde am 21. November 2023 angehalten und mit Haftanordnung des Bundesamtes für Justiz (nachfolgend «BJ») vom selben Tag in provisorische Auslieferungshaft versetzt (act. 6.2). Anlässlich der Einvernahme vom 22. November 2023 sprach sich A. gegen die vereinfachte Auslieferung an Deutschland aus (act. 6.3).

C. Am 22. November 2023 erliess das BJ gegen A. einen Auslieferungshaftbefehl wegen Fluchtgefahr, welcher ihm am darauffolgenden Tag eröffnet wurde und in der Folge unangefochten blieb (act. 6.5). Gleichentags setzte das BJ A. eine Frist von 14 Tagen zur Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme zum Auslieferungsersuchen (act. 6.6).

D. Mit Schreiben vom 22. November 2023 ersuchte das BJ die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt (nachfolgend «StA BS») um Stellungnahme betreffend den Vorrang der Auslieferung von A. für Tathandlungen, für die auch eine schweizerische Strafhoheit besteht (act. 6.7). Die StA BS liess sich mit Schreiben vom 29. November 2023 vernehmen und führte aus, dass sie gestützt auf das Ersuchen der Staatsanwaltschaft Freiburg tätig geworden sei. Aus diesem Ersuchen sei hervorgegangen, dass in Deutschland gegen eine mehrköpfige Bande ermittelt werde, die im grossen Stil mit Betäubungsmitteln handle, zu welcher u.a. A. gehöre. Die StA BS habe die ersuchten Handlungen rechtshilfeweise vollzogen. Ein eigenständiges Verfahren gegen A. sei weder eröffnet worden noch beabsichtige die StA BS ein solches zu eröffnen. Die StA BS wies auf zahlreiche Gründe hin, weshalb aus ihrer Sicht A. an Deutschland ausgeliefert werden sollte (act. 6.12).

E. Innert erstreckter Frist liess sich A. zum Auslieferungsersuchen mit Eingabe vom 20. Dezember 2023 vernehmen (act. 6.15).

F. Mit Entscheid 5. Januar 2024 bewilligte das BJ die Auslieferung von A. an Deutschland für die dem Ersuchen vom 21. November 2023 zugrunde liegenden Straftaten (act. 1.1).

G. Gegen den Auslieferungsentscheid vom 5. Januar 2024 liess A. am 7. Februar 2024 bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erheben. Er beantragt im Hauptbegehren die Aufhebung des Auslieferungsentscheids und seine Freilassung aus der Haft. Eventualiter sei der Auslieferungsentscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an das BJ zurückzuweisen (act. 1).

H. Die Eingabe vom 14. Februar 2024, mit welcher sich das BJ vernehmen liess und die kostenfällige Abweisung der Beschwerde beantragte, wurde A. am 15. Februar 2024 zu Kenntnis gebracht (act. 6, 7).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland sind primär das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1), die hierzu ergangenen Zusatzprotokolle vom 17. März 1978 (ZPII EAUe; SR 0.353.12) und vom 10. November 2010 (ZPIII EAUe; SR 0.353.13) sowie der Vertrag vom 13. November 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EAUe und die Erleichterung seiner Anwendung (ZV EAUe; SR 0.353.913.61) massgebend. Überdies anwendbar sind das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 14. Juni 1985 (SDÜ; CELEX-Nr. 42000A0922(02); ABl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62; Text nicht publiziert in der SR, jedoch abrufbar auf der Webseite der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.1 Anhang A; https://www.admin.ch/opc/de/european-union/international-agreements/008.html) i.V.m. der Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission, namentlich Art. 26–31 (CELEX-Nr. 32018R1862; Abl. L 312 vom 7. Dezember 2018, S. 56–106; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.4 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), sowie diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Auslieferungs-übereinkommen; CELEX-Nr. 41996A1023(02); Abl. C 313 vom 23. Oktober 1996, S. 12–23), welche gemäss dem Beschluss des Rates 2003/169/JI vom 27. Februar 2003 (CELEX-Nr. 32003D0169; Abl. L 67 vom 12. März 2003, S. 25 f.; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.2 Anhang B) eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitz—stands darstellen. Die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler oder multilateraler Abkommen bleiben unberührt (Art. 59 Abs. 2 SDÜ; Art. 1 Abs. 2 EU-Auslieferungsübereinkommen).

1.2 Soweit die Staatsverträge und Zusatzprotokolle bestimmte Fragen weder ausdrücklich noch stillschweigend regeln, bzw. das schweizerische Landesrecht geringere Anforderungen an die Rechtshilfe stellt (sog. Günstigkeitsprinzip; BGE 142 IV 250 E. 3; 140 IV 123 E. 2; 136 IV 82 E. 3.1; 135 IV 212 E. 2.3; Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 5. Aufl. 2019, N. 229), sind das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) und die dazugehörige Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11) anwendbar. Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 139 II 65 E. 5.4; 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c; TPF 2016 65 E. 1.2; 2008 24 E. 1.1).

1.3 Auf Beschwerdeverfahren in internationalen Rechtshilfeangelegenheiten sind zudem die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021) anwendbar (Art. 39 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 37 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 StBOG), wenn das IRSG nichts anderes bestimmt (siehe Art. 12 Abs. 1 IRSG).

2.

2.1 Gegen Auslieferungsentscheide des BJ kann innert 30 Tagen seit der Eröffnung des Entscheids bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 55 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG; Art. 50 Abs. 1 VwVG).

2.2 Der Auslieferungsentscheid vom 5. Januar 2024 wurde dem Beschwerdeführer am 8. Januar 2024 eröffnet (act. 6.17), womit die vorliegende Beschwerde fristgerecht erhoben wurde. Der Beschwerdeführer ist als Verfolgter und Adressat des Auslieferungsentscheids zu dessen Anfechtung legitimiert. Auf die formgerecht erhobene Beschwerde ist einzutreten.

3.

3.1 Die Beschwerdekammer ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 25 Abs. 6 IRSG). Sie prüft die bei ihr erhobenen Rügen grundsätzlich mit freier Kognition. Sie ist aber nicht verpflichtet, nach weiteren der Gewährung der Auslieferung allenfalls entgegenstehenden Gründen zu forschen, die aus der Beschwerde nicht hervorgehen (BGE 132 II 81 E. 1.4; 130 II 337 E. 1.4; Urteil des Bundesgerichts 1A.1/2009 vom 20. März 2009 E. 1.6; TPF 2011 97 E. 5).

3.2 Ausserdem muss sich die Beschwerdeinstanz nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Sie kann sich auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken, und es genügt, wenn die Behörde wenigstens kurz die Überlegungen nennt, von denen sie sich leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt (BGE 142 II 49 E. 9.2; 141 IV 294 E. 1.3.1; 139 IV 179 E. 2.2; Urteil des Bundesgerichts 1A.59/2004 vom 16. Juli 2004 E. 5.2 m.w.H.).

4.

4.1 Der Beschwerdeführer bringt vorliegend im Wesentlichen vor, seine Auslieferung sei in Anwendung von Art. 36 IRSG und Art. 8 EMRK unzulässig, da die grössten Chancen auf eine soziale Wiedereingliederung in der Schweiz liegen würden. Namentlich arbeite und lebe er seit vielen Jahren in Z./BS, wo auch seine Partnerin und seine Kinder leben. Aus den Akten ergebe sich nicht, wo sich der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit befunden haben soll. Zudem würden sich die übrigen Beschuldigten bereits in Deutschland befinden oder seien flüchtig. Da es sich um Haftfälle handle, würden diese Fälle in Deutschland angeklagt resp. vorangetrieben werden, ohne dass eine gemeinsame Beurteilung vorgesehen oder geplant wäre. Hingegen wäre bei einer Strafverfolgung durch die Schweiz eine Inhaftierung des Beschwerdeführers nicht notwendig. Er könnte weiterhin seiner Arbeit nachgehen und bei seiner Familie sein. Überdies verstosse seine Auslieferung gegen Art. 2 IRSG. Der Haftbefehl vom 11. April 2023 basiere ausschliesslich auf angeblichen Erkenntnissen aus Sky-ECC und ANOM-Chats. Es handle sich dabei um Kryptohandy-Anbieter, die auf nicht näher bekannte Weise von ausländischen Behörden «geknackt» worden seien. Die Auslieferung des Beschwerdeführers könne sich nicht auf solche verfassungs- und konventionswidrig erlangten Daten stützen. In Deutschland sei nicht geprüft worden, ob das Vorgehen der ausländischen Ermittlungsbehörden rechtmässig gewesen sei. Es sei auch unbekannt, wie die entschlüsselten Daten und Chats in der Folge Einzug in die deutschen Ermittlungsakten gefunden hätten. In Bezug auf die ANOM-Chats habe das Oberlandesgericht München im Beschluss vom 19. Oktober 2023 festgehalten, dass die daraus gewonnen Erkenntnisse nicht verwertbar seien und gestützt auf diese kein dringender Tatverdacht gestützt werden könne (act. 1, S. 4 ff.).

4.2

4.2.1 Nach der Bestimmung von Art. 7 Ziff. 1 EAUe kann der ersuchte Staat die Auslieferung des Verfolgten wegen einer strafbaren Handlung ablehnen, die nach seinen Rechtsvorschriften ganz oder zum Teil auf seinem Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden ist. Es handelt sich hierbei um eine Kann-Bestimmung, die es dem ersuchten Staat erlaubt, von einer Auslieferung abzusehen, ohne aber dazu verpflichtet zu sein (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2012.309 vom 5. Juni 2013 E. 4.3.1 m.w.H.). Dementsprechend sieht das schweizerische Recht vor, dass die Auslieferung zulässig ist, wenn nach den Unterlagen des Ersuchens die Tat nicht der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterliegt (Art. 35 Abs. 1 lit. b IRSG).

Ausnahmsweise kann der Verfolgte für eine Tat, die der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterliegt, ausgeliefert werden, wenn besondere Umstände, namentlich die Möglichkeit der besseren sozialen Wiedereingliederung, dies rechtfertigen (Art. 36 Abs. 1 IRSG). Art. 36 Abs. 1 IRSG soll sicherstellen, dass gegen den Beschuldigten nicht zwei verschiedene Strafverfahren betreffend denselben Sachverhaltsvorwurf geführt werden. Die ausführende Behörde verfügt bei ihrem Entscheid, ob die schweizerische Strafgerichtsbarkeit eine Verweigerung der Auslieferung rechtfertigen kann, über einen weiten Ermessensspielraum. Grundsätzlich ist die Strafuntersuchung dort zu führen, wo der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit liegt. Mehrere Mitangeklagte sollten soweit wie möglich gemeinsam beurteilt werden. Zu beachten ist zudem das Beschleunigungsgebot. Im Ermessensentscheid sind alle massgebenden Faktoren zu berücksichtigen: Ort und Datum der Straftaten, Staatsbürgerschaft des Täters und des Opfers, das Verhältnis des Verfolgten zum ersuchenden Staat und zur Schweiz, Stand der Ermittlungen, Zugänglichkeit der Beweismittel, Strafverfolgungsinteresse der Schweiz und des ersuchenden Staates etc. Unerheblich ist hingegen, ob die Strafdrohung für die fragliche Tat im ersuchenden Staat höher ist als in der Schweiz. Die Möglichkeit der besseren sozialen Wiedereingliederung ist nur ein weiteres, bei der Anwendung von Art. 36 Abs. 1 IRSG zu berücksichtigendes Kriterium. Eine Hierarchie zwischen den Kriterien ist nicht vorgesehen (BGE 124 II 586 E. 1.2 S. 589; 117 Ib 210 E. 3b/aa S. 213; Urteil des Bundesgerichts 1C_515/2013 vom 19. Juni 2013 E. 1.2; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2022.91 vom15. Juni 2022 E.4.4.2; RR.2019.141 vom 30. Oktober 2019 E. 6.3; Garré, Basler Kommentar, Internationales Strafrecht, 2015, Art. 36 IRSG N. 4 f.; Heimgartner, Auslieferungsrecht, 2002, S. 157). Insoweit steht der Auslieferungsbehörde ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 117 Ib 210 E. 3b/aa; Urteil des Bundesgerichts 1C_515/2013 vom 19. Juni 2013 E. 2.1.1; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2016.251 vom 21. Juli 2017 E. 4.3.1; je m.w.H.). Wie früher das Bundesgericht in Anwendung von Art. 104 aOG greift die Beschwerdeinstanz gemäss Art. 80i Abs. 1 lit. a IRSG nur im Falle von Ermessensüberschreitung bzw. -missbrauch ein; über die Angemessenheit des von der ausführenden Behörde getroffenen Entscheides spricht es sich nicht aus (Urteil des Bundesgerichts 1C_515/2013 vom 19. Juni 2013 E. 2.1.1; BGE 117 Ib 210 E. 3b/aa mit Hinweisen; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2015.309 vom 12. Januar 2016 E. 2.1 m.H.).

4.2.2 Laut dem Ersuchen beigelegten Haftbefehl vom 11. April 2023 wird der Beschwerdeführer verdächtigt, sich mit fünf Mittätern zusammengeschlossen zu haben, um spätestens seit Januar 2020 umfangreichen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu betreiben. Den Kopf der Gruppierung hätten B. und C. gebildet. C. habe sich zwar bis zum 21. November 2022 in der JVA Freiburg in Haft befunden, habe jedoch C. die wesentlichen Kontakte vermittelt, um den entsprechenden Handel organisieren zu können. Um selbst mit dem Betäubungsmittelhandel nicht in Verbindung gebracht zu werden, habe C. die Betäubungsmittel bei Dritten gelagert, darunter auch beim Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer habe zudem in einer Vielzahl der Fälle die Aufgabe des Kuriers im Auftrag von C. übernommen; in einzelnen Fällen habe er auch selbst die Betäubungsmittel direkt an C. sowie dessen Abnehmer geliefert. Der Beschwerdeführer soll ferner mit einem weiteren Mitglied der Gruppierung mehrere Lieferungen von Betäubungsmitteln organisiert und entgegengenommen haben, um sie anschliessend gewinnbringend weiterzuverkaufen. Zwischen dem 28. Februar 2020 und 7. Februar 2021 sei es durch den Beschwerdeführer zu mindestens 27 Straftaten gekommen, wobei er insbesondere in Deutschland (Y., X, W., V., U.) und in der Schweiz (ZZ./BS, Z./BS) gehandelt habe. In diesem Zeitraum habe er mit mindestens ca. 280 kg Marihuana, 13 kg Haschisch, 35 kg Kokain, 46 kg Speed, 2,5 kg MDMA und 1'000 Ecstasy-Tabletten gehandelt (act. 6.1A).

4.2.3 Gestützt auf die für den Rechtshilferichter verbindliche Angaben im Ersuchen sollen einige der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Handlungen in der Schweiz stattgefunden haben. Namentlich soll der Beschwerdeführer im Auftrag von B. an seinem Wohnort Betäubungsmittel gelagert und von dort aus nach Deutschland transportiert haben. Ebenso soll der Beschwerdeführer in einigen Fällen im Auftrag von B. in der Schweiz Betäubungsmittel an Abnehmer geliefert oder/und von diesen das Kaufgeld abgeholt haben (act. 6.1A). Für die in der Schweiz stattgefundenen Handlungen wäre die schweizerische Strafhoheit gegeben. Wie im Nachfolgenden aufzuzeigen sein wird, sprechen die konkreten Umstände für die ausnahmsweise Auslieferung des Beschwerdeführers an Deutschland.

4.2.4 Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatangehöriger und gemäss Angaben im Auslieferungsersuchen mutmasslich Mitglied einer sechsköpfigen international agierenden Gruppierung. Während in der Schweiz gegen diese Gruppierung kein Strafverfahren hängig ist, führen die deutschen Behörden seit 2021 umfangreiche Ermittlungen gegen zahlreiche Beschuldigte. Wie die StA BS und der Beschwerdegegner zutreffend ausführen, ist es mit Blick auf die Prozessökonomie sinnvoller, sämtliche Beschuldigten der Gruppierung in Deutschland zu verfolgen. Dies unabhängig davon, ob die Beschuldigten gemeinsam oder allenfalls in separaten Verfahren verfolgt und beurteilt werden. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers geht aus dem Ersuchen hinreichend hervor, dass die ihm vorgeworfenen Handlungen mehrheitlich in Deutschland stattgefunden hätten und von dort aus dem Beschwerdeführer die entsprechenden Aufträge erteilt worden seien. Hinzu kommt der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Deutschland bereits über 11 Einträge im Bundeszentralregister aufweist und u.a. am 18. Februar 2011 durch das Amtsgericht Lörrach wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt wurde (act. 6.1A, S. 12). Ein Teil seiner strafrechtlichen Vorgeschichte dürfte daher bereits in Deutschland geprüft worden sein. Der Auslieferung des Beschwerdeführers ist insbesondere auch mit Blick auf den Grundsatz «ne bis in idem» und der Tatsache Vorzug zu geben, dass es sich beim ersuchenden Staat um einen Rechtsstaat handelt, in welchem die Grundsätze eines fairen Verfahrens gewährleistet sind. Dies gilt umso mehr, als dem Beschwerdeführer im Falle einer Verurteilung in der Schweiz in Anwendung von Art. 66a Abs. 1 lit. o StGB eine obligatorische Landesverweisung droht, zumal bei Drogenhandel im dem Beschwerdeführer vor-geworfenen Ausmass das öffentliche Interesse an einer Landesausweisung regelmässig überwiegt (Urteil des Bundesgerichts 6B_1332/2021 vom 10. Januar 2023 E. 4.2). Damit würde der Beschwerdeführer ab Inkrafttreten des Urteils unabhängig von seinem ausländerrechtlichen Status sein Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren. Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung des Kriteriums der sozialen Wiedereingliederung zu relativieren. Aus all diesen Gründen ist der Auslieferungsentscheid in diesem Punkt nicht zu beanstanden.

4.2.5 Was das Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, weist der Beschwerdegegner zutreffend daraufhin, dass eine Einschränkung des Familienlebens mit der Auslieferung so wenig wie in jedem anderen Straffall vermieden werden kann, in dem eine freiheitsentziehende Sanktion zu verhängen ist. Ausserdem kann Art. 8 EMRK einer Auslieferung nur ausnahmsweise bei aussergewöhnlichen familiären Verhältnissen entgegenstehen (BGE 129 II 100 E. 3.5 m.w.H.; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2023.165 vom 25. Januar 2024 E. 6.2.3; RR.2018.295 vom 28. November 2018 E. 7.1; RR.2018.247 vom 5. November 2018 E. 4.2). Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern solche Verhältnisse in seinem Fall vorliegen. Bereits aus diesem Grund erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

4.3

4.3.1 Gemäss Art. 2 lit. a IRSG wird einem Ersuchen in Strafsachen nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland den in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101) oder im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) festgelegten Verfahrensgrundsätzen nicht entspricht. Einem Rechtshilfeersuchen wird ebenfalls nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland andere schwere Mängel aufweist (Art. 2 lit. d IRSG). Art. 2 IRSG will verhindern, dass die Schweiz die Durchführung von Strafverfahren unterstützt, in welchen den verfolgten Personen die ihnen in einem Rechtsstaat zustehenden und insbesondere durch die EMRK und den UNO-Pakt II umschriebenen Minimalgarantien nicht gewährt werden oder welche den internationalen ordre public verletzen (BGE 123 II 161 E. 6a; 122 II 140 E. 5a; 115 Ib 68 E. 6). Aus dieser Zielsetzung ergibt sich, dass einzelne Verfahrensverstösse im ausländischen Untersuchungsverfahren für sich allein nicht genügen, um die Rechtshilfe auszuschliessen; es ist in erster Linie Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen des ersuchenden Staates, solche Verfahrens-fehler zu korrigieren und sicherzustellen, dass dem Beschuldigten trotzdem ein faires Strafverfahren garantiert wird. Der Ausschluss der Rechtshilfe rechtfertigt sich nur, wenn das ausländische Strafverfahren insgesamt die durch die EMRK und den UNO-Pakt II umschriebenen Minimalgarantien nicht erfüllt (Urteil des Bundesgerichts 1A.226/2000 vom 6. November 2000 E. 3b). Dabei muss der Verfolgte glaubhaft machen, dass objektiv und ernsthaft eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten ist, die ihn unmittelbar berührt (vgl. BGE 123 II 511 E. 5b; 112 Ib 215 E. 7; 109 Ib 64 E. 5b/aa).

Gemäss konstanter Praxis wird die Gültigkeit von ausländischen Verfahrensentscheiden nur ausnahmsweise, wenn besonders schwere Verletzungen des ausländischen Rechts vorliegen, überprüft. Dies ist der Fall, wenn das Auslieferungsersuchen rechtsmissbräuchlich erscheint und Zweifel aufkommen, ob die grundsätzlichen Verteidigungsrechte im ausländischen Verfahren gewahrt werden bzw. gewahrt worden sind (Urteile des Bundesgerichts 1A.118/2004 vom 3. August 2004 E. 3.8; 1A.15/2002 vom 5. März 2002 E. 3.2; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2020.237 vom 18. November 2020 E. 5.2.1; RH.2014.3 vom 5. März 2014 E. 9.4; RR.2013.89 vom 25. Juni 2013 E. 4.5; RR.2012.259 vom 28. Mai 2013 E. 5.3).

4.3.2 Hinweise, dass das Auslieferungsersuchen rechtsmissbräuchlich gestellt worden wäre, sind den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen. Die Frage, ob die Beweismittel, gestützt auf welche der Haftbefehl vom 11. April 2023 erlassen wurde, rechtmässig erhoben wurden, richtet sich nach deutschem Prozessrecht. Es ist nicht Aufgabe des Rechtshilferichters zu überprüfen, ob nach deutschem Recht ein gültiger Haftgrund vorliegt. Allfällige materielle Rügen gegen den Haftbefehl sowie Verfahrensfehler sind bei der zuständigen Rechtsmittelinstanz in Deutschland geltend zu machen und von dieser zu behandeln bzw. zu beheben. Damit wird der Beschwerdeführer die Frage der Rechtmässigkeit der von ausländischen Behörden erlangten Chatnachrichten sowie deren Verwertbarkeit im deutschen Verfahren bestreiten können. Es ist auch nicht zu befürchten, dass dem Beschwerdeführer im deutschen Verfahren die grundsätzlichen Verteidigungsrechte und ein faires Verfahren nicht gewährt werden. Dies beweist insbesondere der vom Beschwerdeführer ins Recht gelegte Beschluss des Oberlandesgerichtes München vom 19. Oktober 2023 (act. 1.6), woraus hervorgeht, dass die Verwertung der aus «gehackten» Anbieter von Krypto-Mobiltelefonen gewonnenen Erkenntnisse in Strafverfahren in der deutschen Rechtsprechung und Lehre thematisiert wird und umstritten ist (s.a. den kürzlich ergangenen Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2023.47 vom 20. September 2023 E. 3.2). Dies spricht gerade dafür, dass die Grundsätze der EMRK oder UNO-Pakt II in deutschen Strafverfahren gewahrt werden. Eine drohende Verletzung von Art. 2 IRSG ist unter diesen Umständen nicht zu erkennen.

Angemerkt sei ausserdem, dass der Haftbefehl vom 11. April 2023 nicht ausschliesslich auf der Auswertung von «gehackten» Chats von Krypto-Mobiltelefonen basiert, sondern auch auf Aussagen von D., der Freundin eines des Mittäters, die am 27. Februar und 26. Juli 2021 einvernommen wurde (act. 6.1A, S. 4 [Ziff. 9] und 9 [Ziff. 20]).

4.4 Somit gehen sämtliche vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen fehl. Andere Auslieferungshindernisse wurden weder geltend gemacht noch sind solche in den Akten ersichtlich.

5.

5.1 Schliesslich ersucht der Beschwerdeführer um Entlassung aus der Auslieferungshaft (act. 1).

5.2 Der Verfolgte, welcher sich in Auslieferungshaft befindet, kann jederzeit ein Haftentlassungsgesuch einreichen (Art. 50 Abs. 3 IRSG). Das Gesuch ist an das BJ zu richten, gegen dessen ablehnenden Entscheid innert zehn Tagen Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geführt werden kann (Art. 48 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 3 IRSG). Die Beschwerde-kammer kann ausnahmsweise im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen einen Auslieferungsentscheid in erster Instanz über ein Haftentlassungsgesuch befinden, wenn sich aus einer allfälligen Verweigerung der Auslieferung als unmittelbare Folge auch die Entlassung aus der Auslieferungshaft ergibt und das Haftentlassungsgesuch insofern rein akzessorischer Natur ist (Urteil des Bundesgerichts 1A.13/2007 vom 9. März 2007 E. 1.2; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2008.59 vom 19. Juni 2008 E. 2.2).

5.3 Der vorliegende Antrag ist demnach als akzessorisches Haftentlassungsgesuch zu betrachten. Da die Auslieferung des Beschwerdeführers nach den obigen Erwägungen gewährt werden kann, ist das akzessorische Haftentlassungsgesuch abzuweisen. Ausserdem kämen Ersatzmassnahmen für Auslieferungshaft angesichts der einfachen Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen, nach konstanter Rechtsprechung nur in Kombination mit einer substantiellen Sicherheitsleistung in Frage (Entscheide des Bundesstrafgerichts RH.2020.10 vom 23. September 2020 E. 4.2; RH.2020.9 vom 11. September 2020 E. 5.2; RH.2020.5 vom 12. August 2020 E. 6.4; jeweils m.w.H.). Eine solche wird vom Beschwerdeführer nicht angeboten.

6. Nach dem Gesagten ist die Auslieferung des Beschwerdeführers an Deutschland zulässig und die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen.

7. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 3'000.-- festzusetzen (vgl. Art. 63 Abs. 5 VwVG i.V.m. Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und 8 Abs. 3 lit. a BStKR), unter Anrechnung des von ihm geleisteten Kostenvorschusses in gleicher Höhe.

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das akzessorische Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen.

3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt, unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in gleicher Höhe.

Bellinzona, 22. Februar 2024

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Advokat Gabriel Giess

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Im Falle der elektronischen Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind (Art. 48 Abs. 2 BGG).

Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG).

Weiterzug
  • 1C_140/2024 Nichteintreten
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