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Entscheid des Bundesstrafgerichts: BB.2023.208, BP.2023.107, BP.2023.108 vom 21.02.2024

Hier finden Sie das Urteil BB.2023.208, BP.2023.107, BP.2023.108 vom 21.02.2024 - Beschwerdekammer: Strafverfahren

Sachverhalt des Entscheids BB.2023.208, BP.2023.107, BP.2023.108

Der Bundesstrafgericht hat den Gesuch um Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO abgelehnt, da die Beschwerdekammer nicht sachlich zuständig ist. Der Gesuch wurde vom Leiter Rechtsdienst des Bundesstrafgerichts zurückgezogen und an die Strafkammer weitergeleitet, wo er von der Beschwerdekammer ebenfalls abgelehnt wurde.

Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Strafverfahren

Fallnummer:

BB.2023.208, BP.2023.107, BP.2023.108

Datum:

21.02.2024

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Kammer; Gericht; Verfahren; Beschwerdekammer; Ausstand; Gerichts; Verfahrens; Ausstands; Entscheid; Gesuch; Bundesgericht; Verfahren; Aufhebung; Urteil; Amtshandlungen; Wiederholung; Bundesstrafgericht; Akten; Bundesgerichts; Recht; Bundesstrafgerichts; Staatsanwalt; Verletzung; Untersuchung; Gericht; Zuständigkeit; VStrR; Sachrichter; Verfahrenshandlungen

Rechtskraft:

Kein Rechtsmittel gegeben

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 140 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 32 StPO ;Art. 329 StPO ;Art. 339 StPO ;Art. 393 StPO ;Art. 59 StPO ;Art. 6 StPO ;Art. 60 StPO ;Art. 71 BV ;Art. 91 StPO ;

Referenz BGE:

139 IV 246; 141 IV 284; 143 IV 475; 148 IV 17; ;

Entscheid des Bundesstrafgerichts

BV.2023.20

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BV.2023.20

Beschluss vom 21. Februar 2024 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Patrick Robert-Nicoud und Felix Ulrich,

Gerichtsschreiberin Chantal Blättler Grivet Fojaja

Parteien

A., vertreten durch Rechtsanwalt Andrea Taormina,

Gesuchsteller

gegen

Eidgenössisches Finanzdepartement, Generalsekretariat EFD,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Folgen der Verletzung von Ausstandsvorschriften (Art. 60 StPO analog)

Sachverhalt:

A.      Am 4. April 2019 erstattete die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) beim Eidgenössischen Finanzdepartement (nachfolgend «EFD») gegen die Verantwortlichen der Bank B. sowie allfällige weitere involvierte Personen Strafanzeige wegen Widerhandlung gegen Art. 37 i.V.m. Art. 9 des Bundesgesetzes vom 10. Oktober 1997 über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung (Geldwäschereigesetz, GwG; SR 955.0). Es bestand der Verdacht, dass im Zusammenhang mit den Kontobeziehungen der Bank B. zu C. eine Verdachtsmeldung an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) nach Art. 9 GwG pflichtwidrig unterlassen worden war (Verfahrensakten, pag. 010 1 ff.). Gestützt darauf eröffnete das EFD am 12. September 2019 das Verwaltungsstrafverfahren Nr. 442.3-143 wegen des Verdachts auf Verletzung der Meldepflicht gemäss Art. 37 GwG gegen Unbekannt (BV.2022.49, Verfahrensakten, pag. 040 1). Am 5. September 2022 wurde die Untersuchung auf A. und D. ausgedehnt (BV.2022.49, act. 1.3).

B.      Die verwaltungsstrafrechtliche Untersuchung Nr. 442.3-143 wurde zunächst von E. und nach ihrer Beförderung zur Gruppenleiterin per 1. September 2021 von der Untersuchungsleiterin F. geführt (BV.2022.49, act. 1.2, S. 3).

C.      Im Schlussprotokoll vom 7. September 2022 gelangte F. zum Ergebnis, dass A. sich der Verletzung der Meldepflicht gemäss Art. 37 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 GwG schuldig gemacht habe, begangen vom 10. Juni 2013 bis zum 31. Dezember 2015 (BV.2022.49, act. 1.5).

D.      In der Folge sprach E. mit Strafbescheid vom 20. Oktober 2022 A. der Verletzung der Meldepflicht gemäss Art. 37 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 GwG schuldig, begangen in der Zeit vom 10. Juni 2013 bis zum 31. Dezember 2015, und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 65'000.-- (BV.2022.49, act. 1.11).

E.      Mit Schreiben vom 24. Oktober 2022 verlangte A. beim Leiter Rechtsdienst den Ausstand von E. (BV.2022.49, act. 1.1). Der Leiter Rechtsdienst wies das Ausstandsgesuch mit Entscheid vom 2. Dezember 2022 ab (BV.2022.49, act. 1.2). Dagegen erhob A. mit Eingabe vom 8. Dezember 2022 bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde (BV.2022.49, act. 1).

F.      Am 16. Dezember 2022 erging die Strafverfügung gegen A., und am 13. Januar 2023 wurde bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend «Strafkammer») gegen A. Anklage erhoben (vgl. Art. 71 VStrR; BV.2022.49, act. 3.1, act. 11).

G.      Mit Beschluss BV.2022.49 vom 31. März 2023 hob die Beschwerdekammer den abweisenden Ausstandsentscheid des Leiters Rechtsdienst vom 2. Dezember 2022 auf und erkannte, dass E. im Verwaltungsstrafverfahren Nr. 442.3-143 gegen A. in den Ausstand zu treten habe. Insofern hiess die Beschwerdekammer die Beschwerde von A. vom 8. Dezember 2022 gut. Auf das Begehren von A. um Anweisung des EFD, sämtliche Verfahrenshandlungen, an denen E. mitgewirkt hat, insbesondere der Erlass des Strafbescheids vom 20. Oktober 2022 aufzuheben und zu wiederholen, trat die Beschwerdekammer nicht ein.

H.      Mit Schreiben vom 6. April 2023 gelangte A. an die Strafkammer mit dem Ersuchen, sämtliche Amtshandlungen von E., an welchen sie seit ihrer Beförderung zur Gruppenleiterin am 1. September 2021 vorgenommen habe, aufzuheben und zu wiederholen, insbesondere

          -    die Erstellung der Auskunfts- und Editionsverfügung vom 15. März 2022;

          -    die Erstellung der Auskunfts- und Editionsverfügung vom 9. Juni 2022;

          -    die Erstellung des Schlussprotokolls vom 7. September 2022;

          -    die Erstellung der Verfügung vom 17. Oktober 2022;

          -    der Erlass des Strafbescheids vom 20. Oktober 2022.

          Die Aufhebung des Strafbescheids vom 20. Oktober 2022 habe zur Folge, dass die ihm folgenden und auf ihm beruhenden Amtshandlungen ebenfalls aufzuheben und zu wiederholen seien, insbesondere:

          -    die Durchführung des Einspracheverfahrens;

          -    der Erlass der Strafverfügung vom 16. Dezember 2022, mit welcher das Einspracheverfahren abgeschlossen worden sei;

          -    die Überweisung an die Bundesanwaltschaft vom 4. Januar 2023;

          -    die Überweisung an das Bundesstrafgericht vom 11. Januar 2023.

A. beantragte sodann, dass sämtliche vom Ausstandsgrund kontaminierten Akten gestützt auf Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Verfahrensakten zu entfernen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss zu halten und danach zu vernichten seien. Schliesslich beantragte A., das Verwaltungsverfahren sei wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen (act. 1, S 2 f.).

I.        In seiner Stellungnahme vom 21. April 2023 teilte der Leiter Rechtsdienst der Strafkammer zunächst mit, dass er die Strafverfügung unter Vorbehalt der Zustimmung der Bundesanwaltschaft zurückziehe. Ferner beantragte er, das Gesuch um Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen sei von Amtes wegen umgehend an die Beschwerdekammer weiterzuleiten, und das gerichtliche Verfahren gegen A. sei nach Einholung der Zustimmung der Bundesanwaltschaft zum Rückzug der betreffenden Strafverfügung vom 16. Dezember 2022 einzustellen (act. 2, S. 6). An die Adresse der Beschwerdekammer, eventualiter Strafkammer, richtete der Leiter Rechtsdienst ferner den Antrag, die Behandlung des Gesuchs um Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen vom 6. April 2023 sei zu sistieren und nach Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens durch das EFD als gegenstandslos abzuschreiben (act. 2, S. 7).

J.       Mit Schreiben vom 25. April 2023 leitete die Strafkammer das Gesuch von A. vom 6. April 2023 um Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen zuständigkeitshalber an die Beschwerdekammer weiter. Mit Bezug auf «die übrigen Parteianträge, Rückweisungs- und Einstellungsantrag», erachtete sich die Strafkammer als zuständig (act. 3).

         

K.      Die Beschwerdekammer forderte in der Folge A. mit Schreiben vom 26. April 2023 auf, bis zum 8. Mai 2023 eine Gesuchsreplik einzureichen (act. 4). Diese ging innert erstreckter Frist am 31. Mai 2023 beim Gericht ein. Dabei stellte A. den Antrag, das vorliegende Verfahren vorerst auf die Prüfung der Zuständigkeitsfrage zu beschränken und sodann sein Gesuch vom 6. April 2023 zum Entscheid an die Strafkammer zurückzuüberweisen (act. 9, S. 6).

L.      Vor dem Hintergrund der Bestreitung der Zuständigkeit der Beschwerdekammer durch A., forderte diese die Strafkammer mit Schreiben vom 31. Mai 2023 auf, sich zur sachlichen Zuständigkeit zu äussern. Dem EFD wurde Gelegenheit eingeräumt, zur Gesuchsreplik zu duplizieren (act. 10).

M.     Die Strafkammer und das EFD verzichteten auf Stellungnahme bzw. Duplik, was A. am 7. Juni 2023 zur Kenntnis gebracht wurde (act. 11-13).  

N.      Am 5. Juli 2023 liess die Strafkammer der Beschwerdekammer eine Kopie der prozessleitenden Verfügung vom selben Tag zukommen, mit welcher der Einzelrichter der Strafkammer A. die Frist zur Geltendmachung allfälliger Ansprüche auf Prozessentschädigung für das gerichtliche Verfahren abgenommen hatte, um den Ausgang des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens abzuwarten (act. 14).

          Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1     Gemäss Art. 50 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG; SR 956.1) richtet sich das Verfahren bei Verdacht von Widerhandlungen gegen das FINMAG oder die Finanzmarktgesetze – worunter auch das Geldwäschereigesetz fällt (Art. 1 Abs. 1 lit. f FINMAG) – nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0), soweit das FINMAG oder die Finanzmarktgesetze nichts anderes bestimmen. Verfolgende und urteilende Behörde ist das EFD (Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz FINMAG).

1.2     Die Bestimmungen der StPO sind insoweit ergänzend oder sinngemäss anwendbar, als das VStrR dies ausdrücklich festlegt (vgl. Art. 22, Art. 30 Abs. 2‑3, Art. 31 Abs. 2, Art. 41 Abs. 2, Art. 43 Abs. 2, Art. 58 Abs. 3, Art. 60 Abs. 2, Art. 80 Abs. 1, Art. 82, Art. 89 und Art. 97 Abs. 1 VStrR). Soweit das VStrR einzelne Fragen nicht abschliessend regelt, sind die Bestimmungen der StPO grundsätzlich analog anwendbar (BGE 139 IV 246 E. 1.2, E. 3.2; Urteile des Bundesgerichts 1B_210/2017 vom 23. Oktober 2017 E. 1.1; 1B_91/2016 vom 4. August 2016 E. 4.1; zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 1B_433/2017 vom 21. März 2018 E. 1.1).

2.

2.1     Vor der materiellen Befassung hat jede Behörde in jedem Stadium des Verfahrens ihre Zuständigkeit von Amtes wegen zu prüfen. Daher ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdekammer im vorliegenden Verfahren sachlich zuständig ist, um über das Gesuch betreffend Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen gestützt auf Art. 60 Abs. 1 StPO zu befinden.

2.2    

2.2.1  Die Beschwerdekammer hatte mit Beschluss BV.2022.49 vom 31. März 2023 gestützt auf Art. 29 Abs. 1 lit. c VStrR die Befangenheit von E. bejaht. Das VStrR äussert sich nicht zu den Folgen der Gutheissung eines Ausstandsgesuchs, weshalb Art. 60 StPO analog zur Anwendung kommt (Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BV.2022.49 vom 31. März 2023 E. 6; BV.2014.36 vom 21. Oktober 2014 E. 2.3; Konopatsch/Ehmann, Basler Kommentar, 2020, N. 113 zu Art. 29 VStrR).

2.2.2  Art. 60 Abs. 1 StPO sieht vor, dass Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, aufzuheben und zu wiederholen sind, sofern dies eine Partei innert 5 Tagen verlangt, nachdem sie vom Entscheid über den Ausstand Kenntnis erhalten hat. Seit dem 1. Januar 2024 entspricht nun auch der französische Gesetzestext von Art. 60 Abs. 1 StPO der deutschen und italienischen Fassung, wonach eine Partei die Aufhebung und Wiederholung der Amtshandlungen spätestens fünf Tage nach Kenntnis vom Entscheid über den Ausstand verlangen muss («…cinq jours après qu'elle a eu connaissance de la décision de récusation» anstelle der früheren Fassung «… cinq jours après qu'elle a eu connaissance du motif de la récusation»). Während mit der Zuständigkeitsordnung von Art. 59 Abs. 1 StPO sichergestellt werden soll, dass Befangenheitsfragen von einer institutionell möglichst unabhängigen Behörde beurteilt werden (vgl. BGE 148 IV 17 E. 2.3), schweigt sich das Gesetz darüber aus, welche Behörde über die Folgen der Verletzung von Ausstandsvorschriften im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO zu entscheiden hat.

2.2.3  Der Einzelrichter im Verfahren SK.2023.5 hat das bei ihm eingereichte Gesuch um Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen vom 6. April 2023 der Beschwerdekammer unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts 1B_246/2017 vom 6. Oktober 2017 zuständigkeitshalber weitergeleitet (act. 3). Dem genannten Urteil des Bundesgerichts lag ein Entscheid der Beschwerdekammer für Strafsachen des Obergerichts des Kantons Genf vom 29. Mai 2017 zugrunde, mit welchem diese die Aufhebung und Wiederholung von Verfahrenshandlungen eines Staatsanwaltes anordnete, dessen Befangenheit die Beschwerdekammer mit Entscheid vom 10. Februar 2017 festgestellt hatte. Die Beschwerdekammer erachtete es im konkreten Fall als unangemessen, dass nach Anklageerhebung das erstinstanzliche Gericht, nachdem es die Akten gerade erst erhalten habe, darüber entscheiden müsse, welche Verfahrenshandlungen aufzuheben und welche Akten zu entfernen seien. Daher müsse die Beschwerdekammer, die das Ausstandsgesuch gegen den Staatsanwalt gutgeheissen habe, auch über dessen Folgen entscheiden. Das Bundesgericht führte im genannten Urteil aus, von der beschwerdeführenden Partei sei die Zuständigkeit der Beschwerdekammer über den Antrag auf Aufhebung von Verfahrenshandlungen zu entscheiden, zu Recht nicht in Frage gestellt worden. Wenn sich der Fall noch im Stadium der Untersuchung befinde, habe der neue Staatsanwalt, der mit dem Verfahren betraut sei, als Verfahrensleiter den Entscheid über die Aufhebung und Wiederholung von Verfahrenshandlungen zu treffen. Dieser Entscheid unterliege der Beschwerde nach Art. 393 ff. StPO. Nach Anklageerhebung liege die Verfahrensleitung nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft, sondern beim Präsidium des Strafgerichts. Es sei jedoch kohärent, dass in diesem Fall die Behörde, welche über das Ausstandsgesuch entschieden habe (i.c. die Beschwerdeinstanz), sich auch zu den Folgen der Gutheissung eines solchen Gesuchs äussere. Dies habe entweder direkt im Ausstandsentscheid oder durch einen späteren Antrag zu geschehen. Die Beschwerdeinstanz kenne nämlich den Fall in diesem Punkt bereits und sei auch am besten in der Lage, den Wortlaut ihres eigenen Ausstandsentscheides gegebenenfalls so zu interpretieren, dass alle Konsequenzen daraus gezogen würden. Es sei nicht angemessen, wenn das Strafgericht, das die Akten noch nicht kenne, über das Schicksal der Handlungen des abgelehnten Staatsanwaltes entscheiden müsse und so allenfalls dazu veranlasst wäre, seine eigene Anrufung aufzuheben (Urteil des Bundesgerichts 1B_246/2017 vom 6. Oktober 2017 E. 2).

2.2.4  Das Bundesgericht hat im zitierten Urteil die Zuständigkeit der Beschwerdekammer um über die Aufhebung und Wiederholung von Verfahrenshandlungen im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO zu entscheiden, hauptsächlich aus prozessökonomischen Gründen bejaht. Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, hat das Bundesgericht dabei jedoch prozessuale Grundsätze ausser Acht gelassen, weshalb sein Entscheid insofern nicht in Einklang mit andern publizierten Entscheiden des Bundesgerichts steht.

Für die Beantwortung der Frage, welche Behörde über die Folgen eines gutgeheissenen Ausstandsgesuches entscheidet, ist zunächst festzuhalten, dass es sich beim Ausstandsverfahren um ein vom restlichen Strafverfahren separates Zwischenverfahren handelt (BGE 148 IV 17 E. 2.3, unter Hinweis auf den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau SW.2017.91 vom 25. Januar 2018, in: RBOG 2018 Nr. 15). Das Ausstandsverfahren und das Verfahren betreffend die Folgen des Ausstands sind sodann von Gesetzes wegen nicht einheitlich, sondern zweigeteilt (Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau SW.2017.91 vom 25. Januar 2018 E. 3.bb; so im Ergebnis auch die Verfügung der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2019.28 vom 15. Juli 2019 E. 2). Der Wortlaut von Art. 60 Abs. 1 StPO schliesst daher aus, dass im Ausstandsentscheid direkt auch über dessen Folgen entschieden wird (vgl. Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BV.2022.49 vom 31. März 2023 E. 6; BB.2020.296 vom 30. April 2021 E. 9.2; BB.2020.92, BB.2020.93 vom 14. Januar 2021 E. 3.2.2; BB.2018.197 vom 17. Juni 2019 E. 6).

Die Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen, die in Verletzung von Ausstandsvorschriften erfolgt sind, beschlägt sodann in erster Linie die Frage nach der Gültigkeit der in der Strafuntersuchung erhobenen Beweise und hat somit direkt Auswirkungen auf die Beweislage (Beschluss des Bundesstrafgerichts BB.2020.92, BB.2020.93 vom 14. Januar 2021 E. 3.2.2). Unter Verletzung von Ausstandsvorschriften erhobene Beweise gelten als unrechtmässig erlangt und dürfen daher nicht verwertet werden (Keller, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, N. 5 zu Art. 60 StPO). Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet (Art. 141 Abs. 5 StPO). Das Bundesgericht hielt in BGE 143 IV 475 fest, die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln sei grundsätzlich dem Sachrichter (Art. 339 Abs. 2 lit. b StPO) bzw. der den Endentscheid fällenden Strafbehörde zu unterbreiten. Dabei könne vom Sachrichter erwartet werden, dass er in der Lage sei, die unzulässigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich bei der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen. Mithin obliege der definitive Entscheid über gesetzliche Beweisverwertungsverbote (Art. 140 f. StPO) nach der Praxis des Bundesgerichts grundsätzlich der zuständigen Verfahrensleitung bzw. dem erkennenden Sachrichter im Rahmen des Endentscheides (E. 2.7; BGE 141 IV 284 E. 2.2; 141 IV 289 E. 1.2; 139 IV 128 E. 1.6 f.; Urteile des Bundesgerichts 6B_187/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 3.2.2; 6B_534/2019 vom 21. Februar 2019 E. 3.3.1; 1B_179/2012 vom 13. April 2012 E. 2.4). Dies schliesst gemäss Bundesgericht allerdings nicht aus, dass die Beschwerdeinstanz im Vorverfahren über die Verwertbarkeit von Beweismitteln befindet, so nämlich im Zusammenhang mit bei ihr erhobenen Beschwerden gegen ablehnende Entscheide der Staatsanwaltschaft über Aktenentfernungsgesuche (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Dies gelte zumindest in Fällen, in welchen sich die Unverwertbarkeit von Aktenstücken eindeutig feststellen lasse. In weniger klaren Fällen, insbesondere dort, wo eine Prüfung bzw. Interessensabwägung im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO vorzunehmen sei, könne es sich als geboten erweisen, diese dem erkennenden Sachrichter vorzuenthalten (BGE 143 IV 475 E. 2.7). Die Beschwerdeinstanz muss sich mit anderen Worten u.U. dann mit der Beweisverwertbarkeit auseinandersetzen und gegebenenfalls Beweismittel aus den Akten entfernen, wenn im Untersuchungsverfahren die Staatsanwaltschaft den Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Entfernung von Aufzeichnungen von unverwertbaren Beweisen aus den Akten abgelehnt hat oder untätig bleibt und der Betroffene dagegen Beschwerde erhoben hat.

2.2.5  Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht eine Beschwerde gegen einen ablehnenden Aktenentfernungsentscheid der Untersuchungsbehörden. Auch befindet sich das Strafverfahren nicht mehr im Untersuchungsstadium, sondern vor dem erstinstanzlichen Gericht. Würde die Beschwerdekammer nun entsprechend dem Urteil des Bundesgerichts 1B_246/2017 vom 6. Oktober 2017 über die Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO und damit über die Zulässigkeit bzw. Verwertbarkeit von Erhebungen im Untersuchungsverfahren entscheiden, griffe sie nicht nur dem Sachrichter vor (vgl. supra E. 2.2.4), sie würde sich zudem eine Kompetenz anmassen, die ihr von Gesetzes wegen in diesem Umfang nicht zukommt. Mit dieser Problematik hat sich das Bundesgericht im Urteil 1B_246/2017 vom 6. Oktober 2017 nicht auseinandergesetzt. Ob die Beschwerdekammer, welche über den Ausstand entschieden hat, tatsächlich besser als der Sachrichter in der Lage sein soll, über die Folgen des Ausstandes zu befinden, ist fraglich, zumal sich in beiden Verfahren andere Fragen stellen. Hinzu kommt, dass der Sachrichter mit der Anklageerhebung über sämtliche Verfahrensakten verfügt. Er ist damit ohne Weiteres in der Lage, die Prüfung der Verwertbarkeit der Beweismittel vorzunehmen. Offenbar entsprach es in der Vergangenheit denn auch der Praxis der Strafkammer, in Strafverfahren über die Folgen der von der Beschwerdekammer festgestellten Verletzung von Austandsvorschriften zu befinden (vgl. Verfügung der Strafkammer SK.2019.28 vom 15. Juli 2019 E. 2 ff.). Schliesslich überzeugt das Argument nicht, wonach der Entscheid im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO deshalb der Beschwerdekammer obliege, weil das zuständige Gericht seine eigene Anrufung beenden würde, würde es über die Aufhebung der Verfahrenshandlungen des in den Ausstand versetzen Staatsanwaltes befinden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_246/2017 vom 6. Oktober 2017 E. 2). Der Sachrichter ist ohnehin verpflichtet, zu prüfen, ob die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind, die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind oder Verfahrenshindernisse bestehen (Art. 329 StPO). Kann ein Urteil zurzeit nicht ergehen, sistiert das Gericht das Verfahren und weist die Anklage gegebenenfalls zur Ergänzung an die Staatsanwaltschaft zurück. Kann ein Urteil definitiv nicht ergehen, stellt das Gericht das Verfahren ein (Art. 329 Abs. 2 und 3 StPO).

2.2.6  Zusammenfassend erweist sich das Urteil 1B_246/2017 vom 6. Oktober 2017 für die Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdekammer zur Behandlung von Gesuchen im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO zuständig ist, als nicht einschlägig.

2.3     Aus dem Gesagten folgt, dass vorliegend für die Beschwerdekammer keine rechtliche Grundlage besteht, um über das Gesuch um Aufhebung und Wiederholung von Amtshandlungen im Sinne von Art. 60 Abs. 1 StPO zu entscheiden. Daher ist auf das Gesuch mangels sachlicher Zuständigkeit nicht einzutreten. Gestützt auf Art. 91 Abs. 4 StPO ist das Gesuch zuständigkeitshalber an die Strafkammer des Bundesstrafgerichts weiterzuleiten.

3.       Es werden keine Kosten erhoben.

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1.       Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.

2.       Die Sache wird zuständigkeitshalber an die Strafkammer des Bundesstrafgerichts überwiesen.

3.       Es werden keine Kosten erhoben.                  

Bellinzona, 21. Februar 2024

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Rechtsanwalt Andrea Taormina

- Eidgenössisches Finanzdepartement, Generalsekretariat EFD

- Bundesstrafgericht, Strafkammer (SK.2023.5; brevi manu; unter Beilage von act. 1)

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

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