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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Strafverfahren
Fallnummer:RR.2022.123
Datum:19.04.2023
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Beschwerde; Fragen; Verfahren; Verteidigung; Einvernahme; Verfahrens; Frist; Zeugen; Erg?nzungsfragen; Gericht; Fragenkatalog; Untersuchung; Beschwerden; Einzureichen; Beschwerdekammer; Partei; Beschuldigte; Vorg?ngig; Bundesanwaltschaft; Staatsanwalt; Einreichung; Vorverfahren; Staatsanwaltschaft; Verfahrens; Verf?gung; Verfahrenshandlung; Aufschiebende; Beschuldigten; Einzureichen
Rechtskraft:Kein Rechtsmittel gegeben
Rechtsnorm: Art. 104 StPO ; Art. 147 StPO ; Art. 38 StPO ; Art. 390 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 61 StPO ; Art. 62 StPO ; Art. 7 BGG ; Art. 9 StPO ;
Referenz BGE:139 IV 25; 141 IV 178; 142 IV 29; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

BB.2023.87, BB.2023.88

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummern: BB.2023.87, BB.2023.88 Nebenverfahren: BP.2023.41, BP.2023.42

Beschluss vom 19. April 2023 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Daniel Kipfer Fasciati und Felix Ulrich,

Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

A., vertreten durch die Rechtsanwälte Daniel Kinzer und Christian Lüscher,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesanwaltschaft,

Beschwerdegegnerin

Gegenstand

Erstreckung von Fristen (Art. 92 StPO);

Verfahrenshandlung der Bundesanwaltschaft (Art. 20 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO);

Aufschiebende Wirkung (Art. 387 StPO)

Sachverhalt:

A. An der zweiten Einvernahme des Zeugen B. vom 17. Januar 2023 im Rahmen des Strafverfahrens SV.19.1167 waren die Bundesanwaltschaft (nachfolgend «BA») und die Verteidigung des Beschuldigten A. übereingekommen, dass für die Ergänzungsfragen des Beschuldigten A. eine dritte Einvernahme angesetzt werde und er dafür seine Liste mit rund 40 bis 45 Ergänzungsfragen vorgängig einreiche.

Mit Schreiben vom 4. April 2023 stellte die BA fest, diese Liste noch nicht erhalten zu haben. Zur Vorbereitung der Einvernahme sei es aus organisatorischen Gründen unumgänglich, dass ihr die Fragen vorliegen. Wie bereits am 17. Januar 2023 zugesichert, würde der Fragenkatalog nicht zu den Akten genommen werden. Sie setzte A. Frist bis 20. April 2023, um den Fragenkatalog einzureichen. Sollte sie den Katalog bis zu diesem Datum nicht erhalten, gehe die BA davon aus, dass A. einstweilen darauf verzichte, Ergänzungsfragen an den Zeugen zu stellen. Die BA werde entsprechend die Vorladung zu seiner Einvernahme am 2. Mai 2023 abnehmen.

Am 5. April 2023 stellte A. ein Gesuch um Erstreckung der Frist bis 27. April 2023.

B. Die BA wies das Fristerstreckungsgesuch mit Verfügung vom 6. April 2023 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Verteidigung habe sich anlässlich der Zeugeneinvernahme vom 17. Januar 2023 bereit erklärt, ihre rund fünf Seiten an Ergänzungsfragen der BA vorgängig zur nächsten Einvernahme des Zeugen einzureichen. Die BA habe die Einvernahme mit Einladung vom 27. Januar 2023 auf den 2. Mai 2023 angesetzt. Die Verteidigung habe genügend Zeit gehabt, um Instruktionen von A. einzuholen und habe genügend Zeit um den Fragenkatalog bis zum 20. April 2023 zu verfassen. Die Ergänzungsfragen seien ja schon für die Einvernahme vom 17. Januar 2023 vorbereitet worden. Die BA sei wegen der starken Inanspruchnahme in anderen Verfahren darauf angewiesen, die Fragen bis zum angesetzten Datum zu erhalten.

C. Die Verteidigung von A. schrieb der BA daraufhin am 12. April 2023, alle anwesenden Teilnehmer bei der Zeugeneinvernahme seien im Januar übereingekommen, dass die Verteidigung ihre Ergänzungsfragen während einer nächsten Einvernahme gesamthaft stelle. Die Verteidigung habe sich bereit erklärt, diese vorgängig einzureichen, um den schwerfälligen Ablauf (Frage – Staatsanwalt diktiert der Gerichtschreiberin – Eintippen der Frage – Vorlesen der Frage zur Rückbestätigung – Rückbestätigung – Vorlesen der Frage an den Zeugen) zu vereinfachen und zu beschleunigen. Weder habe damals eine bestimmte Frist zur Einreichung bestanden noch sei die Verteidigung überhaupt verpflichtet, vorgängig einen Fragenkatalog einzureichen. Die Verteidigung sei davon ausgegangen, dass es um die rein kanzleimässige Erfassung der Fragen gehe. Die BA habe während einer Einvernahme ja auch keine Gelegenheit zum vorgängigen Fragenstudium. Die Verteidigung habe daher geplant, die Fragen einige Tage vor der Einvernahme einzureichen und entsprechend disponiert. Sodann laufe die Frist während den Genfer Schulferien. Auch die Verteidigung habe andere Termine (eigene und der Mandantschaft) und könne nicht kurzfristig umdisponieren. Sie könne als Entgegenkommen den Fragenkatalog schon am 25. April 2023 einreichen, obwohl die Verteidigung grundsätzlich keine Pflicht treffe, dies zu tun und vorliegend nicht, dies mehr als einige Tage vor der Einvernahme zu tun. Ein Beharren der BA auf der ablaufenden Frist sei überspitzt formalistisch und eine Abnahme der Zeugenvorladung eine gravierende und ungerechtfertigte Einschränkung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten.

D. A. liess am 17. April 2023 zwei Beschwerden einreichen, eine gegen die Fristansetzung der BA vom 4. April 2023 (BB.2023.88), eine gegen die Verfügung der BA vom 6. April 2023 (BB.2023.87). Er beantragt mit diesen Beschwerden in der Sache im Wesentlichen, die Verfügungen der BA vom 4. und 6. April 2023 seien aufzuheben. A. sei die Frist zur Einreichung des Fragenkatalogs bis 26. April 2023 zu erstrecken.

Als Verfahrensanträge ersucht er um vorsorgliche Massnahmen, resp. es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen: Der BA sei einstweilen zu untersagen, die Zeugeneinvernahme vom 2. Mai 2023 abzusagen und die Frist zur Einreichung des Fragenkatalogs sei der Verteidigung einstweilen zu erstrecken bis 26. April 2023.

Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt (vgl. Art. 390 Abs. 2 StPO im Umkehrschluss).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Beschwerdeverfahren BB.2023.87 und BB.2023.88 betreffen die gleiche Sache und die gleichen Parteien. Es stellen sich ähnliche Sach- und Rechtsfragen. Die beiden Verfahren sind aus Gründen der Verfahrensökonomie zu vereinigen.

2.

2.1 Gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Bundesanwaltschaft kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erhoben werden (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG). Zur Beschwerde berechtigt ist jede Partei oder jeder andere Verfahrensbeteiligte mit einem rechtlich geschützten Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides (Art. 382 Abs. 1 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide ist innert zehn Tagen schriftlich und begründet einzureichen (Art. 396 Abs. 1 StPO). Mit ihr können Rechtsverletzungen gerügt werden, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (Art. 393 Abs. 2 lit. a StPO), wie auch die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts (Art. 393 Abs. 2 lit. b StPO) und die Unangemessenheit (Art. 393 Abs. 2 lit. c StPO).

2.2 Der Beschuldigte ist als Partei legitimiert, Beschwerde zu führen. Die Beschwerde ist vorliegend sachlich auch nicht ausgeschlossen. Sie ist frist- und formgerecht erhoben worden. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

3.

3.1 Es gilt der Grundsatz, dass die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren die Verfahrensleitung innehat (Art. 16 Abs. 2 und Art. 61 lit. a StPO) und für die Führung des Strafverfahrens auf dieser Stufe generell verantwortlich ist. Sie hat diejenigen Verfahrenshandlungen vorzunehmen, die für eine gesetzeskonforme, sachgerechte und ordnungsgemässe Durchführung des Vorverfahrens notwendig sind (Art. 62 Abs. 1 StPO) und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dienen (BGE 142 IV 29 E. 3.4; 138 IV 142 E. 2.2.1; 147 IV 336 E. 2.3 Abgrenzung zum ZMG). Leitung des Vorverfahrens bedeutet Verantwortung, Aufsicht, Kontrolle, Führung, Verfahrensplanung (Keller, Zürcher Kommentar zur StPO, 3. Aufl. 2020, Art. 16 N. 5). Bei ihren Ermittlungen (im Vorverfahren) verfügt die Staatsanwaltschaft über eine gewisse Freiheit (BGE 141 IV 178 E. 3.2.2). Die Beschwerdeinstanz ist keine Art «Ersatz-Untersuchungsbehörde», welche gestaltend Einfluss auf die Untersuchung oder die Modalitäten der Untersuchungsführung nimmt (Keller, a.a.O., Art. 393 N. 12a).

3.2 Es kann offen bleiben, ob die BA vorliegend das optimalste Vorgehen gewählt hat. Das Vorgehen der BA verletzt jedenfalls nicht die StPO. Was Ergänzungsfragen (z.B. von Mitbeschuldigten oder an Zeugen) an parteiöffentlichen Einvernahmen betrifft, schreibt Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vor, in welchem Zeitpunkt das zusätzliche Recht, Fragen an den Erstbefragten zu stellen, zu gewährleisten ist («und einvernommenen Personen Fragen zu stellen»). Wann das Fragerecht ausgeübt werden darf, bestimmt die Verfahrensleitung (BGE 139 IV 25 E. 5.4.1). Für die von ihm beantragte Fristerstreckung zur Einreichung der Ergänzungsfragen bringt der Beschuldigte auch keine stichhaltigen Gründe von einer Qualität vor (vgl. Brüschweiler/Grünig, Zürcher Kommentar, Art. 92 N. 2 f.), dass sich der BA die Bewilligung einer solchen gebieterisch aufdrängte. Die Staatsanwaltschaft, vorliegend die BA, ist verantwortlich, in der Untersuchung die Parteirechte effektiv zu gewähren. Die Beschwerdekammer ist als Gericht keine Ersatz- oder Ober-Untersuchungsbehörde, die der Staatsanwaltschaft Weisungen für den Gang der Untersuchung, für die Modalitäten der Verfahrensleitung, erteilt. Eine Überschreitung des der BA zustehenden Ermessensspielraumes in der Verfahrensführung ist vorliegend nicht auszumachen, weshalb kein Beschwerdegrund erfüllt ist. Die Beschwerden sind daher abzuweisen.

4. Sind die Beschwerden abzuweisen, so sind die Gesuche um vorsorgliche Massnahmen resp. um Erteilung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos geworden.

5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (vgl. Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 2'000.-- festzusetzen (vgl. Art. 73 StBOG i.V.m. Art. 5 und 8 Abs. 1 des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerdeverfahren BB.2023.87 und BB.2023.88 werden vereinigt.

2. Die Beschwerden werden abgewiesen.

3. Die Gesuche um aufschiebende Wirkung werden als gegenstandslos abgeschrieben.

4. Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

Bellinzona, 19. April 2023

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an (vorab elektronisch)

- Rechtsanwälte Daniel Kinzer und Christian Lüscher

- Bundesanwaltschaft, René Eichenberger, unter Beilage der Beschwerden

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben (Art. 79 BGG; SR 173.110).  

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