Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BG.2023.18 |
Datum: | 02.05.2023 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter : | Kammer; Beschluss; Zustellung; Beschwerde; Verfahren; Abholung; Verfahrens; Abholungseinladung; Bundesanwaltschaft; Postfach; Entscheid; Recht; Bundesstrafgericht; Briefkasten; Beschwerdekammer; Parteien; Vorinstanz; Sendung; Frist; Empfänger; Urteils; Bundesstrafgerichts; Apos;; Gesuch; Beschlusses; Abholfrist; Sinne |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsnorm: | Art. 20 StPO ; Art. 363 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 65 StPO ; Art. 85 StPO ; Art. 90 StPO ; Art. 91 StPO ; Art. 93 BGG ; |
Referenz BGE: | 142 IV 201; 143 IV 175; ; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BB.2022.117 |
Beschluss vom 2. Mai 2023 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Patrick Robert-Nicoud und Felix Ulrich, Gerichtsschreiber Stefan Graf | |
Parteien | A., Beschwerdeführer | |
gegen | ||
Bundesanwaltschaft, Urteilsvollzug, Beschwerdegegnerin | ||
Vorinstanz | Bundesstrafgericht, Strafkammer, | |
Gegenstand | Verfahrenshandlung der Strafkammer (Art. 20 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO) |
Sachverhalt:
A. Mit Ziff. III.5 des Dispositivs des Urteils SK.2011.29 vom 25. September 2012 entschädigte die Strafkammer des Bundesstrafgerichts den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten A. zu Lasten der Eidgenossenschaft mit Fr. 96'000.– (inkl. MwSt.). Gleichzeitig ordnete sie an, A. habe der Eidgenossenschaft dafür Ersatz zu leisten, sobald er dazu in der Lage sei.
B. Mit Eingabe vom 23. Juni 2022 unterbreitete die für den Urteilsvollzug zuständige Stelle der Bundesanwaltschaft der Strafkammer diesbezüglich ein Gesuch um Feststellung der Nachzahlungspflicht gemäss Art. 135 Abs. 4 lit. a i.V.m. Art. 363 Abs. 1 StPO (TPF 1.100.001 ff.). Am 24. Juni 2022 sandte die Strafkammer den Parteien eine Eingangsanzeige und gab ihnen die Zusammensetzung des Spruchkörpers bekannt. Das entsprechende, per Einschreiben versandte Schreiben an A. wurde adressiert an die Y.-Strasse in Z. und konnte A. am 29. Juni 2022 am Postschalter zugestellt werden (vgl. TPF 1.120.001 ff.). Die im Verlaufe des Verfahrens an (dieselbe Adresse von) A. geschickte Einladung zur Einreichung einer Stellungnahme zum Gesuch der Bundesanwaltschaft wurde der Strafkammer von der Post mit dem Vermerk «nicht abgeholt» retourniert (TPF 1.521.001).
C. Mit Beschluss SK.2022.25 vom 29. Juli 2022 hiess die Strafkammer das Gesuch der Bundesanwaltschaft gut. Sie verpflichtete A., dem Bund die Entschädigung von Fr. 96'000.– für die Kosten seiner amtlichen Verteidigung im Verfahren SK.2011.29 zurückzuzahlen (act. 8.19).
D. Der Briefumschlag mit dem am selben Tag an die oben erwähnte Adresse versandten Beschluss wurde der Strafkammer von der Post mit dem Vermerk «Empfänger konnte unter angegebener Adresse nicht ermittelt werden» retourniert (TPF 1.930.009 f.). Eine telefonische Anfrage der Strafkammer beim Einwohneramt X. ergab, dass A. aktuell an der W.-Strasse in V. wohnhaft sei (TPF 1.930.011). Beim darauffolgenden zweiten Zustellungsversuch kam die Sendung den Angaben der Post zufolge am 18. August 2022 in der Abhol-/Zustellstelle an und wurde gleichentags im Postfach von A. zur Abholung am Schalter bis 25. August 2022 avisiert. Der entsprechende Umschlag wurde innerhalb dieser Frist nicht abgeholt und am 26. August 2022 der Strafkammer retourniert (TPF 1.930.012 ff.).
E. Mit E-Mail vom 1. September 2022 teilte A. der Strafkammer mit, die Abholeinladung sei aus ihm nicht erklärlichen Gründen nicht in seinem Postfach deponiert worden, sondern habe sich am 31. August 2022 in seinem privaten Briefkasten, welcher «ausschliesslich Wurfsendungen und Werbung» erhalte, befunden. Er bat diesbezüglich um nochmalige Zustellung der Gerichtsurkunde per Post (TPF 1.930.015). Die Strafkammer liess A. diesbezüglich am 2. September 2022 ein Schreiben zugehen und führte darin Folgendes aus (TPF 1.930.016):
In oben genannter Angelegenheit beziehe ich mich auf Ihre E-Mail vom 1. September 2022 und lasse Ihnen als Beilage den Beschluss der Strafkammer vom 29. Juli 2022 in Kopie zur Kenntnis zukommen. Zum Verfahrensstand kann ich Ihnen folgendes mitteilen:
Am 18. August 2022 erfolgte am neuen Wohnsitz von Ihnen der zweite Zustellversuch des Beschlusses der Strafkammer vom 29. Juli 2022. Wie Sie der Abholungseinladung entnehmen können, lag der Beschluss bei der Post bis zum 25. August 2022 zur Abholung bereit. Nachdem Sie die Abholfrist unbenutzt verstreichen liessen, retournierte die Post der Strafkammer den Beschluss (im Original). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Ihnen der Beschluss am 25. August 2022 rechtsgültig zugestellt wurde.
F. Mit Eingabe vom 12. September 2022 (Postaufgabe am 14. September 2022) erhob A. Beschwerde gegen den Beschluss SK.2022.25 vom 29. Juli 2022. Er beantragt die vollumfängliche Abweisung des Gesuchs der Bundesanwaltschaft vom 23. Juni 2022 und den Verzicht auf die Rückzahlung der Entschädigung von Fr. 96'000.– für die Kosten seiner amtlichen Verteidigung im Verfahren SK.2011.29 (act. 1).
In ihrer Beschwerdeantwort vom 21. September 2022 beantragt die Strafkammer, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen (act. 4). Die Bundesanwaltschaft ihrerseits beantragt im Rahmen ihrer Beschwerdeantwort vom 28. September 2022, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie vollumfänglich abzuweisen, alles unter Kostenfolge zu Lasten des Beschwerdeführers (act. 8). Die Beschwerdeantworten wurden den Parteien am 30. September 2022 wechselseitig zur Kenntnisnahme übermittelt (act. 9).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie gegen Verfahrenshandlungen der Strafkammer des Bundesstrafgerichts kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erhoben werden, wobei verfahrensleitende Entscheide ausgenommen sind (Art. 393 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. a StPO und Art. 37 Abs. 1 StBOG). Verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte können demgegenüber nur mit dem Endentscheid angefochten werden (Art. 65 Abs. 1 StPO). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind diese Bestimmungen so auszulegen, dass verfahrensleitende Anordnungen der erstinstanzlichen Gerichte nur dann mit Beschwerde angefochten werden können, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG herbeiführen können (BGE 143 IV 175 E. 2.2 S. 177; 140 IV 202 E. 2.1 S. 204 f.; TPF 2015 93 E. 3.1; TPF 2013 69 E. 2.1 S. 70 f.). Mit ihr gerügt werden können gemäss Art. 393 Abs. 2 StPO Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (lit. a), die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts (lit. b) sowie die Unangemessenheit (lit. c).
1.2 Anfechtungsobjekt bildet der Beschluss der Vorinstanz vom 29. Juli 2022, mit welcher diese den Beschwerdeführer verpflichtete, dem Bund die Entschädigung von Fr. 96'000.– für die Kosten seiner amtlichen Verteidigung zurückzuzahlen. Dabei handelt es sich nicht um einen von der Anfechtbarkeit ausgenommenen verfahrensleitenden Entscheid, sondern um einen das Verfahren abschliessenden, selbständigen nachträglichen Entscheid des (erstinstanzlichen) Gerichts im Sinne der Art. 363 ff. StPO (siehe hierzu TPF 2013 136). Entscheide dieser Art bilden zulässige Anfechtungsobjekte im Sinne von Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO (siehe u.a. Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, 2011, N. 162). Zwischen den Parteien umstritten ist in erster Linie die Frage, ob die vorliegende Beschwerde fristgerecht erhoben wurde oder nicht.
1.3
1.3.1 Die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide ist innert zehn Tagen schriftlich und begründet einzureichen (Art. 396 Abs. 1 StPO). Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Die Strafbehörden bedienen sich für ihre Mitteilungen der Schriftform, soweit die StPO selber nichts Abweichendes bestimmt (Art. 85 Abs. 1 StPO). Die Zustellung erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei (Art. 85 Abs. 2 StPO). Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Bei eingeschriebenen Postsendungen gilt eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet in diesem Fall eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als bei Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet. Diese Vermutung kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden. Sie gilt so lange, als der Empfänger nicht den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbringt. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache ist, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden. Die immer bestehende Möglichkeit von Fehlern bei der Poststelle genügt nicht, um die Vermutung zu widerlegen. Vielmehr müssen konkrete Anzeichen für einen Fehler vorhanden sein (BGE 142 IV 201 E. 2.3 S. 204 f. m.w.H.).
1.3.2 Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet sie am nächstfolgenden Werktag (Art. 90 Abs. 2 StPO). Die Frist ist eingehalten, wenn die Verfahrenshandlung spätestens am letzten Tag bei der zuständigen Behörde vorgenommen wird (Art. 91 Abs. 1 StPO). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Handen der Schweizerischen Post, einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder, im Falle von inhaftierten Personen, der Anstaltsleitung übergeben werden (Art. 91 Abs. 2 StPO).
1.3.3 Den vorliegenden Akten zufolge, wurde der angefochtene Beschluss beim zweiten Zustellungsversuch durch die Vorinstanz am 17. August 2022 der Post aufgegeben. Den verschiedenen Sendungsverfolgungen kann entnommen werden, dass die Sendung am 18. August 2022 im Postfach des Beschwerdeführers zur Abholung am Schalter avisiert und vom Beschwerdeführer innerhalb der Abholfrist nicht abgeholt wurde (siehe u.a. act. 1.2). Die diesbezügliche, vom Beschwerdeführer selbst vorgelegte Abholungseinladung der Post nennt als Zustelladresse des Beschwerdeführers ausdrücklich dessen Postfachadresse (act. 1.1). Ebenso nennt die Abholungseinladung korrekt die siebentägige, bis 25. August 2022 dauernde Abholfrist. Diese Akten stützen die oben erwähnte Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Im Rahmen seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer hierzu geltend, die zweite Zustellung des angefochtenen Beschlusses sei ihm im Zeitraum der bis 25. August 2022 dauernden Abholfrist nie mittels Abholungseinladung avisiert worden. Er habe in diesem Zeitraum auf der Poststelle mehrfach Pakete und Briefe abgeholt, sei von den Postangestellten jedoch nie auf eine noch nicht zugestellte Sendung hingewiesen worden. Die Abholungseinladung habe sich am 31. August 2022 um 13.10 Uhr in seinem Briefkasten an der Wohnadresse und nicht wie üblich in seinem Postfach befunden. Der Beschwerdeführer wirft diesbezüglich die Frage auf, die Abholungseinladung sei womöglich durch die Post zunächst falsch zugestellt worden. Es sei leider eine Tatsache, dass in V. aufgrund eines Personalwechsels vermehrt Sendungen falsch zugestellt würden. Vom angefochtenen Beschluss habe er erstmals nach nochmaliger Zustellung am 6. September 2022 Kenntnis erhalten (vgl. act. 1.3). Seiner Ansicht nach habe die Beschwerdefrist erst am diesem Datum folgenden Tag zu laufen begonnen. Mit seinen durch keinerlei konkrete Indizien gestützten Behauptungen alleine vermag der Beschwerdeführer den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Poststelle nicht zu erbringen. Darüber hinaus erweisen sich auch seine eigenen Angaben zu seinem Briefkasten an der Wohnadresse als widersprüchlich. So führte er in seiner E-Mail vom 1. September 2022 aus, dieser Briefkasten erhalte ausschliesslich «Wurfsendungen und Werbung». In seiner Beschwerdeschrift führt er demgegenüber aus, dieser Briefkasten diene nur zum Erhalt von Expresslieferungen (act. 1, S. 1).
1.3.4 Der Beschwerdeführer musste zudem im vorinstanzlichen Verfahren mit weiteren Zustellungen rechnen, nachdem ihm die Mitteilung der Vorinstanz zu Beginn des Verfahrens am 29. Juni 2022 persönlich am Postschalter zugestellt werden konnte (vgl. TPF 1.120.001 ff.). Hinsichtlich des am 17. August 2022 versandten Beschlusses der Vorinstanz greift damit die Zustellfiktion gemäss Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO. Die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Beschwerdeführer gilt als am 25. August 2022 erfolgt, weshalb sich die erst am 14. September 2022 erfolgte Postaufgabe der Beschwerdeschrift als verspätet erweist.
2. Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde zufolge verspäteter Einreichung nicht einzutreten.
3. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Gerichtsgebühr ist festzusetzen auf Fr. 500.– (vgl. Art. 73 StBOG und Art. 5 und 8 Abs. 1 BStKR).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.– wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
Bellinzona, 2. Mai 2023
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- A.
- Bundesanwaltschaft, Urteilsvollzug
- Bundesstrafgericht, Strafkammer
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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