E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Strafverfahren
Fallnummer:RR.2023.30
Datum:27.04.2023
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Kanton; Gericht; Verfahren; Gerichtsstand; Kantons; Befehl; Verfahren; Bundesstrafgericht; Bundesstrafgerichts; Verfolgung; Generalstaatsanwaltschaft; Verfahrens; Gerichtsstands; Staatsanwaltschaft; Recht; Diebstahl; Beschwerdegegner; Delikt; Kantone; Beschwerdekammer; Parteien; Zürich-Sihl; Bezug; Verfügung; Behörde; Verfolgungshandlungen; Mittäter; übten
Rechtskraft:Kein Rechtsmittel gegeben
Rechtsnorm: Art. 13 StGB ; Art. 132 StPO ; Art. 14 StGB ; Art. 18 StGB ; Art. 2 StPO ; Art. 299 StPO ; Art. 3 StPO ; Art. 31 StPO ; Art. 33 StPO ; Art. 34 StPO ; Art. 38 StPO ; Art. 39 StPO ; Art. 40 StPO ; Art. 41 StPO ; Art. 423 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 429 StPO ;
Referenz BGE:138 IV 214; ;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

BG.2023.11, BP.2023.28

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2023.11 Nebenverfahren: BP.2023.28

Beschluss vom 27. April 2023 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Miriam Forni und Felix Ulrich,

Gerichtsschreiberin Chantal Blättler Grivet Fojaja

Parteien

A., vertreten durch Fürsprech Friedrich Affolter,

Beschwerdeführer

gegen

1.    Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft,

2.    Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft,

Beschwerdegegner 1 und 2

Gegenstand

Anfechtung des Gerichtsstands (Art. 41 Abs. 2 StPO); Amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO)

Sachverhalt:

A.      Am 15. Oktober 2022 wurde gegen den algerischen Staatsangehörigen A. im Kanton Zürich eine Strafuntersuchung eröffnet wegen eines am gleichen Tag in einem Sportgeschäft an der Z.-strasse in Zürich verübten Diebstahls (vgl. Einvernahmeprotokoll der Stadtpolizei Zürich vom 15. Oktober 2022, act. 4.2).

B.      Am 16. Oktober 2022 gingen bei der Kommandoeinsatzzentrale der Kantonspolizei Bern mehrere Meldungen ein, wonach in Y./BE in verschiedene Personenfahrzeuge eingebrochen worden sei. Unter anderem aufgrund der vor Ort durchgeführten und ausgewerteten Spurensicherungen gehen die Berner Strafverfolgungsbehörden davon aus, dass mindestens zehn dieser Einbrüche von A. verübt worden seien (vgl. act. 1.8.8-1.8.18).

C.      Mit Datum vom 7. November 2022 erliess die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl gegen A. mit Bezug auf den am 15. Oktober 2022 verübten Diebstahl (vgl. supra lit. A) einen Strafbefehl und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 30.00 sowie zu einer Busse von CHF 200.00 (act. 4.1).

D.      Aktenkundig ist ferner Folgendes: A. soll am 3. Dezember 2022 im Kaufhaus D. in X./BL versucht haben, eine Jacke im Wert von CHF 319.90 zu stehlen (act. 3.2). Am 5. Dezember 2022 habe A. ausserdem in einem Sportgeschäft an der W.-strasse in Zürich zwei Jacken im Wert von CHF 980.80 gestohlen. Schliesslich hätten A. und B. sowie C. in der Zeit vom 5. Dezember, ca. 17 Uhr, bis 6. Dezember 2022, ca. 9 Uhr, in V./ZH einen Einbruchsdiebstahl in einen Personenwagen verübt und dabei Lebensmittel und Bekleidungsstücke im Wert von ca. CHF 455.00 entwendet und am 6. Dezember 2022, um 10:40 Uhr, aus einer Garagenbox in V./ZH eine Tasche im Wert von CHF 100.00 gestohlen (vgl. act. 4.9).

E.      Am 9. Dezember 2022 ersuchte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern um Übernahme der Strafverfahren gegen A., B. und C. betreffend die am 5. bzw. 6. Dezember 2022 in V./ZH verübten Diebstähle (act. 4.6).

F.      Mit Schreiben vom 12. Dezember 2022 lehnte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern das Gesuch der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl um Verfahrensübernahme ab, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass durch die drei Beschuldigten noch weitere Taten begangen worden seien. Im Rapport der Kantonspolizei Zürich vom 6. September 2022 seien im Zusammenhang mit den drei Beschuldigten weitere gleichgelagerte Einbrüche bzw. Einbruchsversuche im Bezirk Horgen aufgeführt. Auch der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts Horgen vom 9. Dezember 2022 könne entnommen werden, dass A. unter dem dringenden Verdacht stehe, in der Zeit vom 1. bis 6. Dezember 2022 in den Gemeinden U./ZH, ZZ./ZH, V./ZH und YY./ZH weitere Einbruchsdiebstähle und Fahrzeugeinbrüche begangen zu haben. Zudem hätten nicht alle Objekte aus dem sichergestellten Deliktsgut einem Delikt zugeordnet werden können. Es obliege der mit der Sache erstbefassten Behörde, die zur Bestimmung des Gerichtsstands notwendigen Tatsachen abzuklären. Eine Übernahme des Verfahrens erscheine daher verfrüht (act. 4.8).

G.      Mit Schreiben vom 23. Februar 2023 gelangte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl erneut an die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und ersuchte um Übernahme der Strafuntersuchung gegen A. wegen Diebstahls (Art. 139 StGB), Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) und Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB). Gegenstand der gegen A. geführten Strafuntersuchung seien ein am 16. Oktober 2022 in Y./BE begangener Einbruchsdiebstahl in ein Personenfahrzeug («Dossier-Nr. 2»; vgl. supra lit. B), der Diebstahlsversuch vom 3. Dezember 2022 in X./BL («Dossier-Nr. 5»; vgl. supra lit. D), die am 5. und 15. Dezember 2022 je in ein Sportgeschäft in Zürich verübten Diebstähle («Dossier-Nrn. 6 und 7»; vgl. supra lit. A und D) sowie die gemeinsam mit B. und C. begangenen Diebstähle in V./ZH («Dossier-Nr. 1, 3 und 4»; vgl. supra lit. D). Gemäss Auszug aus dem schweizerischen Strafregister führe die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland bereits seit Anfang Dezember 2022 gegen A. eine Strafuntersuchung, weshalb gestützt auf Art. 31 Abs. 2 StPO die Akten zur Prüfung des Gerichtsstands den Berner Behörden übergeben würden. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl teilte ausserdem mit, dass sie die Verfahren gegen B. und C. weiterführen werde, da deren Tatbegehungen sich alleine auf die in den Dossier-Nrn. 1, 3 und 4 beschränken würden und daher deren Tatschwerpunkt im Kanton Zürich liege (act. 4.9).

H.      Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern bejahte mit Schreiben vom 24. Februar 2023 ihre Zuständigkeit mit Bezug auf die A. in den Kantonen Zürich und Bern vorgeworfenen Delikte. Die ersten Verfolgungshandlungen seien im Kanton Bern am 16. Oktober 2022 erfolgt, hingegen im Kanton Zürich erst am 6. Dezember 2022 (act. 4.7).

I.        Mit Schreiben vom 9. März 2023 liess A. durch seinen amtlichen Verteidiger, Fürsprech Friedrich Affolter (nachfolgend «Fürsprech Affolter»), bei der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern den Antrag stellen, dass die Übernahmeverfügung vom 24. Februar 2023 aufzuheben und das Strafverfahren, soweit es die zusammen mit B. und C. am 6. Dezember 2023 begangenen Diebstähle in V./ZH betreffe (Dossier-Nrn. 1, 3 und 4), an die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl zurückzuweisen sei (act. 1.4).

J.       Mit Verfügung vom 13. März 2023 wies die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern die Anträge A.s sinngemäss ab und hielt fest, dass sich die bernische Zuständigkeit aufgrund erster Verfolgungshandlungen im Kanton Bern ergebe (act. 1.5).

K.      Dagegen liess A. bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit Eingabe vom 27. März 2023 Beschwerde erheben. Er beantragt, die Verfügung der Generalsstaatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 13. März 2023 sei aufzuheben und es seien die Strafbehörden des Kantons Zürich für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die Verfahren gegen den Beschuldigten A. in Mittäterschaft mit B. und C. zu führen (Dossier-Nrn. 1, 3 und 4), eventuell das Verfahren aus allen abgetretenen Dossier-Nrn. 1 bis 7 zu führen. A. beantragt ferner, ihm sei für das Beschwerdeverfahren das Recht zur unentgeltlichen Rechtspflege zu gewähren, unter Beiordnung von Fürsprech Affolter als amtlicher Verteidiger (act. 1 S. 2).

L.      Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern teilte mit Schreiben vom 31. März 2023 mit, dass sie unter Hinweis auf die Ausführungen in der angefochtenen Verfügung vom 13. März 2023 auf eine Beschwerdeantwort verzichte (act. 3). Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragte in ihrer Beschwerdeantwort vom 2. April 2023 die Abweisung der Beschwerde (act. 4). A. hält in seiner Replik vom 8. April 2023 an den in der Beschwerde vom 27. März 2023 gestellten Anträgen fest (act. 6), was den Beschwerdegegnern am 11. April 2023 zur Kenntnis gebracht worden ist (act. 7).

          Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.       Gegen die von den beteiligten Staatsanwaltschaften verschiedener Kantone getroffene Entscheidung über den Gerichtsstand (Art. 39 Abs. 2 StPO) können sich die Parteien innert 10 Tagen bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts beschweren (Art. 41 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 40 Abs. 2 StPO und Art. 37 Abs. 1 StBOG). Haben die Staatsanwaltschaften einen abweichenden Gerichtsstand vereinbart (Art. 38 Abs. 1 StPO), so steht diese Beschwerdemöglichkeit nur jener Partei offen, deren Antrag nach Art. 41 Abs. 1 StPO abgewiesen worden ist (Art. 41 Abs. 2 Satz 2 StPO).

          Die Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass (vgl. supra lit. G-J). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1     Ist eine Straftat von mehreren Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 33 Abs. 2 StPO). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO). Begehen mehrere Beschuldigte zusammen in verschiedenen Kantonen mehrere Delikte, so sind Art. 33 und Art. 34 Abs. 1 StPO so miteinander zu kombinieren, dass in der Regel alle Mitwirkenden an dem Orte verfolgt werden, wo von einem Mittäter die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist. Bei gleich schweren Strafdrohungen bestimmt sich der Gerichtsstand für alle Beteiligten nach dem Ort, wo die Verfolgungshandlungen zuerst vorgenommen worden sind (vgl. hierzu u. a. die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2011.49 vom 19. Januar 2012 E. 2.1; BG.2011.33 vom 28. September 2011 E. 2.2.1; BG.2011.4 vom 10. August 2011 E. 2.2.2).

2.2     Die Anwendung von Art. 34 Abs. 1 StPO setzt – wie auch Art. 33 StPO (vgl. hierzu TPF 2020 58 E. 2.7 S. 62 m.w.H.) – voraus, dass die beschuldigte Person (bei interkantonalen Konstellationen) in verschiedenen Kantonen gleichzeitig verfolgt wird (Baumgartner, Die Zuständigkeit im Strafverfahren, 2014, S. 224 m.w.H.; TPF 2010 70 E. 2.2 S. 72; Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2019.14 vom 28. Mai 2019 E. 2.2; BG.2017.21 vom 17. Januar 2018 E. 3.1; BG.2017.30 vom 28. Dezember 2017 E. 2.1). Art. 34 Abs. 2 StPO hält in diesem Zusammenhang fest, dass die Verfahren getrennt geführt werden, wenn in einem der beteiligten Kantone im Zeitpunkt des Gerichtsstandsverfahrens nach Art. 39–42 StPO wegen einer der Straftaten schon Anklage erhoben worden ist. In Bezug auf Strafbefehle ist Art. 34 Abs. 2 StPO analog anzuwenden (vgl. auch Ziff. 9 Abs. 1 der Empfehlungen zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit [Gerichtsstandsempfehlungen] der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz vom 21. November 2019). Dies bedeutet, dass ein rechtskräftiger Strafbefehl der Einreichung einer Anklageschrift beim Gericht gleichzustellen ist. Begründen lässt sich dies damit, dass sowohl bei der Einreichung einer Anklage beim Gericht als auch beim Erlass eines Strafbefehls das Vorverfahren im Sinne von Art. 299 ff. StPO abgeschlossen wird (TPF 2013 131 E. 2; Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2022.11 vom 11. Mai 2022 E. 3.1). Eine teilweise Beendigung des Verfahrens (z.B. durch Strafbefehl) führt in der Regel zu keinem Abweichen der in Art. 34 Abs. 1 StPO verankerten gerichtsstandsrechtlichen Regelungen. Es darf einem Kanton nicht möglich sein, durch frühzeitigen Erlass eines Strafbefehls, der sich aus Art. 34 Abs. 1 StPO ergebenden Verpflichtung zur Erforschung und Beurteilung von Delikten des Angeschuldigten aus einem anderen Kanton zu entziehen (Moser/Schlapbach, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 34 StPO N. 8 m.w.H.). Entsprechend bleibt der Kanton ungeachtet des bereits abgeurteilten Delikts trotzdem noch für die Verfolgung der anderweitig an einem anderen Ort noch hängigen Delikte zuständig (TPF 2021 177 E. 4.2.2; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2012.9 vom 10. Mai 2012 E. 3.2).

2.3     Art. 33 StPO soll als gerichtsstandmässige Entsprechung zu Art. 29 StPO sicherstellen, dass die an einer Straftat Beteiligten durch dieselbe Behörde in einem Verfahren verfolgt und beurteilt werden können. Diese Bestimmung soll eine einheitliche Beweiswürdigung, rechtliche Subsumption und Strafzumessung ermöglichen. Mit der gemeinsamen Verfolgung soll verhindert werden, dass bezüglich der Beteiligten widersprechende Urteile ergehen. Aus diesem Grund darf auch nicht leichthin eine Verfahrenstrennung vorgenommen werden. Eine solche ist nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben. Die sachlichen Gründe müssen objektiv sein. Getrennte Verfahren sollen vor allem der Verfahrensbeschleunigung dienen bzw. eine unnötige Verzögerung vermeiden helfen. Als sachlicher Trennungsgrund gilt etwa die grosse Zahl von Mittätern, die länger dauernde Unerreichbarkeit einzelner Mitbeschuldigter oder die bevorstehende Verjährung einzelner Straftaten (BGE 138 IV 214 E. 3.2; Urteile des Bundesgerichts 6B_23/2021 vom 20. Juli 2021 E. 3.3; 1B_86/2015 vom 21. Juli 2015 E. 2.1, je mit Hinweisen; Schlegel, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, N. 1 ff. zu Art. 33 StPO; Bartetzko, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 3 ff. zu Art. 30 StPO).

3.

3.1     Unter den Parteien ist unbestritten, dass in den in den Kantonen Zürich und Bern gegen A. geführten Verfahren jeweils der Diebstahl den mit schwerster Strafe bedrohten Tatvorwurf darstellt. Es wird ferner auch von keiner Partei in Frage gestellt, dass die Einbruchsdiebstähle in V./ZH vom 6. Dezember 2022 in mittäterschaftlicher Begehung von A., B. und C. verübt worden sein sollen. Ebenso ist grundsätzlich unbestritten, dass mit Bezug auf die A. vorgeworfenen Taten die ersten Verfolgungshandlungen in Zürich vorgenommen wurden, nämlich am 15. Oktober 2022 mit der polizeilichen Verfolgung bzw. Einvernahme A.s zum gleichentags von ihm in Zürich verübten Ladendiebstahl (vgl. act. 1.5 S. 1). Die Beschwerdegegner wenden jedoch unter Anrufung von Ziff. 9 der Gerichtsstandsempfehlungen ein, dass mit Bezug auf den am 15. Oktober 2022 begangenen Diebstahl zum Zeitpunkt des Gerichtsstandsverfahrens bereits ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl erlassen worden sei, weshalb sich diese Tat nicht mehr gerichtsstandsrelevant auswirke. Dies gelte auch, wenn gegen den erlassenen Strafbefehl Einsprache erhoben worden sei (vgl. act. 1.5 S. 1 f.; act. 4 S. 3).

3.2     Wie bereits supra unter E. 2.2 erwähnt, setzt die Anwendung von Art. 34 Abs. 1 StPO voraus, dass die beschuldigte Person in verschiedenen Kantonen gleichzeitig verfolgt wird. Als der Kanton Zürich mit Ersuchen vom 23. Februar 2023 um Übernahme der Strafuntersuchung gegen A. an den Kanton Bern gelangte, war zwar mit Bezug auf den am 15. Oktober 2022 von diesem begangenen Diebstahl am 7. November 2022 ein Strafbefehl erlassen worden (act. 4.1). Dieser war jedoch zum Zeitpunkt der Anfrage der Verfahrensübernahme infolge der dagegen am 10. Dezember 2022 erhobenen Einsprache (vgl. act. 4.3) nicht rechtskräftig. Die Überweisung des Strafbefehls an das Bezirksgericht Zürich erfolgte erst am 13. März 2023 (act. 4.5). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts, dass nur ein rechtskräftiger Strafbefehl der Einreichung einer Anklageschrift gleichzustellen ist und damit zu einer Trennung der Verfahren im Sinne von Art. 34 Abs. 2 StPO führt (vgl. supra E. 2.2; TPF 2013 128 E. 2; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2022.11 vom 11. Mai 2022 E. 3.1; vgl. auch Baumgartner, a.a.O., S. 463 ff.; Schlegel, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, N. 12 zu Art. 34 StPO). Daran ist festzuhalten, und zwar unabhängig vom anderslautenden Wortlaut in Ziff. 9 Abs. 1 der Gerichtsstandsempfehlungen, wonach die Verfahren zu trennen sind, auch wenn gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben worden ist. Bei den Gerichtsstandsempfehlungen handelt es sich nicht um rechtsetzende Akte mit Aussenwirkung, sondern um interne Vereinbarungen zwecks Vermeidung von Gerichtsstandskonflikten (Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2019.14 vom 28. Mai 2019 E. 2.2 m.w.H.). Da somit der Strafbefehl zum Zeitpunkt der Anfrage um Verfahrensübernahme noch nicht rechtskräftig und auch nicht als Anklage an das Gericht überwiesen war, befand sich das Verfahren gegen A. mit Bezug auf den am 15. Oktober 2022 verübten Diebstahl noch im Stadium des Vorverfahrens. Eine Anwendung von Art. 34 Abs. 2 StPO fiel daher ausser Betracht (vgl. supra E. 2.2). In beiden Kantonen wird A. Diebstahl als schwerstes Delikt vorgeworfen. Da die ersten Verfolgungshandlungen im Kanton Zürich am 15. Oktober 2022 vorgenommen worden sind, liegt mithin der ordentliche Gerichtsstand im Kanton Zürich (Art. 34 Abs. 1 StPO).

4.       Soweit die Beschwerdegegner der Ansicht sind, es lägen Gründe vor, um vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen, welche die getrennte Verfolgung und Beurteilung von A. und den Mittätern B. und C. rechtfertigen würden, ist festzuhalten, dass das Vorliegen solcher sachlichen Gründe nicht ersichtlich ist. Wie bereits ausgeführt, sind Mittäter grundsätzlich gemeinsam zu verfolgen und zu beurteilen, um sich widersprechende Urteile zu vermeiden. Eine Trennung der Verfahren hat nur ausnahmsweise zu erfolgen, etwa dann, wenn dies der Verfahrensbeschleunigung dient bzw. eine unnötige Verzögerung vermieden werden soll. Derartiges liegt hier jedoch gerade nicht vor. Auch der Umstand, dass gegen die Mittäter B. und C. im Kanton Zürich bereits Anklage erhoben worden ist, rechtfertigt es nicht, vom ordentlichen Gerichtsstand abzuweichen. Die einheitliche Beurteilung von wie vorlegend mittäterschaftlich verbundenen Beschuldigten kann gerade auch durch eine getrennte, jedoch durch dieselbe Behörde vorgenommene Beurteilung sichergestellt werden (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2021.51 vom 3. Januar 2022 E. 4.3; Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2008.26 vom 8. Januar 2009 E. 3.2 mit Hinweisen). Allfällige auf dem Rechtshilfeweg vorzunehmende Ermittlungshandlungen im Kanton Bern sind sodann nicht als gravierende Verfahrenserschwerungen zu werten (vgl. Entscheid des Bundesstrafgericht BG.2008.22 vom 30. März 2009 E. 3.4), und ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand drängt sich auch nicht auf, um etwa einen schwierig zu handhabenden Grossprozess zu vermeiden.

5.       Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die angefochtene Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 13. März 2023 aufzuheben. Der Kanton Zürich ist somit verpflichtet und berechtigt, die A. vorgeworfenen Handlungen zu verfolgen zu beurteilen.

6.

6.1     Bei diesen Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtsgebühren zu erheben (Art. 428 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 423 Abs.1 StPO).

6.2     Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf Entschädigung seiner Aufwendungen für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte (Art. 436 Abs. 1 i.V.m. Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos.

6.3     Im Beschwerdeverfahren besteht die Parteientschädigung zur Hauptsache aus den Anwaltskosten, welche das Honorar und die notwendigen Auslagen umfassen (vgl. Art. 11 ff. BStKR). Das Honorar wird nach dem notwendigen und ausgewiesenen Zeitaufwand der Anwältin oder des Anwalts für die Rechtsvertretung bemessen (Art. 12 Abs. 1 BStKR). Wird mit der einzigen oder letzten Eingabe keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht das Honorar nach Ermessen fest (Art. 12 Abs. 2 BStKR).

6.4     Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat der Beschwerdekammer keine Kostennote eingereicht, weshalb die Parteientschädigung ermessensweise auf Fr. 2'000.-- festzusetzen ist (vgl. Art. 10 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 BStKR). Vorliegend wurde die Verfügung des Beschwerdegegners 1 angefochten, die nun aufzuheben ist. Da sich jedoch auch der Beschwerdegegner 2 am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, sind die Beschwerdegegner 1 und 2 zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von je Fr. 1'000.-- auszurichten.

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern vom 13. März 2023 aufgehoben.

2. Der Kanton Zürich ist berechtigt und verpflichtet, die A. vorgeworfenen Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.

3. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben.

4. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

5. Die Beschwerdegegner 1 und 2 haben den Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren mit je Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

Bellinzona, 27. April 2023

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Fürsprech Friedrich Affolter

- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.