Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BE.2023.28 |
Datum: | 15.09.2023 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Untersuchung; VStrR; Schlussprotokoll; Verfahren; Apos;; Entschädigung; Verfügung; Verwaltung; Beschwerdegegner; Verteidigung; Beschwerdeführers; Entscheid; Schlussprotokolls; Gericht; Advokat; Bundesstrafgerichts; Recht; Akten; Leistung; Verfahren; Erlass; Zollstrafuntersuchung; Verteidiger; Gericht; Beschwerdekammer; Stellungnahme; Ansicht |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 66 BGG ;Art. 68 BGG ;Art. 70 MWSTG ; |
Referenz BGE: | 139 IV 261; 147 III 345; ; |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
BV.2022.25, BV.2022.26, BP.2022.54, BP.2022.55
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BV.2022.25–26 Nebenverfahren: BP.2022.54–55 |
Beschluss vom 15. September 2023 Beschwerdekammer | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Roy Garré, Vorsitz, Daniel Kipfer Fasciati und Miriam Forni, Gerichtsschreiber Stephan Ebneter | |
Parteien | 1. A., Advokat, 2. B., vertreten durch Advokat A. Beschwerdeführer | |
gegen | ||
Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Direktionsbereich Strafverfolgung, Beschwerdegegner | ||
Gegenstand | Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 33 Abs. 3 VStrR) und Akteneinsichtsgesuch; aufschiebende Wirkung (Art. 28 Abs. 5 VStrR) |
Sachverhalt:
A. In der am 12. Januar 2017 eröffneten Zollstrafuntersuchung 71-2017.550 gegen B. («Beschwerdeführer 2») wegen Verdachts der Widerhandlung gegen das Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG; SR 631.0) und das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG; SR 641.20) bestellte die Eidgenössische Zollverwaltung (nachfolgend «EZV»; heute Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, nachfolgend «BAZG») am 14. Januar 2017 Advokat A. («Beschwerdeführer 1») als amtlichen Verteidiger für die Dauer der Zollstrafuntersuchung (act. 1.1 S. 1 und act. 1.2).
B.
B.1 Am 10. Mai 2017 erliess die EZV in der Zollstrafuntersuchung gegen B. das Schlussprotokoll und liess ihm dieses zur Stellungnahme zukommen. Zusammengefasst warf sie ihm vor, als Geschäftsführer der C. GmbH und mit D. in den Jahren 2016 und 2017 Frischfleisch von Deutschland in die Schweiz gebracht zu haben, ohne es einer Zollstelle zugeführt oder ordentlich veranlagt zu haben. Dadurch habe er sich der Widerhandlungen gegen das ZG, das MWSTG und das Tierseuchengesetz vom 1. Juli 1966 (TSG; SR 916.40) schuldig gemacht (act. 1.3 und act. 1.14).
B.2 Ebenfalls am 10. Mai 2017 erliess die EZV – gestützt auf das Schlussprotokoll vom 10. Mai 2017 – eine Verfügung über die Leistungspflicht. Darin erwog sie, dass aufgrund der B. vorgeworfenen Widerhandlungen Einfuhrzölle, Mehrwertsteuern und Zinsen im Gesamtbetrag von CHF 444'050.40 nicht bezahlt worden seien. Sie verpflichtete B. – gestützt auf Art. 12 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0) in Verbindung mit Art. 70 ZG und Art. 51 MWSTG und in solidarischer Haftung mit D. und der C. GmbH – zur Leistung dieses Betrages (act. 1.15).
C.
C.1 Am 13. Juni 2017 liess B. seine Stellungnahme zum Schlussprotokoll vom 10. Mai 2017 einreichen. Im Wesentlichen bestritt er den darin aufgeführten Sachverhalt und stellte Beweisanträge (act. 1.6). Gleichentags reichte Advokat A. der EZV als Zwischenrechnung die Honorarnote für seine Bemühungen als amtlicher Verteidiger im Verwaltungsstrafverfahren in der Zeit vom 16. Januar bis 13. Juni 2017 ein (act. 1.5).
C.2 Ebenfalls am 13. Juni 2017 liess B. gegen die Verfügung über die Leistungspflicht vom 10. Mai 2017 durch Advokat A. Beschwerde erheben. Gemäss Beschwerdeentscheid führte er darin unter anderem aus, die Zollkreisdirektion Basel habe den rechtlich relevanten Sachverhalt unrichtig bzw. unvollständig erstellt. Sein Arbeitnehmer, D., habe auf eigene Faust gehandelt, wobei er (B.) ahnungslos gewesen sei (act. 1.3 S. 4).
D. Am 18. August 2017 verfügte die EZV in der Verwaltungsstrafsache 71.2017.550 eine Akontozahlung zu Gunsten des amtlichen Verteidigers in der Höhe von Fr. 10'800.00 inkl. MwSt. mit dem Hinweis, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, weshalb die Honorarforderung noch nicht beurteilt werden könne (act. 1.9).
E. Mit Verfügung vom 7. Mai 2020 hiess die EZV die Beschwerde vom 13. Juni 2017 gegen die Verfügung über die Leistungspflicht vom 10. Mai 2017 gut. Unter anderem führte die Beschwerdeinstanz aus, es lägen Indizien vor, welche auf die B. vorgeworfenen Handlungen hinweisen würden, indessen sei das am 12. Januar 2017 beschlagnahmte Fleisch nicht in den freien Warenverkehr gelangt und in Bezug auf die weiteren Vorwürfe könne kein verlässlicher Schluss gezogen werden, welche Menge Fleisch ohne Zollanmeldung in die Schweiz eingeführt worden sei. Ausgangsgemäss wurde das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltliche Rechtsverbeiständung als gegenstandslos abgeschrieben. B. wurde eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 900.00 zugesprochen, mit der Begründung, dass die Aufwendungen seines Rechtsvertreters in jenem Verfahren im Zusammenhang mit dem Strafverfahren entstanden seien. Das bedeute, dass das Aktenstudium, die Teilnahme an Einvernahmen sowie die entsprechenden Wegzeiten, Korrespondenzen mit der Zollkreisdirektion Basel sowie die gestellten Gesuche um Akteneinsicht bereits im Zusammenhang mit dem Strafverfahren angefallen und mit Honorarnote vom 13. Juni 2017 geltend gemacht worden seien. Diese geltend gemachten Positionen seien mit der vorläufigen Kostengutsprache im Strafverfahren vom 18. August 2017 grösstenteils abgegolten worden. Sodann seien die Beschwerde und die Stellungnahme zum Schlussprotokoll vom 13. Juni 2017, mit Ausnahme des anschliessenden Gesuchs um unentgeltliche Rechtsverbeiständung und der Einreichung entsprechender Belege als Beweismittel, identisch. Da sich die Beschwerde auf die Nachforderung von Abgaben beschränkt habe, hätten sich für den Rechtsvertreter in tatsächlicher Hinsicht keine bedeutenden neuen Herausforderungen ergeben, zumal die sich in diesem Zusammenhang stellenden Beweisfragen auch im Strafverfahren relevant gewesen seien. Mit Ausnahme zweier Abwesenheitsmeldungen seien dem Rechtsvertreter nach Einreichung der Beschwerde keine weiteren Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Beschwerdeverfahren entstanden (act. 1.3).
F. Am 6. Juli 2022 setzte das BAZG in der Verwaltungsstrafsache 71.2017.550 die Entschädigung für Advokat A. auf insgesamt (inkl. Auslagen und MwSt.) Fr. 6'443.28 fest und ordnete die Rückerstattung der darüberhinausgehenden Akontozahlung bzw. von Fr. 4'356.72 an (act. 1.1).
G. Mit Beschwerde vom 19. Juli 2022 gelangt Advokat A. an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt im eigenen Namen (Beschwerdeführer 1) und im Namen von B. (Beschwerdeführer 2) Folgendes (act. 1 S. 4):
1. Es sei [die] Verfügung betreffend die Entschädigung für die Amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 vom 6. Juli 2022 aufzuheben und die Entschädigung des Beschwerdeführers 1 für die […] Amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 für die Periode 16. Januar 2017 bis 17. Oktober 2017 im Strafverfahren 71-2017.550 mit CHF 12'384.90 zzgl. 8% MwSt. (CHF 990.80), somit total CHF 13'375.70 festzulegen.
2. Eventualiter sei die Verfügung betreffend die Entschädigung für die Amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 vom 6. Juli 2022 aufzuheben und zur Neubeurteilung der Entschädigung zugunsten des Beschwerdeführers 1 für die Amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 an die Vorinstanz zurückzuweisen.
3. Es sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, den Beschwerdeführern Akteneinsicht in die Zollstrafuntersuchung 71.2[0]17.550 zu gewähren (insbesondere betreffend Ausgang des Strafverfahrens) und es sei[…] den Beschwerdeführern nach Zustellung der Akten eine Nachfrist von 30 Tagen anzusetzen innert welcher die Beschwerdeführer die Beschwerde rektifizieren oder ggf. zurückziehen können.
4. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
5. Alles unter o/e Kostenfolge.
H. Mit superprovisorischer Verfügung vom 21. Juli 2022 wurde das BAZG angewiesen, bis zum Entscheid über die aufschiebende Wirkung vom Vollzug der angefochtenen Verfügung vom 6. Juli 2022 abzusehen (act. 2).
I. Mit Beschwerdeantwort vom 2. August 2022 beantragt das BAZG (act. 3 S. 2):
1. Die Beschwerde vom 19. Juli 2022 sei teilweise gutzuheissen.
2. Die Entschädigung für die Verteidigung von B. durch Advokat A. sei auf […] Fr. 7'902.50, zuzüglich Auslagen zu Fr. 63.50 und der darauf lastenden Mehrwertsteuer (8%) von Fr. 637.28, insgesamt bestimmt auf Fr. 8'539.78 festzulegen.
3. Advokat A. sei zu verpflichten, dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit innert 30 Tagen seit rechtskräftigem Urteil des Bundesstrafgerichts im Verfahren BV.2022.25–26 Fr. 2'260.22 zurückzuerstatten.
4. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.
5. Unter Kostenfolge.
J. Advokat A. und das BAZG hielten in der Beschwerdereplik vom 9. August 2022 bzw. -duplik vom 18. August 2022 an ihren Anträgen vom 19. Juli 2022 bzw. 2. August 2022 fest (act. 5 und 7). Die Beschwerdeduplik des BAZG wurde Advokat A. mit Schreiben vom 19. August 2022 zur Kenntnis gebracht (act. 8).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gegen den Entscheid, mit welchem die beteiligte Verwaltung die Entschädigung der amtlichen Verteidigung für deren Bemühungen festsetzt, kann Letztere bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde führen (vgl. Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 3 VStrR; Entscheid des Bundesstrafgerichts BK.2005.17 vom 18. November 2005 E. 1.1). Die Beschwerde ist innert 30 Tagen schriftlich und begründet einzureichen (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK.2005.17 vom 18. November 2005 E. 1.2). Mit der Beschwerde kann nur die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden (vgl. Art. 27 Abs. 3 VStrR per analogiam), nicht aber eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder Unangemessenheit (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK.2005.17 vom 18. November 2005 E. 2; vgl. zum Ganzen Tobler/Ronc, Basler Kommentar, 2020, Art. 33 VStrR N. 126 f.).
1.2 Mit der angefochtenen Verfügung setzte der Beschwerdegegner die Entschädigung des Beschwerdeführers 1 fest. Der Beschwerdeführer 1 ist zur Beschwerde gegen die angefochtene Verfügung legitimiert. Auf die im Übrigen form- und fristgerechte (siehe dazu Entscheide des Bundesstrafgerichts BK.2006.1 vom 15. März 2006 E. 1.2; BK.2005.17 vom 18. November 2005 E. 1.2) Beschwerde des Beschwerdeführers 1 ist grundsätzlich (vgl. E. 1.3) einzutreten.
Demgegenüber ist der Beschwerdeführer 2 als amtlich verteidigte Person durch die gemäss Beschwerde zu tief festgesetzte Entschädigung nicht in seinen eigenen Rechten betroffen, weshalb es ihm an einem rechtlich geschützten Interesse an der Erhöhung der Entschädigung fehlt (vgl. BGE 139 IV 261 E. 2.2; Urteile des Bundesgerichts 6B_1/2021 vom 10. Mai 2021 E. 4.2; 6B_805/2018 vom 6. Juni 2019 E. 2.2; 6B_353/2018 vom 30. Mai 2018 E. 2.2). Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers 2 ist nicht einzutreten.
1.3 Der Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren wird durch den angefochtenen Entscheid verbindlich begrenzt und kann vom Beschwerdeführer nicht frei bestimmt werden (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BV.2022.27 vom 10. März 2023 E. 2.3; Entscheid des Bundesstrafgerichts BV.2010.16 vom 1. Oktober 2010 E. 6). Die Frage der Akteneinsicht bildet nicht Gegenstand der angefochtenen Verfügung, so dass mangels Anfechtungsobjekts nicht auf den entsprechenden Beschwerdeantrag einzutreten ist. Ein entsprechendes Ersuchen um Akteneinsicht wäre direkt an den Beschwerdegegner zu richten.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer 1 macht in einem ersten Punkt geltend, dass die vom Beschwerdegegner nicht entschädigten Leistungen zwischen dem 15. Mai und dem 13. Juni 2017 für die Erarbeitung der Stellungnahme vom 13. Juni 2017 gemäss Leistungsdetails zu entschädigen seien.
2.2 In der angefochtenen Verfügung erwog der Beschwerdegegner diesbezüglich, der Beschwerdeführer 1 sei mit Verfügung vom 14. Januar 2017 explizit darauf hingewiesen worden, dass er gestützt auf Art. 33 Abs. 1 VStrR für die Dauer der Zollstrafuntersuchung inkl. Dauer der Untersuchungshaft eingesetzt worden sei und die Untersuchung im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer 2 mit Erlass des Schlussprotokolls vom 10. Mai 2017 abgeschlossen gewesen sei. Die in der Honorarnote nach Erlass des Schlussprotokolls vom 15. Mai 2017 bis 13. Juni 2017 aufgeführten Aufwände (24.35 Std.) und Auslagen (Fr. 191.40) seien somit nicht zu entschädigen. Dem Beschwerdeführer würden ausnahmsweise und ohne präjudizielle Wirkung 2 Std. zugestanden für die Lektüre des Schlussprotokolls und eine kurze Besprechung mit dem Beschwerdeführer 2. In der Beschwerdeantwort hält der Beschwerdegegner daran fest, dass Aufwendungen nach Erlass des Schlussprotokolls am 10. Mai 2017 nicht zu entschädigen seien, anerkennt indessen gleichwohl eine zusätzliche Entschädigung von Fr. 2'096.50 im Sinne eines Entgegenkommens (act. 3).
2.3
2.3.1 Dass die Leistungen zwischen dem 15. Mai und dem 13. Juni 2017 für die Erarbeitung der Stellungnahme vom 13. Juni 2017 gemäss Leistungsdetails zu entschädigen sind, setzt voraus, dass der Beschwerdeführer 1 zu diesem Zeitpunkt als amtliche Verteidigung bestellt war. Der Beschwerdegegner bestellte den Beschwerdeführer 1 mit Verfügung vom 14. Januar 2017 «für die Dauer der Zollstrafuntersuchung» als amtlichen Verteidiger. Nach Ansicht des Beschwerdegegners sei die Zollstrafuntersuchung mit Erlass des Schlussprotokolls abgeschlossen und damit der Beschwerdeführer 1 nicht mehr als amtliche Verteidigung bestellt gewesen.
2.3.2 Die Tragweite des Dispositivs der Verfügung vom 14. Januar 2017 ist unter Heranziehung der Begründung auszulegen (vgl. BGE 147 III 345 E. 6.4.1; 144 I 11 E. 4.2; 143 III 420 E. 2.2; 142 III 210 E. 2.2; 141 III 229 E. 3.2.6).
2.3.3 Der Beschwerdeführer 1 wurde für die Dauer der Untersuchung als amtlicher Verteidiger bestellt. Die Ansicht des Beschwerdegegners, dass diese mit Erlass des Schlussprotokolls abgeschlossen gewesen sei, ist angesichts des Wortlauts und der Systematik des Gesetzes nicht überzeugend. Gemäss Art. 61 Abs. 1 VStrR nimmt der untersuchende Beamte ein Schlussprotokoll auf, wenn er die Untersuchung als vollständig erachtet und nach seiner Ansicht eine Widerhandlung vorliegt («Si le fonctionnaire enquêteur considère que l'enquête est complète et s'il estime qu'une infraction a été commise, il dresse un procès-verbal final»; «Il funzionario inquirente, se reputa completa l'inchiesta e ritiene che un'infrazione sia stata commessa, stende un processo verbale finale»). Als vollständig erachten ist nicht gleichbedeutend mit abgeschlossen sein. Ausserdem ist noch unter dem zweiten Unterabschnitt Untersuchung (Art. 37–61 VStrR) geregelt, dass der untersuchende Beamte das Schlussprotokoll dem Beschuldigten eröffnet und ihm Gelegenheit gibt, sich sogleich dazu auszusprechen, die Akten einzusehen und eine Ergänzung der Untersuchung zu beantragen (Art. 61 Abs. 2 VStrR), was der Beschwerdeführer 2 vorliegend auch getan hat (vgl. oben E. C.1). Im Gesetz gibt es ausserdem Anhaltpunkte, dass die Untersuchung darüber hinaus andauern kann: Gemäss Art. 69 Abs. 1 VStrR kann die Verwaltung, wenn Einsprache gegen den Straf- oder Einziehungsbescheid erhoben ist, die Untersuchung ergänzen. Für Letzteres sprechen auch die Ausführungen in der Botschaft vom 21. April 1971 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (BBl 1971 I 993, 1002 f.): Die Verwaltung erlasse aufgrund der Untersuchungsergebnisse zunächst einen Strafbescheid. Der Beschuldigte, der damit nicht einverstanden sei, könne Einsprache erheben. Die Verwaltung habe hierauf den Fall im Lichte der neuen Vorbringen zu überprüfen, umstrittene Fragen nötigenfalls durch neue Untersuchungsmassnahmen oder eine mündliche Verhandlung abzuklären und hierauf neu zu entscheiden, sei es, dass sie eine Strafverfügung erlasse oder aber das Verfahren einstelle. Dieses administrative Einspracheverfahren biete namentlich den Vorteil, dass es der Verwaltung je nach Umständen erlaube, die Untersuchung anfänglich summarisch zu gestalten und sie dann nötigenfalls im Einspracheverfahren zu vertiefen.
2.3.4 Die Ansicht des Beschwerdegegners lässt sich auch mit seinen Hinweisen auf das Schrifttum (act. 1.1, S. 3; act. 3, S. 3; act. 7, S. 2) nicht überzeugend begründen: Eicker/Frank/Achermann schreiben: «Die Untersuchung wird grundsätzlich mit dem Erlass eines Schlussprotokolls, das dem Beschuldigten eröffnet wird (Art. 61 VStrR) oder – sofern keine Widerhandlung vorliegt – mit einer Einstellungsverfügung (Art. 62 Abs. 1 VStrR) beendet» (Eicker/Frank/Achermann, Verwaltungsstrafrecht und Verwaltungsstrafverfahrensrecht, 2012, S. 142, Hervorhebungen hinzugefügt/unterdrückt). Weiter: «Ist die Bundesverwaltung der Ansicht, alle erforderlichen Untersuchungsmassnahmen ergriffen und alle Beweise erhoben zu haben, die für den Erlass eines Straferkenntnisses notwendig sind und sind damit aus Behördensicht die Voraussetzungen eines Verwaltungsstraftatbestandes erfüllt, so schliesst die Verwaltungsbehörde die Untersuchung durch Abfassen des Schlussprotokolls (vgl. Art. 61 VStrR) vorläufig ab» (Eicker/Frank/Achermann, a.a.O., S. 169, Hervorhebungen hinzugefügt/unterdrückt). Schenk/Rentsch halten – scheinbar kritisch zur Ansicht, dass die Aufnahme des Schlussprotokolls lediglich einen vorläufigen Abschluss der Untersuchung bewirke – auch fest, dass die zuständige Verwaltung den Entscheid zu treffen habe, wenn die Untersuchung – nach allfälliger Ergänzung der Untersuchung, Aufnahme eines neuen Schlussprotokolls und Gelegenheit zur Stellungnahme – definitiv abgeschlossen sei (Basler Kommentar, 2020, Art. 37 VStrR N. 10 u.a. mit Hinweis auf Eicker/Frank/Achermann, a.a.O., S. 169, 243, sowie Hauri, Verwaltungsstrafrecht, 1998, Art. 61 N. 1a [«Mit dem Schlussprotokoll wird die Untersuchung fürs erste abgeschlossen»; Hervorhebung hinzugefügt]).
Die Bedeutung des Schlussprotokolls relativieren Burri/Ehmann, nach welchen es sich beim Schlussprotokoll um eine unverbindliche Mitteilung an die beschuldigte Person handle, wie die Behörde nach ihrem jeweiligen Erkenntnisstand die Untersuchung (vorläufig) abzuschliessen bzw. auf welcher Grundlage sie ihren Entscheid in der untersuchten Strafsache zu treffen gedenke (Burri/Ehmann, Basler Kommentar, 2020, Art. 61 VStrR N. 2). Capus/Beretta halten fest, dass in der Praxis das Untersuchungsverfahren («procédure d'enquête») mit der Ausfertigung («rédaction») des Schlussprotokolls ende. Indessen habe die beschuldigte Person das Recht, weitere Untersuchungshandlungen zu beantragen, so dass das Untersuchungsverfahren wieder aufgenommen werden kann («la procédure d'instruction peut reprendre»), wenn die Behörde entsprechende Anträge gutheisst (Capus/Beretta, Droit pénal administratif, 2021, N. 797).
2.3.5 Schliesslich ist vor allem aber die Begründung der Bestellung der amtlichen Verteidigung durch den Beschwerdegegner in Erinnerung zu rufen. Der Beschwerdegegner stützte sich auf Art. 33 Abs. 1 VStrR, der die amtliche notwendige Verteidigung regelt. Sie bedeutet, dass die beschuldigte Person in Anbetracht der rechtlichen und tatsächlichen Umstände in den verschiedenen Stadien im Verwaltungsstrafverfahren zwingend vertreten sein muss (Tobler/Ronc, Basler Kommentar, 2020, Art. 33 VStrR N. 5). Der Beschwerdegegner ging somit davon aus, dass der Beschwerdeführer 2 angesichts der tatsächlichen und der rechtlichen Umstände nicht in der Lage sei, sich selbst zu verteidigen und ernannte ihm deswegen eine amtliche Verteidigung. Es versteht sich von selbst, dass die Aufnahme eines Schlussprotokolls die mangelnde Fähigkeit der beschuldigten Person ihre Interessen im Verfahren zu wahren, nicht wettmacht. Ob Handlungen vor oder nach der Aufnahme des Schlussprotokolls erfolgen, ändert an der Notwendigkeit der Verteidigung nichts. Tobler/Ronc halten jedenfalls zutreffend fest, dass Art. 33 VStrR für die Dauer ab Eröffnung der Untersuchung bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Strafverfahrens beim zuständigen Gericht greife, wobei ein Widerruf der amtlichen Verteidigung bei Wegfall der in Art. 33 VStrR genannten Voraussetzungen während des gesamten Untersuchungsverfahrens möglich sei (Tobler/Ronc, a.a.O., Art. 33 VStrR N. 16; vgl. zu Art. 33 Abs. 2 VStrR noch weitergehend Meier, Amtliche Verteidigung im Verwaltungsstrafverfahren nach Überweisung an das Strafgericht, AJP 2023, S. 617 ff., 619, nach welchem es nicht nachvollziehbar wäre, weswegen die amtliche Verteidigung sich nicht auf das gerichtliche [Prüfungs-]Verfahren erstrecken solle).
2.3.6 Nach dem Gesagten sind Leistungen des Beschwerdeführers 1 als amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 nach Erlass des Schlussprotokolls vom 10. Mai 2017 grundsätzlich zu entschädigen. Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben und – da sich der Beschwerdegegner in der angefochtenen Verfügung nicht zu den einzelnen Positionen geäussert hat und auch nur sehr ausgewählte Aktenkopien eingereicht hat – zur neuen Entscheidung an den Beschwerdegegner zurückzuweisen.
3. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers 1 einzugehen.
4. Zusammenfassend ist auf die Beschwerde des Beschwerdeführers 2 nicht einzutreten. Die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die Verfügung vom 6. Juli 2022 betreffend Entschädigung des amtlichen Verteidigers ist aufzuheben und zur neuen Entscheidung an den Beschwerdegegner zurückzuweisen.
5. Die Gesuche um aufschiebende Wirkung werden mit dem vorliegenden Entscheid hinfällig. Die entsprechenden Nebenverfahren (BP.2022.54–55) sind als gegenstandslos abzuschreiben.
6.
6.1 Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 2'000.– festzusetzen (vgl. Art. 5 und 8 Abs. 1 des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]). Davon sind dem Beschwerdeführer 2, auf dessen Beschwerde nicht eingetreten wird, Fr. 200.– aufzuerlegen (vgl. Art. 25 Abs. 4 VStrR i.V.m. Art. 66 Abs. 1 BGG analog, siehe dazu TPF 2011 25 E. 3). Im Übrigen ist die Gerichtgebühr auf die Staatskasse zu nehmen (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG analog).
6.2 Dem Beschwerdeführer 2 ist für das vorliegende Verfahren keine Entschädigung zuzusprechen. Dem (weitgehend) obsiegenden Beschwerdeführer 1 ist in analoger Anwendung von Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG eine Entschädigung zuzusprechen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 6B_1284/2015 vom 2. März 2016 E. 2.4). Der Beschwerdeführer 1 hat lediglich Honorarnoten für seine Bemühungen für die Vertretung des Beschwerdeführers 2 eingereicht (act. 1.17, 1.18), nicht jedoch für seine Bemühungen in eigener Sache. Reicht die Anwältin oder der Anwalt die Kostennote nicht spätestens mit der einzigen oder letzten Eingabe ein, so setzt das Gericht das Honorar nach Ermessen fest (Art. 12 Abs. 2 BStKR). Die Entschädigung ist ermessensweise auf pauschal Fr. 2'500.– (inkl. Auslagen und allfällige MwSt.) festzusetzen.
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers 2 wird nicht eingetreten.
2. Die Beschwerde des Beschwerdeführers 1 wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Die Verfügung vom 6. Juli 2022 betreffend Entschädigung des amtlichen Verteidigers wird aufgehoben und zur neuen Entscheidung an den Beschwerdegegner zurückgewiesen.
3. Die Gesuche um aufschiebende Wirkung werden als gegenstandslos abgeschrieben.
4. Die Gerichtsgebühr beträgt Fr. 2'000.–. Sie wird im Umfang von Fr. 200.– dem Beschwerdeführer 2 auferlegt. Im übrigen Umfang wird sie auf die Staatskasse genommen.
5. Dem Beschwerdeführer 2 wird keine Entschädigung zugesprochen.
6. Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer 1 für das vorliegende Verfahren mit Fr. 2'500.– zu entschädigen.
Bellinzona, 19. September 2023
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Advokat A. (im Doppel, für sich und für B.)
- Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Direktionsbereich Strafverfolgung,
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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