Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BG.2023.29 |
Datum: | 11.10.2023 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Kammer; Beschwerdekammer; Anklage; Verfahren; Beschwerdeführerinnen; Bundesanwaltschaft; Beschwerden; Verfahren; Anklageschrift; Rechtsbegehren; Verfahrens; Beschluss; Eingabe; Erweiterung; Bundesstrafgericht; Beschwerdeverfahren; Bundesstrafgerichts; Standslosigkeit; Rechtsanwältin; Prozessführung; Stellung; Eingaben; Interesse; Beschwerdeführung; Rechtsmittel; Ergänzung; Tribunal; Parteien; Privatklägerschaft |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 136 StPO ;Art. 32 StPO ;Art. 324 StPO ;Art. 328 StPO ;Art. 329 StPO ;Art. 33 StPO ;Art. 333 StPO ;Art. 37 StPO ;Art. 393 StPO ; |
Referenz BGE: | 148 IV 124; ; |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
BB.2023.95, BB.2023.97, BB.2023.98, BP.2023.45, BP.2023.46, BP.2023.47
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummern: BB.2023.95, BB.2023.97, BB.2023.98 Nebenverfahren: BP.2023.45, BP.2023.46, BP.2023.47 |
Beschluss vom 11. Oktober 2023 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Miriam Forni und Felix Ulrich, Gerichtsschreiber Stefan Graf | |
Parteien | 1. A., vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Motz, 2. B., 3. C., beide vertreten durch Rechtsanwältin Fanny de Weck, Beschwerdeführerinnen | |
gegen | ||
1. Bundesanwaltschaft, 2. D., vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat, Beschwerdegegner | ||
Gegenstand | Verfahrenshandlung der Bundesanwaltschaft (Art. 20 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO); unentgeltliche Rechtspflege für die Privatklägerschaft im Beschwerdeverfahren (Art. 136 Abs. 1 StPO) |
Sachverhalt:
A. Am 17. April 2023 erhob die Bundesanwaltschaft im Verfahren Nr. SV.17.0026 bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts Anklage gegen D. Am entsprechenden Verfahren sind – nebst anderen – A., B. und C. als Privatklägerinnen beteiligt.
B. Mit Eingabe vom 28. April 2023 liess A. gegen die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erheben und Folgendes beantragen (BB.2023.95, act. 1):
1. Die Anklageschrift sei zur Erweiterung an die Vorinstanz zurückzuweisen;
2. Eventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, eine Teileinstellungsverfügung zu erlassen;
3. Es sei die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und die Unterzeichnende als unentgeltliche Rechtsbeiständin einzusetzen;
4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates;
B. und C. erhoben am selben Tag ebenfalls Beschwerde und stellten identische Rechtsbegehren (BB.2023.97 und BB.2023.98, act. 1).
C. In einem ersten Schritt forderte die Beschwerdekammer die Bundesanwaltschaft auf, jeweils eine allfällige Beschwerdeantwort und die Akten einzureichen (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 2). Die Bundesanwaltschaft nahm am 10. Mai 2023 zu den Beschwerden Stellung und lud die Beschwerdekammer ein, die Akten bei der verfahrensleitenden Strafkammer einzuverlangen (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 3). Auf entsprechendes Ersuchen hin gewährte die Strafkammer der Beschwerdekammer Zugriff auf das elektronische Verfahrensdossier des Vorverfahrens (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 4 und 5).
D. Am 7. Juni 2023 beschloss die Beschwerdekammer Folgendes (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 6):
1. Die Eingaben der Beschwerdeführerinnen vom 28. April 2023 werden zusammen mit den Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft vom 10. Mai 2023 zuständigkeitshalber an die Strafkammer weitergeleitet.
2. Die Beschwerdeverfahren BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98 werden (…) sistiert.
3. Die Strafkammer wird aufgefordert, die Beschwerdekammer über die abschliessende Erledigung der auf die Erweiterung bzw. Änderung der Anklage gerichteten Anträge der Beschwerdeführerinnen bzw. über eine allfällige Rückweisung der Anklage zwecks Ergänzung/Berichtigung zu informieren.
4. Die Kosten dieses Beschlusses werden mit dem verfahrensabschliessenden Entscheid verlegt.
E. Am 5. Juli 2023 übermittelte die Bundesanwaltschaft der Strafkammer die in Anwendung von Art. 333 Abs. 1 und 2 StPO ergänzte und erweiterte Anklageschrift gegen D. (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 7.1 und 7.1.1).
F. Mit Schreiben vom 14. Juli 2023 teilte die Beschwerdekammer den Beschwerdeführerinnen Folgendes mit (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 8):
Gemäss der Einschätzung der Beschwerdekammer im erwähnten Beschluss [vom 7. Juni 2023] erweisen sich die von den Beschwerdeführerinnen am 28. April 2023 eingereichten Beschwerden von Beginn weg nur insofern als zulässig, als sie sich gegen eine allfällige implizite Einstellung, d.h. gegen eine unterlassene Anklage richten. Aufgrund der nun vorliegenden, erweiterten Anklageschrift geht die Beschwerdekammer einstweilen davon aus, dass damit das aktuelle praktische Interesse der Beschwerdeführerinnen an ihrem jeweiligen Rechtsbegehren Ziff. 2 dahingefallen ist und die Beschwerdeverfahren als gegenstandslos abgeschrieben werden können, soweit auf die Beschwerden überhaupt einzutreten war.
Gleichzeitig bat die Beschwerdekammer die Beschwerdeführerinnen, ihr zu bestätigen, ob auf deren Seiten das aktuelle praktische Interesse an der Beschwerdeführung dahingefallen ist, bzw. andernfalls darzulegen, inwiefern ein solches noch besteht.
Die Beschwerdeführerinnen liessen am 27. Juli 2023 mitteilen, sie seien der Ansicht, das aktuelle praktische Interesse an der Beschwerdeführung sei dahingefallen, so dass das Verfahren gegenstandslos geworden sei. Die Beschwerdeführung sei aber notwendig und nicht aussichtlos gewesen, so dass sie an den Rechtsbegehren Ziff. 3 und 4 der Beschwerden festhielten (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 9).
Ebenfalls am 27. Juli 2023 liess der amtliche Verteidiger von D. der Beschwerdekammer eine unaufgeforderte Stellungnahme zugehen (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 10).
Die letztgenannten Eingaben wurden den Parteien am 28. Juli 2023 wechselseitig zur Kenntnis gebracht (BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 11).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdekammer kann aus sachlichen Gründen Verfahren trennen oder vereinen (Art. 30 i.V.m. Art. 379 StPO; vgl. hierzu die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BB.2023.19 vom 16. Mai 2023 E. 1; BB.2021.99 vom 25. November 2021 E. 1.1; BB.2020.164 vom 9. Dezember 2020 E. 1). Die vorliegenden Beschwerden betreffen das gleiche Strafverfahren und weisen im Wesentlichen denselben Beschwerdegegenstand auf. Zudem haben die Vertreterinnen der Beschwerdeführerinnen ihre Beschwerden gemeinschaftlich erstellt (vgl. BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98, jeweils act. 1 Rz. 27). Sie sind bei dieser Sachlage mittels vorliegenden Beschlusses gemeinsam zu beurteilen.
2.
2.1 Mit ihren Beschwerden bzw. mit deren Rechtsbegehren Ziff. 1 verlangten die Beschwerdeführerinnen in erster Linie, die Anklageschrift vom 17. April 2023 sei (um weitere Sachverhaltselemente) zu erweitern.
2.2 Art. 324 Abs. 2 StPO hält fest, dass die Anklageerhebung nicht anfechtbar ist. Dieser Rechtsmittelausschluss bezieht sich nicht nur auf die Zuständigkeit, den hinreichenden Tatverdacht und die Anklageerhebung selbst, sondern auch auf den Inhalt der Anklage gemäss Art. 325 StPO und das Vorliegen von Prozesshindernissen (Heimgartner/Niggli, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 324 StPO N. 18; siehe auch Landshut/Bosshard, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 324 StPO N. 10). Die Beschwerde kann sich also nicht gegen die erhobene Anklage richten bzw. mit ihr ist keine inhaltliche Änderung der Anklageschrift zu erreichen. Ein allfälliges Rechtsmittel der Privatklägerschaft richtet sich demnach nicht gegen die Anklage, sondern gegebenenfalls gegen eine implizite Einstellung, d.h. gegen die unterlassene Anklage (BGE 148 IV 124 E. 2.6.5 S. 132; Landshut/Bosshard, a.a.O.).
2.3 Mit dem Eingang der Anklageschrift vom 17. April 2023 wurde das Verfahren bei der Strafkammer rechtshängig, womit die Befugnisse im Verfahren auf sie übergingen (Art. 328 Abs. 1 und 2 StPO). Die Verfahrensleitung hat sodann gemäss Art. 329 Abs. 1 StPO die Anklage zu prüfen und gegebenenfalls gemäss Art. 329 Abs. 2 StPO das Verfahren zu sistieren. Dabei weist sie, falls erforderlich, die Anklage zur Ergänzung oder Berichtigung an die Bundesanwaltschaft zurück (vgl. Art. 329 Abs. 2 StPO). Zudem sieht Art. 333 StPO Möglichkeiten zur Änderung und Erweiterung der Anklage vor, wobei das Bundesgericht von der Möglichkeit auszugehen scheint, dass die Privatklägerschaft in diesem Verfahrensstadium gegebenenfalls eine Änderung oder Ergänzung der Anklage beantragen kann (vgl. BGE 148 IV 124 E. 2.6.7). Die Verfahrensleitung oblag zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung der Strafkammer. Demnach hatte diese gegebenenfalls die notwendigen verfahrensleitenden, auf eine Änderung oder Erweiterung der Anklage gerichteten Verfahrenshandlungen zu erlassen. Aus diesem Grund übermittelte die Beschwerdekammer am 7. Juni 2023 die Eingaben der Beschwerdeführerinnen vom 28. April 2023 sowie die hierzu ergangenen Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft vom 10. Mai 2023 zuständigkeitshalber an die Strafkammer.
2.4 Mit der Weiterleitung des Antrags auf Erweiterung der Anklageschrift vom 17. April 2023 an die dafür zuständige, verfahrensleitende Strafkammer gab die Beschwerdekammer implizit auch zu verstehen, dass sie selber nicht auf dieses Rechtsbegehren eintreten würde. Insofern wurde das Verfahren hinsichtlich der jeweiligen Rechtsbegehren Ziff. 1 der vorliegenden Beschwerden bereits mit dem Beschluss der Beschwerdekammer vom 7. Juni 2023 endgültig erledigt.
3. Hinsichtlich der jeweiligen Rechtsbegehren Ziff. 2 hielt die Beschwerdekammer bereits in ihrem Beschluss vom 7. Juni 2023 fest, die vorliegenden Beschwerdeverfahren würden voraussichtlich gegenstandslos, falls es im Rahmen des erstinstanzlichen Hauptverfahrens zur Rückweisung der Anklage zwecks Ergänzung/Berichtigung oder aufgrund der Anträge der Beschwerdeführerinnen zur Änderung oder Erweiterung der Anklage kommen oder falls die Bundesanwaltschaft allenfalls eine Teileinstellungsverfügung im Sinne der eventualiter gestellten Beschwerdebegehren erlassen sollte (vgl. hierzu BGE 148 IV 124 E. 2.6.5 S. 131). Andernfalls hätte die Beschwerdekammer im Rahmen der Fortsetzung der Beschwerdeverfahren zu prüfen gehabt, ob tatsächlich eine implizite Teileinstellung vorliegt. Nachdem die Bundesanwaltschaft ihre ursprüngliche Anklageschrift vom 17. April 2023 am 5. Juli 2023 auch im Sinne der Beschwerdeführerinnen geändert bzw. erweitert hat, bestätigten die Beschwerdeführerinnen mit Eingabe vom 27. Juli 2023, dass auch hinsichtlich der jeweiligen Rechtsbegehren Ziff. 2 das aktuelle praktische Interesse an der Beschwerdeführung dahingefallen sei. Diesen Punkt betreffend sind die Beschwerden zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.
4. Die Beschwerdeführerinnen ersuchten um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. Wie oben dargelegt, war das Hauptanliegen ihrer Beschwerden der dafür zuständigen Strafkammer zu unterbreiten. Hinsichtlich des denkbaren, einer Beurteilung durch die Beschwerdekammer unterliegenden Beschwerdegegenstands wurde das Verfahren ohne weiteres Zutun der Beschwerdekammer gegenstandslos. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Beschwerdeführerinnen gehalten, die für ihre Eingaben vom 28. April 2023 erbrachten Aufwendungen im Rahmen des erstinstanzlichen Hauptverfahrens geltend zu machen. Damit sind auch die an die Beschwerdekammer gerichteten Gesuche um unentgeltliche Verbeiständung zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.
5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens und dem geringen Aufwand der Beschwerdekammer in dieser Sache ist von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen (vgl. Art. 73 Abs. 2 StBOG und Art. 5 des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten. Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]). Damit sind auch die an die Beschwerdekammer gerichteten Gesuche um unentgeltliche Prozessführung zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Verfahren BB.2023.95, BB.2023.97 und BB.2023.98 werden vereinigt.
2. Die Beschwerden sind zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.
3. Die Gesuche um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung sind zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.
4. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
Bellinzona, 12. Oktober 2023
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Rechtsanwältin Stephanie Motz
- Rechtsanwältin Fanny de Weck
- Bundesanwaltschaft
- Rechtsanwalt Philippe Currat
- Bundesstrafgericht, Strafkammer
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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