Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Berufungskammer |
Fallnummer: | RR.2023.13 |
Datum: | 14.05.2023 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter : | Gesuch; Berufung; Verfahren; Gesuchsteller; Ausstand; Verfahrens; Ausstands; Bundes; Recht; Verfahren; Kammer; Ziffer; Gesuchsgegner; Sprache; Richter; Ausstandsgesuch; Verfügung; Berufungskammer; Eingabe; Verfahrenssprache; Gesuchstellers; StBOG; Franz; Berufungserklärung; Französisch; Berufungsverfahren; Bundesstrafrichter; Urteil; Deutsch |
Rechtskraft: | Weiterzug |
Rechtsnorm: | Art. 1 BV ; Art. 129 StPO ; Art. 13 StPO ; Art. 163 StGB ; Art. 2 BV ; Art. 25 StGB ; Art. 29 BV ; Art. 3 StPO ; Art. 30 BV ; Art. 30 StPO ; Art. 305 StGB ; Art. 39 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 40 StPO ; Art. 48 BGG ; Art. 5 BV ; Art. 5 StPO ; Art. 54 BGG ; Art. 56 StPO ; Art. 58 StPO ; Art. 59 StPO ; Art. 6 EMRK ; Art. 6 StPO ; Art. 67 StPO ; Art. 70 BV ; Art. 8 BV ; Art. 90 StPO ; |
Referenz BGE: | 143 IV 117; 143 V 66; 144 I 234; ; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: CA.2023.8 (Hauptverfahren: CA.2022.18) |
Beschluss vom 14. Mai 2023 Berufungskammer | ||
Besetzung | Richter Andrea Blum, Vorsitzende Jean-Paul Ros und Brigitte Stump Wendt Gerichtsschreiber Franz Aschwanden | |
Parteien | A., erbeten vertreten durch Rechtsanwältin Kim Mauerhofer, Gesuchsteller (Berufungsführer / Beschuldigter im Berufungsverfahren CA.2022.18)
| |
gegen | ||
Andrea Ermotti, Bundesstrafrichter, Gesuchsgegner (Vorsitzender im Berufungsverfahren CA.2022.18)
| ||
Gegenstand | Ausstandsgesuch gegen Bundesstrafrichter Andrea Ermotti im Berufungsverfahren CA.2022.18 |
Sachverhalt / Auszüge aus der Prozessgeschichte
A. Vorverfahren
A.1 Seit Sommer 2009 führt die Bundesanwaltschaft (nachfolgend: BA) gegen den Gesuchsteller und weitere Personen ein Strafverfahren wegen qualifizierter Geldwäscherei (Art. 305bis Ziffer 1 i.V.m. Ziffer 2 StGB), Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) und weiterer Delikte. Die entsprechende Verfahrenssprache war Französisch, insbesondere erfolgten die Ausdehnungsverfügungen der BA jeweils in französischer Sprache (vgl. BA pag. 01-00-0001 ff., -0010 f., -0014 ff.).
A.2 Mit Verfügung vom 26. August 2011 lehnte die BA die Anträge des Gesuch—stellers vom 18. Juli 2011 auf Übertragung der Strafuntersuchung an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bzw. (subsidiär) an einen deutschsprachigen Staatsanwalt des Bundes zwecks Wechsel der Verfahrenssprache zu Deutsch (Muttersprache des Gesuchstellers) ab (BA pag. 16-20-0014 bis -0017).
A.3 Mit Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: Beschwerdekammer) BB.2016.46 und BB.2016.47 vom 3. März 2016 (BA pag. 21-89-0008 ff.) wurde u.a. ein Antrag des Gesuchstellers auf Änderung der Verfahrenssprache abgewiesen. Dies in Anbetracht der Tatsache, dass der Gesuchsteller seit der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen ihn durch die BA im Jahr 2009 zahlreiche Beschwerden eingereicht bzw. in diesem Zusammenhang wiederholt Anträge auf Änderung der Verfahrenssprache (von Französisch zu Deutsch) gestellt habe. Letztere seien jedes Mal in Anwendung von Art. 3 des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71) abgewiesen worden, insbesondere weil der Gesuchsteller die französische Sprache perfekt beherrsche (mit exemplarischem Verweis auf den Entscheid der Beschwerdekammer BB.2015.1 und BB.2015.6 vom 8. Juli 2015 [BA pag. 21-89-0009]).
B. Erstinstanzliches Verfahren (SK.2015.20 / SK.2019.12)
B.1 Mit Eingabe vom 19. Mai 2015 reichte die BA die in französischer Sprache verfasste Anklageschrift gegen den Gesuchsteller wegen qualifizierter Geldwäscherei (Art. 305bis Ziffer 1 i.V.m. Ziffer 2 StGB), Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) und mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht (Art. 305ter StGB) bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: Strafkammer) ein (TPF [SK.2015.20] pag. 770.100.001 ff.).
B.2 Die Strafkammer wies die Anklageschrift vom 19. Mai 2015 mit Entscheid vom 31. August 2015 zur weiteren Untersuchung im Sinne der Erwägungen an die BA zurück (TPF [SK.2015.20] pag. 770.970.001 ff.).
B.3 Mit Eingabe vom 20. Februar 2019 reichte die BA die (ergänzte) wiederum in französischer Sprache redigierte Anklageschrift gegen den Gesuchsteller wegen qualifizierter Geldwäscherei (Art. 305bis Ziffer 1 i.V.m. Ziffer 2 StGB), Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) und betrügerischen Konkurses (Art. 163 Ziffer 1 StGB), sowie gegen weitere beschuldigte Personen, bei der Strafkammer ein (TPF [SK.2019.12] pag. 100.001 ff.).
B.4 Mit Verfügung der Vorsitzenden der Strafkammer vom 10. Juli 2020 wurde als Verfahrenssprache Französisch festgelegt. Gewisse Ausnahmen wurden für das Vortragen der Plädoyers gemacht (vgl. TPF [SK.2019.12] pag. 913.19.001 ff.).
B.5 Die erstinstanzliche Hauptverhandlung SK.2019.12 fand am Sitz des Bundes—strafgerichts im Zeitraum vom 26. Januar bis 11. Februar 2021 statt (vgl. TPF [SK.2019.12] pag. 720.001 bis 720.173).
B.6 Mit Urteil SK.2019.12 vom 23. April 2021 wurde der Gesuchsteller der qualifizierten Geldwäscherei (Art. 305bis Ziffer 1 i.V.m. Ziffer 2 StGB), der Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) sowie des betrügerischen Konkurses (Art. 163 Ziffer 1 StGB) für schuldig befunden und mit einer Freiheitsstrafe von 42 Monaten, einer Geldstrafe von 290 Tagessätzen à Fr. 350.-- sowie einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à Fr. 350.-- (CAR pag. 1.100.026 ff.) bestraft. Dagegen meldete der Gesuchsteller am 3. Mai 2021 fristgemäss Berufung an (TPF [SK.2019.12] pag. 940.032; CA.2022.18 pag. 1.100.011).
C. Berufungsverfahren (CA.2022.18)
C.1 Die Strafkammer übermittelte das erstinstanzliche Urteil inkl. Berufungsanmeldungen und sämtlicher Verfahrensakten an die Berufungskammer. Mit Beschluss der Berufungskammer CA.2022.6 vom 3. Juni 2022 wurde das Urteil der Strafkammer SK.2019.12 vom 23. April 2021 aufgehoben und die Sache an die Vor—instanz zurückgewiesen (Art. 409 StPO), zwecks Bereinigung des Rubrums (Klärung der Rolle aller Verfahrensbeteiligten), ohne Anweisung zur Wiederholung von Verfahrenshandlungen. Demzufolge erliess die Strafkammer am 17. Juni 2022 das Urteil SK.2022.22. Gegen dieses Urteil erhoben die Parteien wiederum identische Berufungen (vgl. CA.2022.18 pag. 8.101.006 lit. K - M).
C.2 Insbesondere liess der Gesuchsteller durch seine erbetene Verteidigerin Rechtsanwältin Kim Mauerhofer mit Eingabe vom 27. Juni 2022 gegen das vorinstanzliche Urteil innert Frist eine in deutscher Sprache verfasste Berufungserklärung einreichen (CA.2022.18 pag. 1.100.628 ff.).
C.3 Mit Eingabe vom 30. Juni 2022 liess der Gesuchsteller durch seinen amtlichen Verteidiger Rechtsanwalt Ludovic Tirelli zudem innert Frist eine in französischer Sprache verfasste Berufungserklärung einreichen (CA.2022.18 pag. 1.100.870 ff.).
C.4 Mit persönlich verfasster Eingabe vom 11. Oktober 2022 stellte der Gesuchsteller u.a. ein Ausstandsgesuch gegen Bundestrafrichter Jean-Marc Verniory (Beisitzer im Berufungsverfahren CA.2022.18 [CA.2022.18 pag. 8.103.001 ff.]). Mit Erinnerungsschreiben vom 7. November 2022 wiederholte der Gesuchsteller dieses Begehren (CA.2022.18 pag. 8.103.022 ff.).
Mit Schreiben u.a. an den amtlichen Verteidiger des Gesuchstellers, Rechtsanwalt Tirelli, vom 21. Dezember 2022 (und Kopie u.a. an die erbetene Verteidigerin Rechtsanwältin Mauerhofer) wies die Verfahrensleitung darauf hin, dass der Gesuchsteller von einem amtlichen Verteidiger und einer erbetenen Verteidigerin vertreten werde, weshalb alle Anträge über diese Vertreter gestellt werden müssten. Die persönlichen Eingaben des Gesuchstellers würden daher nicht beantwortet. Es liege an Rechtsanwalt Tirelli, als Hauptvertreter des Gesuchstellers, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Im Übrigen sei bereits vor Erhalt des Ausstandsgesuchs geplant gewesen, dass Bundesstrafrichter Jean-Marc Verniory bei Amtsantritt eines neuen Richters, der voraussichtlich Anfang 2023 die Verfahrensleitung übernehme, ersetzt werde (CA 2022.18 pag. 8.103.026 ff.).
C.5 Mit Verfügung der Vorsitzenden und Vizepräsidentin der Berufungskammer vom 3. Februar 2023 wurden die Parteien über die Einsetzung von Bundesstrafrichter Andrea Ermotti (nachfolgend: Gesuchsgegner) als neuer Vorsitzender bzw. das Ausscheiden von Bundesstrafrichter Jean-Marc Verniory aus dem Spruchkörper sowie den Wechsel der ehemaligen Vorsitzenden zur Beisitzerin informiert, wobei sie auf die Möglichkeit zur unverzüglichen Einreichung eines Ausstandsgesuchs hingewiesen wurden (vgl. CA.2022.18 pag. 1.200.099 f.).
C.6 Der neue Vorsitzende (Gesuchsgegner) informierte die Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 23. Februar 2023 u.a., dass die zahlreichen in deutscher Sprache eingereichten Dokumente in Übereinstimmung mit der etablierten Praxis und in Anwendung des Kollegialitätsprinzips in der Verfahrenssprache verfasst sein müssten, d.h. im vorliegenden Fall auf Französisch (mit Verweis auf Art. 67 StPO und Art. 3 Abs. 3 StBOG, sowie auf das Urteil der Berufungskammer CA.2019.25 vom 21. September 2020). Entsprechend wurde den Verfahrensbeteiligten Frist gesetzt bis 9. März 2023, um Übersetzungen in französischer Sprache der aufgelisteten Berufungserklärungen und Schreiben einzureichen (CA.2022.18 pag. 2.100.003 ff.).
C.7 Mit Schreiben vom 7. März 2023 liess der Gesuchsteller durch Rechtsanwältin Mauerhofer insbesondere vorbringen, dass er im Berufungsverfahren CA.2022.18 weiterhin Eingaben auf Deutsch einzureichen gedenke, da er dies als rechtens erachte. Er stellte in Aussicht, künftig zu bestimmten Themen zum gegebenen Zeitpunkt jeweils eine Eingabe auf Französisch oder Deutsch einzureichen und bat die Verfahrensleitung bezüglich Anforderung an die Verfahrenssprache sinngemäss um Wiedererwägung. Andernfalls werde um Erlass einer anfechtbaren Verfügung ersucht (vgl. CA.2022.18 pag. 8.107.001 ff.). Diese Ausführungen wurden auch vom amtlichen Verteidiger, Rechtsanwalt Ludovic Tirelli unterstützt (vgl. dessen Schreiben vom 8. März 2023 [CA.2022.18 pag. 8.107.004]).
C.8 Mit Verfügung CN.2023.8 vom 13. März 2023 verfügte der Gesuchsgegner die Aufrechterhaltung der Verfügungen vom 3. Februar 2023 (CA.2022.18 pag. 2.103.012 ff.) und 23. Februar 2023 (CA.2022.18 pag. 2.100.003 ff.; oben Sachverhalt [SV] lit. C.5), unter Gewährung der entsprechenden Fristerstreckungen bis zum 3. April 2023, mit Androhung des Nichteintretens auf die Berufung im Unterlassungsfall (CA.2022.18 pag. 8.107.005 ff.).
C.9 Mit Schreiben vom 15. März 2023 liess der Gesuchsteller den Gesuchsgegner durch Rechtsanwältin Mauerhofer anfragen, ob er im juristischen Deutsch verfasste Eingaben verstehe, da dieser Umstand für die Beurteilung der sich stellenden Fragen und das weitere Verfahren als essentiell erscheine (vgl. CA.2022.18 pag. 2.103.023).
C.10 Der Gesuchsgegner antwortete darauf mit Schreiben vom 16. März 2023 dahingehend, dass wie bereits mit Verfügung CN.2023.8 vom 13. März 2023 (oben SV lit. C.8) ausgeführt worden sei, der Ansatz der Berufungskammer bezüglich Verfahrenssprache in keinem Zusammenhang mit den Sprachkenntnissen der Mitglieder der Kammer stehe. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens habe die Verfahrensleitung im Übrigen auf die Übersetzung von Eingaben von nicht vertretenen Parteien in deutscher Sprache verzichtet (mit Verweis auf Art. 3 Abs. 5 StBOG; CA.2022.18 pag. 2.103.024).
D. Ausstandsverfahren (CA.2023.8)
D.1 Mit Eingabe vom 23. März 2023 liess der Gesuchsteller durch Rechtsanwältin Mauerhofer folgendes Ausstandsbegehren stellen (CA.2023.8 pag. 1.100.002):
(1.) Der vorsitzende Bundesstrafrichter Dr. iur. Andrea Ermotti habe hinsichtlich des bei der Berufungskammer anhängigen Strafverfahrens CA.2022.18 und sämtlicher damit zusammenhängender bzw. sich daraus ergebender Verfahren in den Ausstand zu treten bzw. sei dessen Ausstand resp. Absetzung in diesem Verfahren zu verfügen und der Vorsitz des Dreiergremiums sei an seiner Stelle neu von einer geeigneten, der deutschen Sprache ausreichend mächtigen Richterperson zu übernehmen bzw. sei ein geeigneter, der deutschen Sprache mächtiger neuer Vorsitzender einzusetzen.
Gestützt darauf wurde folgender Antrag gestellt:
(2.) Aufgrund der Befangenheit des vorsitzenden Bundesstrafrichters Dr. iur. Andrea Ermotti sei dessen Verfügung vom 13. März 2023 vollumfänglich aufzuheben und dem Beschuldigten bzw. dessen deutschsprachiger Verteidigung sei weiterhin zu gewähren, Eingaben auf Deutsch einzureichen.
Zudem wurde der folgende dringliche Verfahrensantrag gestellt:
(3.) Die mit Verfügung vom 13. März 2023 vom vorsitzenden Bundesstrafrichter Dr. iur. Andrea Ermotti bis zum 3. April 2023 angesetzte Frist zur Übersetzung dreier deutschsprachiger Rechtsschriften der Unterzeichneten auf Französisch, nament—lich die Berufungserklärung vom 27. Juni 2022, der Stellungnahme mit Anträgen vom 21. September 2022 sowie der Eingabe vom 9. November 2022, sei als dring—liche Massnahme unverzüglich abzunehmen unter Mitteilung vorab per E-Mail an die Unterzeichnete (mauerhofer@kmwv.ch).
(4.) – Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Staatskasse –
D.2 Mit Schreiben vom 28. März 2023 wurde den Verfahrensbeteiligten im vorliegenden Ausstandsverfahren CA.2023.8 die Zusammensetzung des hierfür zuständigen Spruchkörpers mitgeteilt (CA.2023.8 pag. 1.200.001 f.). Zudem wurde dem Gesuchsgegner mit Schreiben vom 28. März 2023 Frist bis 13. April 2023 gesetzt zur Stellungnahme zum gegen ihn gerichteten Ausstandsbegehren (Antrag Ziffer 1) vom 23. März 2023 (Art. 58 Abs. 2 StPO) mit dem Vermerk, dass die beiden Anträge Ziffern 2 und 3 ausschliesslich das Hauptverfahren CA.2022.18 betreffen würden (CA.2023.8 pag. 2.103.001).
D.3 Mit Stellungnahme vom 29. März 2023 (eingereicht sowohl in französischer wie auch in deutscher Fassung) beantragte der ausstandsbetroffene Gesuchsgegner die Abweisung des Ausstandsbegehrens (Antrag Ziffer 1) vom 23. März 2023 sowie der Anträge Ziffern 2 und 3 (Art. 58 Abs. 2 StPO; CA.2023.8 pag. 2.103.002 ff.).
D.4 Nach wiederholt erstreckter Frist (CA.2023.8 pag. 2.101.002 ff.) hielt der Gesuchsteller mit Replik vom 9. Mai 2023 an seinen Anträgen in der Sache sowie an seiner Begründung fest. Der «Verfahrensantrag» sei inzwischen jedoch gegenstandslos geworden, da der Gesuchsgegner an der Frist zur Einreichung der Französischübersetzungen der drei betreffenden deutschsprachigen Eingaben festgehalten habe und diese Übersetzungen somit gezwungenermassen hätten eingereicht werden müssen (CA.2023.8 pag. 2.101.006 ff.).
D.5 Im Rahmen des vorliegenden Ausstandsverfahrens CA.2023.8 wurden von Amtes wegen sämtliche Akten des Hauptverfahrens CA.2022.18 (inkl. erstinstanzliche Akten der Strafkammer und Akten des Vorverfahrens) ediert.
Auf die Ausführungen der Parteien wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen näher eingegangen.
Die Berufungskammer erwägt:
1. Zuständigkeit der Berufungskammer
1.1 Wird ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. a oder f StPO geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Art. 56 lit. b - e StPO abstützt, so entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig: das Berufungsgericht, wenn die Beschwerdeinstanz oder einzelne Mitglieder des Berufungsgerichts betroffen sind (Art. 59 Abs. 1 lit. c StPO). Das Berufungsgericht entscheidet dabei gemäss kantonaler Praxis regelmässig in der vom Kanton vorgesehenen Spruchkörperbesetzung, ohne Mitwirkung seines vom Ausstandsbegehren betroffenen Richters oder Gerichtsschreibers (vgl. Keller, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, Art. 59 StPO N. 5). In der vorliegenden Kon—stellation wird auch auf Ebene der Bundesstrafjustiz (in casu Berufungskammer des Bundesstrafgerichts) analog vorgegangen: Beim Vorsitzenden des vor der Berufungskammer hängigen Berufungsverfahrens CA.2022.18, Bundesstrafrichter Ermotti, handelt es sich um ein einzelnes Mitglied des für das erwähnte Berufungsverfahren zuständigen «Berufungsgerichts» im Sinne von Art. 59 Abs. 1 lit. c StPO. Gemäss den obigen Ausführungen wird nur der vom Ausstandsbegehren betroffene Richter ersetzt; im Übrigen wird der Spruchkörper nicht verändert. In casu kommt indes hinzu, dass wegen des Wechsels der Verfahrenssprache auf Deutsch (vgl. unten E. 1.2) auch die frankophone Gerichtsschreiberin durch einen deutschsprachigen Gerichtsschreiber ersetzt wird. Die Berufungskammer entscheidet grundsätzlich in der Besetzung mit drei Richterpersonen über Berufungen und Revisionsgesuche (Art. 38a und 38b des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes [Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71]). Damit ist die Berufungskammer in der vorliegenden Besetzung für die Beurteilung des vom Gesuchsteller eingereichten Ausstandsgesuches (Ziffer 1) vom 23. März 2023 gegen Bundestrafrichter Ermotti (oben Sachverhalt [SV] lit. D.1) örtlich, sachlich und funktionell zuständig.
1.2 Da das Ausstandsgesuch in deutscher Sprache eingereicht wurde, und in diesem Zusammenhang strittig ist, ob im Berufungsverfahren CA.2022.18 Eingaben auch in deutscher Sprache eingereicht werden dürfen, wird das vorliegende Ausstandsverfahren CA.2023.8 ausnahmsweise in deutscher Sprache durchgeführt, obwohl die Verfahrenssprache im Berufungsverfahren CA.2022.18 Franzö—sisch ist.
2. Eintreten auf Antrag Ziffer 1 des Ausstandsgesuchs
2.1 Der Gesuchsteller ist beschuldigte Person im erwähnten Berufungsverfahren CA.2022.18 (oben SV lit. A - C) und daher als Partei im Sinne von Art. 104 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 58 Abs. 1 StPO berechtigt, das vorliegende Ausstandsgesuch (Antrag Ziffer 1) gegen den Gesuchsgegner, den vorsitzenden Richter des Berufungsverfahrens CA.2022.18 zu stellen.
2.2 Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person ver-langen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat (Art. 58 Abs. 1 StPO). Nach der Rechtsprechung muss der Gesuchsteller den Ausstand in den nächsten Tagen nach Kenntnis des Ausstandsgrunds verlangen. Andernfalls verwirkt er den Anspruch (BGE 143 V 66 E. 4.3 m.w.H.). Ein sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrunds gestelltes Ausstandsgesuch ist rechtzeitig. Wartet der Gesuchsteller damit zwei Wochen zu, ist es dagegen verspätet (Urteil BGer 1B_47/2019 vom 20. Februar 2019 E. 3.3 mit Hinweis). Bei der Annahme der Verwirkung des Rechts, den Ausstand zu verlangen, ist Zurückhaltung geboten (Urteil des BGer 1B_418/2014 vom 15. Mai 2015 E. 4.5 mit Hinweis; vgl. zum Ganzen Urteil des BGer 1B_22/2019 vom 17. April 2019 E. 3.2; BOOG, Basler Kommentar, 2. Auf. 2014, Art. 58 StPO N. 5 und 7 f.).
2.3 Die vom Gesuchsteller gerügte Verfügung des Gesuchsgegners CN.2023.8 vom 13. März 2023 (oben SV lit. C.8) wurde dem Gesuchsteller ein erstes Mal am 14. März 2023 (an Rechtsanwalt Tirelli; CA.2022.18 pag. 8.107.011) sowie ein zweites Mal am 21. März 2023 (an Rechtsanwältin Mauerhofer; CA.2022.18 pag. 8.107.012) zugestellt. Abzustellen ist dabei auf die erstmalige Zustellung vom 14. März 2023, womit die Frist zur Einreichung eines Ausstandsgesuchs gemäss Art. 90 Abs. 1 StPO am folgenden Tag, d.h. am 15. März 2023 zu laufen begann. Das Ausstandsgesuch vom 23. März 2023 wurde gleichentags per Post aufgegeben (CA.2023.8 pag. 1.100.001), somit am neunten Tag nach Beginn des Fristenlaufs. Gemäss der erwähnten Rechtsprechung (oben E. 2.2) handelt es sich somit hinsichtlich der Frage, ob das Ausstandsgesuch vorliegend rechtzeitig bzw. «ohne Verzug» (Art. 58 Abs. 1 StPO) eingereicht worden ist, um einen Grenzfall. Da bei der Annahme der Verwirkung des Rechts, den Ausstand zu verlangen, indes Zurück—haltung geboten ist, kann hinsichtlich des Ausstandsgesuchs vom 23. März 2023 gerade noch knapp von einer rechtzeitigen Einreichung ausgegangen werden. Die Frist zur Geltendmachung des Ausstands ist somit gewahrt.
2.4 Zusammenfassend ist auf das Ausstandsgesuch des Gesuchstellers vom 23. März 2023 (Antrag Ziffer 1) einzutreten.
3. Nichteintreten auf Antrag Ziffer 2 des Ausstandsgesuchs
Der Gesuchsteller stellt gestützt auf sein Ausstandsgesuch den Antrag Ziffer 2, «Aufgrund der Befangenheit des vorsitzenden Bundesstrafrichters Dr. iur. Andrea Ermotti sei dessen Verfügung vom 13. März 2023 vollumfänglich aufzuheben und dem Beschul—dig—ten bzw. dessen deutschsprachiger Verteidigung sei weiterhin zu gewähren, Eingaben auf Deutsch einzureichen» (oben SV lit. D.1). Die Kognition der Berufungskammer im vorliegenden Ausstandsverfahren CA.2023.8 beschränkt sich auf die Beurteilung des eigentlichen Ausstandsbegehrens (Ziffer 1) gegen den Gesuchsgegner, d.h. auf die Beurteilung der Frage, ob dieser wegen Befangenheit im Sinne von Art. 56 (lit. f) StPO in den Ausstand zu treten hat (Art. 59 Abs. 1 lit. c StPO i.V.m. Art. 38a und 38b StBOG). Im Rahmen des Ausstandsverfahrens CA.2023.8 liegt es nicht in der Kompetenz der Berufungskammer, eine im Hauptverfahren CA.2022.18 ergangene Verfügung des Gesuchsgegners «aufzuheben und dem Beschuldigten bzw. dessen deutschsprachiger Verteidigung» «weiterhin zu gewähren, Eingaben auf Deutsch einzureichen». Auf Antrag Ziffer 2 des Ausstandsgesuchs vom 13. März 2023 ist deshalb mangels Zuständigkeit nicht einzutreten.
4. Gegenstandslosigkeit von Antrag Ziffer 3 des Ausstandsgesuchs
Der Gesuchsteller stellt zudem den «dringlichen Verfahrensantrag» (Ziffer 3), «Die mit Verfügung vom 13. März 2023 vom vorsitzenden Bundesstrafrichter Dr. iur. Andrea Ermotti bis zum 3. April 2023 angesetzte Frist zur Übersetzung dreier deutschsprachiger Rechtsschriften der Unterzeichneten auf Französisch, namentlich die Berufungserklärung vom 27. Juni 2022, der Stellungnahme mit Anträgen vom 21. September 2022 sowie der Eingabe vom 9. November 2022, sei als dringliche Massnahme unverzüglich abzunehmen unter Mitteilung vorab per E-Mail an die Unterzeichnete (mauerhofer @kmwv.ch)» (oben SV lit. D.1). Mit Replik vom 9. Mai 2023 teilte der Gesuchsteller jedoch mit, dass der «Verfahrensantrag» inzwischen gegenstandslos geworden sei (oben SV lit. D.4). Der dringliche Verfahrensantrag (Ziffer 3) des Gesuchstellers vom 23. März 2023 ist demnach als gegenstandslos abzuschreiben.
5. Rechtliche Grundlagen betreffend Ausstandsgründe nach Art. 56 lit. f StPO
5.1 Gemäss Art. 56 lit. f StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art. 56 lit. a - e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziffer 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung ge—eignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten des Richters begründet sein. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 144 I 234 E. 5.2 S. 236 f.; 143 IV 69 E. 3.2 S. 74; 141 IV 178 E. 3.2.1; 140 I 326 E. 5.1 S. 328; 138 IV 142 E. 2.1 S. 144 f.; je mit Hinweisen).
5.2 Entscheidendes Kriterium bei der Prüfung einer Befangenheit aus anderen Gründen (Art. 56 lit. f StPO) ist, ob bei problematischen Konstellationen der Ausgang des Verfahrens bei objektiver Betrachtungsweise noch als offen erscheint. Misstrauen in die Unbefangenheit der in der Strafbehörde tätigen Person (insbesondere einer Richterin / eines Richters) scheint da—nach namentlich bei den folgenden Fallgruppen begründet:
a) Besondere Beziehungen zu einer Partei oder einem Parteivertreter:
Nach der Rechtsprechung vermögen besondere Gegebenheiten hinsichtlich des Verhältnisses zwischen einem Richter und einer Partei bzw. deren Vertreter den objektiven Anschein der Befangenheit des Ersteren zu begründen und daher dessen Ausstand zu gebieten. In solchen Situationen kann die Voreingenommenheit des Richters indessen nur bei Vorliegen spezieller Umstände angenommen werden. Erforderlich ist, dass die Intensität und Qualität der beanstandeten Beziehung vom Mass des sozial Üblichen abweichen, wie zum Beispiel beim Vorliegen von Kameraderie (Urteil des BGer 1B_408/2016 vom 7. Februar 2017 E. 2.1 m.w.H.). Blosse berufliche oder kollegiale Kontakte sind, soweit anderweitige auf eine Befangenheit hindeutende Indizien fehlen, kein Grund zur Annahme eines Ausstands—grunds im Sinne von Art. 56 lit. f StPO (vgl. Urteil des BGer 6B_851/2018 vom 7. Dezember 2018 E. 4.2.2 m.w.H.; BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 39 - 43; Keller, a.a.O., Art. 56 StPO N. 25 - 30).
b) Hauptberufliche Tätigkeit des nebenamtlichen Richters:
Die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann in der hauptberuflichen Tätigkeit von ordentlichen Richtern im Teilzeitamt bzw. von nebenamtlichen Richtern begründet sein. Aus dieser Erwerbstätigkeit können sich Abhängigkeiten und Bindungen zu einer Verfahrenspartei ergeben, die zu Inter—essenkollisionen führen (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 44 - 47).
c) Verhalten und Äusserungen der in einer Strafbehörde tätigen Person:
aa) Äusserungen in der Öffentlichkeit
Der Anschein der Befangenheit entsteht, wenn entsprechende Äus—serungen in unmittelbarem Bezug zum konkreten Verfahren stehen und sich der Schluss aufdrängt, der Richter habe sich bereits eine abschlies—sende Meinung gebildet und sich in Bezug auf das Ergebnis des Verfahrens definitiv festgelegt (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 48 - 50).
bb) Äusserungen gegenüber den Parteien und Vorbesprechung
Anlass zu Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters entsteht dann, wenn er die zur Verhandlung stehende Angelegenheit ausser—halb des Verfahrens mit einer Partei vorbesprochen oder ihr gar Ratschläge erteilt hat (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 51).
cc) Öffentliches Engagement
Die Besorgnis der Befangenheit kann entstehen, wenn in einem konkreten Verfahren zwischen dem öffentlichen Engagement einer politischen Vereinigung, welcher der Richter angehört, und dem Verfahrensgegenstand ein enger (inhaltlicher und zeitlicher) Zusammenhang besteht (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 52 f.).
dd) Unsachliche Verhandlungsführung
Misstrauen in die Unvoreingenommenheit eines Richters kann sich aus Äusserungen oder einem bestimmten Verhalten im Rahmen der Verhandlungsführung ergeben, welche die gebotene Distanz zur Sache vermissen lassen. Verpönt sind z.B. despektierliche, kränkende oder beleidigende Werturteile (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 54 - 57; Keller, a.a.O., Art. 56 StPO N. 42 und 42a).
ee) Stellungnahmen in wissenschaftlichen Publikationen
Äusserungen eines Richters in wissenschaftlichen Publikationen beeinträchtigen den Anschein der Unbefangenheit im Allgemeinen nur, wenn sie sich mit einem konkreten, zur Entscheidung stehenden Fall auseinandersetzen und sich eindeutig auf einen Standpunkt festlegen, der für den Fall relevant ist (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 58).
ff) Rechtsfehler
Fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen begründen für sich grundsätzlich keinen Anschein der Voreingenommenheit. Materielle oder prozessuale Rechtsfehler stellen einzig dann einen Ausstandsgrund gemäss Art. 56 lit. f StPO dar, wenn sie besonders krass sind oder wiederholt auftreten, sodass sie einer schweren Amts—pflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken; andernfalls begründen sie keinen hinreichenden Anschein der Befangenheit. Gegen beanstandete Verfahrenshandlungen sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen (Urteil des BGer 1B_599/2022 vom 18. April 2023 E. 3.2 m.w.H.; vgl. BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 59; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020, S. 58 N. 179 und ergänzend S. 54 N. 166; Keller, a.a.O., Art. 56 StPO N. 40 - 41.a).
d) Beeinflussung durch Medienberichterstattung
Hat sich z.B. durch eine grössere Medienkampagne ein Meinungsklima aufgebaut, das klare Erwartungen weckt und einen mehr oder weniger direkten Druck auf den Richter ausübt, besteht die Gefahr, dass dieser die innere Instanz zum Streitgegenstand verlieren und nicht mehr unbefangen urteilen kann. Die Annahme des objektiven Anscheins der Befangenheit setzt aber konkrete Anzeichen für eine mögliche Beeinflussung voraus (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 60).
e) Weitere Fälle
Der Anschein der Befangenheit kann sich aus einer nicht schon unter Art. 56 lit. b StPO fallenden Mehrfachbefassung der in einer Strafbehörde tätigen Person mit derselben Angelegenheit ergeben. So etwa, wenn sich die Person, die mit demselben Fall in der gleichen Stellung schon einmal befasst war, in einem Mass festgelegt hat, dass das Verfahren nicht mehr als offen erscheint (BOOG, a.a.O., Art. 56 StPO N. 61).
6. Rechtliche Grundlagen betreffend die Verfahrenssprache
6.1 Gemäss Art. 67 Abs. 1 StPO bestimmen Bund und Kantone die Verfahrenssprachen ihrer Strafbehörden. Das StBOG, welches die Bestimmungen der StPO für den Bereich der Bundesgerichtsbarkeit ergänzt (vgl. Art. 1 Abs. 1 StBOG), regelt u.a. auch die Verfahrenssprache. Diese ist Deutsch, Französisch oder Italienisch (Art. 3 Abs. 1 StBOG) und wird von der Bundesanwaltschaft bei der Eröffnung der Untersuchung bestimmt (Art. 3 Abs. 2 StBOG). Sie berücksichtigt dabei namentlich die Sprachkenntnisse der Verfahrensbeteiligten, die Sprache der wesentlichen Akten und die Sprache am Ort der ersten Untersuchungshandlungen (Art. 3 Abs. 2 lit. a - c StBOG). Die bei Eröffnung der Untersuchung bezeichnete Verfahrenssprache gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (Art. 3 Abs. 3 StBOG). Sie kann nur ausnahmsweise und aus wichtigen Gründen gewechselt werden, namentlich bei der Trennung und bei der Vereinigung von Ver—fah—ren (Art. 3 Abs. 4 StBOG). Die Verfahrensleitung kann bestimmen, dass einzelne Verfahrenshandlungen in einer der beiden anderen Verfahrenssprachen durchgeführt werden (Art. 3 Ab. 5 StBOG).
6.2 Die Sprachenfreiheit nach Art. 18 BV gilt in diesem Sinne nicht absolut. Grundsätzlich besteht kein Anspruch darauf, mit Behörden in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache zu verkehren (vgl. Art. 67 StPO i.V.m. Art. 3 Abs. 2 und 3 StBOG; BGE 143 IV 117 E. 2.1 m.w.H.).
6.3 Am Gesagten ändert auch nichts, dass gemäss Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemein—schaften (Sprachengesetz, SpG; SR 441.1) derjenige, der sich an eine Bundesbehörde wendet, dies in der Amtssprache eigener Wahl tun kann. Denn nach Art. 6 Abs. 6 SpG sind die besonderen Bestimmungen der Bundesrechtspflege vorbehalten. Bei den erwähnten Art. 67 StPO i.V.m. Art. 3 Abs. 2 und 3 StBOG handelt es sich um entsprechende leges speciales, welche Art. 6 Abs. 1 SpG vorgehen.
7. Argumentation der Parteien
7.1 Der Gesuchsteller begründet sein Ausstandsgesuch (Antrag Ziffer 1) vom 23. März 2023 im Wesentlichen wie folgt: Bei der Verfügung des Gesuchsgegners vom 13. März 2023 (CN.2023.8) handle es sich um eine plötzliche Praxisänderung zum Nachteil des deutschsprachigen Gesuchstellers / Beschuldigten (und dessen deutsch—sprachigen Mitbeschuldigten). Diese Praxisänderung müsse mit der Person und den Deutschkenntnissen des Gesuchsgegners in Zusammenhang stehen, die nicht ausreichend seien, um den Inhalt deutschsprachiger Eingaben und Akten / Beweismittel zu verstehen. Die Praxisänderung sei haltlos, willkürlich (Art. 9 BV), rein schikanös, verstosse gegen Treu und Glauben bzw. gegen den Vertrauensschutz und das Verbot widersprüchlichen Handelns (Art. 3 Abs. 2 lit. a und b StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 3 BV i.V.m. Art. 9 BV i.V.m. Art. 2 ZGB), das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 und 2 BV i.V.m. Art. 6 Ziffer 1 EMRK), das Grundrecht auf einen fair trial (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO i.V.m. Art. 29 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 6 Ziffer 1 EMRK), das Prinzip der Waffengleichheit bzw. Fairness (Art. 6 Ziffer 1 EMRK i.V.m. Art. 29 Abs. 1 BV), die freie Anwaltswahl (Art. 6 Ziffer 1 EMRK i.V.m. Art. 129 und 130 StPO) sowie die anwaltliche Freizügigkeit im Interesse des Beschuldigten und dessen Rechtsvertretung (Art. 1 und 4 BGFA). Der Gesuchsgegner verstosse offensichtlich gegen Ziffer 1.2 des Verhaltenskodexes der Richter und Richterinnen am Bundesstrafgericht und sei a priori ungeeignet, um als Vorsitzender die vorliegende Strafsache zu beurteilen und Urteile zu fällen. Er handle damit nicht wie grundrechtlich gefordert unabhängig und unparteiisch, sondern befangen und parteiisch zum Nachteil des Gesuchstellers, wenn er entgegen der bisherigen Praxis des Berufungsgerichts selbst im vorliegenden Einzelfall nicht bereit sei, die bisherigen und zukünftigen deutschsprachigen Eingaben der Beschuldigten zu würdigen, darunter insbesondere die längst vorliegende Berufungserklärung. Der Gesuchsgegner untergrabe auch die Schweizer Mehrsprachigkeit insbesondere auf Bundesebene (Art. 70 Abs. 3 BV i.V.m. Art. 6 Abs. 1 SpG i.V.m. Art. 54 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 3 StBOG). Alle vorgebrachten (Grund-)Rechtsverletzungen stellten besonders krasse Rechtsfehler und damit Ausstandsgründe dar gemäss Art. 56 lit. f StPO. Es handle sich um eine schwere Amtspflichtverletzung, die sich eindeutig einseitig und direkt zu Lasten des Gesuchstellers auswirke und eine auf fehlender Distanz und Neutralität beruhende Haltung offenbare (mit Verweis auf Boog, a.a.O., Art. 56 StPO N. 59; vgl. CA.2023.8 pag. 1.100.003 bis -011).
7.2 Der Gesuchsgegner beantragt mit Stellungnahme vom 29. März 2023 die Abweisung des Ausstandsgesuchs. Es sei nicht ersichtlich, wie im angeblichen Umstand, dass ein Vorsitzender bzw. verfahrensleitender Richter angeblich die deutsche Verfahrenssprache nicht verstehe, ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. f StPO erblickt werden könne – umso mehr in einem Verfahren in französischer Sprache. Zudem seien die Parteien mit Schreiben der Verfahrensleitung vom 16. März 2023 informiert worden, dass der Ansatz des Berufungskammer betreffend Verfahrenssprache in keinem Zusammenhang mit den Sprachkenntnissen der Mitglieder des Berufungskammer stehe. Die kritisierte Verfügung vom 13. März 2023 habe somit nicht auf den Sprachkenntnissen des Gesuchsgegners (der unter anderem alle Landessprachen – mit Ausnahme des Rätoromanischen – beherrsche) beruht, sondern auf den in der betreffenden Verfügung dargelegten Gründen. Es sei überdies nicht erkennbar, inwiefern die Verfügung vom 13. März 2023 den Verhaltenskodex für Richter des Bundesstrafgerichts verletze. Der Gesuchsteller halte eine (angebliche) Praxisänderung der Verfahrensleitung für «willkürlich, ungerecht und parteiisch», die von der erbetenen Rechtsvertreterin des Gesuchstellers eine französische Übersetzung ihrer Eingaben verlangt habe; dies insbesondere in Bezug auf die «Androhung», nicht auf seine Berufungserklärung einzugehen. Die Berufungserklärung, auf die nicht eingetreten würde, falls der Gesuchsteller die Verfügung vom 13. März 2023 nicht einhalten würde, sei indes von seiner erbetenen Vertreterin in deutscher Sprache eingereicht worden, parallel zu der von seinem Pflicht——verteidiger in französischer Sprache eingereichten Berufungserklärung. Unter dem Gesichtspunkt von Art. 399 Abs. 3 und 4 StPO sei dies als problematisch erschienen. Insbesondere deshalb habe sich die Verfahrensleitung gezwungen gesehen, Rechtsanwalt Tirelli eine Frist zu setzen, um das Recht des Gesuchstellers auf eine wirksame Verteidigung zu gewährleisten, mittels Integration der Elemente der von Rechtsanwältin Mauerhofer eingereichten Berufungserklärung in dessen eigenen Berufungserklärung. Die Berufungskammer habe zuvor noch nicht über das Eintreten auf die eingegangenen Berufungserklärungen entschieden gehabt und diese demnach (noch) nicht «akzeptiert» (vgl. Ausstandsgesuch S. 9). Es habe somit keine «Praxisänderung» seitens der Berufungskammer (die nicht an die Praxis der Vorinstanz gebunden sei) gegeben, so dass die Verfügung vom 13. März 2023 nicht «schikanös» sei, keine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben, des Willkürverbots usw. und keinen gültigen Ausstandgrund darstelle (vgl. CA.2023.8 pag. 2.103.002 bis -005).
7.3 Der Gesuchsteller hält mit Replik vom 9. Mai 2023 an der mit Ausstandsgesuch vom 23. März 2023 formulierten Begründung fest. Im Wesentlichen wurde die Behauptung des Gesuchsgegners, wonach die deutschsprachige Berufungserklärung bis zu seiner Einsetzung als Vorsitzender noch nicht akzeptiert worden sei, zurückgewiesen. Indem Bundesstrafrichterin Blum nach Vorliegen des neuen Urteils der Strafkammer um eine erneute Einreichung der Berufungserklärungen ersucht habe, ohne die angeblich von der Strafkammer und der Beschwerdekammer abweichende «Sprachenpraxis» der Berufungskammer zu thematisieren, sei die deutschsprachige Berufungserklärung klarerweise akzeptiert worden. Nach Treu und Glauben habe von einem Eintreten auf die deutschsprachige Berufung ausgegangen werden dürfen. Art. 399 StPO verbiete es nicht, zwei fristgerechte Berufungserklärungen einzureichen. Das Argument des Gesuchsgegners, wonach er aufgrund zweier vorliegender Berufungserklärungen um die wirksame Verteidigung des Gesuchstellers besorgt gewesen sei, erweise sich aIs fadenscheinig und vorgeschoben, wenn er die wirksame Verteidigung gerade durch seine «Sprachenverfügung» aus den Angeln hebe. Die Androhung des Gesuchsgegners, wonach auf die deutschsprachige BerufungserkIärung nicht eingetreten werde, erweise sich als parteiisch und willkürlich und stelle damit einen Ausstandsgrund dar. Der Gesuchsgegner habe seine Stellungnahme zum Ausstandsbegehren auf Französisch und auf Deutsch eingereicht. Die deutsche Version sei an einigen Stellen sprachlich und inhaltlich irritierend und offenbare, dass deren Verfasser nicht deutscher Muttersprache sei. Gewisse Textstellen seien derart ungewöhnIich und sogar falsch formuliert, dass der Verdacht aufkomme, der gesamte Text sei mittels einer fehlerhaften Online-Übersetzungsmaschine vom Französischen ins Deutsche übersetzt worden. Dies untermauere die Vermutung und Befürchtung, dass der Gesuchsgegner der deutschen juristischen Sprache nicht mächtig sei. Sollte das mit der Beurteilung des Ausstandsbegehrens befasste Gremium wider Erwarten zum Schluss kommen, dass der Gesuchsgegner der deutschen Juristensprache mächtig sei, wäre seine Ablehnung deutschsprachiger Eingaben umso haltloser, parteiischer, willkürlicher und rein schikanös, was ebenfalls einen Aus—standsgrund darstellen würde (vgl. CA.2023.8 pag. 2.101.006 ff.).
8.
8.1 Im vorliegenden Strafverfahren, das (u.a.) gegen den Gesuchsteller geführt wird, ist die Verfahrenssprache Französisch. Dies wurde – wie es gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 StBOG gesetzlich vorgesehen ist – bereits von der BA im Vorverfahren so festgelegt (oben SV lit. A.1). Anträge des Gesuchstellers auf Änderung der Verfahrenssprache (von Französisch auf Deutsch) wurden im Laufe des Vorverfahrens wiederholt abgewiesen (SV lit. A.2 und A.3). In Übereinstimmung mit der festgelegten und wiederholt bestätigten Verfahrenssprache fanden insbesondere die zentralen Verfahrenshandlungen, wie etwa die Ausdehnungsverfügungen der BA (SV lit. A.1) und die Einreichung der Anklageschriften (SV lit. B.1 - B.3) jeweils in französischer Sprache statt. Auch die Vorsitzende der Strafkammer legte als Verfahrenssprache Französisch fest, bzw. bestätigte die entsprechende, ursprüng—liche Bezeichnung durch die BA. Dass betreffend die erstinstanzlichen Partei—vorträge gewisse Ausnahmen gemacht wurden (SV lit. B.4), ändert daran nichts. Auch das vom Gesuchsteller mit Berufung angefochtene Urteil SK.2022.22 vom 23. April 2021 und Urteilsberichtigung vom 17. Juni 2022 erging in französischer Sprache. Die bezeichnete Verfahrenssprache – vorliegend Französisch – gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (Art. 3 Abs. 3 StBOG; E. 6.1). Die Amtssprache wurde im vorliegenden Strafverfahren nie gewechselt; die Voraussetzungen dafür wären nach Art. 3 Abs. 4 StBOG auch nicht gegeben gewesen.
8.2 Zudem ist in einer Gesamtbetrachtung auf folgende Aspekte hinzuweisen: Gemäss Feststellung der Beschwerdekammer im Rahmen des Vorverfahrens soll der Gesuchsteller die französische Sprache perfekt beherrschen (SV lit. A.3). Jedenfalls ist von einem hohen Niveau der Französischkenntnisse des Gesuchstellers auszugehen. Der Gesuchsteller wird im Berufungsverfahren CA.2022.18 als Berufungs—führer und Beschuldigter gleichzeitig von zwei Rechtsbeiständen vertreten: Von Rechtsanwalt Tirelli (als amtlicher Verteidiger mit französischer Muttersprache, wobei Rechtsanwalt Tirelli gemäss Selbstbeschreibung auch der deutschen Sprache mächtig ist [https://www.penalex.ch/equipe/ludovic-tirelli/]), sowie von Rechtsanwältin Mauerhofer (als erbetene Verteidigerin mit deutscher Muttersprache, wobei Rechtsanwältin Mauerhofer gemäss Selbstbeschreibung auch der französischen Sprache mächtig ist [https://www.jurata.ch/de/anwalt/kim-mauerhofer]).
8.3 Des Weiteren besteht die prozessuale Besonderheit (bzw. Diskrepanz), dass für den Gesuchsteller (respektive Beschuldigten im Berufungsverfahren CA.2022.18) nacheinander zwei in sprachlicher und inhaltlicher Hinsicht verschiedene Berufungserklärungen eingereicht wurden: Einerseits eine in deutscher Sprache, verfasst von Rechtsanwältin Mauerhofer (CA.2022.18 pag. 1.100.628 ff.; SV lit. C.2), und andererseits eine in französischer Sprache, verfasst von Rechtsanwalt Tirelli (CA.2022.18 pag. 1.100.870 ff.; SV lit. C.3). Dem Gesuchsgegner ist zuzustimmen, dass eine derartige Einreichung von zwei verschiedenen Berufungserklärungen unter dem Gesichtspunkt von Art. 399 Abs. 3 und 4 StPO (zumindest) als problematisch zu qualifizieren ist. Deshalb war es insbesondere sinnvoll und notwendig, dass Rechtsanwalt Tirelli (als amtlicher Verteidiger) eine Frist gesetzt wurde, zwecks Integration der Elemente der von Rechtsanwältin Mauerhofer eingereichten Berufungserklärung in seine eigene Berufungserklärung (E. 7.2). Diese prozessuale Anordnung diente – entgegen der Ansicht des Gesuchstellers (vgl. CA.2023.8 pag. 2.101.006 f. Rz. 3 - 5; oben E. 7.3) – vor allem der Gewährleistung des Rechts des Gesuchstellers auf eine wirksame Verteidigung. Sie war mithin Ausdruck der richterlichen Fürsorgepflicht, welche aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren (fair trial) abgeleitet wird (vgl. zur Thematik Wohlers, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Auf. 2020, Art. 3 StPO N. 22; Lieber, ebenda, Art. 132 StPO N. 6 und Art. 134 StPO N. 14 ff.; Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 3 StPO N. 6; Omlin, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 309 StPO N. 17).
8.4 Bei dieser Ausgangslage war es korrekt und sinnvoll, dass der Gesuchsgegner mit Verfügung CN.2023.8 vom 13. März 2023 anordnete, dass die in den Schreiben vom 3. Februar 2023 (CA.2022.18 pag. 2.103.012 ff.) und 23. Februar 2023 (CA.2022.18 pag. 2.100.003 ff.; SV lit. C.6) an den Gesuchsteller gerichteten Ersuchen aufrechterhalten würden. Ebenso war es korrekt und sinnvoll anzuordnen, dass, falls der Gesuchsteller dieser Verfügung innert (bis 3. April 2023 erstreckter) Frist nicht nachkomme, die Berufungskammer auf die Schriftsätze des Gesuchstellers in deutscher Sprache, insbesondere auf die «Berufungserklärung» vom 27. Juni 2022 und die Eingaben von Rechtsanwältin Mauerhofer vom 21. Septem—ber und 9. November 2022, nicht eintreten werde (CA.2022.18 pag. 8.107.005 ff.; SV lit. C.8).
8.5 Die vom Gesuchsteller behaupteten Verletzungen von zahlreichen Grund- bzw. Menschenrechten – das Vorgehen des Gesuchsgegners sei haltlos, willkürlich (Art. 9 BV), rein schikanös, verstosse gegen Treu und Glauben bzw. gegen den Vertrauensschutz und das Verbot widersprüchlichen Handelns (Art. 3 Abs. 2 lit. a und b StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 3 BV i.V.m. Art. 9 BV i.V.m. Art. 2 ZGB), das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 und 2 BV i.V.m. Art. 6 Ziffer 1 EMRK), das Grundrecht auf einen fair trial (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO i.V.m. Art. 29 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 6 Ziffer 1 EMRK), das Prinzip der Waffengleichheit bzw. Fairness (Art. 6 Ziffer 1 EMRK i.V.m. Art. 29 Abs. 1 BV), die freie Anwaltswahl (Art. 6 Ziffer 1 [recte: Ziffer 3 lit. c] EMRK i.V.m. Art. 129 und 130 StPO; oben E. 7.1) – gehen in der vorliegenden Konstellation samt und sonders an der Sache vorbei. Es ist nicht nur offensichtlich, dass die Verfügungen, welche der Grund des vorliegenden Ausstandsgesuchs sind, dem Bundesrecht entsprechen. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde dies beim Gesuchs—gegner keinen hinreichenden Anschein der Befangenheit im Sinne von Art. 56 lit. f StPO begründen. Das eingereichte Ausstandsgesuch leidet an einem echten Begründungsmangel. Es reicht nicht aus, Normen und Prinzipien aus der Strafprozessordnung, Verfassung und EMRK aufzuzählen, sondern es muss im konkreten Fall glaubhaft gemacht werden, dass die Schreiben bzw. Verfügungen des Gesuchsgegners gegen diese verstossen und einen Ausstandsgrund darstellen. Wie nachfolgend weiter ausgeführt wird, liegt in keiner Weise eine Rechtsverletzung vor.
8.6 Daran ändert auch nichts, dass im vorliegenden Berufungsverfahren CA.2022.18 nicht von Anfang an in allen Fällen strikt verlangt und durchgesetzt wurde, dass sämtliche Eingaben in französischer Sprache zu erfolgen haben, und auch betreffend die Parteivorträge im erstinstanzlichen Hauptverfahren gewisse Ausnahmen von der grundsätzlichen Festlegung der Verfahrenssprache Französisch gemacht wurden (oben SV lit. B.4). Ein Vertrauenstatbestand, dass der Gesuch—steller seine Eingaben in der Folge stets auch in deutscher Sprache machen könnte, wurde dadurch keineswegs geschaffen. Insbesondere fehlte es (bei beiden gerichtlichen Instanzen) an einer entsprechenden ausdrücklichen Auskunft bzw. Zusicherung der jeweiligen Verfahrensleitung, auf welche sich der Gesuchsteller fortan hätte abstützen können (vgl. zur Thematik Tschannen/Zimmer—li/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, § 22, insbesondere Ziffern 4 f. S. 163 ff.; Tschentscher, Basler Kommentar, 2015, Art. 9 BV N. 15 ff.). Was die erwähnten erstinstanzlichen Anordnungen betreffend das Vortragen der Plädoyers anlässlich der Hauptverhandlung betrifft, ist der Vorsitzende der Berufungskammer, d.h. der Gesuchsgegner, an diese ohnehin nicht gebunden. Eine Verletzung von Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO; Art. 5 Abs. 3 BV) liegt in keiner Weise vor.
8.7 Auch das Gleichbehandlungsgebot bzw. das Prinzip der Rechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO; Art. 8 BV) wurde nicht verletzt, insbesondere nicht unter Berücksichtigung der Sprachkenntnisse des Gesuchstellers sowie seiner beiden Rechtsvertreter bzw. Verteidiger (vgl. Thommen, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 3 StPO N. 97 ff.; Waldmann, Basler Kommentar, 2015, Art. 8 BV N. 19 ff. und 74; Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 23 S. 173 und 176 f.). Dasselbe gilt in Bezug auf das Grundrecht auf einen fair trial bzw. die Prinzipien der Waffengleichheit und Fairness (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO i.V.m. Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziffer 1 EMRK; Thommen, a.a.O., Art. 3 StPO N. 98 ff.; Waldmann, a.a.O., Art. 29 BV N. 5 ff. und 33 ff.). Im Vergleich zu den weiteren Verfahrensbeteiligten des Berufungsverfahrens CA.2022.18 ist beim Gesuchsteller aufgrund der Anordnungen des Gesuchsgegners keine relevante Benachteiligung zu erkennen. Der Gesuchsteller kann sämtliche ihm zustehenden Verteidigungsrechte vollumfänglich wahrnehmen; wobei die von ihm gerügte Verfügung des Gesuchsgegners CN.2023.8 vom 13. März 2023 dem in keiner Weise entgegensteht.
8.8 Entgegen der Ansicht des Gesuchstellers ist das Vorgehen des Gesuchsgegners auch keineswegs willkürlich (Art. 9 BV; Tschentscher, a.a.O., Art. 9 BV N. 7 und 13; Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 23 S. 180 ff.), sondern stützt sich insbesondere auf die relevanten gesetzlichen Grundlagen zur Verfahrenssprache bzw. auf sachlich gerechtfertigte Gründe ab.
8.9 Des Weiteren ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass – wie vom Gesuchsteller gerügt – die freie Anwaltswahl (Art. 6 Ziffer 3 lit. c EMRK i.V.m. Art. 129 und 130 StPO; vgl. Ruckstuhl, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 130 StPO N. 1 ff.) sowie die anwaltliche Freizügigkeit im Interesse des Beschuldigten und dessen Rechts—vertretung (Art. 1 und 4 BGFA; vgl. Fellmann, Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2017, insbesondere N. 108 ff. und 168 ff.) verletzt bzw. nicht gewährleistet sein sollen. Wie erwähnt, ist der Gesuchsteller im vorliegenden Berufungsverfahren CA.2022.18 sogar doppelt vertreten, durch Rechtsanwälte mit zwei verschiedenen Mutter—sprachen (die jeweils zusätzlich insbesondere der deutschen bzw. französischen Sprache mächtig sind; vgl. oben E. 8.2).
8.10 Der Gesuchsteller rügt zudem einen Verstoss gegen Ziffer 1.2 des «Verhaltenskodexes der Richter und Richterinnen des Bundesstrafgerichts» (abrufbar unter https://www.bstger.ch/de/il-tribunale/giudici/codice-comportamento.html), die wie folgt lautet: «Bundesstrafrichter und Bundesstrafrichterinnen bemühen sich um eine ausgewogene, qualitativ hochstehende und kohärente Rechtsprechung als Ergebnis gewissenhafter Rechtsfindung.» Aus den oben erwähnten Gründen ist indes nicht ersichtlich, inwiefern das erwähnte Vorgehen des Gesuchsgegners gegen diese Bestimmung verstossen soll. Insbesondere verletzt es nicht das Gebot einer kohärenten Rechtsprechung. Abgesehen davon stellt dieser Verhaltens—kodex, wie einleitend in dessen Absatz 1 festgehalten wird, keine rechtliche Ver—pflichtung dar. Es ist ohnehin nicht Sache des ein Ausstandsgesuch prüfenden Gerichts, die Verfahrensführung in der Art einer Aufsichtsbehörde zu überprüfen (Keller, a.a.O. Art. 56 StPO N. 41a).
8.11 Der Gesuchsteller bringt des Weiteren vor, der Gesuchsgegner habe seine Stellungnahme zum Ausstandsbegehren auf Französisch und auf Deutsch eingereicht. Die deutsche Version sei an einigen Stellen sprachlich und dadurch auch inhaltlich irritierend und offenbare sogleich, dass deren Verfasser nicht deutscher Muttersprache sei. Gewisse Textstellen seien derart ungewöhnlich und sogar eindeutig falsch formuliert, was den Verdacht einer Übersetzung des gesamten Textes mittels einer fehlerhaften Online-Übersetzungsmaschine vom Französischen ins Deutsche erwecke. Dies untermauere die Vermutung und Befürchtung, dass der Gesuchsgegner der deutschen juristischen Sprache nicht mächtig sei (vgl. CA.2023.8 pag. 2.101.007 ff. Rz. 7 ff.; oben E. 7.3).
Diese seitenlangen Ausführungen des Gesuchstellers, mit denen er die (vom Gesuchsgegner ergänzend eingereichte) deutsche Version der Stellungnahme vom 29. März 2023 minuziös auf sprachliche Unstimmigkeiten bzw. Fehler untersucht, gehen ebenfalls komplett an der Sache vorbei. Wie erwähnt, ist die Verfahrens—sprache im vorliegenden Strafverfahren Französisch (oben E. 8.1). Dies setzt voraus, dass der vorsitzende Bundesstrafrichter die französische Sprache – im Sinne von entsprechenden aktiven Kenntnissen – beherrscht, was vorliegend zweifellos zutrifft. In Bezug auf Kenntnisse der deutschen Sprache – als einer weiteren Amtssprache – reicht es hingegen völlig aus, wenn der vorsitzende Bundesstrafrichter über entsprechende passive Sprachkenntnisse verfügt, was ebenso der Fall ist. Ein diesbezüglicher Ausstandsgrund ist nicht ersichtlich.
8.12 Zusammenfassend vermögen die vom Gesuchsteller vorgebrachten Rügen nicht zu überzeugen. Das Vorgehen des Gesuchsgegners war korrekt und sinnvoll, es bewegte sich stets innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Rahmens. Der Ge—suchs—gegner hat – entgegen der Ansicht des Gesuchstellers (CA.2023.8 pag. 1.100.011 Rz. 49 f.; pag. 2.101.010 Rz. 25) – keinerlei Rechtsverletzungen begangen, die besonders krass und wiederholt aufgetreten wären, sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen würden, sich einseitig zu Lasten der Prozessparteien auswirken und eine auf fehlender Distanz und Neutralität beruhende Haltung offenbaren würden (oben E. 5.2 lit. c ff und E. 8.5). Der Ausgang des Berufungsverfahrens CA.2022.18 erscheint bei objektiver Betrachtungsweise ohne Weiteres als offen, wenn der Gesuchsgegner (weiterhin) dessen Vorsitzender ist (E. 5.2). Der vom Gesuchsteller gewählte Weg, ein Ausstandgesuch einzureichen, ist in der vorliegenden Konstellation mutwillig und vor allem prozessverzögernd. Das Ausstandsgesuch ist demnach abzuweisen.
9. Kosten und Entschädigungen
9.1 Gesetzliche Grundlagen
9.1.1 Wird das Gesuch gutgeheissen, so gehen die Verfahrenskosten zu Lasten des Bundes beziehungsweise des Kantons. Wird es abgewiesen oder war es offen—sichtlich verspätet oder mutwillig, so gehen die Kosten zu Lasten der gesuchstellenden Person (Art. 59 Abs. 1 StPO).
9.1.2 Das Bundesstrafgericht regelt durch Reglement (a) die Berechnung der Verfahrenskosten, (b) die Gebühren, (c) die Entschädigungen an Parteien, die amtliche Verteidigung, den unentgeltlichen Rechtsbeistand, Sachverständige sowie Zeuginnen und Zeugen (Art. 73 Abs. 1 StBOG). Die Gebühr richtet sich nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien sowie nach dem Kanzleiaufwand (Art. 73 Abs. 2 StBOG; vgl. Art. 5 Reglement des Bundesstrafgerichts über die Kosten, Gebühren und Entschädigun—gen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR. 173.713.162]). Es gilt ein Gebührenrahmen von Fr. 200.-- bis Fr. 100'000.-- für jedes der folgenden Verfahren: (a) Vorverfahren, (b) erstinstanzliches Verfahren, (c) Rechtsmittelverfahren (Art. 73 Abs. 3 StBOG; vgl. Art. 6 - 7bis BStKR).
9.1.3 Die Verfahrenskosten umfassen die Gebühren und Auslagen (Art. 1 Abs. 1 BStKR). Die Gebühren sind für die Verfahrenshandlungen geschuldet, die im Vorverfahren von der BKP und von der BA, im erstinstanzlichen Hauptverfahren von der Strafkammer, im Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren von der Berufungskammer und in Beschwerdeverfahren gemäss Art. 37 StBOG von der Be—schwerdekammer durchgeführt oder angeordnet worden sind (Art. 1 Abs. 2 BStKR).
9.2 Die Kosten des vorliegenden Ausstandsverfahrens bestehen aus einer Gerichts—gebühr, die im Lichte der erwähnten Grundsätze (oben E. 9.1.2 f.) auf Fr. 1'400.-- (inkl. Auslagen; vgl. Art. 73 Abs. 1 Iit. a und b, Abs. 2 sowie Abs. 3 lit. c StBOG; Art. 1, 5, 7bis und 9 BStKR) festgelegt wird.
9.3 Das Ausstandsgesuch wird abgewiesen. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'400.-- wird demzufolge dem Gesuchsteller auferlegt (oben E. 9.1.1).
9.4 Ausgangsgemäss werden für das vorliegende Ausstandsverfahren keine Entschädigungen ausgerichtet.
Die Berufungskammer beschliesst:
1. Das Ausstandsbegehren (Antrag Ziffer 1) des Gesuchstellers gegen Bundes—strafrichter Andrea Ermotti vom 23. März 2023 wird abgewiesen.
2. Auf Antrag Ziffer 2 des Gesuchstellers vom 23. März 2023 (Aufgrund der Befangenheit des vorsitzenden Bundesstrafrichters Dr. iur. Andrea Ermotti sei dessen Verfügung vom 13. März 2023 vollumfänglich aufzuheben und dem Beschuldigten bzw. dessen deutschsprachiger Verteidigung sei weiterhin zu gewähren, Eingaben auf Deutsch einzureichen) wird mangels Zuständigkeit nicht eingetreten.
3. Der dringliche Verfahrensantrag (Ziffer 3) des Gesuchstellers vom 23. März 2023 wird als gegenstandslos abgeschrieben.
4. Die Gerichtsgebühr für das vorliegende Ausstandsverfahren von Fr. 1'400.-- wird dem Gesuchsteller auferlegt.
5. Für das vorliegende Ausstandsverfahren werden keine Entschädigungen ausgerichtet.
Im Namen der Berufungskammer
des Bundesstrafgerichts
Die Vorsitzende Der Gerichtsschreiber
Andrea Blum Franz Aschwanden
Zustellung an (Gerichtsurkunde / brevi manu):
- Herrn Bundesstrafrichter Dr. Andrea Ermotti
- Frau Rechtsanwältin Kim Mauerhofer
Kopie an (Einschreiben / brevi manu):
- Herrn Rechtsanwalt Ludovic Tirelli
- Bundesstrafgericht, Berufungskammer
Nach Eintritt der Rechtskraft mitzuteilen an:
- Bundesanwaltschaft, Urteilsvollzug und Vermögensverwaltung
Rechtsmittelbelehrung
Beschwerde an das Bundesgericht
Dieser Beschluss kann innert 30 Tagen nach Eröffnung der vollständigen Ausfertigung mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht angefochten werden. Das Beschwerderecht und die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in den Art. 78-81 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG) geregelt. Die begründete Beschwerdeschrift ist beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen.
Die Fristeinhaltung bei Einreichung der Beschwerdeschrift in der Schweiz, im Ausland bzw. im Falle der elektronischen Einreichung ist in Art. 48 Abs. 1 und 2 BGG geregelt.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.