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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Rechtshilfe
Fallnummer:RR.2022.185
Datum:03.04.2023
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Auslieferung; Bundes; Recht; Deutschland; Verfahren; Haftbefehl; Recht; Akten; Auslieferungsersuchen; Rechtshilfe; Bundesgericht; Entscheid; Justiz; Amtsgericht; Gericht; Beschwerdekammer; Mönchengladbach; Behörde; Schweiz; Urteil; Staat; Bundesamt; Auslieferungsentscheid; Ziffer; Bundesgerichts; Bundesstrafgericht
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 26 VwVG ; Art. 29 BV ; Art. 48 BGG ; Art. 50 VwVG ; Art. 57 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 84 BGG ;
Referenz BGE:139 II 65; 142 IV 250; 145 IV 99; 147 IV 340; ;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

RR.2023.9

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: RR.2023.9

Entscheid vom 3. April 2023 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Patrick Robert-Nicoud, Vorsitz,

Daniel Kipfer Fasciati und Miriam Forni

Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

A., vertreten durch Rechtsanwalt Nico Gächter,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Auslieferung an Deutschland

Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG)

Sachverhalt:

A. Das Ministerium der Justiz des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ersuchte mit Schreiben vom 14. Februar 2022 um Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen A. (act. 5.1). Das Ersuchen stützte sich auf den Haftbefehl vom 10. Juli 2020 des Amtsgerichts Mönchengladbach. Danach ist A. beschuldigt und angeklagt, in der Zeit vom 1. April 2014 bis 24. Januar 2017 in Viersen die von ihm mit unzureichenden Mitteln gegründete B. GmbH zum Kauf einer Immobilie über 5.7 Mio. EUR verwendet zu haben, ohne den Kaufpreis zu bezahlen, wobei nicht einmal die laufenden Verbindlichkeiten der GmbH hätten beglichen werden können und er trotz Kenntnis der Überschuldung keinen Insolvenzantrag gestellt habe (Vorwurf Ziffer 1). Der Haftbefehl führt in den Ziffer 2–27 weitere Anschuldigungen auf und aus.

B. Das Bundesamt für Justiz (nachfolgend «BJ») erläuterte der deutschen Behörde am 9. März 2022 den Betrugstatbestand nach Schweizer Recht und bat um weitere Ausführungen (act. 5.2). Deutschland ergänzte das Ersuchen am 4. April 2022 (act. 5.3). Das BJ teilte Deutschland am 3. Mai 2022 seine Einschätzung mit, dass eine Auslieferung nur für die Ziffer 1 infrage komme und erkundigte sich, ob am Auslieferungsersuchen festgehalten werde (act. 5.4), was Deutschland am 8. Juni 2022 bejahte (act. 5.5).

Das BJ erteilte der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen am 13. Juli 2022 den Auftrag, A. einzuvernehmen. Es verzichtete vorläufig auf eine Inhaftierung (act. 5.6). Die Einvernahme fand in Anwesenheit von Rechtsanwalt Nico Gächter am 12. Juli 2022 statt (act. 5.7). A. führte dabei aus, er befinde sich in stetiger ärztlicher Kontrolle. Er verlangte das ordentliche Auslieferungsverfahren und hielt an der Geltung des Spezialitätsprinzips fest. Ihm wurde Frist zur schriftlichen Stellungnahme gesetzt.

C. RA Nico Gächter ersuchte das BJ am 15. August 2022 um Akteneinsicht (act. 5.8, 5.9). Er nahm am 26. August 2022 zum Auslieferungsersuchen Stellung (act. 5.10).

D. Am 23. September 2022 ersuchte das BJ Deutschland, ein Original oder eine beglaubigte Abschrift des Haftbefehls vom 10. Juli 2020 des Amtsgerichts Mönchengladbach zu übermitteln, das eine Unterschrift der Richterin enthalte (act. 5.11). Deutschland kam dem mit Schreiben vom 31. Oktober 2022 nach (act. 5.12). Das BJ stellte diesen Austausch am 29. November 2022 RA Nico Gächter zur Kenntnis zu (act. 5.13).

E. Das BJ bewilligte am 15. Dezember 2022 die Auslieferung von A. an Deutschland nur für die im Haftbefehl vom 10. Juli 2020 des Amtsgerichts Mönchengladbach unter Ziffer 1 dargelegten Handlungen.

F. Dagegen gelangt A. am 16. Januar 2023 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Er beantragt (act. 1 S. 2):

1. Ziffer 1 des Auslieferungsentscheids des Bundesamts für Justiz vom 15. Dezember 2022 in der Sache Nr. B-21-2866-2 sei aufzuheben. Die Bewilligung zur Auslieferung gestützt auf die im Haftbefehl des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 10. Juli 2020 unter Ziffer 1 dargelegten Handlungen sei zu verweigern.

2. Eventualiter sei Ziffer 1 des Auslieferungsentscheids des Bundesamts für Justiz vom 15. Dezember 2022 in der Sache Nr. B-21-2866-2 aufzuheben. Die Angelegenheit sei im Sinne der Erwägungen an das Bundesamt für Justiz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Das Bundesamt für Justiz sei anzuweisen, dem Beschwerdeführer das Schreiben des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2021 sowie das Schreiben der leitenden Oberstaatsanwältin in Mönchengladbach vom 10. September 2021 zur Einsicht zuzustellen und dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen.

Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen inkl. MwSt.

Das BJ beantragt in seiner Beschwerdeantwort vom 26. Januar 2023, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei (act. 5). Das Amt reichte mit den Beilagen auch drei Schreiben ein, die Deutschland vor dem aktuellen Auslieferungsersuchen schickte (act. 5.16–5.18 Schreiben vom 2. Juli 2021, 3. August 2021 und 10. September 2021). In seiner Beschwerdereplik vom 17. März 2023 hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest (act. 9).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland sind primär das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1), die hierzu ergangenen Zusatzprotokolle vom 17. März 1978 (ZPII EAUe; SR 0.353.12) und vom 10. November 2010 (ZPIII EAUe; SR 0.353.13) sowie der Vertrag vom 13. November 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EAUe und die Erleichterung seiner Anwendung (ZV EAUe; SR 0.353.913.61) massgebend.

Überdies anwendbar sind das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 14. Juni 1985 (SDÜ; CELEX-Nr. 42000A0922(02); ABl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19–62; Text nicht publiziert in der SR, jedoch abrufbar auf der Webseite der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter «Rechtssammlung zu den bilateralen Abkommen», 8.1 Anhang A; https://www.admin.ch/opc/de/european-union/international-agreements/ 008.html) i.V.m. dem Beschluss des Rates 2007/533/JI vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des SIS der zweiten Generation (SIS II), namentlich Art. 26–31 (CELEX-Nr. 32007D0533; ABl. L 205 vom 7. August 2007, S. 63-84; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den bilateralen Abkommen», 8.4 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), sowie diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Auslieferungsübereinkommen; CELEX-Nr. 41996A1023(02); Abl. C 313 vom 23. Oktober 1996, S. 12–23), welche gemäss dem Beschluss des Rates 2003/169/JI vom 27. Februar 2003 (CELEX-Nr. 32003D0169; Abl. L 67 vom 12. März 2003, S. 25 f.; abrufbar unter «Rechtssammlung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU», 8.2 Anhang B) eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen (d.h. die Art. 2, 6, 8, 9 und 13 des EU-Auslieferungsübereinkommens sowie dessen Art. 1, soweit er für die anderen Artikel relevant ist).

Die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler oder multilateraler Abkommen bleiben unberührt (Art. 59 Abs. 2 SDÜ; Art. 1 Abs. 2 EU-Auslieferungsübereinkommen).

1.2 Soweit die Staatsverträge und Zusatzprotokolle bestimmte Fragen weder ausdrücklich noch stillschweigend regeln, bzw. das schweizerische Landesrecht geringere Anforderungen an die Rechtshilfe stellt (sog. Günstigkeitsprinzip; BGE 142 IV 250 E. 3; 140 IV 123 E. 2; 136 IV 82 E. 3.1; 135 IV 212 E. 2.3; Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pé—nale, 5. Aufl. 2019, N. 229), sind das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) und die dazugehörige Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV; SR 351.11) anwendbar. Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 139 II 65 E. 5.4; 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c; TPF 2016 65 E. 1.2; 2008 24 E. 1.1; Urteil des Bundesgerichts 1C_444/2020 vom 23. Dezember 2020 E. 3.1).

2.

2.1 Gegen Auslieferungsentscheide des BJ kann innert 30 Tagen seit der Eröffnung des Entscheids bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 55 Abs. 3 IRSG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG, Art. 50 Abs. 1 VwVG, Art. 37 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 des Bundesgesetzes vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes [StBOG; SR 173.71]).

2.2 Das BJ bringt in der Beschwerdeantwort vor (act. 5 S. 3), dass der Beschwerdeführer seine Rügen erstmals in der Beschwerde vorbringe. Dies habe er aber bereits im Auslieferungsverfahren vor dem BJ tun sollen. Damit verstosse er gegen seine allgemeine Pflicht aus Treu und Glauben, Vorbringen rechtzeitig geltend zu machen. Entsprechend beantragt das BJ, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das BJ ruft dafür den Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2022.135 vom 25. August 2022 E. 7.2.2 an. Für den Beschwerdeführer hingegen entscheide das BJ alleine, wann es seine gesetzlichen Pflichten erfülle. Sei dies unterblieben, dürfe er dies mit Beschwerde rügen (act. 9 S. 2).

Im Verfahren RR.2022.135 ging es darum, dass die Beschwerdekammer als Rechtsmittelinstanz nicht die erstinstanzliche Beurteilung anstelle der ausführenden Behörde vornimmt. Der dortige Beschwerdeführer schilderte das faktische Fundament, wonach der ausländische Strafvollzug unmenschlich sei, erst im gerichtlichen Verfahren. In solchen Fällen ist der Behörde z.B. nicht zwingend bekannt, dass ein Beschwerdeführer zu einer besonders gefährdeten Personengruppe gehöre. Die Beschwerdekammer prüfte die Rüge dennoch inhaltlich (RR.2022.135 E. 7.2.2–7.2.4). Das BJ wendet das Recht von Amtes wegen an (und ist im Auslieferungsverfahren auch von Amtes wegen verpflichtet, die Einhaltung der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz sicherzustellen, vgl. z.B. Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2019.222 vom 9. Oktober 2019 E. 4.10, 5.2 letzter Absatz). Der Beschwerdeführer weist darauf zurecht hin. Ein Nichteintreten auf eine Beschwerde wegen Verstosses gegen Treu und Glauben durch verspätetes Vorbringen ist keine gesetzlich ausdrücklich geregelte Folge. Geht es wie im Auslieferungsverfahren um viel (namentlich Massnahmen des Freiheitsentzugs), dürfte es nur mit grosser Zurückhaltung in einen Rechtsverlust für die auszuliefernde Person führen. Vorliegend deshalb gar nicht auf die Beschwerde einzutreten, ist nicht zulässig.

2.3 Der Beschwerdeführer ist als Adressat des Auslieferungsentscheids zu dessen Anfechtung legitimiert. Auf die im Übrigen frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist einzutreten.

3. [Haftbefehl vom unzuständigen deutschen Amtsgericht]

3.1 Der Beschwerdeführer rügt, das Amtsgericht Mönchengladbach sei örtlich und sachlich nicht zuständig, um den Haftbefehl im vorliegenden Fall zu erlassen. Denn für die Gemeinden Niederkrüchten, Schwalmtal und Viersen sei das Amtsgericht Viersen zuständig. Er führt sodann aus, auch gestützt auf den Wohnort sei nach deutschem Recht keine Zuständigkeit des Amtsgerichts Mönchengladbach begründet. Dies führe zur Nichtigkeit des Haftbefehls, womit nicht, wie von Art. 12 Ziff. lit. a EAUe sowie den Art. 2, 28 und 41 IRSG aber verlangt, dem Auslieferungsgesuch ein vollstreckbarer Haftbefehl beiliege (act. 1 S. 4-6). Denn die Überprüfung der Zuständigkeit betreffe keine reine Obliegenheiten oder Ordnungsvorschriften, sondern die Verletzung eines elementaren Grundsatzes (act. 9 S. 3).

3.2 Nach dem völkerrechtlichen Vertrauensprinzip darf die ersuchte Behörde davon ausgehen, dass die einem Rechtshilfebegehren bzw. dessen Ergänzungen bzw. Beilagen zugrunde liegenden Angaben den Tatsachen entsprechen (Urteile des Bundesgerichts 1C_444/2020 vom 23. Dezember 2020 E. 3.1.2; 1C_209/2014 vom 24. April 2014 E. 3.2; 1A.122/2003 vom 25. August 2003 E. 3.2). Die schweizerische Rechtshilfebehörde hat die Gültigkeit der vom ersuchenden Staat unternommenen Verfahrensschritte und der von ihm vorgelegten Unterlagen nicht zu prüfen, es sei denn, es liege eine besonders schwerwiegende und offensichtliche Verletzung des ausländischen Verfahrensrechts vor, die das Auslieferungsersuchen als geradezu rechtsmissbräuchlich erscheinen liesse (Urteile des Bundesgerichts 1C_454/2019 vom 12. September 2019 E. 2.2; 1A.118/2004 vom 3. August 2004 E. 3.8; 1A.15/2002 vom 5. März 2002 E. 3.2; Engler, Basler Kommentar Internationales Strafrecht, 2015, Art. 41 IRSG N. 5).

3.3 Vorliegend erliess ein unabhängiges deutsches Gericht den Haftbefehl. Was der Beschwerdeführer vorbringt, schildert im Sinne des Auslieferungsrechts keine besonders schwerwiegende Verletzung des ausländischen Rechts, geschweige denn begründete es eine Missbräuchlichkeit des Rechtshilfeersuchens. Das Rechtshilfeverfahren dient nicht der Wahrung der ausländischen Zuständigkeitsordnung. Das Bundesstrafgericht ist nicht Rechts—mittel—instanz deutscher Gerichte. Der Beschwerdeführer wird seine Vorbringen vielmehr im ausländischen Verfahren geltend machen können (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_397/2017 vom 7. August 2017 E. 1.2) und dort zur Wahrung seiner Rechte, soweit nötig, wirksame Rechtsmittel einlegen können (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_471/2022 vom 15. September 2022 E. 1.2). Die Rüge geht fehl.

3.4 Der Beschwerdeführer bringt erstmals in der Replik vor, die Beschuldigtenrechte seien in Deutschland grob missachtet worden. Er tut dies mit folgender Schilderung (act. 9 S. 3 f.): Die deutschen Behörden wüssten seit dem Haftbefehl vom 10. Juli 2020, dass der Beschwerdeführer in Deutschland von RA C. verteidigt werde. Die Ausführung im Haftbefehl, die Aufenthaltsnachfrage beim Verteidiger sei unbeantwortet geblieben, sei falsch. Sie sei nie erfolgt. «Erst mit Verhaftung von A. in Italien konnte vom laufenden Verfahren Kenntnis genommen werden». Die Staatsanwaltschaft hätte A. über seinen Verteidiger ohne weiteres darüber informieren können, dass Klärungsbedarf bestehe. Er hätte sich so den Fragen der Staatsanwaltschaft längst gestellt.

Vorliegend ist von der Sachverhaltsdarstellung im Auslieferungsersuchen auszugehen (vgl. obige Erwägung 3.2 zum Vertrauensprinzip). Es ist im Auslieferungsrecht auch nicht so, dass vor einer Auslieferung zwingend über den Anwalt zunächst zu einer Anhörung vorzuladen wäre. Der Beschwerdeführer schildert nichts, was einer schwerwiegenden Verletzung seiner Verteidigungsrechte gleichkäme (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2005 vom 22. August 2005 E. 3.2.2). Es ist nicht Aufgabe der Rechtshilfebehörden, im ersuchenden Staat die Wirksamkeit (hier: den Einbezug) der Verteidigung im Einzelnen zu überprüfen.

3.5 Die Rüge ist unbegründet.

4. [Verletzung des rechtlichen Gehörs / Kostenfolgen]

4.1 Der Betreff des Auslieferungsersuchens vom 14. Februar 2022, also vor der Anrede, lautet:

«Auslieferungsverkehr mit der Schweiz

Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen A. aus der Schweiz nach Deutschland zur Strafverfolgung

Mein Schreiben vom 02.07.2021 (gl. Az.)

Anlagen

2 Schriftstücke»

Das BJ erklärte dem Beschwerdeführer im E-Mail vom 16. August 2022, beim Schreiben vom 2. Juli 2021 habe es sich um ein erstes Auslieferungsersuchen Deutschlands gehandelt, das aufgrund der Festnahme von A. in Italien wieder zurückgezogen worden sei. Da dieses Verfahren abgeschlossen und für das vorliegende Verfahren nicht entscheidrelevant sei, unterliege es nicht der Akteneinsicht. Im Übrigen würden beide Verfahren, das frühere und abgeschlossene wie das heutige, auf demselben Haftbefehl vom 10. Juli 2020 des Amtsgerichts Mönchengladbach beruhen.

4.2 Der in Art. 29 Abs. 2 BV grundrechtlich verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör wird im schweizerischen Rechtshilfeverfahren durch Art. 80b IRSG und Art. 26 ff. VwVG (i.V.m. Art. 12 Abs. 1 IRSG) konkretisiert (Urteil des Bundesgerichtes 1A.57/2007 vom 24. September 2007 E. 2.1; vgl. Dangubic/Keshelava, Basler Kommentar Internationales Strafrecht, 2015, Art. 12 IRSG N. 4; Heimgartner/Niggli, a.a.O., Art. 80b IRSG N. 1; Zimmermann, a.a.O., Rz. 472; zum Ganzen BGE 145 IV 99 E. 3.1).

Gemäss Art. 80b IRSG können die Berechtigten Einsicht in die Akten nehmen, soweit dies für die Wahrung ihrer Interessen notwendig ist. Berechtigt im Sinne von Art. 80b Abs. 1 IRSG ist, wer Parteistellung hat, mithin, wer im Sinne von Art. 80h lit. b IRSG beschwerdeberechtigt ist. Akteneinsicht ist zu gewähren, soweit diese notwendig ist, um die Interessen des Berechtigten zu wahren, d.h. allein jene Akten sind offen zu legen, welche ihn direkt und persönlich betreffen. Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Akteneinsicht besteht nicht, namentlich kann nicht Einsicht in Akten verlangt werden, auf welche sich die Behörde bei ihrem Entscheid nicht stützt. Folglich bezieht sich auch die Pflicht der Vorinstanz zur Herausgabe der Akten an die Beschwerdeinstanz (Art. 57 Abs. 1 VwVG am Ende) nur auf jene Unterlagen, auf welche sich der angefochtene Entscheid stützt (Urteil des Bundesgerichts 1A.94/2001 vom 25. Juni 2001 E. 2b; TPF 2010 142 E. 2.1; TPF 2008 91 E. 3.2; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2021.169 vom 11. Mai 2022 E. 5.1; RR.2016.148 vom 20. September 2016 E. 5).

4.3 Der Beschwerdeführer rügt (act. 1 S. 6–8), das BJ habe ihm das Schreiben Deutschlands vom 2. Juli 2021 nicht zugestellt, obwohl das Auslieferungsersuchen vom 14. Februar 2022 explizit darauf Bezug genommen habe. Damit habe Deutschland selbst das frühere Schreiben als verfahrensrelevant bezeichnet. Er habe auch die vom BJ erwähnte Rücknahmerklärung Deutschlands vom 10. September 2021 nicht einsehen können. Der Beschwerdeführer scheint sodann zu argumentieren, das BJ habe so in unzulässiger vorläufiger Beweiswürdigung den Beweisantrag (wohl das Akteneinsichtsgesuch) abgewiesen und damit den massgeblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt. Dass der Beschwerdeführer nicht habe verifizieren können, inwiefern das Schreiben vom 2. Juli 2021 nicht verfahrensrelevant sei, verletze sein rechtliches Gehör. Der Auslieferungsentscheid sei daher aufzuheben und ihm Gelegenheit zur Einsicht und Stellungnahme zu geben.

In seiner Replik (act. 9 S. 2 f.) führt der Beschwerdeführer aus, sein Einsichtsbegehren sei nunmehr obsolet, nachdem das BJ die verlangten Dokumente mit der Beschwerdeantwort eingereicht habe. Das BJ habe damit seinen Antrag zumindest teilweise anerkannt. Er habe nun erst die Übersicht über die von der ersuchenden Behörde zum Bestandteil des aktuellen Auslieferungsbegehrens erklärten Akten, auf deren Kommentierung er verzichte.

4.4 Das BJ hat mit seiner Beschwerdeantwort in der Tat weitere Dokumente eingereicht (act. 5.16 Auslieferungsersuchen vom 02.07.2021; act. 5.17 vom 03.08.2021 Ergänzung; act. 5.18 vom 10.09.2021 Rücknahme zufolge Verhaftung in Italien). Der Antrag des Beschwerdeführers ist vorliegend nur noch insoweit relevant, als eine Gehörsverletzung Auswirkungen auf die Gerichtskosten haben kann (BGE 147 IV 340 E. 4.1.4). Eine Gehörsverletzung lag indessen im Verfahren vor dem BJ nicht vor: Der Auslieferungsentscheid des BJ stützt sich in keiner Weise auf das frühere und zurückgezogene Auslieferungsersuchen. Dies bestreitet der Beschwerdeführer denn auch gar nicht. Er ist zudem nicht berechtigt, gegen die Erledigung des früheren Auslieferungsersuchens Beschwerde zu führen. Auch insoweit besteht kein Einsichtsrecht. Das frühere Ersuchen ist für das vorliegende Verfahren nicht relevant. Daran ändert auch nichts, dass die ersuchende Behörde im Betreff daran erinnert, in der gleichen Sache schon einmal (und erledigte) Korrespondenz geführt zu haben. Das BJ war damit nicht verpflichtet, die Unterlagen einzureichen. Es wahrte im Verwaltungsverfahren das rechtliche Gehör. Die Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet und bleibt ohne Auswirkungen auf die Gerichtskosten.

5. Den Akten sind keine anderen Gründe zu entnehmen, welche einer Auslieferung des Beschwerdeführers entgegenstünden. Gehen die erhobenen Rügen fehl, ist die Beschwerde abzuweisen.

6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 3'000.-- festzusetzen (vgl. Art. 63 Abs. 5 VwVG i.V.m. Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und 8 Abs. 3 lit. a BStKR), unter Anrechnung des vom Beschwerdeführer geleisteten Kostenvorschusses (vgl. act. 6) in gleicher Höhe.

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt, unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in gleicher Höhe.

Bellinzona, 3. April 2023

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Vizepräsident:                                                     Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Rechtsanwalt Nico Gächter

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung (unter Beilage eines Doppels der Beschwerdereplik)

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Im Falle der elektronischen Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind (Art. 48 Abs. 2 BGG).

Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG).

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