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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Strafkammer
Fallnummer:BB.2023.2
Datum:01.12.2022
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Sicherheit; Bundes; Flucht; Sicherheitshaft; Massnahme; Fluchtgefahr; Sinne; Person; Kammer; Urteil; Gericht; Massnahmen; Schweiz; Taten; Untersuchungs; Bundesgericht; Wiederholungsgefahr; Verfahren; Briefe; Bundesanwaltschaft; Entscheid; Sicherung; Behandlung; Haftgr; Bundesgerichts; ücksichtigen
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 14 StGB ; Art. 18 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 22 StPO ; Art. 221 StPO ; Art. 224 StGB ; Art. 226 StGB ; Art. 227 StPO ; Art. 229 StPO ; Art. 23 StPO ; Art. 231 StPO ; Art. 237 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 5 EMRK ; Art. 5 StGB ; Art. 6 StGB ; Art. 91 StPO ;
Referenz BGE:117 Ia 69; 143 IV 9; 145 IV 503; ;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

SN.2022.16

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: SN.2022.16

(Hauptgeschäftsnummer: SK.2022.40)

Beschluss vom 1. Dezember 2022 Strafkammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Sylvia Frei, Vorsitz

Stefan Heimgartner und Alberto Fabbri,

Gerichtsschreiber David Heeb

Parteien

Bundesanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt des Bundes Nils Eckmann,

gegen

A., zzt. Justizvollzugsanstalt U., amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin Michèle Akermann,

Gegenstand

Sicherheitshaft (Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO)

Die Strafkammer erwägt:

1. Mit Urteil vom 1. Dezember 2022 (Geschäftsnummer: SK.2022.40) stellte die Strafkammer des Bundesstrafgerichts fest, dass A. die Tatbestände der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu schwerer Körperverletzung im Sinne von Art. 260bis Abs. 1 lit. c StGB, des Herstellens von Sprengstoffen und giftigen Gasen im Sinne von Art. 226 Abs. 1 StGB, des Verbergens und Weiterschaffens von Sprengstoffen und giftigen Gasen im Sinne von Art. 226 Abs. 2 StGB, der Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht im Sinne von Art. 224 Abs. 2 StGB, der mehrfachen versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, der Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 StGB, des mehrfachen unbefugten Verkehrs mit Sprengmitteln im Sinne von Art. 37 Ziff. 1 SprstG und der mehrfachen Widerhandlungen gegen das Waffengesetz im Sinne von Art. 33 WG im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 StGB begangen hat. Es wurde eine stationäre Massnahme i.S.v. Art. 59 StGB angeordnet.

2. Am 26. Januar 2022 wurde A. festgenommen. Mit Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Bern vom 28. Januar 2022 wurde er für die Dauer von drei Monaten bis zum 25. April 2022 in Untersuchungshaft versetzt. Die Untersuchungshaft wurde bis am 25. September 2022 verlängert. Mit Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Bern vom 28. September 2022 wurde die Sicherheitshaft angeordnet und A. wegen Fluchtgefahr bis am 8. Dezember 2022 in Sicherheitshaft versetzt.

3. Gemäss Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO entscheidet das erstinstanzliche Gericht mit dem Urteil, ob eine verurteilte Person zur Sicherung des Straf- oder Massnahmenvollzugs in Sicherheitshaft zu setzen oder zu behalten ist.

4. Im Anschluss an die mündliche Urteilsverkündung vom 1. Dezember 2022 führte die Strafkammer eine Haftverhandlung durch und gewährte den Parteien das rechtliche Gehör zur Frage der Fortsetzung der Sicherheitshaft zur Sicherung des Massnahmenvollzuges im Sinne von Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO. Die Verteidigung beantragte sinngemäss eine Nichtverlängerung der Haft, unter Hinweis auf die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung nach Art. 63 StGB. A. erklärte im Rahmen der Hafteinvernahme, dass er keine stationäre Massnahme wolle. Die Bundesanwaltschaft beantragte die Verlängerung der Sicherheitshaft um drei Monate.

5. Die Sicherheitshaft setzt zunächst voraus, dass die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist (Art. 221 Abs. 1 StPO).

Diese Voraussetzung ist mit dem erstinstanzlichen Urteil, wonach A. im Zustand der Schuldunfähigkeit unter anderem die Tatbestände von drei Verbrechen (Art. 226 Abs. 1 und 2 StGB, Art. 260bis Abs. 1 lit. c StGB) erfüllte, gegeben. Auf die Frage des Tatverdachts ist daher nicht näher einzugehen.

6.

6.1 Weiter wird ein besonderer Haftgrund (Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr) verlangt (Art. 221 Abs. 1 lit. a-c StPO).

a) Mit dem Haftgrund der Fluchtgefahr, welcher in Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK speziell erwähnt wird, soll verhindert werden, dass sich die beschuldigte Person dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Hug/Scheidegger, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, Art. 221 StPO N. 12). Zu den Sanktionen gehören Strafen und Massnahmen (z.B. stationäre Massnahmen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe (respektive Massnahme) durch Flucht entziehen würde (BGE 117 Ia 69 E. 4a). Es kam im Zusammenhang mit der Frage der Überhaft zum Schluss, dass die Aussicht auf eine stationäre Massnahme die Fluchtgefahr erhöhen könnte (Urteil des Bundesgerichts 1B_292/2014 vom 15. September 2014 E. 3.3.2 ff.). Die Schwere der drohenden Sanktionen darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondre die gesamten Lebensverhältnisse des Beschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 117 Ia 69 E. 4a; Forster, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 221 StPO N. 5). Nach der Praxis (Weiterführung der Urteile des Bundesgerichts 1B_102/2011 vom 22. März 2011 E. 3.5, und 1B_99/2011 vom 28. März 2011 E. 2.3) sind dafür die gesamten Umstände des Einzelfalls wie familiäre, berufliche und soziale Bindungen zur Schweiz bzw. zum Ausland zu berücksichtigen (Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 221 StPO N. 6). Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr sind auch der Charakter des Beschuldigten, seine finanziellen Ressourcen, sein Bezug zum Land, welches ihn strafrechtlich verfolgt, und seine Kontakte zum Ausland zu analysieren. Auch psychische Auffälligkeiten, die auf eine besondere Neigung zu Impulsdurchbrüchen bzw. «Kurzschlusshandlungen» schliessen lassen, können eine Fluchtgefahr erhöhen (Forster, a.a.O., Art. 221 StPO N. 5).

b) Der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO setzt voraus, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die beschuldigte Person durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat. Bei den verlangten Vortaten muss es sich um Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter gehandelt haben, wie sie im hängigen Untersuchungsverfahren massgeblich sind. Die früher begangenen Straftaten können sich aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie können jedoch auch Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs- und Sicherheitshaft stellt, sofern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Der Nachweis, dass die beschuldigte Person eine Straftat verübt hat, gilt bei einem glaubhaften Geständnis oder einer erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 143 IV 9 E. 2.3.1; 137 IV 84 E. 3.2). Erweisen sich die Risiken als untragbar hoch, kann vom Vorstrafenerfordernis sogar ganz abgesehen werden. Aufgrund einer systematisch-teleologischen Auslegung von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, es habe nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen, mögliche Opfer von schweren Gewaltdelikten einem derart hohen Rückfallrisiko auszusetzen (BGE 143 IV 9 E. 2.3.1; 137 IV 13 E. 3 f.). Die Begehung der in Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO genannten schweren Delikte muss ferner ernsthaft zu befürchten sein (BGE 143 IV 9 E. 2.3.2). Ob diese erfüllt ist, ist anhand einer Legal- bzw. Rückfallprognose zu beurteilen (BGE 143 IV 9 E. 2.8). Erforderlich ist eine sehr ungünstige Rückfallprognose. Dabei sind insbesondere die Häufigkeit und Intensität der untersuchten Delikte sowie die einschlägigen Vorstrafen zu berücksichtigen. Allerdings hat das Bundesgericht das Erfordernis der sehr ungünstigen Rückfallprognose in mehreren unpublizierten Urteilen in Bezug auf schwere Gewalt- und Sexualdelikte relativiert und festgehalten, aus Gründen des Opferschutzes dürften insoweit keine allzu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls gestellt werden (BGE 143 IV 9 E. 2.3.2).

6.2 a) A. ist […] und […] Staatsangehöriger. Er ist […] Muttersprache und spricht Deutsch. Die Einvernahme an der Hauptverhandlung konnte weitgehend ohne Dolmetscher durchgeführt werden. A. lebt getrennt von seiner Frau und hat drei erwachsene Kinder. Zu Gunsten von ihm ist zu berücksichtigen, dass er in der Schweiz über einen Aufenthaltstitel (Niederlassungsbewilligung) verfügt und Familienmitglieder hat. Auch das gesetzte Alter von A. spricht grundsätzlich gegen eine Änderung der Lebensumstände, wie sie eine Flucht mit sich bringen würde. Was die weiteren familiären Verhältnisse anbelangt, so sind diese zu weiten Teilen unbekannt. Erstellt ist jedoch, dass die familiären Beziehungen aufgrund der psychischen Verfassung von A. belastet sind. Die älteste Tochter, C., gab am 9. Februar 2022 bei der Bundeskriminalpolizei als Zeugin zu Protokoll, dass in der Beziehung zu ihrem Vater «etwas kaputtgegangen» sei (BA pag. 12-04-0003). Ihre Mutter habe ihn nach der Diagnose aus der Wohnung «rausgeschmissen» (BA pag. 12-04-0004). Zu berücksichtigen ist aber, dass zwei seiner Kinder, C. und D., am 1. Dezember 2022 die Hauptverhandlung (SK.2022.40) im Zuschauerbereich mitverfolgten. Es war ihnen offensichtlich ein Anliegen, ihren Vater während des Prozesses moralisch zu unterstützen. Dies zeigt, dass zwischen ihnen zumindest noch ein Mindestmass an familiärer Beziehung vorhanden ist. Es lag ihm auch viel daran, seine zwei Kinder in der Prozesspause sehen zu können. Zu Lasten von A. ist aber zu berücksichtigen, dass er an der Hauptverhandlung aussagte, man könne ihn des Landes verweisen und dafür auf die Verhängung einer stationären Massnahme verzichten. Dies spricht gegen eine besondere familiäre Bindung in der Schweiz, die ihn von einer Flucht in das Ausland abhalten könnte. Die Aussage dürfte aber wohl auch auf seine psychische Erkrankung zurückzuführen gewesen sein, weshalb ihr das Gericht nur untergeordnete Bedeutung zumisst.

b) Was schliesslich seine Kontakte zum Ausland anbelangen, so ist festzuhalten, dass er sich rund zweimal im Jahr in Serbien aufhält, wo er seine Mutter und Kollegen besucht. Er hat somit in Serbien nach wie vor familiäre und andere Bezugspersonen. Seine enge Bindung zu seinem Heimatland und seinem dortigen sozialen Umfeld belegt aber auch sein rund dreimonatiger Aufenthalt von ca. Mitte Oktober 2021 bis Januar 2022, während dem er sich dort gesundheitlich hat behandeln lassen.

c) Die Fluchtgefahr wird zusätzlich dadurch akzentuiert, dass A. aufgrund der Haft seine Wohnung aufgeben musste und über kein Domizil mehr verfügt. Hinzu kommt, dass er in der Schweiz in prekären finanziellen Verhältnissen lebte. Er bezog Sozialhilfe und es bestehen gegen ihn nicht getilgte Verlustscheine im Gesamtbetrag von Fr. 11'173.60. A. hat überdies bereits seinen Fluchtwillen manifestiert: nach den Meldungen an die B. im Zusammenhang mit den inkriminierten Straftaten ist er untergetaucht und konnte erst nach einer Verfolgung angehalten und festgenommen werden. Bemerkenswert ist dabei seine Aussage in der Schlusseinvernahme bei der Bundesanwaltschaft vom 21. Juni 2022, wonach er die Reifen des Polizeifahrzeuges aus Angst vor einer Verfolgung zerstochen habe (BA pag. 13-00-0061).

d) Aber auch mit Blick auf die angeordnete Sanktion besteht mehr als nur eine theoretische Möglichkeit, dass sich A. der stationären Massnahme entziehen und sich nach Serbien absetzen könnte, zumal ihm aufgrund der diagnostizierten schizoaffektiven Störung und seiner Persönlichkeit die nötige Behandlungseinsicht fehlt. Für die latente Fluchtgefahr spricht ausserdem, dass er sich aufgrund der angeordneten stationären Massnahme einer längeren Behandlung zu unterziehen hat, deren Notwendigkeit er nicht einsieht. Die Versuchung, sich in dieser Situation der drohenden Verantwortung zu entziehen, ist deshalb besonders gross. Nach dem Gesagten bestehen genügend Anhaltspunkte, wonach A. gewillt sein könnte, sich der stationären Massnahme zu entziehen. Die Fluchtgefahr ist damit manifest.

e) Die Fluchtgefahr ist insgesamt zu bejahen.

6.3 a) Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist ebenfalls gegeben. Vorab ist festzustellen, dass vom Vorstrafenerfordernis abgesehen werden kann, weil die Beweislage im Hauptverfahren (SK.2022.40) bezüglich der begangenen schweren Straftaten erdrückend ist. Ausserdem ist die Rückfallgefahr hoch. Aufgrund der aktuell fehlenden Bereitschaft von A., sich einer Behandlung zu unterziehen, ist die Gefahr, dass er weitere Straftaten begehen könnte, imminent. Dem Gutachten von Dr. med. E. vom Forensischen Dienst der V. Psychiatrie vom 13. Mai 2022 ist zu entnehmen, dass die Kriminalprognose von A. massgeblich von der psychischen Grunderkrankung abhängt. Aufgrund der aktuellen, nicht hinreichenden Bereitschaft von A., sich einer Behandlung zu unterziehen, ist die Wahrscheinlichkeit von Gewaltdelikten hoch. Der Gutachter kam zu Schluss, dass das Risiko erneuter Handlungen entsprechend den Deliktsvorwürfen hoch ist. Grundsätzlich ist auch mit schweren Tatfolgen zu rechnen. (BA pag. 17-00-0108)

b) A. gefährdet aufgrund seiner aktuellen psychischen Erkrankung die öffentliche Sicherheit, weshalb aus Gründen des Opferschutzes per se nicht allzu hohe Anforderungen an die Rückfallgefahr gestellt werden dürfen (vgl. E. 6.1 b). A. hat Personen nicht nur mit Sprengstoff gefährdet, sondern auch massive Drohungen ausgesprochen. Die massiven Drohungen äussert er nach wie vor. Die Wiederholungsgefahr manifestiert sich aktuell in seinen rund 30 – teils nicht weitergeleiteten – Briefen, welche er in der Untersuchungs- und Sicherheitshaft verfasste (BA pag. 06-03-0001 ff.; TPF pag. 6.231.7.011 ff.; 6.231.7.018 ff.; 6.231.7.029 ff.). Die Briefe zeugen sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der Äusserungsart von ähnlichen Verletzungsabsichten und Drohungen, wie diejenigen, welche zur Anklage gebracht wurden (vgl. BA pag. 6.231.7.026). Exemplarisch sind zwei Briefe von A. an F. zu erwähnen, welche bei der Bundesanwaltschaft am 9. November 2022 – nota bene rund drei Wochen vor der Hauptverhandlung – eingingen. Hintergrund der Briefe ist das im Hauptverfahren SK.2022.40 angeklagte Delikt wegen versuchter Nötigung zum Nachteil vom Sohn von F. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass A. ihm telefonisch mitteilte, dass er seinen Sohn kaputtschlagen und eines Tages umbringen werde. Aus beiden erwähnten Briefen geht klar hervor, wie tiefgründig seine negativen Gefühle gegenüber der Familie G. nach wie vor sind. Er beschimpft und bedroht in den Briefen die gesamte Familie in vulgärer Art und Weise. A. würdigt insbesondere F. herab und stellt eine Art physischen Machtkampf in Aussicht (TPF pag. 6.231.7.025 ff). Auch der Nachtragsbericht der Justizvollzugsanstalt U. vom 29. November 2022 spricht klar für eine Rückfallgefahr. So musste für A. ein «Dreier-Setting» eingesetzt werden, um präventiv mögliche Übergriffe auf das Personal zu verhindern. Nach Ansicht der Justizvollzugsanstalt kann nur mit einer Korrespondenzkontrolle verhindert werden, dass A. Drohungen gegenüber Familienangehörigen oder Drittpersonen nicht vornehmen kann. Die Wiederholungsgefahr ist daher als hoch zu qualifizieren.

7. Das Gericht hat bei einer Anordnung von Sicherheitshaft immer das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu wahren. Eine Haftentlassung unter Anordnung von Ersatzmassnahmen (Art. 237–240 StPO) ist von Amtes wegen zu prüfen.

7.1 Angesichts des empfindlichen Freiheitsentzuges im Zusammenhang mit der angeordneten stationären Massnahme und der bisherigen Haftdauer von 310 Tagen besteht derzeit keine Gefahr einer zu langen Haft. Die Verhältnismässigkeit einer verlängerten Sicherheitshaft ist somit gewahrt.

7.2 Geeignete Ersatzmassnahmen, um die Flucht- oder Wiederholungsgefahr zu beseitigen, sind nicht ersichtlich. Ausweis- und Schriftensperre, eine Meldepflicht oder eine elektronische Überwachung («Electronic Monitoring») vermögen eine erhebliche Fluchtgefahr i.d.R. nicht zu bannen (BGE 145 IV 503 E. 3.2 f.; Urteil des Bundesgerichts 1B_211/2022 vom 18. Mai 2022 E. 2.4 und 3.3). Die Beschlagnahme des Reisepasses wäre schon deshalb nicht zielführend, da die schweizerischen Behörden den ausländischen, trotz Informationen bezüglich der Schriftensperre, nicht verbieten können, der betroffenen Person neue Papiere auszustellen (Urteil des Bundesgerichts 1B_142/2021 vom 15. April 2021 E. 5; Beschluss der Strafkammer SN.2014.8 vom 3. Juni 2014 E. 2.3; Härri, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 237 StPO N. 9). Eine Schriftensperre gegenüber ausländischen Staatsangehörigen fällt deshalb i.d.R. ausser Betracht (Härri, a.a.O., Art. 237 StPO N. 9). Die Anordnung einer Sicherheitsleistung steht aufgrund der finanziellen Situation von A. ausser Frage. Geeignete Ersatzmassnahmen fallen somit nicht in Betracht.

8. Nach dem Gesagten ist A. zur Sicherung des Massnahmenvollzugs weiterhin in Sicherheitshaft zu behalten (Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO).

9. Die Verlängerung der Untersuchungshaft wird jeweils für längstens drei Monate, in Ausnahmefällen für längstens sechs Monate bewilligt (Art. 227 Abs. 7 StPO). Diese Befristung gilt auch für die Sicherheitshaft (vgl. Art. 229 Abs. 3 lit. b StPO). Gemäss Art. 227 Abs. 7 StPO ist die Untersuchungshaft – bzw. analog die Sicherheitshaft – für längstens drei Monate, in Ausnahmefällen für längstens sechs Monate zu bewilligen. Ein Ausnahmefall liegt nicht vor. A. ist zur Sicherung des Massnahmenvollzuges bis 28. Februar 2023 in Sicherheitshaft zu behalten.

10. Für diesen Entscheid sind keine Kosten zu erheben.

Die Strafkammer beschliesst:

1. A. wird zur Sicherung des Massnahmenvollzuges bis 28. Februar 2023 in Sicherheitshaft behalten.

2. Es werden keine Kosten erhoben.

3. Mitteilung durch Aushändigung des Dispositivs an die Parteien nach Entscheideröffnung.

Im Namen der Strafkammer

des Bundesstrafgerichts

Die Vorsitzende                                                                Der Gerichtsschreiber

Eine vollständige schriftliche Ausfertigung wird zugestellt an:

-  Bundesanwaltschaft

-  Rechtsanwältin Michèle Akermann

-  B.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der Strafkammer des Bundesstrafgerichts als erstinstanzliches Gericht, ausgenommen verfahrensleitende Entscheide, kann innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geführt werden (Art. 393 Abs. 1 lit. b und Art. 396 Abs. 1 StPO; Art. 37 Abs. 1 StBOG).

Mit der Beschwerde können gerügt werden: Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung; die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts sowie Unangemessenheit (Art. 393 Abs. 2 StPO).

Einhaltung der Fristen

Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Handen der Schweizerischen Post, einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder, im Falle von inhaftierten Personen, der Anstaltsleitung übergeben werden (Art. 91 Abs. 2 StPO).

                                                                                               Versand: 6. Dezember 2022

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