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Entscheid des Bundesstrafgerichts: RR.2021.203, RR.2021.204, RR.2021.205, RP.2021.59, RP.2021.60, RP.2021.61 vom 15.11.2023

Hier finden Sie das Urteil RR.2021.203, RR.2021.204, RR.2021.205, RP.2021.59, RP.2021.60, RP.2021.61 vom 15.11.2023 - Beschwerdekammer: Strafverfahren

Sachverhalt des Entscheids RR.2021.203, RR.2021.204, RR.2021.205, RP.2021.59, RP.2021.60, RP.2021.61

Der Bundesanwaltschaft (BA) hat gegen das Verfahren des Kantons Genf zur Anklageschrift vom 17. April 2023 eine Beschwerde gestellt, in der sie die Sicherheitshaft des A. als willkürlich und ohne Rechtfertigung angefochten hat. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat den Beschluss abgewiesen. Der Beschwerdeführer hat mehrere Rügepunkte gegen den Entscheid: 1. Der dringende Tatverdacht sei nicht unmittelbar entkräftet, sondern vielmehr aufgrund von Verhältnismässigkeit und Fluchtgefahr. 2. Die Sicherheitshaft sei willkürlich und ohne Rechtfertigung angefochten worden. 3. Der Beschluss der Beschwerdekammer ist nicht mit den Umständen des Falles angemessen. Die Beschwerdekammer hat die Rügepunkte abgewiesen, sodass der Verfahrensverlauf weiterhin wie folgt verläuft: 1. Die Sicherheitshaft wurde vom Bundesstrafgericht verhängt. 2. Der Beschwerdeführer hat mehrere Rügepunkte gegen den Entscheid abgewiesen. Der Beschwerdeführer kann die Beschwerde zur Rechtsbeschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts einreichen, wobei er auf seine Rechte als Beschwerdeführer Anspruch hat.

Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Strafverfahren

Fallnummer:

RR.2021.203, RR.2021.204, RR.2021.205, RP.2021.59, RP.2021.60, RP.2021.61

Datum:

15.11.2023

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Bundes; Urteil; Kammer; Entscheid; Recht; Bundesgericht; Sicherheitshaft; Bundesgerichts; Verbrechen; Anklage; Tatverdacht; Beschwerdekammer; Person; Verlängerung; Anklageschrift; Entscheide; Verfahren; Zwangsmassnahmen; Bundesstrafgericht; Menschlichkeit; Vorinstanz; Urteils; Anwalts; Verfahren; Fluchtgefahr; Verhältnis

Rechtskraft:

Kein Weiterzug, rechtskräftig

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 10 BGG ;Art. 110 StPO ;Art. 12 StPO ;Art. 127 StPO ;Art. 132 StPO ;Art. 197 StPO ;Art. 212 StPO ;Art. 22 StPO ;Art. 221 StPO ;Art. 227 StPO ;Art. 237 StPO ;Art. 264 StGB ;Art. 333 StPO ;Art. 36 BV ;Art. 382 StPO ;Art. 385 StPO ;Art. 393 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 4 BGG ;Art. 40 BGG ;Art. 428 StPO ;Art. 48 BGG ;Art. 5 StPO ;Art. 84 StPO ;

Referenz BGE:

145 IV 179; 145 IV 503; 146 IV 279; ;

Entscheid des Bundesstrafgerichts

BH.2023.17, BP.2023.85

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BH.2023.17

Nebenverfahren: BP.2023.85

Beschluss vom 15. November 2023 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Miriam Forni und Felix Ulrich,

Gerichtsschreiber Stephan Ebneter

Parteien

A., vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat,

Beschwerdeführer

gegen

1.   Bundesanwaltschaft,

2.   Bundesstrafgericht, Strafkammer,

Beschwerdegegner

Vorinstanz

Kantonales Zwangsmassnahmengericht,

Gegenstand

Verlängerung der Sicherheitshaft (Art. 229 i.V.m. Art. 222 StPO); amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO)

Sachverhalt:

A. Die Bundesanwaltschaft (nachfolgend «BA») führte eine Strafuntersuchung gegen den gambischen Staatsangehörigen A. u.a. wegen Verdachts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am 26. Januar 2017 nahm ihn die Polizei in der Schweiz fest. Am 28. Januar 2017 wurde er vom Regionalen Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland in Untersuchungshaft versetzt. Diese wurde seither jeweils durch das Kantonale Zwangsmassnahmengericht verlängert (nachfolgend «ZMG BE»).

B. Am 17. April 2023 erhob die BA gegen A. Anklage bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts wegen vorsätzlicher Tötung, mehrfacher vorsätzlicher Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mehrfacher schwerer Körperverletzung, mehrfacher Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mehrfacher Vergewaltigung, eventualiter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mehrfacher Freiheitsberaubung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer Delikte. Gestützt darauf stellte die BA am selben Tag beim ZMG BE den Antrag auf Anordnung von Sicherheitshaft. Mit Entscheid vom 25. April 2023 ordnete das ZMG BE die Fortdauer der Haft in Form von Sicherheitshaft an und befristete diese vorläufig bis längstens zum 16. Oktober 2023. Die von A. dagegen erhobene Beschwerde wies die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit Beschluss BH.2023.8 vom 23. Mai 2023 rechtskräftig ab (vgl. zum Ganzen Haftakten KZM 23 505).

C. Mit Eingabe vom 26. Juni 2023 an die Strafkammer ersuchte A. um Haftentlassung. Dieses Haftentlassungsgesuch wies das ZMG BE mit Entscheid vom 11. Juli 2023 ab. Die von A. dagegen erhobene Beschwerde wies die Beschwerdekammer mit Beschluss BH.2023.14 vom 8. August 2023 ab. Das Bundesgericht wies die von A. dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 7B_572/2023 vom 21. September 2023 ab, soweit darauf einzutreten war (vgl. zum Ganzen Haftakten KZM 23 901).

D. Am 5. Juli 2023 reichte die BA der Strafkammer eine «Änderung und Erweiterung (Art. 333 Abs. 1 und 2 StPO)» der Anklageschrift ein, wobei die angeklagten Straftatbestände um jenen des Mordes ergänzt wurden (Haftakten KZM 23 1374, pag. 127.110.156 f.).

E. Am 9. Oktober 2023 beantragte die Strafkammer beim ZMG BE, A. sei bis zum 15. April 2024, längstens bis zur erstinstanzlichen Urteilseröffnung, in Sicherheitshaft zu belassen. Mit Entscheid vom 19. Oktober 2023 verlängerte das ZMG BE die Sicherheitshaft bis zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils, längstens jedoch bis zum 15. April 2024 (vgl. zum Ganzen Haftakten KZM 23 1374).

F. Mit Beschwerde vom 30. Oktober 2023 an die Beschwerdekammer beantragt A., der Entscheid des ZMG BE vom 19. Oktober 2023 sei aufzuheben, der Antrag der Strafkammer vom 9. Oktober 2023 auf Verlängerung der Sicherheitshaft sei abzulehnen und er selbst sei sofort aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei der Entscheid des ZMG BE vom 19. Oktober 2023 aufzuheben und die Verlängerung der Sicherheitshaft auf eine Dauer von drei Monaten zu reduzieren (act. 1).

G. Das ZMG BE und die Strafkammer verzichteten mit Beschwerdeantworten vom 1. bzw. 6. November 2023 auf eine inhaltliche Stellungnahme (act. 4 und 7). Die BA beantragt mit Beschwerdeantwort vom 2. November 2023, die Beschwerde sei unter Kostenfolge zu Lasten des Beschwerdeführers abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird (act. 5).

H. Innert Frist zur allfälligen Replik bis 9. November 2023 liess sich A. nicht mehr vernehmen.

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Die verhaftete Person kann Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 222 und 393 Abs. 1 lit. c StPO). Die Zuständigkeit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zur Beurteilung von Beschwerden gegen Entscheide kantonaler Zwangsmassnahmengerichte im Bereich der Bundesgerichtsbarkeit ergibt sich aus Art. 65 Abs. 1 und 3 i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG. Voraussetzung zur Beschwerdeerhebung ist auf Seiten der Partei ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides (Art. 382 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde ist innert zehn Tagen schriftlich und begründet einzureichen (Art. 396 Abs. 1 StPO). Mit ihr gerügt werden können gemäss Art. 393 Abs. 2 StPO Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (lit. a), die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts (lit. b) sowie die Unangemessenheit (lit. c).

1.2

1.2.1 Schriftliche Eingaben sind zu datieren und zu unterzeichnen (Art. 110 Abs. 1 StPO). Bei elektronischer Einreichung muss die Eingabe mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäss Bundesgesetz vom 18. März 2016 über die elektronische Signatur versehen werden (Art. 110 Abs. 2 StPO).

Unterschreibt eine Person in fremdem Namen, muss sie für das betreffende Verfahren nicht nur bevollmächtigt, sondern auch vertretungsbefugt sein (Urteil des Bundesgerichts 6B_218/2015 vom 16. Dezember 2015 E. 1.1 und 2.4.3 mit Hinweisen).

1.2.2 Gemäss Art. 127 Abs. 5 StPO ist die Verteidigung der beschuldigten Person Anwältinnen und Anwälten vorbehalten, die nach dem Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) berechtigt sind, Parteien vor Gerichtsbehörden zu vertreten. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verbietet Art. 127 Abs. 5 StPO jedoch nicht, dass das anwendbare kantonale oder eidgenössische Recht «Avocats stagiaires» befugt, unter der Leitung und Verantwortung der mit der Verteidigung befassten Anwältin oder des mit der Verteidigung befassten Anwalts, die Verteidigung der beschuldigten Person ganz oder teilweise zu übernehmen (Urteil des Bundesgerichts 6B_856/2014 vom 10. Juli 2015 E. 2.1; vgl. zuletzt u.a. Urteile des Bundesgerichts 1B_104/2023 vom 22. Februar 2023 E. 2; 1B_62/2023 vom 13. Februar 2023 E. 2; vgl. auch Harari, Commentaire romand, 2. Aufl. 2019, Art. 127 StPO N. 64; Lieber, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 127 StPO N. 17; Moreillon/Parein-Reymond, Petit commentaire, 2. Aufl. 2016, Art. 127 StPO N. 16; Ruckstuhl, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 127 StPO N. 20).

1.2.3 Vorliegend trägt die elektronisch eingereichte Beschwerdeschrift eine qualifizierte elektronische Signatur von B. Ausführungen zur Vertretungsbefugnis werden keine gemacht. Auf der Internetseite der Anwaltskanzlei Currat & Associés wird B. als «Avocat stagiaire» geführt ([…], besucht am 14. November 2023). Der im Internet abrufbare Eintrag aus dem Anwaltsregister (bzw. dem Register der «Avocats stagiaires») des Kantons Genf bezeichnet ihn als «Avocat stagiaire» bei Rechtsanwalt Philippe Currat (siehe https://justice.ge.ch/apps/dbl/fr/avocats/search, besucht am 14. November 2023). Gemäss Genfer Recht kann der «Avocat stagiaire» in Strafverfahren im Namen und unter der Verantwortung des Anwalts, bei welchem er sein Praktikum absolviert, Verfahrenshandlungen vornehmen (Art. 33 Loi sur la profession d'avocat des Kantons Genf vom 26. April 2002 [LPAv/GE; rsGE E 6 10]).

Fraglich ist allerdings, ob diese kantonale Befugnis auch vor den Strafbehörden des Bundes gilt. Das Bundesgericht, das für seine Verfahren in Zivil- und Strafsachen mit Art. 40 Abs. 1 BGG eine Art. 127 Abs. 5 StPO ähnliche Bestimmung kennt, scheint dies abzulehnen (vgl. den Kanton Waadt betreffend Urteil des Bundesgerichts 4D_30/2020 vom 1. Oktober 2020 Sachverhalt lit. B; vgl. auch Merz, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 40 BGG N. 6, wonach Personen, die [noch] kein Anwaltspatent haben, aber nach dem kantonalen Recht im Bereich des Anwaltsmonopols tätig sein dürfen, von der Vertretung ausgeschlossen sind). Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung (vgl. Art. 5 Abs. 2 StPO) ist die Frage vorliegend offenzulassen und auf eine allfällige Rückweisung der Beschwerde zur Verbesserung (vgl. Art. 110 Abs. 4, Art. 385 Abs. 2 StPO) zu verzichten.

2. Nach Art. 221 Abs. 1 StPO ist Sicherheitshaft namentlich zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und Fluchtgefahr besteht (lit. a). Anstelle der Haft sind eine oder mehrere mildere Massnahmen anzuordnen, wenn diese den gleichen Zweck erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO). Die Haft hat wie alle strafprozessualen Zwangsmassnahmen verhältnismässig zu sein (vgl. Art. 197 und 212 StPO).

3.

3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet den allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens oder Vergehens.

3.2 Wurde gegen eine in Haft befindliche beschuldigte Person bereits Anklage erhoben, so kann das Haftgericht in der Regel davon ausgehen, dass die allgemeine Voraussetzung des dringenden Tatverdachts vorliegt. Davon wäre ausnahmsweise abzuweichen, wenn die beschuldigte Person im Haftprüfungs- oder Haftbeschwerdeverfahren darzutun vermöchte, dass die Annahme eines dringenden Tatverdachts unhaltbar ist (siehe zuletzt u.a. die Urteile des Bundesgerichts 1B_139/2023 vom 5. April 2023 E. 2.1; 1B_8/2023 vom 26. Januar 2023 E. 2.2; 1B_195/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.1.1; 1B_474/2021 vom 22. September 2021 E. 2.2.1; 1B_262/2021 vom 11. Juni 2021 E. 3.2; 1B_24/2021 vom 2. Februar 2021 E. 4.2).

3.3 Die Vorinstanz erwog im angefochtenen Entscheid (E. 7.3), der dringende Tatverdacht sei mehrfach und von mehreren Instanzen bejaht worden. Sie habe den dringenden Tatverdacht letztmals mit Entscheid KZM 23 901 vom 11. Juli 2023 bejaht. Bejaht worden sei der dringende Tatverdacht zudem mit Beschluss des Bundesstrafgerichts BH.2023.14 vom 8. August 2023 sowie mit Urteil des Bundesgerichts 7B_572/2023 vom 21. September 2023. Die diesen Entscheiden zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich nicht zugunsten des Beschwerdeführers verändert, sodass der dringende Tatverdacht, wie er in der Anklageschrift vom 17. April 2023 bzw. in derjenigen vom 5. Juli 2023 seinen Niederschlag gefunden habe, unmittelbar entkräftet werden könnte. Der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts sei mit Verweis auf die vorgenannten sowie weiteren Entscheide in dieser Angelegenheit nach wie vor gegeben.

3.4 Der Beschwerdeführer bringt in einem ersten Punkt vor, aufgrund von Entscheiden der Beschwerdekammer und der Strafkammer sei drei Privatklägerinnen ermöglicht worden, mittels Beschwerde gegen die Anklageschrift vom 17. April 2023 die ergänzte und verschärfte Anklageschrift vom 5. Juli 2023 zu erwirken. Dies zeige den schamlosen Mangel an Unvoreingenommenheit der Strafbehörden ihm gegenüber. Jedenfalls seien die Voraussetzungen von Art. 333 Abs. 1 und 2 StPO nicht erfüllt gewesen und die Anklageschrift vom 17. April 2023 hätte nicht an die Bundesanwaltschaft zurückgewiesen werden dürfen. Die Anklageschrift vom 5. Juli 2023 sei daher willkürlich, voreingenommen und in bösem Glauben verfasst worden und sollte folglich nicht berücksichtigt werden. Obwohl es nicht die Aufgabe des Zwangsmassnahmengerichts sei, einen Fall in der Sache zu entscheiden, sei es dennoch die Aufgabe des Haftgerichts, dafür zu sorgen, dass die von der beschuldigten Person erlittene Haft nicht willkürlich sei. Folglich stütze sich die Vorinstanz zu Unrecht auf die geänderte und erweiterte Anklageschrift, ohne deren Gültigkeit zu prüfen.

Soweit der Beschwerdeführer die Änderung bzw. Erweiterung der Anklage rügt, ist mit der Vorinstanz (E. 5.2) festzuhalten, dass darauf mangels Zuständigkeit der Haftgerichte nicht weiter einzugehen ist. Im Übrigen legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sich der dringende Tatverdacht eines Verbrechens oder Vergehens mit der Änderung und Erweiterung der Anklage (bzw. deren Ungültigkeit) entkräftet haben soll. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.

3.5 Die vom Beschwerdeführer in einem zweiten Punkt im Wesentlichen vorgebrachten Einwände,

-    vom zeitlichen und räumlichen Geltungsbereich des StGB gedeckt könnten nur jene angeklagten Lebenssachverhalte sein, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäss Art. 264a StGB zu qualifizieren wären und die sich nach Inkrafttreten des Straftatbestands am 1. Januar 2011 verwirklicht hätten;

-    die in der Anklageschrift beschriebenen Lebenssachverhalte, die sich nach diesem Datum verwirklicht haben sollen, könnten keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Schweizer Rechts darstellen, weil es keinen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung gegeben habe,

wurden in früheren Entscheiden bereits geprüft und verworfen (vgl. zuletzt u.a. Urteil des Bundesgerichts 7B_572/2023 vom 21. September 2023 E. 3 m.w.H.). Damit vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, dass die Annahme des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens oder Vergehens unhaltbar wäre. Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet.

3.6 Nach dem Gesagten ist der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens oder Vergehens weiterhin zu bejahen.

4. Die Vorinstanz bejahte den besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr (angefochtener Entscheid E. 8). Dies wird vom Beschwerdeführer nicht substantiiert beanstandet. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die Fluchtgefahr anders zu würdigen. Der besondere Haftgrund der Fluchtgefahr ist weiterhin zu bejahen.

5.

5.1 Der Beschwerdeführer bestreitet die Verhältnismässigkeit der Sicherheitshaft.

5.2 Wie alle strafprozessualen Zwangsmassnahmen haben Untersuchungs- und Sicherheitshaft verhältnismässig zu sein (vgl. Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c und Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO). Untersuchungs- und Sicherheitshaft müssen durch die Bedeutung der Straftat gerechtfertigt sein (Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO) und dürfen nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (Art. 212 Abs. 3 StPO). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangt der Verhältnismässigkeitsgrundsatz von den Behörden, umso zurückhaltender zu sein, je mehr sich die Haft der zu erwartenden Freiheitsstrafe nähert; dabei ist jedoch nicht das Verhältnis der erstandenen Haftdauer zur zu erwartenden Freiheitsstrafe als solches entscheidend, sondern es ist vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen (BGE 145 IV 179 E. 3.5). Strafprozessuale Haft darf sodann nur als letztes Mittel angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch weniger einschneidende Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237 f. StPO; vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.1; 142 IV 367 E. 2.1; 140 IV 74 E. 2.2). Zwar können mildere Ersatzmassnahmen für Haft geeignet sein, einer gewissen niederschwelligen Fluchtneigung ausreichend Rechnung zu tragen. Bei ausgeprägter Fluchtgefahr erweisen sich Ersatzmassnahmen jedoch regelmässig als nicht ausreichend (vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.2 f.; zuletzt u.a. Urteil des Bundesgerichts 1B_470/2022 vom 29. September 2022 E. 5.1).

5.3 Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, dass geeignete Ersatzmassnahmen angesichts der ausgeprägten Fluchtgefahr im Lichte der konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung weiterhin nicht ersichtlich seien. Die Verhältnismässigkeit der Haftdauer sei letztmals mit Urteil des Bundesgerichts 7B_572/2023 vom 21. September 2023 bejaht worden. Trotz der erheblich langen Dauer der bisherigen und mit dem angefochtenen Entscheid zu bewilligenden Haft drohe angesichts der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte im Falle einer Verurteilung noch keine Überhaft. Das Datum der Hauptverhandlung habe zwischenzeitlich auf den 8. bis und mit 30. Januar 2024 (Reservetage 4. bis 8. März 2023 [recte: 2024]) festgesetzt werden können, wobei das Datum für die Urteilseröffnung noch nicht feststehe. Die Strafkammer beantrage die Verlängerung bis zum erstinstanzlichen Urteil, längstens jedoch bis zum 15. April 2024. Angesichts dieser Daten erscheine die beantragte Dauer unter Berücksichtigung von Art. 227 Abs. 7 StPO als sinnvoll und verhältnismässig. Entsprechend sei die Haft bis längstens zum 15. April 2024 zu verlängern; vorbehalten bleibe ein früheres Urteil. Nach dem Gesagten erweise sich die Haft weiterhin als verhältnismässig. Sie sei bis zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils, längstens jedoch bis zum 15. April 2024 zu verlängern.

5.4 Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei falsch, sich auf das Urteil des Bundesgerichts 7B_572/2023 vom 21. September 2023 zu beziehen, in dem das Bundesgerichts festgestellt habe, dass die zu erwartende Freiheitsstrafe zehn Jahre betrage. Tatsächlich stütze sich dieses Urteil auf das Urteil des Bundesgerichts 1B_1/2023 vom 30. Januar 2023, das in einem ganz anderen Stadium des Verfahrens ergangen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei die Anklageschrift noch nicht eingereicht worden und es hätte seitdem eine neue Analyse durchgeführt werden müssen. Die Einschätzung von zehn Jahren bestehe nicht aus einer objektiven Diagnose auf der Basis konkreter Elemente, sondern aus einem Vorgehen, das einzig und allein darauf abziele, jede Kontrolle der Haft für die nächsten vier Jahre sinnlos zu machen, und das auf eine absolut willkürliche und schockierende Weise, sowohl in ihrer Argumentation als auch in ihrem Ergebnis. Erstens gebe es mangels eines Präzedenzfalles für Verbrechen gegen die Menschlichkeit kein objektives Element, das die Prognose einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren begründen könnte. Zweitens stehe ein solcher Ansatz in völligem Gegensatz zu den Umständen des Falles, wobei nunmehr die gesamte Akte zu berücksichtigen sei.

Abgesehen davon sei bereits bekannt, dass die Hauptverhandlung vom 8. bis 30. Januar 2024 stattfinden werde. Es sei daher sehr wahrscheinlich, dass ein Urteil bereits im Januar 2024 gefällt werde. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Reservetage im März 2024 benötigt würden. Es erscheine daher völlig unverhältnismässig, dass die Sicherheitshaft bis zum 15. April 2024, also fast drei Monate nach Ende der Hauptverhandlung, verlängert werde. Die Verlängerung der Haft verletze Art. 227 Abs. 7 StPO und stehe im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung (nämlich BGE 146 IV 279 E. 2.5).

5.5 Der Beschwerdeführer kritisiert (erneut) die frühere vorläufige Prognose der zu erwartenden Freiheitsstrafe im Falle einer Verurteilung, legt jedoch nicht konkret dar, welche (neuen) Elemente zu einer anderen Prognose führen könnten. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Verlängerung der Sicherheitshaft verletze Art. 227 Abs. 7 StPO, ist unbegründet. Zwar wurde weder im Haftverlängerungsantrag der Strafkammer vom 9. Oktober 2023 noch im angefochtenen Entscheid näher dargelegt, weshalb die Strafkammer die Hauptverhandlung und Urteilseröffnung nicht innerhalb der Dreimonatsfrist ansetzen konnte (vgl. hierzu BGE 146 IV 279 E. 2.5; Urteil des Bundesgerichts 1B_386/2022 vom 12. August 2022 E. 6). Es ist aber notorisch, dass es sich vorliegend um einen aussergewöhnlich aufwendigen und komplexen Fall mit umfangreichen Akten handelt, dessen Hauptverhandlung ein Zeitfenster von mehreren Wochen umfasst, welches mit den Parteien und den Beteiligten zu koordinieren war und die Organisation und Anreise von Verfahrensbeteiligten aus dem Ausland mit sich bringen dürfte (vgl. Haftakten KZM 23 505, Antrag auf Anordnung von Sicherheitshaft der BA vom 17. April 2023, S. 6). Dass das Gericht in einem solchen Fall zudem Reservetage einplant und derzeit das Datum der Urteilseröffnung angesichts der unbestimmten Dauer der Urteilsberatung nicht festlegen kann, ist nachvollziehbar. Die Verlängerung der Sicherheitshaft längstens bis zum 15. April 2024 erscheint den Umständen angemessen. Die Strafkammer wird allerdings von Gesetzes wegen gehalten sein, das Urteil so bald als möglich zu fällen und zu eröffnen (vgl. Art. 5 Abs. 2, Art. 84 Abs. 3 StPO).

6. Die Verlängerung der Sicherheitshaft durch die Vorinstanz erweist sich aufgrund der vorstehenden Ausführungen als rechtmässig. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde ist abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist.

7.

7.1 Der Beschwerdeführer ersucht für das vorliegende Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (BP.2023.85, act. 1).

7.2 Über die Gewährung des Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege im Beschwerdeverfahren entscheidet die Beschwerdekammer selbst. Eine in der Strafuntersuchung eingesetzte amtliche Verteidigung wirkt im Haftbeschwerdeverfahren – jedenfalls wenn die beschuldigte Person beschwerdeführende Partei ist – nicht automatisch als unentgeltlicher Rechtsbeistand mit und zwar auch dann nicht, wenn die beschuldigte Person im Hauptverfahren notwendig verteidigt werden muss. Die unentgeltliche Rechtspflege kann bei Haftbeschwerden von der Nichtaussichtslosigkeit des konkret verfolgten Prozessziels abhängig gemacht werden. Als aussichtslos sind Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Bei Haftbeschwerden ist Aussichtslosigkeit mit Zurückhaltung anzunehmen (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BH.2018.5 vom 28. August 2018 E. 9.2 m.w.H.).

7.3 Wie die vorstehenden Erwägungen aufzeigen, steht der angefochtene Entscheid im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung und den bestehenden anerkannten Grundsätzen im Haftrecht. Der dringende Tatverdacht, die Fluchtgefahr sowie die Verhältnismässigkeit sind klar zu bejahen. Die erhobenen Rügen zielten mithin von Anfang an ins Leere. Damit mangelt es an einer materiellen Voraussetzung für die unentgeltliche Rechtspflege. Das entsprechende Gesuch des Beschwerdeführers ist unbesehen seiner finanziellen Verhältnisse abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist (vgl. vorn E. 1.2)

8. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (vgl. Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 2'000.– festzusetzen (Art. 73 StBOG i.V.m. Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 BStKR).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.– wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

Bellinzona, 15. November 2023

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident:                                                            Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Rechtsanwalt Philippe Currat

- Bundesanwaltschaft

- Bundesstrafgericht, Strafkammer

- Kantonales Zwangsmassnahmengericht

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide der Beschwerdekammer über Zwangsmassnahmen kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden (Art. 79 und 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005; BGG). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Im Falle der elektronischen Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind (Art. 48 Abs. 2 BGG).

Das Verfahren richtet sich nach den Artikeln 90 ff. BGG.

Eine Beschwerde hemmt den Vollzug des angefochtenen Entscheides nur, wenn der Instruktions—richter oder die Instruktionsrichterin es anordnet (Art. 103 BGG).

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