Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BE.2023.8, BP.2023.51 |
Datum: | 23.11.2023 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Verfahren; Kanton; Gerichtsstand; Verfahrens; Gesuch; Kantons; Behörde; Solothurn; Staatsanwältin; Beschuldigte; Gesuchs; Behörden; Verfahrensakten; Ordner; Beschuldigten; Gerichtsstandes; Drohung; Zuständigkeit; Befehl; Lasche; Bundesstrafgericht; Ausführungsgefahr; Telefonat; Bundesstrafgerichts; Staatsanwalt |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 224 StPO ;Art. 3 StPO ;Art. 31 StPO ;Art. 34 StPO ;Art. 4 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 42 StPO ;Art. 423 StPO ;Art. 66 BGG ; |
Referenz BGE: | 129 IV 202; 86 IV 222; 87 IV 145; ; |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
BG.2023.46
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BG.2023.46 |
Beschluss vom 23. November 2023 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Daniel Kipfer Fasciati und Miriam Forni, Gerichtsschreiberin Inga Leonova | |
Parteien | Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft, Gesuchsteller | |
gegen | ||
Kanton Solothurn, Staatsanwaltschaft, Gesuchsgegner | ||
Gegenstand | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO) |
Sachverhalt:
A. A. (nachfolgend «A.» oder «Beschuldigter») wurde mit Urteilen und Strafbefehlen vom 23. Juli 2010, 24. April 2015, 5. Juli 2019, 29. Oktober 2021 des Obergerichts des Kantons Solothurn resp. der Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland (nachfolgend «StA BE») u.a. wegen (teilweise mehrfacher oder versuchter) Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte verurteilt. Zuletzt verurteilte die StA BE A. mit Strafbefehl vom 4. Januar 2022 im Strafverfahren BJS 20 26984 u.a. wegen Sachbeschädigung, Drohung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte und Versuchs dazu zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 120 Tagen (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Strafregisterauszug vom 21. September 2023). Zugleich wurde die Einziehung von Gegenständen zur Vernichtung sowie die Rückgabe u.a. eines Laptops an A. verfügt (act. 1, S. 2).
Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls vom 4. Januar 2022 wurde die Kantonspolizei Solothurn beauftragt, A. die Gegenstände zukommen zu lassen, deren Rückgabe im Strafbefehl angeordnet worden war. Auf die daraufhin von der Polizei vorgenommenen Kontaktversuche reagierte A. nicht, lehnte die Rückgabe ab oder teilte mit, dass er nur alle Gegenstände gemeinsam entgegennehme. Mit an A. gerichtetem Schreiben vom 29. November 2022 stellte die StA BE fest, dass er die Annahme des ihm per Einschreiben zugestellten Pakets mit den zurückgegebenen Gegenständen verweigere, weshalb sie davon ausgehe, dass er auf diese verzichte und diese daher vernichtet werden könnten (act. 1, S. 2).
B. Die mit Strafbefehl vom 4. Januar 2022 verhängte Freiheitsstrafe verbüsste A. schliesslich bis zu einer Reststrafe von 31 Tagen. Am 14. März 2023 wurde er bedingt – unter Ansetzung einer einjährigen Probezeit – aus dem Strafvollzug entlassen. Gleichzeitig wurden ihm Weisungen erteilt und eine Bewährungshilfe angeordnet (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Strafregisterauszug vom 21. September 2023).
C. Mit E-Mail vom 14. September 2023 setzte die Bewährungshelferin A. darüber in Kenntnis, dass der bei der StA BE zuständige Staatsanwalt B. versucht habe, ihn im Zusammenhang mit der Rückgabe der Gegenstände mehrfach zu kontaktieren, und dass diese schliesslich vernichtet worden seien. Daraufhin antwortete A. mit gleichtägiger E-Mail wie folgt: «Ich werde dieses Arschloch töten!». Am Abend des gleichen Tages hinterliess A. der Bewährungshelferin eine Voicemail mit dem Inhalt, dass es so nicht gehe und «ich werde dieses Arschloch B. genau gleichbehandeln, wie er meinen Laptop behandelt hat» (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Lasche Drohung/Beschimpfung).
D. Am 15. September 2023 stellte B. bei der StA BE Strafantrag gegen A. wegen Drohung und Beschimpfung, begangen durch die obgenannten Nachrichten (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Lasche Drohung/Beschimpfung). Gleichentags eröffnete die StA BE gegen den Beschuldigten das Verfahren BJS 23 19913 (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Lasche Eröffnung).
E. Da gegen A. im Kanton Solothurn im September 2023 zwei Verfahren u.a. wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, darunter auch das Verfahren STA.2023.1546 der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (nachfolgend «StA SO») hängig waren (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Strafregisterauszug vom 21. September 2023), nahm die StA BE mit der StA SO am 15. September 2023 telefonisch Kontakt auf. In der Aktennotiz vom 15. September 2023 hielt die StA BE fest, dass die StA SO ihr nach der Schilderung des Sachverhalts mitgeteilt habe, die Sache könne ihr per Gerichtsstand übergeben werden. Auf Nachfrage der StA BE, ob die StA SO eine Anhaltung und Verhaftung des Beschuldigten sowie eine Hausdurchsuchung durchführen werde, habe die zuständige Staatsanwältin bei der StA SO mitgeteilt, dass sie den Beschuldigten wegen der Drohung nicht verhaften werde. Eine Ausführungsgefahr sei nicht gegeben. Sie kenne den Beschuldigten und man könne ihrer Einschätzung vertrauen. Angesprochen darauf, dass der Beschuldigte gegenüber Behördenmitgliedern bereits gewalttätig geworden und auch das Bedrohungsmanagement der Kantonspolizei Solothurn involviert sei, habe die Staatsanwältin der StA SO angemerkt, dass sie nicht gesagt habe, dass der Beschuldigte nicht gefährlich sei. Die Verfahrensleitung der StA BE habe der StA SO in Aussicht gestellt, dass sie in diesem Fall die erforderlichen Sofortmassnahmen in die Wege leiten werde (Verfahrensakten BE, gelber Ordner, Lasche Prozessuales/Diverses).
Die von der StA SO am 18. September 2023 verfasste Aktennotiz zum Telefonat vom 15. September 2023 entspricht inhaltlich im Wesentlichen derjenigen der StA BE. Die Staatsanwältin der StA SO hielt zusammengefasst fest, der Staatsanwältin der StA BE gesagt zu haben, sie solle eine Gerichtsstandsanfrage stellen; die aktuellen Geschehnisse würden dann im Verfahren der StA SO behandelt werden. Die Staatsanwältin der StA BE habe mehrfach gesagt, dass A. festzunehmen sei und erklärt, dass er gefährlich sei; es werde zurzeit geprüft, ob B. Polizeischutz brauche. Sie (die Staatsanwältin der StA SO) habe mehrfach versucht, der Staatsanwältin der StA BE zu erklären, dass dies ein bekanntes Muster von A. sei, es bestehe keine Ausführungsgefahr und sie würde daher keine Festnahme anordnen. Die Staatsanwältin der StA BE habe entgegnet, dass diesfalls wohl sie handeln müsse. Nach dem Telefonat mit der StA BE habe sie (die Staatsanwältin der StA SO) das Kantonale Bedrohungsmanagement kontaktiert. Dort habe man ihre Einschätzung geteilt, wonach eine Verhaftung von A. nicht angezeigt sei (Verfahrensakten SO, rosa Ordner, Lasche Verfahren/Diverses).
F. Am 15. September 2023 stellte die StA BE einen Hausdurchsuchungsbefehl für den Wohnort von A. in Z. sowie einen Vorführungsbefehl aus (Verfahrens-akten BE, grauer Ordner, Lasche Haft und Lasche Durchsuchungen/Beschlagnahmungen). Gestützt darauf wurde A. gleichentags angehalten. Anlässlich der am gleichen Tag durchgeführten Hausdurchsuchung wurden neben Datenträgern (USB-Sticks) mögliche Waffenbestandteile (Munition, Patronenhülsen, Schwarzpulver, Gasdruckpistole mit Magazin etc.) sichergestellt (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Lasche Durchsuchungen/Beschlagnahmungen; act. 1, S. 3).
G. Nach der Vorführung und Einvernahme von A. beantragte die verfahrensleitende Staatsanwältin der StA BE am 17. September 2023 die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungs- und Ausführungsgefahr im Sinne von Art. 224 Abs. 2 StPO. Das regionale Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland (nachfolgend «ZMG BE») bejahte die Ausführungsgefahr und ordnete am 19. September 2023 die Untersuchungshaft im schriftlichen Verfahren an. Die dagegen von A. erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Bern am 6. Oktober 2023 gut und wies die Sache zur Durchführung einer mündlichen Anhörung und neuer Entscheidung an das ZMG BE zurück. Nach Durchführung einer Verhandlung ordnete das ZMG BE am 7. Oktober 2023 gegenüber A. bis zum 14. Dezember 2023 die Untersuchungshaft an (Verfahrensakten BE, grauer Ordner, Lasche Haft).
H. Am 21. September 2023 gelangte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (nachfolgend «GStA BE») an die StA SO und ersuchte um Übernahme des Verfahrens gegen A. Ihr Gesuch begründete sie dahingehend, dass die angezeigten Handlungen am Wohnort von A. im Kanton Solothurn begangen worden seien. Ebenso seien an seinem Wohnort diverse Gegenstände sichergestellt worden, bei denen ein Verstoss gegen das Waffengesetz zu prüfen sei. Schliesslich führe die StA SO gegen A. bereits ein Strafverfahren wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, womit die erste Verfolgungshandlung im Kanton Solothurn erfolgt sei. Die bei der StA SO zuständige Staatsanwältin habe die Zuständigkeit anlässlich des Telefonats anerkannt (act. 1.1).
I. Mit Schreiben vom 27. September 2023 lehnte die StA SO die Übernahme des Verfahrens mit der Begründung ab, anlässlich des Telefonats vom 15. September 2023 habe sich die StA SO bereit erklärt, ihre Zuständigkeit anzuerkennen und habe ersucht, die Verfahrensakten des Kantons Bern mit einer entsprechenden Anfrage zuzustellen. Bereits anlässlich des Telefonats habe die StA SO explizit und unmissverständlich mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht keine Ausführungsgefahr bestehe, weshalb sie die von der StA BE angeregte Verhaftung des Beschuldigten als nicht angezeigt erachtet habe. Die StA BE habe die Situation anders eingeschätzt und habe trotz der angebotenen Verfahrensübernahme entschieden, das Strafverfahren selbst zu führen und diverse Zwangsmassahmen im Kanton Solothurn anzuordnen und vollziehen zu lassen. Mit diesem Verhalten seien nicht nur aufschiebbare Massnahmen i.S.v. Art. 42 Abs. 1 StPO getroffen worden, sondern es sei die Verfahrenshoheit an sich gezogen und damit die Zuständigkeit für die Verfolgung anerkannt worden (act. 1.2).
J. Das daraufhin von der GStA BE gestellte Übernahmeersuchen vom 29. September 2023 lehnte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (nachfolgend «OStA SO») am 11. Oktober 2023 ab und verwies auf die Ausführungen der StA SO im Schreiben vom 27. September 2023. Ergänzend führte sie aus, dass sich die StA BE anlässlich des Telefonats erkundigt habe, wie die StA SO das Verfahren führen und ob sie die Verhaftung des Beschuldigten anordnen würde. Weil die StA SO dies verneint habe, habe sich die StA BE dazu entschlossen, die von der StA SO missbilligte Verhaftung anzuordnen. Damit habe der Kanton Bern gezeigt, dass er das Verfahren so führen wolle, wie er es selbst für richtig halte. Folglich habe er auch das Verfahren zu Ende zu führen. Es könne nicht sein, dass ein Kanton durch die Anordnung von Haft und unmittelbar darauffolge Stellung eines Gerichtsstandsersuchens den anderen Kanton faktisch dazu nötige, ein Verfahren als Haftfall zu führen, welches er auf eine andere Weise führen wolle. Der vom Bundesstrafgericht im Verfahren BG.2022.46 entwickelte Grundsatz, dass die Vornahme von Verfahrenshandlungen trotz klarer Zuständigkeit eines anderen Kantons als konkludente Anerkennung zu werten sei, müsse auch für Sofortmassnahme gelten, sofern diese gegen den erkennbaren Willen des örtlich zuständigen Kantons angeordnet worden seien. Die bei der StA SO zuständige Staatsanwältin habe aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit dem Beschuldigten, ihrer Kenntnis der Vorakten und ihrem regen Austausch mit dem Kantonalen Bedrohungsmanagement den Haftgrund aus der damaligen Optik fundiert beurteilen können. Die OStA SO merkte weiter an, dass aus ihrer Sicht, eine Befragung des Privatklägers zeitnah durchgeführt werden sollte, damit die Tatbestandsmässigkeit beurteilt werden könne. Ihrer Ansicht nach sei der Meinungsaustausch noch nicht abgeschlossen. Nach ihren Informationen würden die Bedrohungsmanagements beider Kantone zeitnah eine Gefährderansprache durchführen, welche im Zusammenhang mit der Frage, ob die Verhaftung hinsichtlich des Haftgrunds der Ausführungsgefahr zu einer relevanten Verschärfung der Situation geführt habe, wichtige Informationen liefern dürfte. Sie schlage vor, dass bis dahin der Kanton Bern das Verfahren führen soll. Nach Vorliegen der obgenannten Informationen könne möglicherweise eine gütliche Einigung gefunden werden (act. 1.3, 1.4).
K. In der Folge gelangte die GStA BE mit Gesuch vom 20. Oktober 2023 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragt, die Behörden des Kantons Solothurn seien zur Verfolgung und Beurteilung der A. vorgeworfenen Delikte für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).
L. Das Schreiben vom 30. Oktober 2023, worin die OStA SO die Abweisung des Gesuchs beantragte, wurde der GStA BE am 3. November 2023 zur Kenntnis gebracht (act. 3, 4).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form; vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. März 2014 E. 1) sind vorliegend erfüllt. Nachdem der Gesuchsteller den Vergleichsvorschlag des Gesuchsgegners am 20. Oktober 2023 abgelehnt hat, stellt der Gesuchsgegner in der Gesuchsantwort den Abschluss des Meinungsaustausches nicht mehr in Frage (act. 3, S. 3).
2.
2.1 Für die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem die Tat verübt worden ist (Art. 31 Abs. 1 und 2 StPO). Der Ausführungsort befindet sich dort, wo der Täter gehandelt hat (BGE 86 IV 222 E. 1). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO).
2.2
2.2.1 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften unter einander auch) einen anderen als den in Art. 31-37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO). Ein solches Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann aus Zweckmässigkeits-, Wirtschaftlichkeits- oder prozessökonomischen Gründen gerechtfertigt sein, soll indes die Ausnahme bleiben (BGE 129 IV 202 E. 2 S. 203; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.8 vom 9. April 2014 E. 2.1 m.w.H.).
2.2.2 Ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand ist unter anderem möglich, wenn ein Kanton seine Zuständigkeit konkludent anerkannt hat (Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2015.50 vom 22. April 2016 E. 2.2; BG.2013.31 vom 28. Januar 2014 E. 2.2; Schweri/Bänziger, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl. 2004, S. 147 ff.). Betrachtet sich die Behörde als unzuständig, so hat sie den Fall rasch an die zuständige Stelle weiterzuleiten (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2013.31 vom 28. Januar 2014 E. 2.2). Wartet sie mit der Gerichtsstandsanfrage zu lange zu bzw. unterlässt sie diese, so ist von einer konkludenten Anerkennung auszugehen (TPF 2011 178 E. 2.1 S. 180; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2006.28 vom 26. September 2006 E. 3.1; vgl. auch Kuhn, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 39 StPO N. 7).
2.2.3 Eine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes darf nicht leichthin angenommen werden. Nach dem Eingang einer Strafanzeige haben die Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen, summarisch und beschleunigt zu prüfen, ob ihre örtliche Zuständigkeit und damit die Gerichtsbarkeit ihres Kantons gegeben ist, um Verzögerungen des Verfahrens zu vermeiden. Die mit der Prüfung befasste Behörde muss alle für die Festlegung des Gerichtsstandes wesentlichen Tatsachen erforschen, die dazu notwendigen Erhebungen durchführen und insbesondere den Ausführungsort ermitteln. Hat der Beschuldigte in mehreren Kantonen delinquiert, so hat jeder Kanton vorerst die Ermittlungen voranzutreiben, die für die Bestimmung des Gerichtsstandes wesentlich sind. Beschränkt sich ein Kanton nicht darauf, sondern nimmt er während längerer Zeit weitere Ermittlungen vor, obwohl längst Anlass bestand, die eigene Zuständigkeit abzuklären, so kann darin eine konkludente Anerkennung erblickt werden. Beschränkt sich die Behörde dagegen im Wesentlichen auf die Abklärung von Tatsachen, die für die Bestimmung des Gerichtsstandes von Bedeutung sind oder führt eine Behörde während der Abklärung der Gerichtsstandsfrage die Strafuntersuchung mit der gebotenen Beschleunigung weiter, so kann darin keine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes gesehen werden. Diese Ermittlungshandlungen haben für sich allein keine zuständigkeitsbegründende Wirkung, denn es wäre unbillig, jene Behörden, welche Abklärungen für die Ermittlung des Gerichtsstandes vornehmen, allein deswegen schon zu verpflichten, nachher auch das ganze Verfahren durchzuführen (TPF 2017 170 E. 3.3.2 m.w.H.).
3.
3.1 In beiden Kantonen ist gegen den Beschuldigten jeweils ein Verfahren wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte hängig. Unbestritten ist zwischen den Parteien, dass die ersten Verfolgungshandlungen im Kanton Solothurn erfolgt sind und der ordentliche Gerichtsstand grundsätzlich dort liegt (act. 1, S. 2 ff.; act. 3, S. 5). Indes vertritt der Gesuchsgegner zusammengefasst die Ansicht, dass triftige Gründe für einen abweichenden Gerichtsstand vorlägen. Der Gesuchsteller habe durch die Anordnung von Zwangsmassnahmen gegenüber dem Beschuldigten seine Zuständigkeit konkludent anerkannt, wobei die inkriminierten E-Mails bei der bernischen Bewährungshilfe bzw. der bernischen Staatsanwaltschaft eingegangen sind, weshalb im Kanton Bern auch ein Anknüpfungspunkt bestehe (act. 3, S. 5 ff.).
3.2 Am 15. September 2023 eröffnete die StA BE gegen den Beschuldigten das Verfahren BJS 23 19913 und kontaktierte am gleichen Tag die StA SO betreffend die Klärung des Gerichtsstandes. Anlässlich des Telefonats zeigte sich die StA SO bereit, das Verfahren im Rahmen einer Gerichtsstandsanfrage zu übernehmen. Anlässlich dieses Telefonats ergab sich sodann, dass die Staatsanwältin der StA BE im Gegensatz zur Staatsanwältin der StA SO eine Ausführungsgefahr annahm und eine Festnahme des Beschuldigten als angezeigt erachtete. Am 15. September 2023 erliess die StA BE nebst dem Hausdurchsuchungsbefehl auch einen Vorführungsbefehl. Obschon diese Zwangsmassnahmen unbestrittenermassen nicht der Klärung des Gerichtsstandes dienten, haben sie entgegen der Ansicht des Gesuchsgegners für sich allein keine zuständigkeitsbegründende Wirkung. Insbesondere stellen diese Massnahmen keine Ermittlungshandlungen während einer längeren Zeit dar, die zur ausnahmsweisen Anerkennung des Gerichtsstandes führen können. Vielmehr sind sie als unaufschiebbare Massnahmen i.S.v. Art. 42 Abs. 1 StPO zu qualifizieren. Die Abtretung eines Strafverfahrens wird erst mit der formellen Gerichtsstandsanerkennung bzw. dem Entscheid im Gerichtsstandskonflikt verbindlich (Echle/Kuhn, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2023, Art. 42 StPO N. 1). Die von der StA SO telefonisch und ohne Aktenkenntnis geäusserte Bereitschaft, das im Kanton Bern hängige Verfahren zu übernehmen, stellte keine Verfahrensübernahme dar und hatte keine Änderung der Zuständigkeit zur Folge. Bis zur Abtretung des Verfahrens liegt die Verfahrensleitung bei der verfahrensführenden Staatsanwältin der StA BE; die Beurteilung der Notwendigkeit und Dringlichkeit von Untersuchungshandlungen im Zusammenhang mit unaufschiebbaren Massnahmen i.S.v. Art. 42 Abs. 2 StPO liegt in ihrer Kompetenz. Der Umstand, dass die StA BE in Bezug auf die geäusserten Todesdrohungen eine Ausführungsgefahr angenommen und dementsprechend, die nach ihrer Beurteilung nicht aufschiebbaren Zwangsmassnahmen beantragt hat, vermag eine konkludente Anerkennung des Gerichtsstandes nicht zu begründen. Dabei spielt auch keine Rolle, ob das ZMG BE bei seinem Entscheid Kenntnis des psychiatrischen Gutachtens vom 20. April 2020 hatte (act. 3, S. 5). Ferner greift auch der Einwand des Gesuchgegners nicht, wonach bei einem solchen Vorgehen der Gesuchsteller den Gesuchgegner zwingen könne, das Verfahren so zu führen, wie er (der Gesuchsteller) es für richtig erachte. Denn bei einem Wechsel der Zuständigkeit ginge auch die Verfahrensleitung über und die Untersuchungsführung läge (auch im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Aufrechterhaltung oder zur Aufhebung der Untersuchungshaft) in der Kompetenz des neu zuständigen Kantons. Der Vollständigkeit halber ist weiter anzumerken, dass die Gerichtsstandsrelevanz von unaufschiebbaren Massnahmen i.S.v. Art. 42 StPO im vom Gesuchsgegner erwähnten Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2022.46 vom 30. Januar 2023 nicht thematisiert wurde, weshalb er vorliegend nicht einschlägig ist.
4. Nach dem Gesagten liegen keine Gründe für die Annahme eines abweichenden Gerichtsstandes vor. Der Antrag des Gesuchstellers ist gutzuheissen und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Solothurn für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die A. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen.
5. Praxisgemäss ist bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten keine Gerichtsgebühr zu erheben (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 Abs. 4 BGG per analogiam; vgl. schon BGE 87 IV 145).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Solothurn sind berechtigt und verpflichtet, die A. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und beurteilen.
2. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
Bellinzona, 24. November 2023
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Zustellung an
- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern
- Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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