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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Rechtshilfe
Fallnummer:RR.2022.188, RP.2022.45
Datum:31.01.2023
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Beschwerde; Auslieferung; Recht; Beschwerdef?hrer; Bundes; Auslieferungshaft; Verfahren; Entscheid; Fluchtgefahr; Haftentlassung; Italien; Schweiz; Italienische; Recht; Verfahren; Auslieferungshaftbefehl; Beschwerdekammer; Kaution; Verfahrens; Verfolgte; Beschwerdef?hrers; Staat; Rechtsprechung; Auslieferungsentscheid; Bundesstrafgerichts; Beschwerdeverfahren; Unentgeltliche; Italienischen; Justiz
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 237 StPO ; Art. 251 StPO ; Art. 29 BV ; Art. 379 StPO ; Art. 48 BGG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 84 BGG ; Art. 92 BGG ; Art. 93 BGG ;
Referenz BGE:111 IV 108; 116 Ia 420; 130 II 306; 132 II 81; 135 IV 212; 136 IV 20; 141 IV 249; 142 III 138; 142 IV 250; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

RH.2023.1, RP.2023.6

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: RH.2023.1

Nebenverfahren: RP.2023.6

Entscheid vom 31. Januar 2023 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Nathalie Zufferey und Felix Ulrich,

Gerichtsschreiberin Santina Pizzonia

Parteien

A., zzt. in Auslieferungshaft,

vertreten durch Rechtsanwalt Theodor G. Seitz,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Auslieferung an Italien

Aufhebung der Haft (Art. 50 Abs. 3 IRSG)

Sachverhalt:

A. Das italienische Justizministerium ersuchte mit Schreiben vom 24. November 2022 um Auslieferung des kroatischen Staatsangehörigen A. im Hinblick auf die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gestützt auf das Urteil des Gerichts von Pordenone vom 7. Mai 2019, bestätigt mit Urteil vom 27. Januar 2021 des Berufungsgerichts von Trieste und rechtskräftig seit dem 24. Mai 2021, wegen fahrlässiger Tötung (act. 3.1).

Die italienischen Gerichte erachteten folgenden Sachverhalt als erstellt: A. fuhr am 11. Februar 2014 auf der Autobahn A4 in der Gemeinde Z. (Italien) mit seinem PKW […], amtliches Kennzeichen […] (Schweiz), bei Nacht und starkem Regen in Richtung Y. (Italien). Auf dem Beifahrersitz sassen B. und auf dem Hintersitz C. A. befand sich auf der Überholspur und fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 150/160 km/h, also deutlich über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h. Ausserdem hielt er keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem vor ihm auf der gleichen Fahrspur fahrenden LKW […] mit dem amtlichen Kennzeichen […] (Rumänien) ein. A. fuhr in den LKW und der Fahrer des Lastwagens, D., verlor die Kontrolle über das Fahrzeug. Nach einer Kollision mit der Leitplanke in der Fahrbahnmitte bog der Lastwagen nach rechts ab und kollidierte mit der vorderen rechten Seite eines Mastes. Der Zusammenstoss führte zum sofortigen Tod von E., dem 26-jährigen Beifahrer des LKW (S. 11 f.).

Angesichts des prozessualen Verhaltens von A. sprachen die italienischen Gerichte A. keine strafmildernden Umstände zu und erachteten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten unter Berücksichtigung der Tatschwere, des Verhaltens und des Verschuldens sowie der schwerwiegenden Verletzung des Vorsichtsgebots als angebracht (S. 12).

B. Das Bundesamt für Justiz (nachfolgend «BJ») erliess am 28. November 2022 den Auslieferungshaftbefehl gegen A. (act. 3.3). Gestützt darauf wurde A. von der Kantonspolizei Zürich am 5. Dezember 2022 festgenommen und in Auslieferungshaft versetzt (act. 3.2 ff.). Der Auslieferungshaftbefehl blieb in der Folge unangefochten.

C. Im Rahmen seiner Einvernahme vom 6. Dezember 2022 widersetzte sich A. in Anwesenheit seines Rechtsvertreters einer vereinfachten Auslieferung an Italien (act. 3.4 S. 2 f.). Dementsprechend wurde ihm anschliessend eine 14-tägige Frist zur Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme zum Auslieferungsersuchen beim BJ angesetzt. A. wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichteinhaltung der Frist das BJ aufgrund der vorliegenden Akten entscheiden werde (act. 3.4 S. 3).

D. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2022 liess A. durch seinen Rechtsvertreter dem BJ seine Stellungnahme «gegen den Auslieferungshaftbefehl» zukommen (act. 3.6).

Er beantragte in einem ersten Punkt, der Auslieferungshaftbefehl sei nicht zu vollziehen, «u.a. mangels Gültigkeit des Auslieferungshaftbefehls gestützt auf erhebliche Verletzungen von Verfahrensgarantien und Grundsätzen der EMRK», und aufzuheben. Er gab an, sofort schlüssige Beweise anzubieten, dass er nicht der Täter sei. Er beantragte, er sei aus der Haft zu entlassen. Unter Punkt 2 beantragte er, im Falle seiner Entlassung aus der Haft sei ihm als Ersatzmassnahme eine Kaution von Fr. 20'000.-- aufzuerlegen. Unter Punkt 3 stellte er den Eventualantrag, der Auslieferungshaftbefehl sei nicht zu vollziehen, da er ein formelles Gesuch um Strafverbüssung in der Schweiz beim Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich gestellt habe. Abschliessend stellte er das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsvertretung, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Staatskasse (act. 3.6 S. 2).

E. Das Gesuch um stellvertretende Strafverbüssung in der Schweiz, das A. am 16. Dezember 2022 beim Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich hatte stellen lassen, wurde dem BJ mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 weitergeleitet (act. 3.7).  

F. Zur Überprüfung der geltend gemachten Mittellosigkeit ersuchte das BJ in der Folge mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 den Rechtsvertreter von A. um ergänzende Angaben zu dessen persönlichen finanziellen Lage. Zudem forderte das BJ eine Erklärung bezüglich der Herkunft der angebotenen Kautionssumme (act. 3.8). Mit Antwortschreiben vom 23. Dezember 2022 reichte A. diverse Beilagen zu seiner finanziellen Situation ein und erklärte, sein Vater werde die Kaution leisten (act. 3.11).

G. Mit einem zweiten Schreiben vom 21. Dezember 2022 informierte das BJ das italienische Justizministerium über den Wunsch von A., die italienische Strafe in der Schweiz stellvertretend zu verbüssen (act. 3.9). Die Staatsanwaltschaft Triest teilte mit Schreiben vom 23. Dezember 2022 mit, dass am Auslieferungsersuchen festgehalten werde (act. 3.10).

H. Mit Verfügung vom 27. Dezember 2022 ernannte das BJ Rechtsanwalt Theodor G. Seitz auf entsprechendes Gesuch hin zum unentgeltlichen Rechtsbeistand von A. (act. 3.12).

I. Mit Auslieferungsentscheid vom 29. Dezember 2022 bewilligte das BJ in Dispositiv Ziffer 1 die Auslieferung von A. an Italien für die dem Auslieferungsersuchen vom 24. November 2022 zugrunde liegende Taten. In Dispositiv Ziffer 2 lehnte es das Haftentlassungsgesuch von A. ab (act. 3.15).

J. Mit Eingabe vom 13. Januar 2023 lässt A. bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde gegen Disp. Ziff. 2 des Auslieferungsentscheids erheben und folgende Anträge stellen (act. 1 S. 2):

«1. Die Dispositiv Ziffer 2 des Auslieferungsentscheids vom 29. Dezember 2022 sei aufzuheben und der Beschwerdeführer sei sofort aus der Haft zu entlassen.

2. Der unterzeichnende Rechtsanwalt sei zum unentgeltlichen Rechtsbeistand des Beschwerdeführers zu bestellen.

3. Dem Beschwerdeführer sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren – für die Vorlage der entsprechenden Nachweise sei eine Frist bis 13. Februar 2023 anzusetzen – und von der Leistung eines Gerichtskostenvorschusses sei Abstand zu nehmen.

4. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen einschliesslich der Kosten des unterzeichnenden amtlichen Rechtsbeistands zulasten der Staatskasse.»

K. Das BJ beantragt in seiner Beschwerdeantwort vom 19. Januar 2023 die Abweisung der Beschwerde (act. 3). Der Beschwerdeführer liess sich innert Frist nicht vernehmen.

 

L. Auf die weiteren Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und Italien sind primär das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1), dem beide Staaten beigetreten sind, sowie die am 17. März 1978, am 10. November 2010 und am 20. September 2012 ergangenen Zusatzprotokolle (ZP II; SR 0.353.12; ZP III EAUe; SR 0.353.13; ZPIV EAUe; SR. 0353.14) massgebend. Überdies anwendbar sind das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 14. Juni 1985 (SDÜ; CELEX-Nr. 42000A0922(02); ABl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62; Text nicht publiziert in der SR, jedoch abrufbar auf der Webseite der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen», 8.1 Anhang A; https://www.admin.ch/opc/de/european-union/international-agreements/008.html) i.V.m. dem Beschluss des Rates 2007/533/JI vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des SIS der zweiten Generation (SIS II), namentlich Art. 26-31 (CELEX-Nr. 32007D0533; ABl. L 205 vom 7. August 2007, S. 63-84; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen», 8.4 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), sowie diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Auslieferungsübereinkommen; CELEX-Nr. 41996A1023(02); Abl. C 313 vom 23. Oktober 1996, S. 12–23), welche gemäss dem Beschluss des Rates 2003/169/JI vom 27. Februar 2003 (CELEX-Nr. 32003D0169; Abl. L 67 vom 12. März 2003, S. 25 f.; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.2 Anhang B) eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen (d.h. die Art. 2, 6, 8, 9 und 13 des EU-Auslieferungsübereinkommens sowie dessen Art. 1, soweit er für die anderen Artikel relevant ist). Die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler oder multilateraler Abkommen bleiben unberührt (Art. 59 Abs. 2 SDÜ; Art. 1 Abs. 2 EU-Auslieferungsübereinkommen).

1.2 Soweit diese Staatsverträge und die Zusatzprotokolle nichts anderes bestimmen, findet ausschliesslich das Recht des ersuchten Staates Anwendung (Art. 22 EAUe), vorliegend also das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) und die dazugehörige Verordnung vom 24. Februar 1982 (Rechtshilfeverordnung, IRSV; SR 351.11). Das innerstaatliche Recht gelangt nach dem Günstigkeitsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn dieses geringere Anforderungen an die Auslieferung stellt (BGE 142 IV 250 E. 3 S. 255; 140 IV 123 E. 2; 137 IV 33 E. 2.2.2; 136 IV 82 E. 3.1). Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c; TPF 2008 24 E. 1.1 S. 26).

1.3 Für das Beschwerdeverfahren gelten zudem die Art. 379-397 StPO sinngemäss (Art. 48 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 IRSG) und die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021; vgl. Art. 39 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 37 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 des Bundesgesetzes vom 19. März 2010 über die Organisation des Strafbehörden des Bundes [Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71]).

2.

2.1 In der Beschwerdebegründung verlangt der Beschwerdeführer zwar wiederholt den Verzicht auf eine Auslieferung (s. act. 1 S. 12, 13, 14). Da der rechtskundig vertretene Beschwerdeführer indes explizit ausschliesslich Disp. Ziff. 2 des Auslieferungsentscheids anficht, bildet Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens lediglich die Abweisung des Haftentlassungsgesuchs.

2.2 Gegen die Abweisung des Haftentlassungsgesuchs durch das BJ kann der Verfolgte bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde führen (Art. 50 Abs. 3 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 IRSG).

2.3 Die gegen den negativen Haftentlassungsentscheid vom 29. Dezember 2022 (Disp. Ziff. 2 des Auslieferungsentscheids vom 29. Dezember 2022) erhobene Beschwerde vom 13. Januar 2023 erweist sich als fristgerecht (s. act. 3.16). Die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben keinen Anlass zu Bemerkungen. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

3.

3.1 Die Beschwerdekammer ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 25 Abs. 6 IRSG). Sie prüft die Auslieferungshaftvoraussetzungen grundsätzlich mit freier Kognition. Die Beschwerdekammer befasst sich jedoch nur mit Tat- und Rechtsfragen, die Streitgegenstand der Beschwerde bilden (BGE 132 II 81 E. 1.4; 130 II 337 E. 1.4; TPF 2011 97 E. 5).

3.2 Ausserdem muss sich die Beschwerdeinstanz nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Sie kann sich auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken, und es genügt, wenn die Behörde wenigstens kurz die Überlegungen nennt, von denen sie sich leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; 139 IV 179 E. 2.2).

4. Die Verhaftung des Verfolgten während des ganzen Auslieferungsverfahrens bildet die Regel (BGE 136 IV 20 E. 2.2; 130 II 306 E. 2.2). Eine Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls sowie eine Haftentlassung rechtfertigen sich nur ausnahmsweise und unter strengen Voraussetzungen, wenn der Verfolgte sich voraussichtlich der Auslieferung nicht entzieht und die Strafuntersuchung nicht gefährdet (Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG), wenn er den sogenannten Alibibeweis erbringen und ohne Verzug nachweisen kann, dass er zur Zeit der Tat nicht am Tatort war (Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG), wenn er nicht hafterstehungsfähig ist oder andere Gründe vorliegen, welche eine weniger einschneidende Massnahme rechtfertigen (Art. 47 Abs. 2 IRSG), oder wenn sich die Auslieferung als offensichtlich unzulässig erweist (Art. 51 Abs. 1 IRSG). Diese Aufzählung ist nicht abschliessend (BGE 130 II 306 E. 2.1; 117 IV 359 E. 2a; vgl. zum Ganzen zuletzt u.a. den Entscheid des Bundesstrafgerichts RH.2018.3 vom 20. Februar 2018 E. 3.2). Offensichtlich unzulässig kann ein Auslieferungsersuchen sein, wenn ohne jeden Zweifel und ohne weitere Abklärungen ein Ausschlussgrund vorliegt (vgl. BGE 111 IV 108 E. 3a). Im Übrigen sind Vorbringen gegen die Auslieferung als solche oder gegen die Begründetheit des Auslieferungsersuchens nicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren, sondern im eigentlichen Auslieferungsverfahren bzw. im Beschwerdeverfahren gegen den Auslieferungsentscheid zu prüfen (vgl. Moreillon/Dupuis/Mazou, La pratique judiciaire du Tribunal pénal fédéral, in Journal des Tribunaux 2009 IV 111 Nr. 190 und 2008 IV 66 Nr. 322 je m.w.H. auf die Rechtsprechung). Die ausnahmsweise zu gewährende Haftentlassung ist an strengere Voraussetzungen gebunden als der Verzicht auf die gewöhnliche Untersuchungshaft in einem Strafverfahren oder die Entlassung aus einer solchen. Diese Regelung soll es der Schweiz ermöglichen, ihren staatsvertraglichen Auslieferungspflichten nachzukommen (vgl. BGE 130 II 306 E. 2.2 und 2.3; 111 IV 108 E. 2; Entscheid des Bundesstrafgerichts RH.2015.14 vom 9. Juli 2015 E. 4.1).

5. Nach der zutreffenden Wiedergabe der massgeblichen Rechtsprechung erwog der Beschwerdegegner im angefochtenen Entscheid Folgendes zum Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers (act. 3.15 S. 9 f.):

«Der Auslieferungshaftbefehl des BJ vom 28. November 2022, nun in Rechtskraft erwachsen, wurde vorliegend namentlich wegen Fluchtgefahr ausgestellt. Durch den Erlass des vorliegenden Entscheids dürfte sich die Fluchtgefahr nochmals erheblich erhöht haben. Somit wäre eine Haftentlassung im jetzigen Verfahrensstadium, auch gegen andere Sicherungsmassnahmen, nicht geeignet, die Anwesenheit des Verfolgten im schweizerischen Auslieferungsverfahren ausreichend zu sichern. Dieser hätte im Falle einer provisorischen Haftentlassung jederzeit die Möglichkeit, unterzutauchen und sich einer Auslieferung zu entziehen indem er zum Beispiel in seinen Heimatstaat Kroatien flüchten würde. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Kantonspolizei Zürich das BJ informiert hat, dass am Tag der Verhaftung des Verfolgten im Hinblick auf seine Auslieferung an Italien, dieser auf mehrfaches Klingeln, Rufen und Klopfen die Wohnungstüre nicht öffnete, obwohl sich jemand offensichtlich in der Wohnung befand. Als die Wohnungstüre dann geöffnet werden konnte, konnten die anwesenden Polizisten feststellen, dass der Türgriff der Terrassentüre sich in waagrechter Stellung befand. Der Verfolgte versuchte via Balkon zu flüchten und konnte daraufhin auf dem Flachdach der Liegenschaft verhaftet werden. Aus diesen Gründen kann die Fluchtgefahr, auch mit der Hinterlegung einer Kaution, nicht abgewendet werden. Die Auslieferungshaft ist nach wie vor verhältnismässig und somit aufrechtzuerhalten. Aus diesen Gründen wird das Haftentlassungsgesuch des Verfolgten abgelehnt.»

6.  

6.1 Gegen die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs bringt der Beschwerdeführer vor, im italienischen Strafverfahren seien diverse Verfahrensgarantien der EMRK (namentlich das Prinzip des «fair trial» und der effektiven Verteidigung) verletzt worden. Namentlich hätten der Beschwerdeführer, B. und C. am 29. Juli 2014 amtlich beglaubigte Erklärungen machen lassen, aus denen hervorgehe, dass zum Zeitpunkt des Unfalles B. das Unfallfahrzeug gefahren habe. Sodann würde seine Auslieferung an Italien dem Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK widersprechen. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, bei einer Auslieferung nach Italien würde sich seine gesundheitliche Situation verschlechtern. Er führt schliesslich aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er an einen dritten Staat weitergeliefert würde (act. 1 S. 6 bis S. 14).

6.2 Bei den vorstehenden Einwänden handelt es sich um Vorbringen gegen die Auslieferung als solche, welche nicht im Beschwerdeverfahren betreffend die Auslieferungshaft, sondern in einem allfälligen Beschwerdeverfahren gegen den Auslieferungsentscheid zu prüfen sind (s. supra E. 4). Die Erklärungen vom 29. Juli 2014 des Beschwerdeführers, von B. und C. vermögen auch keinen Alibibeweis im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG zu erbringen. Im Übrigen geht aus den italienischen Urteilen hervor, dass der Beschwerdeführer am 11. Februar 2014 unmittelbar nach dem Unfall gegenüber der italienischen Verkehrspolizei erklärt hatte, Lenker des Unfallsfahrzeugs gewesen zu sein. In den italienischen Urteilen wird im Einzelnen auch erläutert, weshalb dem Widerruf dieser Darstellung durch den Beschwerdeführer auf dem italienischen Polizeiposten und im weiteren Verfahrensverlauf kein Glauben geschenkt wurde (act. 3.1 S. 9 ff.). 

7.

7.1 Der Beschwerdeführer macht in einem nächsten Punkt geltend, er leide aufgrund des Unfalles bzw. des Untersuchungs- und Gerichtsverfahrens in Italien an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er habe sich bisher nicht behandeln lassen und die Auslieferungshaft könnte seinen psychischen Zustand rapide verschlechtern. Aufgrund dessen sei er aus der Auslieferungshaft zu entlassen und auf eine Auslieferung nach Italien sei zu verzichten (act 1 S. 13).

7.2 Zu beachten ist, dass die Inhaftierung für den Betroffenen immer ein Übel darstellt, das vom einen besser, vom anderen weniger gut ertragen wird (BGE 116 Ia 420 E. 3b). Eine Person gilt als nicht hafterstehungsfähig, wenn mit Sicherheit oder grösster Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass die Haft sein Leben gefährden bzw. dessen Gesundheit schwerwiegend beeinträchtigen wird (vgl. im Allgemeinen dazu Urwyler/Endrass/Hachtel/Graf, Handbuch Strafrecht – Psychiatrie – Psychologie, 2022, S. 1013 ff.; Graf, Hafterstehungsfähigkeit, in: Brägger [Hrsg.], Das Schweizerische Vollzugslexikon, 2014, S. 231 ff.). Ob eine Krankheit der Haft entgegensteht und ob eine genügende medizinische Betreuung in Haft gewährleistet ist, muss die zuständige Behörde unter Beiziehung von medizinischen Sachverständigen im Einzelfall abklären (Hänni, Basler Kommentar, 2014, Art. 251/252 StPO N. 49).

 

7.3 Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer reicht keine Unterlagen ein, welche die Annahme einer Hafterstehungsunfähigkeit begründen könnten. Es sind in den Akten auch keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme ersichtlich und vor diesem Hintergrund war der Beschwerdegegner nicht verpflichtet, diesbezüglich Abklärungen vorzunehmen.

8. Unter dem Titel «Keine Fluchtgefahr» führt der Beschwerdeführer die Schlussfolgerungen des BJ im angefochtenen Entscheid zur Fluchtgefahr im Falle des Beschwerdeführers und die Rechtsprechung zur Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls auf (act. 1 S. 4 bis 5). Weshalb die Auffassung des BJ unzutreffend sein und keine Fluchtgefahr bestehen soll, hat der Beschwerdeführer nicht begründet, weshalb auf den Einwand nicht weiter einzugehen ist.

9.

9.1 Unter dem Titel «Hinterlegung einer Kaution» bringt der Beschwerdeführer vor, er habe dem BJ in seiner Stellungnahme die Hinterlegung eines Kautionsbetrages von Fr. 20'000.-- offeriert, welchen sein Vater geleistet hätte. Der Beschwerdeführer argumentiert, dass die Kaution stark auf ihn wirken würde, weil sie innerhalb der Familie geleistet und bei deren Verlust die Familie entsprechend heftig auf ihn einwirken werde. Er erklärt, dass er sich an alle ausgewählten Ersatzmassnahmen halten und diesen Folge leisten werde. Er sei auch weiterhin bereit, sich Ersatzmassnahmen zu stellen, um aus der Auslieferungshaft rauszukommen, namentlich seinen Pass zu hinterlegen oder eine Kaution in der Höhe von Fr. 30'000.-- zu leisten, um endgültig den Beweis zu erbringen, dass keine Fluchtgefahr vorliege. Der Beschwerdeführer kommt zum Schluss, dass unter diesen Umständen die Voraussetzungen für Alternativen zur aktuellen Haft in der Form von Ersatzmassnahmen im Sinne von Art. 237 ff. StPO gegeben und angemessen erscheinen würden. In diesem Zusammenhang rügt der Beschwerdeführer, eine rechtliche Würdigung bzw. Auseinandersetzung des BJ damit habe nicht stattgefunden. Nach der Darstellung des Beschwerdeführers verstösst dies klar gegen die Verfahrensgrundsätze der Fairnessmaxime, der persönlichen Freiheit und des rechtlichen Gehörs. Das Vorgehen des BJ sei willkürlich (act. 1 S. 5 bis 6).

9.2 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Verneinung von Fluchtgefahr ist überaus restriktiv und misst der Erfüllung der staatsvertraglichen Auslieferungspflichten im Vergleich zu den Interessen des Verfolgten ausserordentlich grosses Gewicht bei. Das Bundesgericht bejaht die Fluchtgefahr bei drohenden, hohen Freiheitsstrafen in der Regel sogar dann, wenn der Betroffene über eine Niederlassungsbewilligung und familiäre Bindungen in der Schweiz verfügt (BGE 136 IV 20 E. 2.3; Urteil des Bundesgerichts 8G.45/2001 vom 15. August 2001 E. 3a). Um Fluchtgefahr ausreichend zu bannen, werden Ersatzmassnahmen für Auslieferungshaft, wie Abgabe der Reisedokumente, Schriftensperre, Meldepflicht und Electronic Monitoring angesichts der einfachen Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen, nach konstanter Rechtsprechung nur in Kombination mit einer sehr substantiellen Sicherheitsleistung als überhaupt geeignet erachtet (Entscheide des Bundesstrafgerichts RH.2020.10 vom 23. September 2020 E. 4.2; RH.2020.9 vom 11. September 2020 E. 5.2; RH.2020.5 vom 12. August 2020 E. 6.4; jeweils m.w.H.).

9.3 Der Beschwerdegegner ging im Falle des Beschwerdeführers zu Recht von einer erhöhten Fluchtgefahr aus, weshalb ohne weiteres auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid (s. supra E. 5) zu verweisen ist. Namentlich konnte der Umstand, dass neben seinem Vater seine Frau und seine beiden Kinder in der Schweiz leben, den Beschwerdeführer nicht von einem Fluchtversuch abhalten (s. supra E. 5). Dem Beschwerdegegner ist beizupflichten, dass bereits unter diesen Umständen die hohe Fluchtgefahr auch mit der Hinterlegung einer Kaution nicht gebannt werden kann. Die dem Beschwerdegegner vorgeworfenen Verfahrensverletzungen sind auch nicht im Ansatz ersichtlich.

10. Zusammenfassend erweisen sich alle Rügen gegen die Abweisung des Haftentlassungsgesuchs als unbegründet. Andere Gründe, welche eine Auslieferung offensichtlich auszuschliessen oder sonst zu einer Aufhebung der Auslieferungshaft zu führen vermöchten, werden weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als offensichtlich unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.

11.

11.1 Der Beschwerdeführer beantragt für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsvertretung (RP.2023.6).

11.2 Die Beschwerdekammer befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Verfahrenskosten, sofern ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 65 Abs. 1 VwVG) und bestellt dieser einen Anwalt, wenn dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist (Art. 65 Abs. 2 VwVG). Diese Regelung ist Ausfluss von Art. 29 Abs. 3 BV. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind als aussichtslos Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese (BGE 142 III 138 E. 5.1; 140 V 521 E. 9.1).

11.3 Vorliegend erweist sich die Beschwerde als offensichtlich aussichtslos im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG. Demzufolge ist das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ohne Überprüfung von dessen finanzieller Situation abzuweisen. Bei der Festsetzung der Spruchgebühr kann gemäss Art. 63 Abs. 4bis VwVG der womöglich schwierigen finanziellen Situation des Beschwerdeführers Rechnung getragen werden.

12. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Die reduzierte Gerichtsgebühr ist auf Fr. 1'000.-- festzusetzen (vgl. Art. 63 Abs. 5 VwVG und Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und Art. 8 Abs. 3 lit. a des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]).

  Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsvertretung wird abgewiesen.

3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

Bellinzona, 1. Februar 2023

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Rechtsanwalt Theodor G. Seitz

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung

Rechtsmittelbelehrung

Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die Beschwerde zulässig (Art. 92 Abs. 1 BGG). Diese Entscheide können später nicht mehr angefochten werden (Art. 92 Abs. 2 BGG).

Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sind andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar. Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide über die Auslieferungshaft sowie über die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen, sofern sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können, oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Entscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (vgl. Art. 93 Abs. 1 und 2 BGG). Ist die Beschwerde gegen einen Vor- oder Zwischenentscheid gemäss Art. 93 Abs. 1 und 2 BGG nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Art. 93 Abs. 3 BGG).

Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (vgl. Art. 84 Abs. 1 BGG). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG).

Die Beschwerde ist innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen (vgl. Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Im Falle der elektronischen Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind (Art. 48 Abs. 2 BGG).

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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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