Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Berufungskammer |
Fallnummer: | BG.2022.17 |
Datum: | 12.12.2022 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter : | Berufung; Bundes; Platini; Verfahren; Richter; Gericht; Kammer; Ausstand; Eingabe; Gerichtsschreiber; Anschlussberufung; Urteil; Sistierung; Blatter; Berufungskammer; Bundesstrafgerichts; StBOG; Verfahrens; Spruchkörper; Vorsitz; Berufungsverfahren; Vorsitzende; Richtergremium; Andrea; Parteien; Hauptsache; Ausstandsfrage; Beweisanträge |
Rechtskraft: | Kein Weiterzug, rechtskräftig |
Rechtsnorm: | Art. 100 BGG ; Art. 158 StGB ; Art. 2 StGB ; Art. 31 StPO ; Art. 314 StPO ; Art. 315 StPO ; Art. 37 StPO ; Art. 379 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 400 StPO ; Art. 48 BGG ; Art. 58 StPO ; Art. 6 StPO ; Art. 9 BGG ; Art. 97 BGG ; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: CN.2022.15 Hauptgeschäftsnummer CA.2022.25 |
Beschluss vom 12. Dezember 2022 Berufungskammer | ||
Besetzung | Richter Andrea Blum, Vorsitzende Thomas Frischknecht und Beatrice Kolvodouris Janett Gerichtsschreiber Franz Aschwanden | |
Parteien | Bundesanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt des Bundes Thomas Hildbrand, Berufungsführerin / Anklagebehörde und Fédération Internationale de Football Association (FIFA), vertreten durch Rechtsanwältin Catherine Hohl-Chirazi, Anschlussberufungsführerin / Privatklägerin | |
gegen | ||
1. Joseph S. Blatter, erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt Lorenz Erni, Berufungsgegner / Anschlussberufungsgegner / Beschuldigter
2. Michel François Platini, erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt Dominic Nellen, Berufungsgegner / Anschlussberufungsgegner / Beschuldigter
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Gegenstand | 1. Betrug, eventualiter Veruntreuung, subeventualiter ungetreue Geschäftsbesorgung, und Urkundenfälschung (Joseph S. Blatter) 2. Betrug, eventualiter Gehilfenschaft zu Veruntreuung, subeventualiter Gehilfenschaft zu ungetreuer Geschäftsbesorgung, und Urkundenfälschung (Michel François Platini) Berufung (vollumfänglich) der Bundesanwaltschaft vom 17. Oktober 2022 und Anschlussberufung (vollumfänglich) der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) vom 11. November 2022 gegen das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2021.48 vom 8. Juli 2022 Sistierung des Berufungsverfahrens CA.2022.25 |
Auszug aus der Prozessgeschichte:
A. Mit Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2021.48 vom 8. Juli 2022 (TPF pag. 266.930.001 ff.), gleichentags mündlich eröffnet und summarisch begründet (TPF pag. 266.720.071 f.), wurde das Verfahren gegen Joseph S. Blatter (fortan: Blatter) wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 StGB eingestellt. Im Übrigen wurde Blatter freigesprochen. Mit demselben Urteil wurde das Verfahren gegen Michel François Platini (fortan: Platini) wegen Gehilfenschaft zu ungetreuer Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 25 StGB eingestellt. Im Übrigen wurde Platini freigesprochen. Die Anträge der Fédération Internationale de Football Association FIFA (fortan: FIFA) auf Restitution/Einziehung beschlagnahmter Vermögenswerte sowie auf Begründung von Ersatzforderungen und Zusprechung von Vermögenswerten wurden abgewiesen. Das beschlagnahmte Guthaben auf dem Konto […] der Eidgenössischen Finanzverwaltung in Höhe von Fr. 2'229'788.55 (per 30. April 2022) sei an Platini herauszugeben. Die Zivilklagen der FIFA gegen Blatter und Platini wurden jeweils auf den Zivilweg verwiesen.
B. Mit Eingabe vom 15. Juli 2022 meldete die Bundesanwaltschaft (fortan: BA) Berufung an und ersuchte u.a. um Zustellung des schriftlich begründeten Urteils (CAR pag. 1.100.001 f.; -106 f.). Mit Eingabe vom 18. Juli 2022 meldete die FIFA ebenfalls Berufung an und ersuchte um Zustellung des schriftlich begründeten Urteils (CAR pag. 1.100.108).
C. Mit Schreiben vom 28. Juli 2022 erklärte Olivier Thormann im vorliegenden Verfahren seinen Ausstand als Berufungsrichter sowie spruchkörperbildender Kammerpräsident, womit die Zuständigkeit zur Spruchkörperbildung gemäss Art. 56 Abs. 2 StBOG und Art. 15 BStGerOR auf die Vizepräsidentin der Berufungskammer, die als Vorsitzende des vorliegenden Spruchkörpers amtet, überging (CAR pag. 1.100.003)
D. Das schriftlich begründete Urteil der Strafkammer SK.2021.48 vom 8. Juli 2022 (CAR pag. 1.100.006 ff.) wurde am 28. September 2022 an die Parteien versandt (CAR pag. 1.100.105-109) und am 29. September 2022 von der FIFA (pag. 1.100.111) bzw. am 30. September 2022 von der BA (CAR pag. 1.100.110) postalisch entgegengenommen.
E. Mit Eingabe vom 17. Oktober 2022 erklärte die BA (vollumfängliche) Berufung gegen das Urteil der Strafkammer SK.2021.48 vom 8. Juli 2022 (CAR pag. 1.100.128 ff.).
F. Mit Eingangsanzeige vom 21. Oktober 2022 wurden die Parteien über den Eingang der Berufungserklärung der BA vom 17. Oktober 2022 gegen das Urteil der Strafkammer SK.2021.48 vom 8. Juli 2022 informiert. Ihnen wurde der Spruchkörper (Andrea Blum als Vorsitzende; Thomas Frischknecht und Beatrice Kolvodouris Janett als Beisitzer; Franz Aschwanden als Gerichtsschreiber) bekanntgegeben und sie wurden auf die Möglichkeit hingewiesen, gegen jedes Mitglied des Spruchkörpers ohne Verzug bei der Verfahrensleitung ein Ausstandsgesuch zu stellen (Art. 56 und Art. 58 Abs. 1 StPO; CAR pag. 1.200.001 f.). Ausserdem wurde die Berufungserklärung der BA vom 17. Oktober 2022 an die Parteien übermittelt mit der Gelegenheit zur Beantragung des Nichteintretens bzw. zur Erklärung der Anschlussberufung und zum Stellen von Beweisanträgen (Art. 400 Abs. 3 lit. a und b StPO; Art. 401 Abs. 1 i.V.m. Art. 399 Abs. 3 StPO; CAR pag. 1.400.001 f.).
G. Mit Eingabe vom 31. Oktober 2022 (CAR pag. 2.104.001 ff.) stellte Platini folgende Anträge:
1. Die Vizepräsidentin Andrea Blum, Vorsitz, sei in den Ausstand zu versetzen;
2. Die nebenamtliche Richterin Beatrice Kolvodouris Janett, Beisitz, sei in den Ausstand zu versetzen;
3. Der nebenamtliche Richter Thomas Frischknecht, Beisitz, sei in den Ausstand zu versetzen;
4. Der Gerichtsschreiber Franz Aschwanden sei in den Ausstand zu versetzen;
5. Sämtliche Verfahrenshandlungen, an welchen Vizepräsidentin Andrea Blum mitgewirkt habe, seien gemäss Art. 60 StPO zu wiederholen;
6. Sofern die in den vorgenannten Ziff. l bis 4 genannten Personen sich dem Ausstandsgesuch widersetzen, hätte der Präsident des Bundesstrafgerichts – entsprechend Art. 38c StBOG – aus der Zahl der Obergerichtspräsidenten und -präsidentinnen der Kantone durch das Los einen Spruchkörper mit ausserordentlichen nebenamtlichen Richtern und Richterinnen inkl. einer ausserordentlichen Gerichtsschreiberin / einem ausserordentlichen Gerichtsschreiber zu bezeichnen;
7. ln der Hauptsache selber (Berufungsverfahren) habe der Präsident des Bundesstrafgerichts – wiederum entsprechend Art. 38c StBOG – aus der Zahl der Obergerichtspräsidenten und -präsidentinnen der Kantone durch das Los einen Spruchkörper aus ausserordentlichen nebenamtlichen Richtern und Richterinnen inkl. einer ausserordentlichen Gerichtsschreiberin / einem ausserordentlichen Gerichtsschreiber zu bezeichnen; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zzgl. 7.7 % MWST.
H. Am 3. November 2022 übermittelte die Vorsitzende die erwähnte Eingabe vom 31. Oktober 2022 an den Präsidenten des Bundesstrafgerichts zwecks Durchführung des Procederes gemäss Art. 38c StBOG (Auslosung von drei ausserordentlichen nebenamtlichen Richterpersonen sowie einer ausserordentlichen Gerichtsschreiberperson zwecks Entscheidung der Ausstandsfrage und nötigenfalls in der Hauptsache) und stellte die anschliessende Sistierung des Verfahrens in Aussicht (CAR pag. 2.200.001 ff.).
I. Mit Eingabe vom 11. November 2022 erklärte die FIFA (vollumfängliche) Anschlussberufung gegen das Urteil der Strafkammer SK.2021.48 vom 8. Juli 2022 (CAR pag. 1.400.003 ff.). Die Anschlussberufung wurde mit Schreiben vom 15. November 2022 an die Parteien übermittelt mit der Gelegenheit zur Beantragung des Nichteintretens (Art. 400 Abs. 3 lit. a StPO analog; CAR pag. 1.400.019 f.).
J. Mit Eingabe vom 14. November 2022 stellte Platini insgesamt 15 ausführlich begründete Beweisanträge (CAR pag. 2.104.067-077).
K. Mit Eingaben vom 6. Dezember 2022 beantragten Blatter (CAR pag. 1.400.034-037) und Platini (CAR pag. 1.400.021-033), dass auf die Anschlussbe—rufung der FIFA vom 11. November 2022 nicht einzutreten sei.
Die Berufungskammer erwägt:
1. Die Sistierung eines Rechtsmittel- bzw. Berufungsverfahrens ist in der Strafprozessordnung nicht direkt geregelt. Als analog anwendbare Bestimmung kommt einerseits Art. 329 Abs. 2 (i.V.m. Art. 379) StPO in Betracht. Danach sistiert das Gericht ein Verfahren, wenn sich in dessen Verlauf ergibt, dass ein Urteil zurzeit nicht ergehen kann (zum Umfang des Verweises in Art. 379 StPO Ziegler/Keller, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 379 StPO N. 4). Andererseits regelt Art. 314 StPO die Sistierung von Strafuntersuchungen durch die Staatsanwaltschaft, wobei diese Bestimmung in Gerichts- bzw. Rechtsmittelverfahren analog anwendbar ist. Gemäss Art. 314 Abs. 1 lit. c StPO kann eine Untersuchung beispielsweise sistiert werden, wenn der Ausgang des Strafverfahrens von einem anderen Verfahren abhängt und es angebracht erscheint, dessen Ausgang abzuwarten. Die in Art. 314 Abs. 1 StPO genannten Anwendungsfälle der Sistierung gelten als exemplikativ, sind also nicht abschliessend. Die Sistierung steht in einem Spannungsverhältnis zum Beschleunigungsgebot (Art. 5 StPO). Entsprechend ist sie sehr zurückhaltend und bloss über kurze Zeitdauer anzuwenden (vgl. Omlin, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 314 StPO N. 9 und 11; Landshut/Bosshard, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, Art. 314 StPO N. 3 f.). Bei Wegfall des Sistierungsgrundes ist das Verfahren von Amtes wegen unverzüglich weiterzuführen (vgl. Art. 315 Abs. 1 StPO), was formlos erfolgen kann, da die Sistierung keine materielle Rechtskraft erlangte. Die Weiterführung des Verfahrens bzw. die Wiederanhandnahme ist nicht anfechtbar (vgl. Art. 315 Abs. 2 StPO). Da es sich diesbezüglich um einen nicht anfechtbaren Zwischenentscheid handelt, ist auch eine Strafrechtsbeschwerde ans Bundesgericht nicht möglich (Art. 93 BGG; vgl. Omlin, a.a.O., Art. 315 StPO N. 4 ff.; Landshut/Bosshard, a.a.O., Art. 314 StPO N. 2).
2. Mit Platinis Eingabe vom 31. Oktober 2022 wird im vorliegenden Berufungsverfahren CA.2022.25 der Ausstand sämtlicher Mitglieder des Spruchkörpers beantragt (Ziffern 1 - 4). Mit Schreiben der Vorsitzenden vom 3. November 2022 wurde der Gesamtgerichtspräsident des Bundesstrafgerichts um die Durchführung des Procederes gemäss Art. 38c StBOG (Auslosung von drei ausserordentlichen nebenamtlichen Richterpersonen sowie einer ausserordentlichen nebenamtlichen Gerichtsschreiberperson) ersucht, damit dieses Richtergremium über die Ausstandsfrage (und nötigenfalls in der Hauptsache) entscheiden möge.
3. Bis zum Entscheid des gemäss Art. 38c StBOG definierten ausserordentlichen Richtergremiums über die vorliegende Ausstandsfrage würde die Fortführung des Berufungsverfahrens wenig Sinn machen. Falls die Berufungskammer das Verfahren ungeachtet dieser ungeklärten Frage fortsetzen würde, bestünde die Gefahr, dass die entsprechenden Verfahrenshandlungen (insbesondere die Behandlung der Beweisanträge von Platini vom 14. November 2022) je nach Entscheid über die Ausstandsfrage allenfalls wiederholt werden müssten. Aus Gründen der Verfahrensökonomie drängt sich somit – nach bereits erfolgter Vornahme der gesetzlich vorgesehenen Übermittlungen der Berufungs-/Anschlussberufungserklärungen bzw. dem Ablauf der jeweiligen 20-tägigen Frist zur Beantragung des Nichteintretens (Art. 400 Abs. 3 StPO analog) – eine Sistierung des Berufungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Entscheid des gemäss Art. 38c StBOG definierten ausserordentlichen Richtergremiums über die vorliegende Ausstandsfrage auf. Die Behandlung der von Platini eingereichten Beweisanträge sowie der Anträge von Blatter und von Platini betreffend Nichteintreten auf die Anschlussberufung der FIFA, wird nach Wiederaufnahme des Verfahrens dem in der Hauptsache zuständigen Richtergremium obliegen.
4. Das Verfahren bleibt auch während der Sistierung bei der Berufungskammer hängig. Zurzeit sind keine weiteren Anordnungen angezeigt (vgl. Art. 329 Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 379 StPO).
5. Für diesen Beschluss werden weder Gerichtsgebühren erhoben noch Parteikosten ausgeschieden.
Die Berufungskammer erkennt:
1. Das Berufungsverfahren CA.2022.25 wird bis zum Entscheid des im Sinne von Art. 38c StBOG definierten ausserordentlichen Richtergremiums über das vorliegende Ausstandsgesuch vom 31. Oktober 2022 sistiert.
2. Die Behandlung der von Platini eingereichten Beweisanträge sowie der Anträge von Blatter und von Platini betreffend Nichteintreten auf die Anschlussberufung der FIFA wird nach Wiederaufnahme des Verfahrens dem in der Hauptsache zuständigen Richtergremium obliegen.
3. Für diesen Beschluss werden weder Gerichtsgebühren erhoben noch Parteikosten ausgeschieden.
Im Namen der Berufungskammer
des Bundesstrafgerichts
Die Vorsitzende Der Gerichtsschreiber
Andrea Blum Franz Aschwanden
Beilagen:
- Eingabe von RA Nellen vom 14. November 2022 (CAR pag. 2.104.067-077)
- Eingabe von RA Erni vom 6. Dezember 2022 (CAR pag. 1.400.034-037)
- Eingabe von RA Nellen vom 6. Dezember 2022 (CAR pag. 1.400.021-033)
Zustellung an (Gerichtsurkunde):
- Bundesanwaltschaft
- Frau Rechtsanwältin Dr. Catherine Hohl-Chirazi
- Herrn Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni
- Herrn Rechtsanwalt Dominic Nellen
Rechtsmittelbelehrung
Beschwerde an das Bundesgericht
Gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts kann beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, innert 30 Tagen nach Zustellung der vollständigen Ausfertigung Beschwerde eingelegt werden (Art. 78, Art. 80 Abs. 1, Art. 93 und Art. 100 Abs. 1 BGG). Für die Beschwerde ans Bundesgericht gelten die Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1, 95 lit. a und b sowie Art. 97 Abs. 1 BGG.
Die Fristeinhaltung bei Einreichung der Beschwerdeschrift in der Schweiz, im Ausland bzw. im Falle der elektronischen Einreichung ist in Art. 48 Abs. 1 und 2 BGG geregelt.
Versand: 12. Dezember 2022
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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