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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Berufungskammer
Fallnummer:BB.2022.42
Datum:30.09.2022
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Beschuldigte; Beschuldigten; Aussage; Aussagen; Privatkläger; Berufung; Recht; Urteil; Bundes; Verfahren; Beschimpfung; Verhalten; Verfahren; Drohung; Beamte; Beweis; Ziffer; Behörden; Gewalt; Kammer; Zeuge; Stirn; Verfahrens; Konfrontation; Baumer/Tavor
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 1 StGB ; Art. 10 StGB ; Art. 10 StPO ; Art. 110 StGB ; Art. 12 StGB ; Art. 13 StPO ; Art. 139 StPO ; Art. 14 StPO ; Art. 146 StPO ; Art. 147 StPO ; Art. 17 StGB ; Art. 172 StGB ; Art. 177 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 21 StPO ; Art. 23 StPO ; Art. 26 StPO ; Art. 28 StGB ; Art. 285 StGB ; Art. 3 StGB ; Art. 31 StPO ; Art. 32 BV ; Art. 34 StGB ; Art. 343 StPO ; Art. 356 StPO ; Art. 38 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 389 StPO ; Art. 391 StPO ; Art. 4 StGB ; Art. 400 StPO ; Art. 405 StPO ; Art. 42 StGB ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 429 StPO ; Art. 436 StPO ; Art. 44 StGB ; Art. 47 StGB ; Art. 48 BGG ; Art. 49 StGB ; Art. 5 StGB ;
Referenz BGE:113 IV 56; 124 IV 86; 129 IV 6; 134 IV 17; 134 IV 60; 136 IV 55; 139 IV 282; 140 IV 196; 142 IV 315; 143 IV 288; ;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

CA.2022.3

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: CA.2022.3

Urteil vom 30. September 2022 Berufungskammer

Besetzung

Richterinnen Brigitte Stump Wendt, Vorsitzende

Marcia Stucki und Petra Venetz

Gerichtsschreiber Franz Aschwanden

Parteien

A., erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel,

Berufungsführer / Anschlussberufungsgegner /

Beschuldigter

gegen

Bundesanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt des Bundes Johannes Rinnerthaler,

Anschlussberufungsführerin / Berufungsgegnerin /

Anklagebehörde

und

als Berufungsgegner / Privatklägerschaften

1.       B., p.A, F. AG,

2.       C., p.A. F. AG,

3.       D. AG, vertreten durch H.

Gegenstand

Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB), Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST), Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG)

Berufung (teilweise) des Beschuldigten vom 9. März 2022 und Anschlussberufung (teilweise) der Anklage—behörde vom 31. März 2022 gegen das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2021.14 vom 3. Dezember 2021

Sachverhalt:

A. Prozessgeschichte und erstinstanzliches Urteil

A.1 Mit Schreiben vom 28. März 2020 übermittelte die SBB-Transportpolizei der Bundesanwaltschaft (nachfolgend: BA) i.S.v. Art. 59 des Bundesgesetzes über die Personenbeförderung vom 20. März 2009 (Personenbeförderungsgesetz, PBG; SR 745.1) eine Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 des Bundesgesetzes über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr [BGST; SR 745.2]), Tätlichkeiten (Art. 126 StGB i.V.m. Art. 10 BGST), Missachten von Anordnungen des Sicherheitspersonals (Art. 9 Abs. 1 BGST), geringfügigem Erschleichen einer Leistung (Art. 150 i.V.m. Art. 172ter StGB) sowie Benützen eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigungen (Art. 57 Abs. 3 PBG; BA pag. 05-00-0001 ff.). Darin enthalten waren u.a. der Strafantrag / die Strafanzeige der Privatklägerin D. AG vom 24. März 2020 (BA pag. 05-00-0009 f.), der Strafantrag / die Privat- bzw. Strafklage des Sicherheitsmitarbeiters C. vom 24. März 2020 (BA pag. 05-00-0007), der Strafantrag / die Privat- bzw. Strafklage der Sicherheitsmitarbeiterin B. vom 27. März 2020 (BA pag. 05-00-0008) sowie die Protokolle der polizeilichen Einvernahmen mit C. vom 21. März 2020 (BA pag. 05-00-0019 ff.), B. (BA pag. 05-00-0015 ff.; ohne Datumsangabe) und dem Beschuldigten vom 27. März 2020 (BA pag. 05-00-0011 ff.).

A.2 Am 7. Dezember 2020 erliess die BA gegen den Beschuldigten einen Strafbefehl wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) und Benützen eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigungen (Art. 57 Abs. 3 PBG) und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je Fr. 30.-- (unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren), einer Verbindungsbusse von Fr. 150.-- (bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 5 Tagen) sowie einer Übertretungsbusse von Fr. 100.-- (bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 1 Tag; BA pag. 03-01-0001 ff.). Dagegen erhob der Beschuldigte mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 innert Frist Einsprache (BA pag. 03-01-0010 ff.).

A.3 Am 22. Januar 2021 eröffnete die BA eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) und Benützung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG; BA pag. 01-01-0001). Am 26. März 2021 führte die BA mit dem Beschuldigten, C. und B. eine Konfrontationseinvernahme durch (BA pag. 13-01-0003 ff.).

A.4 Am 14. April 2021 überwies die BA den Strafbefehl gegen den Beschuldigten vom 7. Dezember 2020 als Anklageschrift an die Strafkammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: Strafkammer bzw. Vorinstanz; Art. 355 Abs. 3 lit. a und d sowie Art. 356 Abs. 1 StPO; TPF pag. 2.100.001 f.).

A.5 Die erstinstanzliche Hauptverhandlung fand am 3. Dezember 2021 in Anwesenheit des Beschuldigten und seines erbetenen Verteidigers, Rechtsanwalt Jürg Federspiel, am Sitz des Bundesstrafgerichts statt (TPF pag. 2.720.001 ff.). Die BA und die Privatklägerschaft verzichteten auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung (TPF pag. 2.100.002; 2.353.004; 2.720.002). Das Urteil der Einzelrichterin wurde gleichentags mündlich eröffnet und begründet. Der Beschuldigte wurde schuldig gesprochen der Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) und der Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG) und bestraft mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à Fr. 50.-- (bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren) sowie mit einer Übertretungsbusse von Fr. 100.-- (bei schuldhafter Nichtbezahlung ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von einem Tag). Vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB) wurde der Beschuldigte freigesprochen (TPF pag. 2.720.004 f.; 2.930.001 ff.).

A.6 Am 13. Dezember 2021 erklärte (recte: meldete […] an) der Beschuldigte fristgerecht Berufung gegen das Urteil der Strafkammer vom 3. Dezember 2021 (TPF pag. 2.940.001 ff.; CAR pag. 1.100.028). Das begründete Urteil (CAR pag. 1.100.005 ff.) wurde am 16. Februar 2022 an die Parteien versandt (CAR pag. 1.100.027, -029 f.) und vom Verteidiger am 17. Februar 2022 in Empfang genommen (CAR pag. 1.100.031).

B. Verfahren vor der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts

B.1 Am 9. März 2022 reichte der Beschuldigte fristgerecht die Berufungserklärung ein und stellte folgende Anträge (CAR pag. 1.100.034 ff.):

                        1.       Es seien Ziff. 1 (teilweise) und Ziff. 3 des angefochtenen Urteils aufzuheben.

                        2.       Der Beschuldigte sei in Gutheissung seiner Berufung (auch) vom Vorwurf der Beschimpfung freizusprechen; eventualiter wäre der Beschuldigte gemäss Art. 177 Abs. 2 oder 3 StGB wenigstens von der Strafe zu befreien.

                        3.       Es sei zur Untermauerung des Standpunktes des Beschuldigten folgende Person als Zeuge anzuhören: Herr E.

                        4.       Alles unter gesetzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen.

B.2         Am 31. März 2022 reichte die BA fristgerecht Anschlussberufung ein (CAR pag. 1.100.039 ff.), wobei diese sich auf folgende Punkte beschränkte:

                        -         den Freispruch betreffend Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB) gemäss Ziff. I / 2. des Urteilsdispositivs SK.2021.14 vom 03.12.2021,

                        -         die Bemessung der Strafe gemäss Ziff. I / 3. des Urteilsdispositivs,

                        -         die Kostenfolgen gemäss Ziff. 1 / 6. des Urteilsdispositivs,

                        -         die (teilweise) Entschädigung mit CHF 2'135.00 für die Aufwendungen im Zusammenhang mit der erbetenen Verteidigung gemäss Ziff. I / 7. des Urteilsdispositivs.

              Die BA stellte folgende Anträge (CAR pag. 1.100.040):

                        1.       A. sei wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) und Benützen eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG) schuldig zu sprechen.

                        2.      A. sei mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je CHF 140.00, entsprechend CHF 7'000.00, zu bestrafen.

                        3.      A. sei mit einer Verbindungsbusse von CHF 700.00 zu bestrafen, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 5 Tagen.

                        4.       A. sei zudem mit einer Übertretungsbusse von CHF 100.00 zu bestrafen, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 1 Tag.

                        5.       Die Verfahrenskosten in der Höhe von CHF 1'500.00, zuzüglich der vom Gericht festzulegenden Verfahrenskosten, seien A. aufzuerlegen.

                        6.       Der Kanton Zürich sei mit dem Vollzug der Strafe zu beauftragen (Art. 74 Abs. 2 StBOG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 StPO).

              Zudem beantragte die BA, Beweisantrag Ziffer 3 des Beschuldigten vom 9. März 2022 sei vollumfänglich abzuweisen (CAR pag. 1.100.040).

B.3         Mit Verfügung der Verfahrensleitung vom 21. Juni 2022 wurde der Beweisantrag Ziffer 3 des Beschuldigten vom 9. März 2022, es sei E. als Zeuge anzuhören, gutgeheissen. Es wurde die Durchführung des mündlichen Verfahrens angeordnet. Von Amtes wegen wurden ein Auszug aus dem Schweizerischen Strafregister, ein Betreibungsregisterauszug sowie die letzte Steuererklärung und -veranlagungsverfügung betreffend den Beschuldigten eingeholt (CAR pag. 4.200.001 ff.; 4.401.006 ff.). Der Beschuldigte reichte das ausgefüllte und unterzeichnete Formular «Persönliche und finanzielle Situation» ein (CAR pag. 4.401.001 ff.).

B.4         Anlässlich der Berufungsverhandlung vom 30. September 2022, welche in Anwesenheit des Beschuldigten, seines erbetenen Verteidigers Rechtsanwalt Federspiel, von Staatsanwalt des Bundes Johannes Rinnerthaler sowie Assistenz-Staatsanwältin des Bundes Nicole Leuenberger stattfand (CAR pag. 5.100.001 ff.), wurden der Zeuge E. und der Beschuldigte einvernommen (CAR pag. 5.301.001 ff., 5.302.001 ff.). Die BA stellte folgende Anträge (CAR pag. 5.200.010):

                        1.       Es sei festzustellen, dass das Urteil der Strafkammer des Bundesstraf—gerichts SK.2021.14 vom 3. Dezember 2021 bezüglich der Dispositiv-Ziffer I / 1, zweiter SpiegeIstrich (Schuldspruch wegen Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung [Art. 57 Abs. 3 PBG]), der Dispositiv-Ziffer I / 4 (Übertretungsbusse von CHF 100.00) und der Dispositiv-Ziffer I / 5 (Bestimmung des Vollzugskantons) in Rechtskraft erwachsen ist.

                        2.       A. sei wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB) und Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) schuldig zu sprechen.

                        3.       A. sei mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je CHF 100.00, entsprechend CHF 5'000.00, zu bestrafen. Der Vollzug der Geldstrafe sei aufzuschieben unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren.

                        4.       A. sei mit einer Verbindungsbusse von CHF 500.00 zu bestrafen, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 5 Tagen.

                        5.       Die Verfahrenskosten in der Höhe von CHF 1'500.00, zuzüglich der vom Gericht festzulegenden Verfahrenskosten, seien A. aufzuerlegen.

                        6.       Die weiteren Verfügungen seien von Amtes wegen zu treffen.

Der Beschuldigte stellte folgende Anträge (CAR pag. 5.200.011 f.):

          1.       Die Anschlussberufung der STA des Bundes sei abzuweisen.

          2.       In Gutheissung der Berufung des Beschuldigten seien Ziff. I (teilweise) und Ziff. 3 des angefochtenen Urteils aufzuheben und der Beschuldigte sei (auch) vom Vorwurf der Beschimpfung freizusprechen; eventualiter wäre der Beschuldigte gemäss Art. 177 Abs. 2 oder 3 StGB wenigstens von der Strafe zu befreien.

                        3.       AIIes unter gesetzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Die Parteien verzichteten auf eine mündliche Eröffnung des Urteils (Art. 84 Abs. 3 Satz 2; Art. 351 Abs. 3 i.V.m. Art. 379 und Art. 405 Abs. 1 StPO; CAR pag. 5.100.012). Das Urteilsdispositiv vom 30. September 2022 (CAR pag. 9.100.001 ff.) wurde am 5. Oktober 2022 per Post versandt.

Die Berufungskammer erwägt:

I. Formelle Erwägungen

1. Eintreten / Fristen

1.1         Die Berufungsanmeldung des Beschuldigten vom 13. Dezember 2021, dessen Berufungserklärung vom 9. März 2022 sowie die Anschlussberufungserklärung der BA vom 31. März 2022 erfolgten jeweils unter Fristenwahrung (Art. 399 Abs. 1 - 3, Art. 400 Abs. 3 lit. b StPO; oben Sachverhalt [SV] lit. A.6 - B.2). Die Berufung und Anschlussberufung richten sich je gegen das Urteil der Strafkammer SK.2021.14 vom 3. Dezember 2021, mit dem der Beschuldigte der Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) und der Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG) schuldig gesprochen und mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à Fr. 50.-- (bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren) sowie mit einer Übertretungsbusse von Fr. 100.-- (bei schuldhafter Nichtbezahlung ersatzweise mit einer Frei—heitsstrafe von einem Tag) bestraft wurde. Vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB) wurde der Beschuldigte freigesprochen (TPF pag. 2.720.004 f.; 2.930.001 ff.; CAR pag. 1.100.025; oben SV lit. A.5).

1.2         Die Bundesgerichtsbarkeit ist gestützt auf Art. 23 Abs. 1 lit. h StPO (betreffend Art. 285 StGB) bzw. aufgrund der Vereinigungsverfügung der BA vom 7. Dezember 2020 (BA pag. 03-01-0001 ff.; TPF pag. 2.100.003 ff.) auch in Bezug auf die weiteren angeklagten Tatbestände (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST; Art. 57 Abs. 3 PBG; je i.V.m. Art. 22 und Art. 26 Abs. 2 StPO) gegeben. Der Beschuldigte ist durch die vor—instanzliche Verurteilung beschwert und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an deren Aufhebung/Änderung (Art. 104 Abs. 1 lit. a, Art. 111 Abs. 1 und Art. 382 Abs. 1 StPO). Die BA ist durch den Teilfreispruch ebenfalls beschwert und zur Ergreifung eines Rechtsmittels legitimiert (Art. 104 Abs. 1 lit. c, Art. 381 Abs.1, Art. 382 Abs. 1 StPO). Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: Berufungskammer bzw. Berufungsgericht) ist in der Besetzung mit drei Richterpersonen für die Beurteilung der vorliegenden Berufung und Anschlussberufung örtlich und sachlich zuständig (Art. 21 Abs. 1 lit. a StPO; Art. 33 lit. c, Art. 38a und Art. 38b des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes [Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71]). Sämtliche Eintretens-Voraussetzungen sind erfüllt. Verfahrenshindernisse liegen keine vor. Auf die Berufung und Anschlussberufung ist somit einzutreten.

2. Verfahrensgegenstand und Kognition / kein Verbot der reformatio in peius

2.1         Die Berufung und Anschlussberufung, die sich je gegen das Urteil der Strafkammer SK.2021.14 vom 3. Dezember 2021 richten, sind beide teilweiser Art. Gemäss den gestellten Anträgen (oben SV lit. B.1 f., B.4) ist festzustellen, dass folgende Dispositivziffern des Urteils SK.2021.14 in Rechtskraft erwachsen sind:

     -    1.       A. wird schuldig gesprochen:

                   -    […]

                   -    der Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG).

          -    4.       A. wird bestraft mit einer Übertretungsbusse von Fr. 100.--, bei schuldhafter Nichtbezahlung ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von einem Tag.

          -    5.       Der Kanton Zürich wird als Vollzugskanton bezeichnet.

2.2         Das in Art. 391 Abs. 2 StPO verankerte Prinzip des Verbots der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot [vgl. BGE 139 IV 282 E. 2.3.1]) greift zugunsten der beschuldigten Person, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Vorliegend hat die BA das betreffend Art. 285 StGB freisprechende Urteil der Vorinstanz mit Anschlussberufung angefochten. Gestützt auf Art. 391 Abs. 2 StPO e contrario ist die gerichtliche Überprüfungsbefugnis somit – abgesehen von den in Rechtskraft erwachsenen Punkten (oben E. I. 2.1) – nicht beschränkt.

3.           Rüge des Beschuldigten betreffend gemeinsame Befragung der beiden Auskunftspersonen

3.1         Der Beschuldigte rügte anlässlich der Berufungsverhandlung, die BA habe – trotz Einwand der Verteidigung – den Fehler gemacht, die beiden Auskunftspersonen (Privatkläger) C. und B. nicht separat, sondern gemeinsam zu befragen, womit ein Abstimmen der Aussagen der beiden Privatkläger untereinander nicht nur er—Ieich—tert worden sei, sondern geradezu auf der Hand Iiege (vgl. CAR pag. 5.200.014). Das sei sicher nicht lege artis gewesen. Man hätte zuerst den einen und dann den anderen befragen müssen (vgl. CAR pag. 5.100.008 Ziffer 11). Der Beschuldigte machte aber nicht geltend, dass die entsprechenden Aussagen von C. und B. unverwertbar seien, und stellte auch keinen entsprechenden formellen Antrag.

3.2         Die BA führte in Bezug auf diese Rüge aus, die Konfrontationseinvernahme habe deshalb so stattgefunden, weil beide Auskunftspersonen/Privatkläger schon unabhängig voneinander polizeilich befragt worden seien. Das sei auch durchaus so üblich, um eine solche Konfrontation zu erleichtern (vgl. CAR pag. 5.100.010).

3.3         Die Ausführungen der BA sind zutreffend. Die Konfrontationseinvernahme vom 26. März 2021 durch die BA, mit gemeinsamer Teilnahme des Beschuldigten, von C. und B. (oben SV lit. A.3) fand statt, nachdem diese drei Personen rund ein Jahr zuvor bereits je einzeln polizeilich befragt worden waren (oben SV lit. A.1). Eine derartige Konfrontationseinvernahme dient der Gegenüberstellung von Verfahrensbeteiligten bzw. der Sachverhaltsabklärung / Wahrheitsfindung, nachdem je einzeln schon Einvernahmen durchgeführt worden waren. Ein solches Vorgehen ist in der vorliegenden Konstellation sinnvoll und gesetzlich vorgesehen (Art. 146 Abs. 1 und 2 StPO; vgl. Häring, Basler Kommentar, 2. Aufl., Art. 146 StPO N. 2 und 3 ff. m.w.H.). Verfahrensvorschriften wurden diesbezüglich keine verletzt. Insbesondere wurde das Recht des Beschuldigten auf Konfrontation (Art. 147 StPO) gewahrt. Die Aussagen aus der Konfrontationseinvernahme vom 26. März 2021 sind demnach ohne Weiteres verwertbar (vgl. Art. 139 ff. und Art. 147 Abs. 4 StPO e contrario).

II. Materielle Erwägungen

1. Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte / Beschimpfung

1.1 Anklagevorwürfe / Standpunkte der Vorinstanz und des Beschuldigten

1.1.1      Gemäss der Anklageschrift (Strafbefehl der BA vom 7. Dezember 2020) sei der Beschuldigte am 1. Januar 2020 um ca. 02.12 Uhr im Zug Nr. 1 der D. AG von U. nach V. unterwegs gewesen. Dabei sei er von B. und C., die als Sicherheits-Mitarbeiter der F. AG im Auftrag der SBB AG, Transportpolizei, die entsprechende Kontrolle im Zug durchgeführt hätten, einer Nachtzuschlags-Fahrkartenkontrolle unterzogen worden. Anlässlich dieser Kontrolle habe der Beschuldigte keinen gelösten Nachtzuschlag vorweisen können und sei der mehrfachen Aufforderung der beiden F.-Mitarbeiter nicht nachgekommen, sich auszuweisen. Dabei sei der Beschuldigte gegenüber C. und B. sehr ausfällig geworden und habe sich ihnen gegenüber in dem Sinne geäussert, dass sie «Arschlöcher» seien, nichts könnten und er sich von Frauen nichts sagen lasse. Zudem habe er den beiden F.-Mitarbeitern gesagt, sie sollten doch kommen und er würde sie beide «kaputt» bzw. «kalt machen». Dabei sei der Beschuldigte immer wieder von seinem Sitzplatz aufgestanden und mit dem Kopf auf die beiden F.-Mitarbeiter zugekommen, sodass er C. sehr nahe (Stirn an Stirn) gekommen sei, was dazu geführt habe, dass sich dieser bedroht gefühlt habe. C. habe damit gerechnet, dass der Beschuldigte tätlich werden würde. Er habe Respekt vor ihm und Angst vor der Situation gehabt. Zudem sei der Beschuldigte anlässlich der Auseinandersetzung gegenüber B. tätlich geworden und habe sie mit der Hand an der Schulter gestossen. Beim Aussteigen in V. habe der Beschuldigte aus dem Zug fliehen wollen, wobei er von den F.-Mitarbeitern an beiden Armen festgehalten und der örtlichen Polizei übergeben worden sei (BA pag. 03-01-0001 f.; TPF pag. 2.100.003 f.).

Hierbei habe der Beschuldigte gewusst, dass es in die Zuständigkeit der F.-Mitarbeiter falle, Nachtzuschlags-Fahrausweiskontrollen durchzuführen und gegebenenfalls Personalien aufzunehmen. Ebenso habe er gewusst bzw. zumindest billigend in Kauf genommen, dass er mit seinem Verhalten die F.- Mitarbeiter B. und C. an der Ausübung ihrer beruflichen Pflicht gehindert und B. dabei tätlich angegangen habe. Der vorliegend interessierende Angriff auf die körperliche Integrität der F.-Mitarbeiterin B. (Stoss gegen die Schulter) wäre rechtlich allenfalls als Tätlichkeit i.S.v. Art. 126 StGB einzuordnen, welche vom Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB) konsumiert werde. Ebenso habe der Beschuldigte gewusst bzw. zumindest billigend in Kauf genommen, dass er mit seinem Verhalten die F.-Mitarbeiterin B. in ihrer körperlichen Integrität – wenn auch nur geringfügig und folgenlos – angegriffen habe. Sodann habe der Beschuldigte gewusst, dass er mit seinen Äusserungen B. und C. abwerten und sie in ihrer Würde, ehrbare Menschen zu sein, herabsetzen würde, was er gewollt bzw. als Folge seines Verhaltens zumindest in Kauf genommen habe. Zudem habe er um die Pflicht gewusst, vor Antritt der Fahrt in einem Nachtzug gegen 02.00 Uhr einen Nachtzuschlag vor Abfahrt des Zuges zu erwerben (BA pag. 03-01-0002; TPF pag. 2.100.004).

1.1.2      Betreffend den Vorwurf der Beschimpfung kam die Strafkammer gestützt auf die im Vorverfahren und erstinstanzlich durchgeführten Einvernahmen zum Schluss, dass der Beschuldigte die beiden F.-Mitarbeiter mit dem Schimpfwort «Arschloch» betitelt habe. Hingegen ging die Vorinstanz in dubio pro reo davon aus, dass der Sachverhalt betreffend den Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB) nicht rechtsgenüglich erstellt sei (vgl. Urteil SK.2021.14 E. 5.3 - 5.4.1).

1.1.3      Der Beschuldigte bestreitet die beiden Anklagevorwürfe betreffend Beschimpfung sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte bzw. die Darstellung der Ereignisse durch die Privatkläger B. und C. und hält an seinen vor der Polizei, BA und Vorinstanz getätigten Aussagen fest. Er bestreitet insbesondere, Schimpfwörter benutzt zu haben, tätlich geworden zu sein und sich drohend verhalten zu haben (dazu nachfolgend insbesondere E. II. 1.4.4).

1.2         Rechtliches

Betreffend die grundsätzlichen rechtlichen Ausführungen zu den Tatbeständen der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB) und Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) kann auf die zutreffenden Erläuterungen der Vorinstanz, inkl. ausführlicher Hinweise auf Rechtsprechung und Lehre verwiesen werden, die von keiner Partei bestritten werden (Art. 82 Abs. 4 StPO; unten E. II. 1.3.4).

1.3         Beweisgrundsätze / Beweisthema

1.3.1      Das Rechtsmittelverfahren beruht auf den Beweisen, die im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhoben worden sind. Beweisabnahmen des erstinstanzlichen Gerichts werden nur wiederholt, wenn: a. Beweisvorschriften verletzt worden sind; b. die Beweiserhebungen unvollständig waren; c. die Akten über die Beweiserhebungen unzuverlässig erscheinen. Die Rechts—mittelinstanz erhebt von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei die erforderlichen zusätzlichen Beweise (Art. 389 StPO). Die Strafbehörden setzen zur Wahrheitsfindung alle nach dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel ein, die rechtlich zulässig sind. Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs. 1 und 2 StPO). Art. 139 Abs. 2 StPO schränkt die gerichtliche Pflicht zur förmlichen Beweisführung wieder in engen Grenzen ein. Bestimmte Tatsachen müssen nicht bewiesen werden oder dürfen bereits vor dem Verfahren als bewiesen gelten. Art. 139 Abs. 2 StPO erlaubt damit in gewissem Umfang auch eine antizipierte Beweiswürdigung vor allem aus prozessökonomischen Gründen (Gless, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 139 StPO N. 31).

1.3.2      Eine unmittelbare Beweisabnahme hat im mündlichen Berufungsverfahren u.a. zu erfolgen, wenn die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint (vgl. BGE 143 IV 288 E. 1.4.1 f. mit Hinweisen) bzw. wenn sie im Sinne von Art. 405 Abs. 1 i.V.m. Art. 343 Abs. 3 StPO den Ausgang des Verfahrens beeinflussen kann. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Kraft des Beweismittels in entscheidender Weise vom Eindruck abhängt, der bei seiner Präsentation entsteht, beispielsweise wenn es in besonderem Masse auf den unmittelbaren Eindruck einer Zeugenaussage ankommt, so wenn die Aussage das einzige direkte Beweismittel (Aussage gegen Aussage) darstellt. Das Gericht verfügt bei der Frage, ob eine erneute Beweisabnahme erforderlich ist, über einen Ermessensspielraum (vgl. BGE 140 IV 196 E. 4.4.2, mit Hinweisen).

1.3.3      Gemäss Art. 10 Abs. 3 StPO geht das Gericht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus, wenn unüberwindliche Zweifel daran bestehen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat erfüllt sind. Diese Bestimmung konkretisiert den verfassungsmässigen Grundsatz der Unschuldsvermutung (in dubio pro reo; Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziffer 2 EMRK). Der Grundsatz in dubio pro reo als Beweiswürdigungsregel besagt, dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht mass—gebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (Urteil des BGer 6B_781/2010 vom 13. Dezember 2010 E.3.2, mit Verweis auf BGE 124 IV 86 E. 2a; 120 Ia 31 E. 2c).

1.3.4      Im Rechtsmittelverfahren kann das Gericht für die tatsächliche und rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts auf die Begründung der Vorinstanz verweisen (Art. 82 Abs. 4 StPO). Diese Bestimmung dient der Prozessökonomie. Werden jedoch im Rechtsmittelverfahren erhebliche Einwände vorgebracht, welche nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens bildeten, entfällt die Möglichkeit der Verweisung (vgl. Stohner, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 82 StPO N. 9, mit Hinweisen; oben E. II. 1.2).

1.3.5      Im Sinne obiger Erwägungen II. 1.3.1 ff. hat die Verfahrensleitung mit begründeter Verfügung über Beweismassnahmen vom 21. Juni 2022 den Beweisantrag des Beschuldigten vom 9. März 2022 gutgeheissen, es sei zur Untermauerung seines Standpunktes Herr E. als Zeuge anzuhören (Art. 389 Abs. 3 StPO; CAR pag. 4.200.001 ff.).

1.3.6      In Bezug auf die zu prüfenden Anklagevorwürfe sind die äusseren Rahmenbedingungen, d.h. Zugnummer, Zeit, Fahrtstrecke und dergleichen unbestritten. Ebenso ist unbestritten, dass der Beschuldigte bei Antritt der Fahrt nicht im Besitz eines gültigen Nachtzuschlages war (vgl. oben E. I. 2.1; CAR pag. 5.200.002 unten) und dass der nach dem Vorfall beim Beschuldigten durchgeführte Atem—alkoholtest einen Wert von 1,7 ‰ ergab (BA pag. 05-00-0005, -0023; CAR pag. 5.302.006 Rz. 26). Im Übrigen bestreitet der Beschuldigte den Sachverhalt, was die Vorwürfe betreffend Beschimpfung sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte betrifft (vgl. oben E. II. 1.1.1 - 1.1.3; CAR pag. 5.200.014 oben; pag. 5.200.002 unten). Auf die entsprechenden einzelnen Aspekte, aus denen sich das Beweisthema ergibt, ist nachfolgend spezifisch einzugehen (unten E. II. 1.4 - 1.5.5).

1.4         Beweismittel

1.4.1      Übersicht

              Zum Sachverhalt liegen als Beweismittel primär folgende Personalbeweise bzw. Aussagen vor: Die polizeilichen Einvernahmen mit C. vom 21. März 2020 (BA pag. 05-00-0019 ff.), B. (BA pag. 05-00-0015 ff.; ohne Datumsangabe) und dem Beschuldigten vom 27. März 2020 (BA pag. 05-00-0011 ff.; oben SV lit. A.1); die von der BA durchgeführte Konfrontationseinvernahme vom 26. März 2021 mit dem Beschuldigten, C. und B. (BA pag. 13-01-0003 ff.; oben SV lit. A.3); die vor—instanzliche Einvernahme des Beschuldigten vom 3. Dezember 2021 (TPF pag. 2.731.001 ff.; das vorinstanzliche Schlusswort des Beschuldigten beschränkte sich auf die Aussage «Für mich ist gut», TPF pag. 2.720.003); die anlässlich der Berufungsverhandlung vom 30. September 2022 durchgeführten Einvernahmen mit dem Zeugen E. (CAR pag. 5.301.001 ff.) und dem Beschuldigten (CAR pag. 5.302.001 ff.; oben SV lit. B.4) sowie das entsprechende letzte Wort des Beschuldigten (CAR pag. 5.100.011). Des Weiteren sind als Beweismittel der Rapport von Wachtmeister G. (SBB-Transportpolizei) vom 24. März 2020 (BA pag. 05-00-0002 ff.) sowie das von C. ausgefüllte und von ihm sowie B. unterzeichnete interne F.-/SBB-Formular «Anzeige» betreffend den Vorfall vom 1. Ja—nuar 2020 zu erwähnen (BA pag. 05-00-0022 f.).

1.4.2      Aussagen des Privatklägers C.

Der Privatkläger C. sagte anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme als Auskunftsperson vom 21. März 2020 (BA pag. 05-00-0019 ff.) im Wesentlichen wie folgt aus: Im ge—nann—ten Zug hätten sie vier Jugendliche kontrolliert; zwei hätten einen Zuschlag gehabt, zwei weitere nicht. Eine Person habe sich kooperativ gezeigt und ihre Identitätskarte gegeben. Der Beschuldigte hingegen habe sich wiederholt geweigert, sich auszuweisen. An—schlies—send hätten sie gefragt, wo er aussteigen müsse; der Beschuldigte habe V. genannt. Da er sich aber immer noch nicht habe ausweisen wollen, hätten sie ihm die Option geboten, nun beim nächsten Halt auszusteigen, ansonsten müssten sie die Polizei in V. aufbieten, um die Personalien aufzu—neh—men. Er habe nicht aussteigen wollen und angefangen, sie (C. und B.) zu be—leidigen; er sei aufgestanden und ge—gen—über B. tätlich geworden (BA pag. 05-00-0020 Rz. 5-12). Er habe sie (C. und B.) beschimpft mit «Ihr seid Arschlöcher und ihr könnt doch nichts, ich las—se mir auch von Frauen nichts sagen» (BA pag. 05-00-0020 Rz. 14-16). Der Beschuldigte habe gesagt, sie (C. und B.) sollten doch kommen, er mache sie beide kaputt; er sei immer wie—der aufgestanden, sei Kopf an Kopf zu ihnen (C. und B.) gekommen. Er (C.) habe ihn Stirn an Stirn gehabt, aber der Beschuldigte habe ihn nicht geschubst. Er habe damit gerechnet, dass der Beschuldigte tätlich werde; er habe Respekt vor ihm gehabt und Angst vor der Si—tua—tion, da auch noch drei Kollegen des Beschuldigten anwe—send gewesen seien (BA pag. 05-00-0020 Rz. 18-24). Er habe gesehen, dass B. zur Seite gestossen wor—den sei. Der Beschuldigte sei sehr laut geworden. Er (C.) habe mit ihm spre—chen können, B. habe dies nicht können. Sie sei vom Beschuldigten maxi—mal zweimal geschubst worden (BA pag. 05-00-0020 Rz. 26-30). Der Beschuldigte sei Stirn an Stirn gewesen und er (C.) habe sich bedroht gefühlt, aber der Beschuldigte sei gegenüber ihm nicht tätlich geworden (BA pag. 05-00-0020 Rz. 32-35).

Anlässlich der Konfrontationseinvernahme vom 26. März 2021 bestätigte C. seine bisherigen Aussagen (BA pag. 13-01-0007 Rz. 21-23). Betreffend Beschimpfungen durch den Beschuldigten zitierte er diesen in einem Punkt – von den bisherigen Aussagen etwas abweichend – mit: «Ich muss mir nichts sagen lassen von einer Fotze!» (BA pag. 13-01-0011 Rz. 8 f.). Im Übrigen sagte C. diesbezüglich (erneut) aus, der Beschuldigte habe wieder gesagt, dass sie nichts könnten, sie seien Arschlöcher (BA pag. 13-01-0011 Rz. 24); bzw. er habe mehrmals Arschlö—cher gesagt, er mache uns kaputt, und zusätzlich sei in einer Fremdsprache geschrien worden (BA pag. 13-01-0011 Rz. 29 f.). Der Beschuldigte sei immer wieder aufgestanden und sei B. nahegetreten, was dann dazu geführt habe, dass der Beschuldigte sie weggestossen und er (C.) da—her eingegriffen habe. Der Beschuldigte sei auch gegen ihn in Worten immer ausfälliger geworden, sei immer wieder aufgestanden und sei ruckartig auf ihn zugekommen, um ihn einzuschüchtern. Der Beschuldigte habe auch auf C.s Aufforderungen nicht reagiert, habe den Ausweis nicht herausgegeben. Er habe dem Beschuldigten gesagt, dass er sich anständig verhalten solle, was dieser ignoriert habe (vgl. BA pag. 13-01-0011 Rz. 7-30). In der Situation, als er (C.) Stirn an Stirn mit dem Beschuldigten gestanden sei, habe er Angst gehabt. Er habe damit gerechnet, dass er physisch reagieren müsste (vgl. BA pag. 13-01-0015 Rz. 7-10).

1.4.3      Aussagen der Privatklägerin B.

Die Privatklägerin B. sagte anlässlich ihrer polizeilichen Einvernahme als Auskunftsperson, die offenbar im März 2020 stattfand (ebenso wie jene mit dem Privatkläger C. und mit dem Beschuldigten; eine konkrete Datumsangabe fehlt auf dem Protokoll [BA pag. 05-00-0015]), im Wesentlichen wie folgt aus: Der Beschuldigte und sein Kollege hätten keinen Nachtzuschlag und auch kein Ticket gehabt. Sie habe gesagt, sie müssten eine Busse ausstellen und deshalb einen Ausweis sehen. Der Kollege des Beschuldigten habe den Ausländerausweis sofort gegeben. Der Beschuldigte aber habe nur gesagt, dass er Schweizer sei und keinen Nacht—zu—schlag benötige. Sie hätten disku—tier—t und sie habe ihm er—klärt, dass er einen brauche und sie einen Ausweis benötigten. Er sei dann aufgestanden und habe sie (B. und C.) be—droht. Die Wortwahl wisse sie lei—der nicht mehr. Er habe sie (B.) dann mit der Hand an der Schulter gestossen. Er sei dann sehr aus——fallend geworden. Den Wortlaut wisse sie nicht mehr. Sie habe ihrem Pa—troui—llen-Part—ner gesagt, dass sie die Polizei wolle (BA pag. 05-00-0016 Rz. 6-13). B. bejahte, beschimpft, dadurch in ihrer Ehre verletzt, sowie bedroht worden zu sein, ohne sich an den genauen Wortlaut erinnern zu können (BA pag. 05-00-0016 Rz. 20-22, 24-26, 30-31). Sie habe Respekt gehabt. Der Beschuldigte sei ihr sehr unbe—re—chenbar vorgekommen (BA pag. 05-00-0016 Rz. 33-35). Die Diskussion habe sich in die Länge gezogen, da der Beschuldigte immer wieder aufgestanden sei und gemeint habe, es sei eine Frechheit, dass sie ihn kontrollieren würden (BA pag. 05-00-0017 Rz. 51-54). Ausser dem «Schulter-Schubsen» sei sie nicht tätlich angegangen worden (BA pag. 05-00-0016 Rz. 37-39). Gegen C. sei der Beschuldigte nicht tätlich geworden. Ob er C. bedroht und/oder beschimpft habe, wisse sie nicht mehr (BA pag. 05-00-0017 Rz. 56-58; 60-62).

Anlässlich ihrer Konfrontationseinvernahme durch die BA mit dem Beschuldigten und C. vom 26. März 2021 bestätigte B. ihre bisherigen Aussagen (BA pag. 13-01-0007 Rz. 15-19). Sie konkretisierte insbesondere, dass der Beschuldigte den Schweizer Pass vorgewiesen und gesagt habe, dass er mit diesem keinen Nachtzuschlag benötigen würde. Sie habe gesagt, doch, das würde er tun. Sie habe dies wiederholt, woraufhin er ausfällig geworden sei. Er habe gesagt, er liesse sich von ihr nichts sagen, weil sei eine Frau sei. Danach habe er wiederholt, sie (B. und C.) seien für nichts, sie seien unnötig und man könne sie nicht brauchen. Er habe sie (B.) dann leicht bei der Schulter geschubst, also sie zur Seite geschubst. C. habe dann versucht, mit ihm zu kommunizieren, was nicht gefruchtet habe (BA pag. 13-01-0009 Rz. 21-32). Die Beleidigungen seien vorgefallen. Der Beschuldigte sei aufgestanden; sie habe noch vor Augen, wie er den Pass geschwenkt und behauptet habe, dass er nicht zahlen müsse (BA pag. 13-01-0012 Rz. 22-25). Die Situation sei angespannt gewesen, weil sie nicht gewusst hätten, wie sich das ent—wickle; der Beschuldigte habe sich renitent verhalten. Sie (B. und C.) seien sicher bestimmt gewesen, hätten aber nicht ge—schri—en, was unprofessionell gewesen wäre. Sie wisse nicht mehr, ob sie dem Beschuldigten gesagt habe, dass er sicher Kosovare sei (BA pag. 13-01-0013 Rz. 18-21). Sie habe vor dem Beschuldigten recht Respekt gehabt, aber nicht wirklich Angst (vgl. BA pag. 13-01-0015 Rz. 1-5).

1.4.4      Aussagen des Beschuldigten

Der Beschuldigte sagte anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme vom 27. März 2020 (BA pag. 05-00-0011 ff.) im Wesentlichen wie folgt aus: Es sei [im Zugabteil] laut geworden, er habe zu B. gesagt, sie solle nun gehen, er würde nichts zahlen oder zeigen. Sie sei dann immer nähergekommen und habe zu ihm gemeint, er sei bestimmt ein Kosovare, dann habe sie zu ihm gesagt, sie rufe nun die Polizei. Er habe zu ihr gesagt, sie solle dies tun, er habe nichts Falsches gemacht (vgl. BA pag. 05-00-0012 Rz. 11-14, 29-30). Er habe niemanden berührt. Es sei nie zu Tät—lichkeiten gekommen. Auch habe er niemandem ge—droht. Es sei ihm nicht bewusst (BA pag. 05-00-0013 Rz. 42-46). Dem Beschuldigten wurde vorgehalten, er habe gemäss dem Sicherheitsdienst gesag—t, dass er sie (C. und B.) kalt machen werde und dass er sie beide als Arsch—löcher betitelt habe. Der Beschuldigte antwortete darauf, er sage nichts dazu. (Protokollnotiz betreffend Gestik: Der Beschuldigte habe den Kopf geschüttelt.) Er habe niemals seine Hände be—nützt. Es habe alles verbal stattgefunden. Zu der An——schuldigung, dass er ihnen Arschlöcher gesagt habe und sie kalt machen würde, mochte er sich nicht äussern (vgl. BA pag. 05-00-0013 Rz. 48-53).

Anlässlich der Konfrontationseinvernahme vom 26. März 2021 bestätigte der Beschuldigte seine bisherigen Aussagen (BA pag. 13-01-0007 Rz. 11-13). Dass er tätlich und ausfällig geworden sei und ihnen (B. und C.) gedroht habe, stimme nicht (BA pag. 13-01-0008 Rz. 4-6). Zu deren Schil—de—rungen sagte der Beschuldigte aus, das sei so nicht vorgefallen. Das mit dem Schubsen und mit Stirn an Stirn stimme nicht; er habe niemanden berührt. Auch alle Be—lei—digungen stimmten nicht. Er habe ihnen nur gesagt, dass sie weggehen sollten, weil er seine Ruhe haben wollte (BA pag. 13-01-0012 Rz. 11-16). Nach seiner Meinung seien die beiden auch völlig falsch auf ihn zugekommen, zu hektisch, zu nervös (vgl. BA pag. 13-01-0013 Rz. 23-28). Seiner Meinung nach habe er sich den beiden gegenüber durchgehend korrekt verhalten. Sie hingegen hätten sich gar nicht korrekt verhalten (vgl. BA pag. 13-01-0016 Rz. 1-7).

Anlässlich der Einvernahme durch die Vorinstanz vom 3. Dezember 2021 (TPF pag. 2.731.001 ff.) bestätigte der Beschuldigte seine Aussagen in der Konfrontationseinvernahme vom 26. März 2021 als richtig (TPF pag. 2.731.003 Rz. 27-30) bzw. bekräftigte seine entsprechenden Bestreitungen der Vorwürfe (vgl. TPF pag. 2.731.003 ff.).

Vor Berufungsgericht (Einvernahme vom 30. September 2022) bestätigte der Beschuldigte seine Aussagen vor der Polizei, der BA und der Vorinstanz als richtig (CAR pag. 5.302.005 Rz. 36). Er bestritt, während des Vorfalls vom 1. Januar 2020 wiederholt aufgestanden zu sein. Er sei aufgestanden, um rauszugehen. Sonst sei er die ganze Zeit sitzen geblieben (vgl. CAR pag. 5.302.008 Rz. 32-39). B. habe ihn mit ihrer Schulter zur Seite gedrängt. Er habe niemanden angefasst (vgl. CAR pag. 5.302.009 Rz. 4 ff., 10, 14 f., 21). Er habe gegenüber niemandem Drohungen ausgesprochen oder irgendwas (CAR pag. 5.302.009 Rz. 34 f., 38 f.; vgl. auch das letzte Wort des Beschuldigten [CAR pag. 5.100.011 unten]).

1.4.5      Internes F.-/SBB-Formular «Anzeige» betreffend den Vorfall vom 1. Ja—nuar 2020

Zu den Beweismitteln gehört auch das von C. am 1. Januar 2020, gemäss dessen Angaben unmittelbar nach dem Vorfall ausgefüllte und von ihm sowie B. unterzeichnete interne F.-/SBB-Formular «Anzeige» betreffend den Vorfall vom 1. Ja—nuar 2020 (BA pag. 05-00-0022 f.; vgl. pag. 13-01-0012 Rz. 8 f.; pag. 13.01-0018 Rz. 1-4; oben E. II. 1.4.1). Darin wird unter Ziffer 4. Strafsachverhalt, «Tatvorgehen / Sach—verhalt» insbesondere festgehalten, wegen feh—lendem Nacht————zu—schlag werde die Per—son aus—fällig. Er beleidige sie (C. und B.) u.a. mit «Ihr Arschlöcher chönnt nüüt!». Auf die Auffor—de—rung, sich zu be—ruhi—gen, bäume er sich mehrere Male vor beiden F.-Mitarbeitern auf, schubse sie zur Seite und drohe mit Gesten und Ausdrücken wie «Chömet nur, Bul—le!». Unter Ziffer 6 «Stellungnahme der beschuldigten Person» werden insbesondere folgende Aussagen festgehalten: «Ich habe den Nachtzuschlag und wer—de für mein Recht kämpfen! Ihr könnt mir nichts. Ich bin Schweizer.» Der Beschuldigte verweigerte die Unterschrift unter dem Formular (vgl. BA pag. 05-00-0023).

1.4.6      Aussagen des Zeugen E.

Anlässlich der Einvernahme vor Berufungsgericht vom 30. September 2022 sagte der Zeuge E. zur Sache (CAR pag. 5.301.004 ff.) im Wesentlichen wie folgt aus: Sie (E. und der Beschuldigte) seien in U., ohne einen Nachtzuschlag zu haben, in den Zug einge—stie—gen. Zwei SBB-Sicher—heitsleute seien gekommen und hätten sie kontrolliert. Er (E.) habe ganz normal eine Busse bekommen. Der Beschuldigte habe auf dem Handy den Nacht—zuschlag gelöst, das sei laut dem, was sie (B.) gesagt habe, einfach zu spät gewesen. Nachdem das passiert sei, habe sie das sehen wollen, und der Beschuldigte habe gesagt, nein, er habe das gelöst. Das habe er mehrmals wiederholt. Dann sei sie (B.) recht aggressiv, recht explosiv geworden. Sie habe mehrmals gesagt: «Zeig mir deinen Nachtzuschlag.» Sie habe sich mehrmals laut wiederholt. Dann habe der Beschuldigte sein Handy herausgenommen und ihr den Nachtzuschlag gezeigt. Sie habe das unbedingt mit ihren eigenen Händen sehen wollen, und der Beschuldigte habe gesagt: «Nein, ich will das nicht, ich habe das gelöst. Lassen Sie mich bitte in Ruhe.» Das habe er mehrmals gesagt. Sie sei laut geworden und habe mehrmals gesagt: «Kosovare, Kosovare, Kosovare.» Dann hätten sie (E. und der Beschuldigte) in V. aus—steigen wollen. Da habe sie die Polizei gerufen. Sie habe zum Beschuldigten gesagt, dass die Polizei kommen werde; sie würden jetzt die Polizei rufen, weil der Beschuldigte den Nachtzuschlag nicht zeige (vgl. CAR pag. 5.301.004 Rz. 18-38). Sie (B.) habe seiner (E.s) Meinung nach den Job nicht richtig gemacht. Er finde, der Beschuldigte sei hier unschuldig (vgl. CAR pag. 5.301.009 Rz. 4 f.). Der Beschuldigte habe sich gegenüber den beiden F.-Mitarbeitern ganz normal verhalten. Er habe mehrmals gesagt: «Lasst mich bitte in Ruhe, ich will aussteigen. Lasst mich in Ruhe. Was wollen Sie von mir?» Sonst gar nichts. Das sei die Wahrheit. Irgendwelche Beleidigungen oder Be—schimpf—ungen habe er nicht gehört. Ob der Beschuldigte im Verlauf der Kontrolle aufgestanden sei, wisse er nicht (vgl. CAR pag. 5.301.005 Rz. 46 bis 5.301.006 Rz. 11). Der Zeuge verneinte die Fragen, ob er auch gesehen habe bzw. habe beobachten können, dass der Beschuldigte die F.-Mitarbeiterin berührt habe, und dass er aufgestanden sei und gegenüber C. Stirn an Stirn hingestanden sei (vgl. CAR pag. 5.301.006 Rz. 18 ff., 38 ff.). Gegenüber ihm (E.) sei das korrekt gewesen. Er habe das Ge—fühl, sie hätten den Beschuldigten ir—gend—wie anzeigen wollen und es an diesem Abend auf diesen abgesehen gehabt. Ob das stimme, wisse er nicht. So habe er es wahr—genommen (vgl. CAR pag. 5.301.007 Rz. 11 ff.). Die F.-Mitarbeiter hätten sich gegenüber dem Beschuldigten gar nicht korrekt verhalten, vor allem B. (vgl. CAR pag. 5.301.007 Rz. 19 ff.). Der Beschuldigte habe sich korrekt verhalten (vgl. CAR pag. 5.301.009 Rz. 42). Er (E.) sei sich zu 100 Prozent sicher, was passiert sei an diesem Abend. Er habe alles gesehen und gehört (vgl. CAR pag. 5.301.009 Rz. 24 f., pag. 5.301.010 Rz. 12).

Auf die Befragung des Zeugen E. vom 30. September 2022 über die Beziehungen zu den Parteien und betreffend Glaubwürdigkeit (CAR pag. 5.302.002 ff.) wird, um Wiederholungen beim Zitieren von Aktenstellen zu vermeiden, nachfolgend spezifisch im Rahmen der Beweiswürdigung (E. II. 1.5.4) eingegangen.

1.5         Beweiswürdigung; Beweisergebnis

1.5.1      Der Privatkläger C. beschreibt die Dynamik und Eskalation der Ereignisse während der Nachtzuschlags-Fahrkartenkontrolle eindrücklich und nach—vollziehbar. Seine Aussagen zeichnen sich u.a. durch logische Konsistenz und Detailreichtum aus. Nachfolgend (E. II. 1.5.1.1 ff.) werden exemplarisch entsprechende Realkennzeichen (Glaubhaftigkeitsmerkmale, Qualitätsmerkmale) näher erläutert, die darauf hindeuten, dass C. durch erlebnisbasierte, wahre Aussagen ein tatsächlich erlebtes Ereignis anhand der erinnerten Gedächtnisinhalte geschildert hat (grundlegend dazu Ludewig/Baumer/Tavor, Aussagepsychologie für die Rechtspraxis, 2017, S. 43 ff. und 46 ff., mit zahlreichen Hinweisen).

1.5.1.1   Dazu gehört etwa C.s folgende Schilderung: Der Beschuldigte habe sich (im Gegensatz zu E.) wiederholt geweigert, sich auszuweisen. An—schlies—send hätten sie gefragt, wo er aussteigen müsse; der Beschuldigte habe V. genannt. Da er sich aber immer noch nicht habe ausweisen wollen, hätten sie ihm die Option geboten, nun beim nächsten Halt auszusteigen, ansonsten müssten sie die Polizei in V. auf—bieten, um die Personalien aufzu—neh—men. Er habe nicht aussteigen wollen und angefangen, sie (C. und B.) zu be—leidigen; er sei aufgestanden und ge—gen—über B. tätlich geworden (BA pag. 05-00-0020 Rz. 5-12; Hervorhebungen hinzugefügt).

              -        C. schildert hierbei Interaktionen mit dem Beschuldigten sowie damit einhergehende Komplikationen, insbesondere in Form einer sogenannten negativen Komplikationskette: Er berichtet plausibel, wie er dem Beschuldigten angeboten habe, beim nächsten Halt auszusteigen – er ihm also entgegenkommen wollte bzw. einen Ausweg aus der Situation anbot – was dieser aber nicht angenommen habe; stattdessen sei es zu einer Eskalation des Verhaltens des Beschuldigten gekommen.

                        Das Schildern vergeblicher Bemühungen, wiederholter Versuche und enttäuschter Erwartungen ist eine inhaltliche Steigerungsform der Detaillierung und typisch für glaubhafte Aussagen (Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 5. Aufl. 2011, S. 34; Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 49, 51). Auch anlässlich der Konfrontationseinvernahme schilderte C. anschaulich seine entsprechenden vergeblichen Bemühungen: Der Beschuldigte habe auch auf seine Aufforderungen nicht reagiert, habe den Ausweis nicht herausgegeben. Er habe dem Beschuldigten gesagt, dass er sich anständig verhalten solle, was dieser ignoriert habe (vgl. BA pag. 13-01-0011 Rz. 19 f.).

1.5.1.2   C. fährt in seiner Schilderung wie folgt fort: Der Beschuldigte habe sie (C. und B.) beschimpft mit «Ihr seid Arschlöcher und ihr könnt doch nichts, ich las—se mir auch von Frauen nichts sagen» (BA pag. 05-00-0020 Rz. 14-16). Der Beschuldigte habe gesagt, sie (C. und B.) sollten doch kommen, er mache sie beide kaputt; er sei immer wie—der aufgestanden, sei Kopf an Kopf zu ihnen (C. und B.) gekommen. Er (C.) habe ihn Stirn an Stirn gehabt, aber der Beschuldigte habe ihn nicht geschubst. Er habe damit gerechnet, dass der Beschuldigte tätlich werde; er habe Respekt vor ihm gehabt und Angst vor der Si—tua—tion, da auch noch drei Kollegen des Beschuldigten anwe—send gewesen seien (BA pag. 05-00-0020 Rz. 18-24).

          a)      Hierbei handelt es sich um eine anschauliche Schilderung des Verhaltens des Beschuldigten, sowohl in verbaler als auch in nonverbaler Hinsicht. C. berichtet nachvollziehbar und detailliert über das Kerngeschehen (quantitativer Detailreichtum; plastische Beschreibungen von Handlungen der beteiligten Personen; vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 49, 51). Soweit der Beschuldigte vorbringt, der Zeuge E. habe gerade nicht bestätigt, dass der Beschuldigte einen der Privatkläger als Arschloch bezeichnet habe (CAR pag. 5.200.015), so vermag dies schon deswegen nicht zu überzeugen, weil diese Behauptung im schriftlichen Plädoyer der Verteidigung stand, welches vor Beginn des mündlichen Plädoyers beim Berufungsgericht eingereicht wurde, d.h. bereits kurz nachdem E. am 30. September 2022 ausgesagt hatte. Dies wirft im vorliegenden Kontext massive Zweifel an E.s Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit auf (dazu nachfolgend näher E. II. 1.5.4.1 f., 1.5.4.6).

          b)      Bei der Schilderung, dass der Beschuldigte immer wie—der aufgestanden und Kopf an Kopf zu ihnen (C. und B.) gekommen sei respektive dass er (C.) den Beschuldigten Stirn an Stirn gehabt habe, handelt es sich um schemaabweichende Merkmale bzw. inhaltliche Besonderheiten. C. schildert damit ungewöhnliche, überraschende Details bezüglich des Kerngeschehens, die aber nicht unrealistisch sind. Auch hierbei handelt es sich um Realkennzeichen (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 f.). Dasselbe gilt für C.s weiter konkretisierende Aussage in der Konfrontationseinvernahme, der Beschuldigte sei «ruckartig auf ihn zugekommen, um ihn einzuschüchtern» (vgl. BA pag. 13-01-0011 Rz. 18). Dabei handelt es sich zusätzlich auch um eine Schilderung (vermuteter) psychischer Vorgänge des Beschuldigten, die mit dem Kerngeschehen zusammenhängen (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 ff.).

          c)      Durch die Beschreibung, dass der Beschuldigte (als er ihn Stirn an Stirn gehabt habe) ihn allerdings «nicht geschubst» habe, nimmt C. diesen in Schutz. Auf eine Belastung oder Mehrbelastung des Beschuldigten wird diesbezüglich somit verzichtet. Dieses Aussagemerkmal deutet auf eine fehlende strategische Selbstdarstellung C.s und damit ebenfalls auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen hin (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 51 ff.). Bereits dadurch erweisen sich auch die (ohnehin nicht näher substanziierten) Behauptungen des Beschuldigten als haltlos, als Privatkläger habe C. natürlich ein grosses Interesse daran, sein eigenes (letztlich fehlerhaftes) Verhalten in der Neujahrsnacht zu rechtfertigen und schönzureden (CAR pag. 5.200.014), bzw. die Privatkläger hätten versucht, mit Abstimmen ihrer Aussagen sogar, den Beschuldigten zu Unrecht zu belasten (CAR pag. 5.100.008 Ziffer 11).

          d)      C. berichtet weiter, er habe damit gerechnet, dass der Beschuldigte tätlich werde; er habe Respekt vor ihm gehabt und Angst vor der Si—tua—tion, da auch noch drei Kollegen des Beschuldigten anwe—send gewesen seien (BA pag. 05-00-0020 Rz. 22-24). Diese anschauliche Beschreibung von eigenpsychischen Vorgängen ist Teil eines hohen Detaillierungsgrads in qualitativer Hinsicht, was ebenfalls auf eine wahrheitsgemässe Aussage hindeutet (vgl. Arntzen, a.a.O., S. 27; Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 ff.). Anlässlich der Konfrontationseinvernahme sagte C. diesbezüglich ergänzend und zugleich logisch konsistent aus, in der Situation, als er (C.) Stirn an Stirn mit dem Beschuldigten gestanden sei, habe er Angst gehabt. Er habe damit gerechnet, dass er physisch reagieren müsste. Dabei habe er im Hinterkopf gehabt, dass sie zwei gegen vier gewesen seien bzw. der Beschuldigte noch drei Kollegen dabeigehabt habe, falls es zu einem Schlagabtausch kommen sollte (vgl. BA pag. 13-01-0015 Rz. 7-10; Hervorhebungen hinzugefügt). Daraus geht hervor, wie C. innerlich ein potenzielles Szenario durchgespielt und einzuschätzen versucht hat, welches sich aus der von ihm beschriebenen Situation hätte entwickeln können. Er schildert dabei auch seine gefühlsbezogenen Abläufe (Angst), die mit dem Kerngeschehen zusammenhängen. Zugleich ist aus C.s Beschreibungen insgesamt ein Entwicklungsverlauf seiner Einstellung zum Beschuldigten ersichtlich. Auch diesbezüglich liegen in mehrfacher Hinsicht Realkennzeichen vor (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 ff.).

          e)      C.s Schilderungen sind auch deliktsspezifisch, insbesondere die anschaulich beschriebene Eskalation der Ereignisse im Zugabteil (verbale und nonverbale Verhaltensweisen des Beschuldigten): C.s entsprechende Aussagen weisen Elemente auf, die mit typischen Begehungsformen solcher Delikte (beleidigende bzw. bedrohende Verhaltensweisen durch Zuggäste, die bei einer Kontrolle nicht kooperieren wollen), in Einklang stehen (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 f.; vgl. z.B. [betreffend Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte im Rahmen einer SBB-Fahrkartenkontrolle, begangen durch eine Beschuldigte ohne gültigen Fahrausweis] Urteil der Berufungskammer des BStGer CA. 2019.26 vom 30. Januar 2020 E. II. 1.1, 1.4 - 1.6).

1.5.1.3   Im Übrigen hat C. auch Einzelheiten anschaulich und konsistent geschildert, die für das Kerngeschehen unnötig sind, d.h. scheinbar belanglose Nebenumstände, vor allem betreffend das Verhalten des Beschuldigten beim Verlassen des Zugs bzw. bezüglich dessen «Fluchtversuch» (vgl. BA pag. 05-00.0021 Rz. 48 ff.; pag. 13-01-0011 Rz. 21 - pag. 13-01-0012 Rz. 9). Dabei handelt es sich um inhaltliche Besonderheiten, die im Gesamtkontext ergänzend auf die Glaubhaftigkeit von C.s Aussagen hindeuten (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 ff.).

1.5.1.4   Der Umstand, dass C. in der Konfrontationseinvernahme betreffend Beschimpfungen durch den Beschuldigten diesen in einem Punkt – von den bisherigen Aussagen etwas abweichend – zitierte («Ich muss mir nichts sagen lassen von einer Fotze!»; BA pag. 13-01-0011 Rz. 8 f.), ändert – entgegen der Ansicht des Beschuldigten (CAR pag. 5.200.015) – gesamthaft betrachtet nichts an der Glaubhaftigkeit von C.s Aussagen. C.s entsprechende Aussage in der polizeilichen Einvernahme, wonach der Beschuldigte u.a. gesagt habe, «ich las—se mir auch von Frauen nichts sagen» (BA pag. 05-00-0020 Rz. 16), war relativ ähnlich wie C.s Aussage in der Konfrontationseinvernahme – wobei die damit verbundenen Zitate von weiteren Beschimpfungen durch den Beschuldigten («Ihr seid Arschlöcher und ihr könnt doch nichts») in beiden Einvernahmen praktisch identisch waren (vgl. BA pag. 05-00-0020 Rz. 16; pag. 13-01-0011 Rz. 24).

1.5.1.5   Der Beschuldigte bringt vor (CAR pag. 5.200.015 unten), sage C. einmal, B. habe mit dem Beschuldigten die Diskussion geführt und er, C., habe die Situation abgesichert (BA pag. 13-01-0011 Rz. 7), behaupte er in einer früheren Einvernahme gerade das Gegenteil: «ich (C.) konnte mit ihm sprechen, meine Partnerin konnte dies nicht» (BA pag. 05-00-0020 Rz. 29 f.).

              Dadurch rügt der Beschuldigte, unter Berücksichtigung des Kontexts von C.s Aussagen, jedoch nur einen scheinbaren, keinen wirklichen Widerspruch. Das geht bereits daraus hervor, dass C. nach seiner erstgenannten Aussage («Die Diskussion führte Frau B. und ich sicherte die Situation ab» [BA pag. 13-01-0011 Rz. 7]) sogleich schilderte, dass der Beschuldigte gegenüber B. ausfällig und tätlich geworden sei (BA pag. 13-01-0011 Rz. 7-11). Darauf folgen schliesslich C.s Aussagen: «Dann tauschten wir die Rollen, ich dachte, dass er mit mir sprechen solle wenn er nicht mit einer Frau reden wolle. Das war der Grund, weshalb ich die Rolle meiner Kollegin übernommen habe» (BA pag. 13-01-0011 Rz. 12-14). Wenn sich der Beschuldigte sodann darauf beruft, C. habe ausgesagt, «ich (C.) konnte mit ihm sprechen, meine Partnerin konnte dies nicht» (BA pag. 05-00-0020 Rz. 29 f.), so haben die Ausdrücke «mit dem Beschuldigten sprechen können» bzw. «mit dem Beschuldigten nicht sprechen können» in diesem Zusammenhang offensichtlich die Bedeutung, dass C. (einigermassen) in der Lage war, mit dem Beschuldigten zu kommunizieren, während dies bei B. – trotz anfänglicher Versuche – gerade nicht klappte, insbesondere weil die Situation in der Folge eskalierte, wie dies von C. anschaulich beschrieben wird. Die Rüge des Beschuldigten ist somit klarerweise nicht stichhaltig

1.5.1.6   Weiter rügt der Beschuldigte (CAR pag. 5.200.015 f.), einmal wolle C. dem Beschuldigten nach mehreren Aufforderungen, sich auszuweisen, die Option geboten haben, beim nächsten Halt auszusteigen, doch habe der Beschuldigte nicht aussteigen wollen und (erst dann) mit dem Beleidigen angefangen und sei (erst dann) gegenüber der Kollegin tätlich geworden (BA pag. 05-00-020 Rz. 8-12). Dann wiederum soll die Tätlichkeit (angebliches Wegstossen der Kollegin) im Widerspruch dazu schon vorher passiert sein und (erst dann) habe er, C. gesagt, dass eine weitere Option das Aussteigen bei der nächsten Haltestelle sei (BA pag. 13-01-0011 Rz. 9-16).

              Der Beschuldigte hebt diesbezüglich eine Differenz zwischen den Aussagen von C. – spezifisch was die Schilderung des zeitlichen Ablaufs des Vorfalls betrifft – hervor, die gesamthaft betrachtet eher gering ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine ungeordnete Darstellung gerade ein Realkennzeichen darstellt: Eine glaubhafte Schilderung zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass die Handlung im freien Bericht sprunghaft und nicht chronologisch geschildert wird, ohne dass dabei gegen die logische Konsistenz verstossen wird (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 49, 51 f.). Was den zeitlichen Ablauf des Vorfalls betrifft, besteht zwischen C.s Schilderungen anlässlich der polizeilichen Einvernahme und bei der Konfrontationseinvernahme zwar im erwähnten Punkt eine gewisse Differenz. Betreffend Kerngeschehen (insbesondere detailliert geschilderte Verhaltensweisen des Beschuldigten in verbaler und nonverbaler Hinsicht; Angebot an den Beschuldigten, nun beim nächsten Halt auszusteigen; Ablehnung dieses Angebots durch den Beschuldigten; dynamischer, eskalierender Charakter des Vorfalls bzw. des Verhaltens des Beschuldigten) sind C.s Aussagen, was deren Gehalt und Bedeutung betrifft, jedoch im Wesentlichen konstant, weshalb auch die logische Konsistenz gegeben ist. Die erwähnte Differenz in zeitlicher Hinsicht ist deshalb eher untergeordneter Art und vermag die Glaubhaftigkeit von C.s Aussagen nicht zu beeinträchtigen.

1.5.1.7   Zusammenfassend sind in C.s Aussagen die Realkennzeichen sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht derart ausgeprägt, dass seine Schilderungen als sehr glaubhaft einzustufen sind (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 60). Daran ändern auch kleinere Differenzen wie die Frage, ob der Beschuldigte von «Frau» oder «Fotze» gesprochen habe (E. II. 1.5.1.4), oder in Bezug auf die Aussagen zum zeitlichen Ablauf des Vorfalls (E. II. 1.5.1.6) nichts Wesentliches. C.s Schilderungen ergeben in ihrer Gesamtheit in Bezug auf das Kerngeschehen ein eindeutiges, schlüssiges Bild.

1.5.2      Auch die Aussagen der Privatklägerin B. sind im Wesentlichen in sich stimmig, logisch konsistent und anschaulich. Nachfolgend (E. II. 1.5.2.1 ff.) wird beispielhaft auf Realkennzeichen eingegangen, die in ihren Aussagen erkennbar sind (vgl. oben E. II. 1.5.1).

1.5.2.1   B. schildert etwa, dass der Beschuldigte gesagt habe, er sei Schweizer und benötige keinen Nacht—zu—schlag. Sie hätten disku—tier—t und sie habe ihm er—klärt, dass er einen brauche und sie einen Ausweis benötigten. Er sei dann aufgestanden und habe sie (B. und C.) be—droht. Die Wortwahl wisse sie lei—der nicht mehr. Er habe sie (B.) dann mit der Hand an der Schulter gestossen. Er sei dann sehr aus——fallend geworden. Den Wortlaut wisse sie nicht mehr. Sie habe ihrem Pa—troui—llen-Part—ner gesagt, dass sie die Polizei wolle (BA pag. 05-00-0016 Rz. 6-13).

              a)      B. schildert hierbei anschaulich Interaktionen mit dem Beschuldigten (und mit C.) sowie damit einhergehende Komplikationen bzw. die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen gegenüber dem Beschuldigten (Arnt—zen, a.a.O., S. 34; Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 49, 51).

              b)      B. gibt dabei auch spontan Erinnerungslücken (betreffend die Wortwahl bzw. den Wortlaut der Äusserungen des Beschuldigten) zu, was auf fehlende strategische Selbstdarstellung hinweist (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 ff.). Dasselbe gilt dafür, dass B. anlässlich der Konfrontationseinvernahme einräumte, sie wisse nicht mehr, ob sie dem Beschuldigten gesagt habe, dass er sicher Kosovare sei (BA pag. 13-01-0013 Rz. 20 f.).

              c)      B.s Schilderung, sie habe ihrem Pa—troui—llen-Part—ner gesagt, dass sie die Polizei wolle, erscheint als nachvollziehbare und logische Konsequenz ihrer Beschreibung bezüglich des Verhaltens des Beschuldigten (Lude—wig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 49, 51).

1.5.2.2   B. berichtet, sie habe Respekt gehabt. Der Beschuldigte sei ihr sehr unbe—re—chenbar vorgekommen (BA pag. 05-00-0016 Rz. 33-35).

              -        Sie schildert hierbei eigene innerpsychische Vorgänge, sowie vermutete psychische Vorgänge des Beschuldigten (Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 ff.).

1.5.2.3   Ausser dem «Schulter-Schubsen» sei sie nicht tätlich angegangen worden (BA pag. 05-00-0016 Rz. 37-39). Gegen C. sei der Beschuldigte nicht tätlich geworden.

              -        B. nimmt dadurch den Beschuldigten in doppelter Hinsicht in Schutz, was ebenfalls auf fehlende strategische Selbstdarstellung hinweist (Ludewig/ Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 51 ff.). Anlässlich der Konfrontationseinvernahme präzisierte B. zudem, der Beschuldigte habe sie «leicht» bei der Schulter geschubst, also sie zur Seite geschubst (BA pag. 13-01-0009 Rz. 30 f.). Zudem sagte sie aus, sie habe vor dem Beschuldigten recht Respekt gehabt, «aber nicht wirklich Angst» (vgl. BA pag. 13-01-0015 Rz. 1-5). Durch diese Relativierungen des Verhaltens des Beschuldigten bzw. ihrer eigenen, damit in Zusammenhang stehenden psychischen Vorgänge verzichtet sie ebenfalls auf eine Mehrbelastung. Bereits dadurch erweisen sich auch in Bezug auf B. die (ohnehin nicht näher substanziierten) Behauptungen des Beschuldigten als haltlos, als Privatklägerin habe sie natürlich ein grosses Interesse daran, ihr eigenes (letztlich fehlerhaftes) Verhalten in der Neujahrsnacht zu rechtfertigen und schönzureden (CAR pag. 5.200.014), wie auch, dass die Privatkläger versucht hätten, mit Abstimmen ihrer Aussagen sogar, den Beschuldigten zu Unrecht zu belasten (CAR pag. 5.100.008 Ziffer 11; vgl. oben E. II. 1.5.1.2 lit. c). Das Gegenteil ist der Fall.

1.5.2.4   Anlässlich der Konfrontationseinvernahme schilderte B. zudem, die Situation sei angespannt gewesen, weil sie nicht gewusst hätten, wie sich das ent—wickle; der Beschuldigte habe sich renitent verhalten. Sie (B. und C.) seien sicher bestimmt gewesen, hätten aber nicht ge—schri—en, was unprofessionell gewesen wäre (BA pag. 13-01-0013 Rz. 18-21).

              a)      B. schildert hierbei (erneut) ihre eigenen und zudem C.s innerpsychische Vorgänge (Unsicherheit/Verunsicherung aufgrund der Renitenz des Beschuldigten; Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 50 f.).

              b)      Dass sie (B. und C.) sicher bestimmt gewesen seien, ist logisch konsistent mit dem von B. beschriebenen renitenten Verhalten des Beschuldigten (Lude—wig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 47, 49, 51 f.). Ebenso erscheint im Gesamtkontext nachvollziehbar und glaubhaft, dass sie aber nicht ge—schri—en hätten, was unprofessionell gewesen wäre.

1.5.2.5   Der Beschuldigte macht geltend, dass sich die Aussagen der Privatkläger betreffend das Aufbieten der Polizei widersprechen würden (CAR pag. 5.200.015 oben). Hierzu ist anzumerken, dass die Frage, ob B., C. oder beide Privatkläger versucht haben, die Polizei aufzubieten, für die Beurteilung des Kerngeschehens nicht wesentlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zwischen den beiden Privatklägern offenbar ein Rollentausch in ihrer Kommunikation mit dem Beschuldigten stattgefunden hat (vgl. oben E. II. 1.5.1.5 Abs. 2). Es ist auch unter diesem Gesichtspunkt durchaus möglich, dass aufgrund der angespannten Situation beide Privatkläger versucht haben, die Polizei aufzubieten. Dazu passt insbesondere auch C.s Aussage, beim ersten Anruf habe es geheissen, dass niemand komme, weil Silvesternacht gewesen sei und die Polizei beschränkte Ressourcen habe (BA pag. 13-01-0015 Rz. 25 f.).

1.5.2.6   Auch die Frage, ob der Beschuldigte gemäss Aussagen von B. seinen Pass vorgewiesen habe (vgl. BA pag. 13-01-0009 Rz. 27 f.), ob er diesen (auch) geschwenkt (vgl. BA pag. 13-01-0012 Rz. 24 f.; pag. 13-01-0017 Rz. 24 f.) oder (auch) in die Höhe gestreckt hat (BA pag. 13-01-0017 Rz. 17), ist für die Beurteilung des Kerngeschehens – entgegen der Auffassung des Beschuldigten (vgl. CAR pag. 5.200.016 oben) – nicht entscheidend. Der Beschuldigte beruft sich zudem in der Folge selbst darauf, dass er den Pass gemäss Aussage von B. angeblich sogar herumgeschwenkt habe (CAR pag. 5.200.017 oben). Der Beschuldigte sagte im Übrigen selbst aus, er habe zu B. gesagt, er würde «nichts zahlen oder zeigen» (vgl. BA pag. 05-00-0012 Rz. 12).

1.5.2.7   Des Weiteren sind auch B.s Schilderungen deliktsspezifisch, insbesondere die beschriebene Eskalation der Ereignisse im Zugabteil (verbale und nonverbale Verhaltensweisen des Beschuldigten; vgl. oben E. II. 1.5.1.2 lit. e).

1.5.2.8   Insgesamt sind auch bei den Aussagen von B. die Realkennzeichen sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht ausgeprägt, weshalb ihre Schilderungen als erlebnisbasiert und sehr glaubhaft einzustufen sind (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 60). Daran ändern auch kleinere Differenzen bzw. Variationen in ihren Aussagen, etwa betreffend das Vorweisen / Schwenken / in die Höhe Strecken des Passes des Beschuldigten (vgl. oben E. II. 1.5.2.6) nichts Wesentliches. B.s Schilderungen ergeben in ihrer Gesamtheit in Bezug auf das Kerngeschehen somit ebenfalls ein eindeutiges, schlüssiges Bild. Der Umstand, dass in ihren Aussagen gewisse Erinnerungslücken enthalten sind (welche von ihr spontan eingeräumt werden), spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Schilderung (vgl. oben E. II. 1.5.2.1 lit. b).

1.5.3      Zu den Aussagen des Beschuldigten ist Folgendes festzuhalten:

1.5.3.1   Der Beschuldigte schilderte die Eskalation des Vorfalls teilweise in depersonalisierter Weise: Es sei laut geworden, es sei ein Durcheinander gewesen (BA pag. 05-0012 Rz. 11, 29). Dies ist eine Art von Formulierung, die typischerweise dazu geeignet ist, den eigenen Anteil an einer Entwicklung nicht thematisieren zu müssen bzw. herunterzuspielen. Der Beschuldigte bestreitet denn auch, dass es jemals zu Tät—lichkeiten oder Ausfälligkeiten gekommen sei. Auch habe er niemandem ge—droht (vgl. BA pag. 05-00-0013 Rz. 42-46; pag. 13-01-0008 Rz. 4-6). Dabei fällt auf, dass er sich trotz seiner weitgehend pauschalen Bestreitungen während der polizeilichen Einvernahme auf den konkreten Vorhalt hin, dass er den Privatklägern Arschlöcher gesagt habe und sie kalt machen würde, jedoch nicht äussern mochte (BA pag. 05-00-0013 Rz. 48-53). Anlässlich der Berufungsverhandlung konnte er sodann dieses Aussageverhalten – auch auf Vorhalt der entsprechenden Protokollseite hin – nicht plausibel erklären (vgl. CAR pag. 5.302.009 f.). In der Konfrontationseinvernahme sagte der Beschuldigte stattdessen aus, seiner Meinung nach habe er sich den beiden Privatklägern gegenüber durchgehend korrekt verhalten. Diese hingegen hätten sich gar nicht korrekt verhalten (BA pag. 13-01-0016 Rz. 1-12). Vor Berufungsgericht bestritt der Beschuldigte auch (erneut und in pauschaler Weise), während des Vorfalls vom 1. Januar 2020 wiederholt aufgestanden zu sein (vgl. CAR pag. 5.302.008 Rz. 32-39).

1.5.3.2   Der Beschuldigte bringt einerseits vor, B. sei ihm gegenüber aggressiv und hysterisch aufgetreten (vgl. etwa CAR pag. 5.302.007 Rz. 2 f.; 12). Andererseits lässt er vortragen – in Abweichung davon und ohne nachvollziehbare Erklärung –, beide Privatkläger hätten mit ihrer aggressiven und hysterischen Art das Ganze unnötig eskalieren lassen (CAR pag. 5.200.017). Ähnlich ist es auch mit dem Vorwurf des Beschuldigten, als Kosovare betitelt worden zu sein: Diesen Vorwurf macht er einerseits gegenüber B. (z.B. BA pag. 05-00-0012 Rz. 13). Andererseits lässt er diesen Vorwurf, wiederum ohne nähere Erklärung, gegenüber beiden Privatklägern erheben (CAR pag. 5.200.017).

1.5.3.3   Entgegen der Behauptung des Beschuldigten (CAR pag. 5.200.014) erfüllen seine Aussagen keineswegs «klar die Realitätskriterien der Aussagenanalyse». Insbesondere sind sie betreffend das Kerngeschehen weder stimmig, noch detailliert, noch im Wesentlichen völlig widerspruchsfrei. Eine gewisse geltend gemachte Emotionalität in den Schilderungen des Beschuldigten beschränkt sich vor allem darauf, dass er als Kosovare betitelt worden sei. Insgesamt sind bei den Aussagen des Beschuldigten die Realkennzeichen jedoch sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht deutlich weniger ausgeprägt als bei den Privatklägern. Die Aussagen des Beschuldigten bleiben meist vage und erscheinen als sehr selektiv. Es entsteht zuweilen der Eindruck, er würde den Vorfall – bzw. vor allem seinen Anteil daran – gezielt herunterspielen wollen.

1.5.3.4   Zusammenfassend ist die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschuldigten aus den oben genannten Gründen als weit geringer einzustufen als jene der beiden Privatkläger.

1.5.4      Was den Zeugen E. betrifft, so ist vorab betreffend dessen Glaubwürdigkeit grundsätzlich auf folgende Aspekte hinzuweisen:

1.5.4.1   Anlässlich der Berufungsverhandlung vom 30. September 2022 sagte er aus, er kenne den Beschuldigten durch Freund—schaft (CAR pag. 5.301.002 Rz. 41: vgl. auch CAR pag. 5.301.003 Rz. 37 f.). Des Weiteren sagte E. zuerst aus, dass er mit dem Beschuldigten über den Vorfall nicht so gross gesprochen habe; zuletzt sei dies vor 2 bis 3 Wochen gewesen. Gleich anschliessend räumte er jedoch ein, dass er heute gemeinsam mit dem Beschuldigten im Zug zur Verhandlung gefahren sei, und dass sie auch im Zug über den Fall gespro—chen hätten – ein bisschen schon, aber nicht so gross. E.s erste Aussage, dass er mit dem Beschuldigten zuletzt vor 2 bis 3 Wochen über den Vorfall gesprochen habe, war somit wahrheitswidrig. Zudem sagte E. anschliessend aus, er habe den Beschuldigten (am 30. September 2022) gefragt, was passiert sei. Wenn er helfen könne, dann helfe er. Wenn ein Mensch im Unrecht sei, wieso nicht, dann helfe er gern (sic; vgl. CAR pag. 5.301.010 Rz. 7, 10 f.).

              Noch auffälliger ist in dieser Hinsicht, was in den schriftlichen Plädoyernotizen der Verteidigung vom 30. September 2022 (welche vor Beginn des mündlichen Plädoyers bei der Berufungskammer eingereicht wurden) enthalten ist: «Nachdem wir E. gehört haben, wissen wir, dass den Angaben der Privat—kläger aber keine Glaubhaftigkeit zukommt sich das Ganze sogar eher so abgespielt hat, wie dies der Be—schuldigte ausgeführt hat» (S. 2; CAR pag. 5.200.012 unten). «Der Zeuge E. hat aber gerade nicht bestätigt, dass mein Klient einen der PK als Arschloch bezeichnet hat» (S. 5; CAR pag. 5.200.015). «Hingegen hat nun E. den Stand—punkt meines Klienten bestätigt und die Beschimpfung der PK sogar als Zeu—ge entkräftigt» (S. 6; CAR pag. 5.200.016 unten). «Die Privatkläger selber haben aber mit ihrer aggressiven und hysterischen Art – was gerade auch der Zeuge E. bestätigen konnte – das Ganze unnötigerweise eskalieren lassen und auch noch die Polizei bemüht, welche an solchen Nächten weit besseres zu tun hat» (CAR pag. 5.200.017 Mitte). Aus diesen Ausführungen in den Plädoyernotizen geht klar hervor bzw. wird implizit eindeutig eingeräumt, dass dem Beschuldigten respektive dessen Verteidigung bereits vor der (erstmaligen und einzigen) Einvernahme des Zeugen E. im Wesentlichen bekannt war, was dieser aussagen würde.

1.5.4.2   Zusammenfassend ist (a) E. demnach mit dem Beschuldigten befreundet; (b) hat er den Beschuldigten bzw. dessen Verteidiger bereits vor der Berufungsverhandlung über den wesentlichen Inhalt seiner (E.s) bevorstehenden Aussagen informiert; (c) sagte E. anlässlich der Einvernahme wahrheitswidrig aus, dass er mit dem Beschuldigten zuletzt vor 2 bis 3 Wochen über den Vorfall gesprochen habe; (d) fragte E. den Beschuldigten am 30. September 2022, d.h. vor der Berufungsverhandlung insbesondere, was passiert sei, und sagte dem Beschuldigten, wenn er helfen könne, dann helfe er; wenn ein Mensch im Unrecht sei, wieso nicht, dann helfe er gern; (e) waren angesichts der erwähnten Ausführungen in den Plädoyernotizen des Verteidigers offensichtlich auch die verharmlosenden Aussagen E.s wahrheitswidrig, dass er mit dem Beschuldigten nur «ein bisschen» über den Vorfall gesprochen habe.

              Die Darstellung des Beschuldigten, man sehe, «dass keine Absprache» (zwischen ihm und E.) vorliege (CAR pag. 5.100.005 unten), bzw. dass dieser Zeuge insgesamt «doch glaubwürdig» sei (CAR pag. 5.100.006 oben), ist angesichts dieser Umstände klar unzutreffend.

1.5.4.3   Bereits aus diesen Gründen kann E. nicht als verlässlicher und glaubwürdiger Zeuge betrachtet werden. (Diese Einschätzung bezieht sich spezifisch und ausschliesslich auf den vorliegend zu beurteilenden Anklagesachverhalt, d.h. es geht nicht um die Glaubwürdigkeit E.s im Sinne eines allgemeinen, situationsübergreifenden Persönlichkeitsmerkmals [vgl. zu dieser Differenzierung Ludewig/ Baumer/Tavor, a.a.O., S. 26].) Seine Aussagen erscheinen vor diesem Hintergrund als wenig aussagekräftig; schon deswegen kann kaum auf sie abgestellt werden.

1.5.4.4   Abgesehen von diesen grundsätzlichen Ausführungen zur im vorliegenden Kontext geringen Glaubwürdigkeit des Zeugen E. ist darauf hinzuweisen, dass seine Aussagen betreffend die Vorwürfe gegenüber dem Beschuldigten als stark verharmlosend und oberflächlich erscheinen. Beispielsweise sagte er aus, der Beschuldigte habe sich gegenüber den beiden F.-Mitarbeitern «ganz normal» verhalten. E. bestritt – weitgehend in pauschaler Weise – dass der Beschuldigte sich nicht korrekt verhalten habe, und lastete stattdessen sämtliches Fehlverhalten den Privatklägern an (vgl. CAR pag. 5.301.006 ff.). Auffällig erscheint auch sein «Ratschlag» an seinen Freund, den Beschuldigten, das nächste Mal […] allgemein diese Diskussionen zu lassen (vgl. CAR pag. 5.301.010 Rz. 12-14). Auf kritische Nachfragen (ob man daraus schliessen könne, dass es zwischen dem Beschuldigten und dem Sicherheitspersonal Diskussionen gegeben habe) versuchte sich E. in Bezug auf diesen «Ratschlag» sogleich herauszureden: Er meine das allgemein, Diskussionen, die es zwischen Leuten gebe oder zwischen ihm oder anderen Leuten (vgl. CAR pag. 5.301.010 Rz. 19-33). Entgegen der Auffassung des Beschuldigten (CAR pag. 5.100.006 oben) sind E.s Aussagen inhaltlich, was das Kerngeschehen betrifft, im Wesentlichen nicht glaubhaft. Sie erwecken insbesondere den Eindruck, dass ihnen eine Absprache mit dem Beschuldigten zugrunde liegt – was mit den obigen Ausführungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen konsistent ist.

1.5.4.5   Daran ändert auch nichts, dass E. geltend machte, er sei sich zu 100 Prozent sicher, was passiert sei an diesem Abend; er habe alles gesehen und gehört (vgl. CAR pag. 5.301.009 Rz. 24 f., pag. 5.301.010 Rz. 12; oben E. II. 1.4.6). Erstens antwortete E. – im Widerspruch dazu – auf gewisse Fragen bzw. Vorhalte der Verfahrensleitung (ob der Beschuldigte im Verlauf der Kontrolle aufgestanden sei / es werde auch gesagt, dass der Beschuldigte gesagt habe, er habe einen Schweizer Pass) jeweils, dass er das nicht wisse (CAR pag. 5.301.006 Rz. 10 f., 45 ff.). Hierzu ist auch anzumerken, dass E.s Befragung erst rund 2 ¾ Jahre nach dem Vorfall vom 1. Januar 2020 stattfand. Zweitens zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass die subjektive Überzeugung eines Befragten nicht mit der objektiven Genauigkeit seiner Aussage in Beziehung steht. Es ist deshalb irreführend anzunehmen, dass die Darstellung eines von seiner Aussage sehr überzeugten Zeugen auch wahr und genau sein muss. Glauben Zeugen, Auskunftspersonen oder Beschuldigte, sich nach längerer Zeit noch «an alles ganz genau» zu erinnern, so ist den entsprechenden Aussagen in dieser Hinsicht mit grösserer Skepsis zu begegnen als Aussagen von Befragten, die Erinnerungslücken eingestehen (vgl. Ludewig/Baumer/Tavor, a.a.O., S. 33 f., mit Hinweisen).

1.5.4.6   Zusammenfassend kann E. nicht als verlässlicher und glaubwürdiger Zeuge betrachtet werden (E. II. 1.5.4.1 - 1.5.4.3). Seine Aussagen, die in Bezug auf das Kerngeschehen auch inhaltlich weitgehend unglaubhaft erscheinen, erhellen den Sachverhalt kaum und vermögen den Beschuldigten nicht zu entlasten (E. II. 1.5.4.4).

1.5.5     

1.5.5.1   Vergleicht man die vorliegenden Aussagen, kommt man insgesamt zum Ergebnis, dass die Schilderungen der Privatkläger aufgrund zahlreicher Realkennzeichen als wesentlich glaubhafter erscheinen als diejenigen des Beschuldigten und des Zeugen E.. Die Behauptung des Beschuldigten, dass den Aussagen der Privatkläger keine Glaubhaftigkeit zukomme (CAR pag. 5.100.006 Ziffer 1 untere Hälfte) bzw. dass diese voller Widersprüche oder Ungereimtheiten seien (CAR pag. 5.200.014 f.), ist nicht stichhaltig – vor allem nicht in Bezug auf das Kerngeschehen.

1.5.5.2   Bei den Aussagen des Beschuldigten und von E. sind betreffend Schilderung des Kerngeschehens kaum Realkennzeichen zu erkennen. Die Darstellung des Beschuldigten und von E., dass der Beschuldigte sich während der ganzen Kontrolle stets völlig korrekt verhalten habe und sämtliches Fehlverhalten auf Seiten der Privatkläger liege, ist unglaubhaft. Die Dynamik bzw. Eskalation des Geschehens wäre gemäss den Schilderungen des Beschuldigten bzw. von E. überhaupt nicht erklärbar. Haltlos ist auch die nicht näher substanziierte Behauptung des Beschuldigten, es habe «ein ganz böses Spiel dieser Kontrolleure» mit ihm stattgefunden (vgl. CAR pag. 5.100.006 Ziffer 1 unten). Wie erläutert, sind in den Behauptungen des Beschuldigten (unter Berücksichtigung des Plädoyers der Verteidigung) auch erhebliche Widersprüche zu erkennen. Im Übrigen ist nicht erkennbar, welches Motiv die beiden Privatkläger hätten, eine derartige Geschichte zu erfinden und den Beschuldigten zu Unrecht zu belasten.

1.5.5.3   Zu beachten ist weiter, dass die Privatkläger mit E. anlässlich der Kontrolle keinerlei Probleme hatten, obwohl auch er keinen Nachtzuschlag gelöst hatte. E. verhielt sich gegenüber den Privatklägern korrekt. Auch dieser Umstand – die Problemlosigkeit des Umgangs zwischen den Privatklägern und E. – spricht wesentlich dagegen, dass die beiden Privatkläger (oder auch nur B. alleine) sich gegenüber dem Beschuldigten aggressiv und/oder hysterisch verhalten hätten.

1.5.5.4   In Anbetracht des Gesagten bestehen für das Gericht betreffend Kerngeschehen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhaltsschilderungen der beiden Privatkläger. Entgegen der Auffassung des Beschuldigten (CAR pag. 5.200.013 Mitte; pag. 5.100.006 f. Ziffer 2) besteht deshalb vorliegend betreffend den Anklagesachverhalt im Wesentlichen kein Raum, um gemäss dem Grundsatz «in dubio pro reo» von einer für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage auszugehen. Die einzige Ausnahme betrifft diesbezüglich, dass in dubio pro reo davon auszugehen ist, dass B. den Beschuldigten während der Kontrolle als «Kosovare» bezeichnet habe (dazu nachfolgend näher E. II. 1.10.1.2 f.). Das ändert aber nichts daran, dass der Anklagesachverhalt betreffend die Vorwürfe der Beschimpfung und der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte als erstellt zu betrachten ist. Soweit die Vorinstanz festgehalten hat, es sei nicht erstellt, ob sich der Beschuldigte des Unwortes «Fotze» bedient habe, da dies lediglich von C. anlässlich seiner zweiten Einvernahme zu Protokoll gegeben worden sei (Urteil SK.2021.14 E. 5.3.5), ist darauf hinzuweisen, dass der Gebrauch dieses Unwortes nicht Teil des Anklagesachverhaltes ist. Vielmehr ist dort die Rede davon, dass der Beschuldigte (u.a.) gesagt habe, er würde sich von Frauen nichts sagen lassen (vgl. BA pag. 03-01-0002; TPF pag. 2.100.004). Auf gewisse (weitere) Einzelheiten des Anklagesachverhalts ist nachfolgend, um Wiederholungen zu vermeiden, spezifisch im Rahmen der Subsumtion einzugehen.

1.6         Subsumtion des objektiven Tatbestands betreffend den Anklagevorwurf der Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST)

1.6.1      Auf Grund der übereinstimmenden, glaubhaften Aussagen der beiden Privatkläger ist in grundsätzlicher Weise erstellt, dass der Beschuldigte diese beschimpfte bzw. gegenüber diesen ausfällig wurde. Gestützt auf die stringenten Aussagen von C., sowie gemäss der internen «Anzeige», welche von beiden Privatklägern unterzeichnet wurde (BA pag. 05-00-0022 f.) ist weiter spezifisch erstellt, dass der Beschuldigte sich dabei insbesondere des Ausspruchs «Ihr seid Arschlöcher» bediente. Bei dieser Äusserung handelte es sich um einen Ehrangriff in Form eines reinen Werturteils, das der Beschuldigte direkt gegenüber den beiden Verletzten äusserte. Damit erfüllte er den objektiven Tatbestand von Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST.

1.6.2      Die Äusserung des Beschuldigten «ihr könnt doch nichts» betrifft einen Angriff auf die Ehre in Form einer Tatsachenbehauptung, welche ebenfalls direkt gegenüber den beiden Verletzten geäussert wurde. Die Herabsetzung als «Geschäfts- oder Berufsmann» gilt indes nicht als ehrverletzend, ausser, wenn die ethische Integrität eines Menschen betroffen ist (vgl. Trechsel/Lieber, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, vor Art. 173 StGB, Rz. 3). Vorliegend zielte die Bemerkung, die Privatkläger könnten nichts, wohl ausschliesslich auf deren berufliche Tätigkeit ab, weshalb mit dieser Äusserung die Ehre der beiden nicht in strafrechtlich relevanter Weise verletzt wurde.

1.6.3      Was wiederum den Ausspruch des Beschuldigten betrifft, er «las—se sich auch von Frauen nichts sagen», ist dieser gegenüber einer Frau (vorliegend: gegenüber B.) zwar unhöflich und sexistisch. Die Äusserung erreichte aber nicht die notwendige herabsetzende, ehrverletzende Schwere, um als strafrechtlich relevante Beschimpfung zu gelten.

1.6.4      Zusammenfassend hat der Beschuldigte somit den objektiven Tatbestand der Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) erfüllt, indem er gegenüber den Privatklägern sagte, sie seien «Arschlöcher».

1.7         Subsumtion des subjektiven Tatbestands betreffend den Anklagevorwurf der Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST)

Es liegt auf der Hand, dass der Beschuldigte die erwähnten tatbestandsmässigen Aussprüche wissentlich und willentlich, d.h. (direkt-)vorsätzlich von sich gab (Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB). Damit ist diesbezüglich auch der subjektive Tatbestand erfüllt.

1.8         Subsumtion des objektiven Tatbestands betreffend den Anklagevorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB)

1.8.1      Die Privatkläger arbeiteten im Zeitpunkt des angeklagten Vorfalls als Sicherheitsdienstmitarbeiter bei der F. AG (BA pag. 05-00-0022). Als Beamte gelten auch Angestellte der nach BGST mit Bewilligung des Bundesamts für Verkehr beauftragten Organisationen (Art. 285 Ziffer 1 Abs. 2 StGB). Mit dieser Ergänzung von Art. 285 Ziffer 1 StGB, welche lex specialis zu Art. 110 Abs. 3 StGB ist, wurde der Begriff des Beamten auf Angestellte von privaten Organisationen ausgedehnt. Bei der F. AG handelt es sich um eine Organisation, die mit Bewilligung des Bundesamts für Verkehr für die Tochtergesellschaft D. AG der SBB Aufgaben des Sicherheitsdienstes übernimmt (vgl. dazu www.bav.admin.ch/bav/de/home/allgemeine-themen/sicherheit/sicherheitsdienste-im-oeffentlichen-verkehr/sicherheitsorgane-im-oev-mit-hoheitlichen-befugnissen.html). Die Privatkläger sind somit eindeutig als Beamte zu qualifizieren.

1.8.2      Bei der durchgeführten Nachtzuschlagskontrolle handelt es sich zweifellos um eine Amtshandlung. Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese unrechtsmässig gewesen wäre. Der Beschuldigte war verpflichtet, seinen Nachtzuschlag (bzw. bei Fehlen eines solchen, seine Adressangaben) auf Verlangen zwecks Überprüfung vorzuweisen respektive mitzuteilen. Es lag nicht in seinem Belieben, über die Art und Dauer der Kontrolle zu befinden. Selbst wenn sich das Sicherheitspersonal gegenüber dem Beschuldigten herablassend verhalten hätte, wofür vorliegend keine stichhaltigen Anhaltspunkte bestehen (vgl. nachfolgend E. II. 1.10.1), würde sich daran nichts ändern. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind grundsätzlich selbst materiell rechtswidrige Amtshandlungen von Art. 285 StGB geschützt (Trechsel/Vest, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 21 f. zu vor Art. 285 StGB; Heimgartner, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, N. 17 zu vor Art. 285 StGB).

1.8.3      Durch die Aussagen der beiden Privatkläger ist erstellt, dass der Beschuldigte sich gegenüber diesen einerseits in (gravierender) verbaler Weise drohend verhalten hat: Sie sollten doch kommen; er werde sie beide kaputt bzw. kalt machen (insbesondere BA pag. 05-00-0020 Rz. 18, 21; pag. 03-01-0002; TPF pag. 2.100.004). Demgemäss ist in casu in erster Linie die Tatbestandsvariante der Hinderung einer Amtshandlung durch Drohung im Sinne von Art. 285 Ziffer 1 StGB zu prüfen (dazu nachfolgend auch E. II. 1.8.4 ff.).

1.8.4      Zudem hat sich der Beschuldigte gegenüber den Privatklägern auch in nonverbaler Weise drohend verhalten, indem er Kopf an Kopf zu ihnen (C. und B.) gekommen sei, wobei C. ihn Stirn an Stirn gehabt habe (siehe insbesondere BA pag. 05-00-0020 Rz. 21 f.; pag. 03-01-0002; TPF pag. 2.100.004). Dadurch fühlte C. sich bedroht (BA pag. 05-00-0020 Rz. 35); er habe Angst gehabt und damit gerechnet, dass der Beschuldigte tätlich werde bzw. dass er (C.) physisch reagieren müsste (vgl. BA pag. 13-01-0015 Rz. 7-10; pag. 05-00-0020 Rz. 18, 22 f.). Er habe Respekt vor dem Beschuldigten gehabt und Angst vor der Si—tua—tion (vgl. BA pag. 05-00-0020 Rz. 23 f.).

1.8.5      Durch diese Kombination von verbalen und nonverbalen Verhaltensweisen, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärkten, schüchterte der Beschuldigte die Privatkläger ein, wie aus ihren Aussagen sinngemäss hervorgeht (vgl. oben E. II. 1.4.2 f. 1.8.4; C. spricht nota bene bereits in Bezug darauf, dass der Beschuldigte immer wieder aufgestanden und ruckartig auf ihn zugekommen sei, explizit von Einschüchterung [BA pag. 13-01-0011 Rz. 17 f.].) Durch diese Einschüchterung wiederum bewirkte der Beschuldigte kausal, dass die Privatkläger die Kontrolle nicht mehr wie ursprünglich geplant fortführten, sondern stattdessen die Polizei riefen, um dem Beschuldigten schliesslich doch noch eine Busse ausstellen zu können. Die Drohungen des Beschuldigten verhinderten somit im Ergebnis den Kontrollvorgang respektive die Amtshandlung, bzw. behinderten / verzögerten diese ganz erheblich (wobei Letzteres zur Erfüllung des objektiven Tatbestands bereits ausreicht).

1.8.6      Anlässlich der Konfrontationseinvernahme präzisierte B., der Beschuldigte habe sie «leicht» bei der Schulter geschubst, also sie zur Seite geschubst (BA pag. 13-01-0009 Rz. 30 f.; oben E. II. 1.5.2.3). Aus dieser Relativierung von B. folgt, dass diesem Verhalten des Beschuldigten, isoliert für sich betrachtet, die nötige Schwere fehlt, um als Gewalt gegen Behörden und Beamte im Sinne der Tatbestandsvariante von Art. 285 Ziffer 1 StGB «tätlicher Angriff während einer Amtshandlung» qualifiziert zu werden. Das Schubsen durch den Beschuldigten trug im Gesamtkontext jedoch immerhin dazu bei, seine erwähnten anderen Verhaltensweisen, welche den objektiven Tatbestand von Art. 285 Ziffer 1 StGB erfüllen, zu unterstreichen. Mithin wurde die Drohkulisse durch dieses Vorgehen des Beschuldigten zusätzlich verstärkt.

1.8.7      Zusammenfassend ist damit der objektive Tatbestand von Art. 285 Ziffer 1 StGB im Sinne der Variante Hinderung einer Amtshandlung durch Drohung vollumfänglich erfüllt.

1.9         Subsumtion des subjektiven Tatbestands betreffend den Anklagevorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB)

Der Beschuldigte wusste zweifellos, dass es in die Zuständigkeit der F.-Mitarbeiter fällt, Nachtzuschlags-Fahrausweiskontrollen durchzuführen und gegebenenfalls (für das Ausstellen einer Busse) Personalien aufzunehmen. Der Beschuldigte wusste damit sinngemäss auch, dass er von Beamten kontrolliert wurde, die eine Amtshandlung durchzuführen hatten. Der Beschuldigte hat mit seinem Verhalten zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Privatkläger in ihrer Amtshandlung störend beeinträchtigt wurden. Insoweit ist sein Verhalten (in dubio pro reo) als eventualvorsätzlich (Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 StGB) zu würdigen. Der subjektive Tatbestand ist in diesem Sinne ebenfalls erfüllt.

1.10       Rechtfertigungs- / Schuldausschlussgründe

1.10.1    Strafbefreiung gemäss Art. 177 Abs. 2 oder 3 StGB (i.V.m. Art. 10 BGST)

1.10.1.1 Der Beschuldigte stellte anlässlich der Berufungsverhandlung den Eventualantrag, er wäre gemäss Art. 177 Abs. 2 oder 3 StGB wenigstens von Strafe zu befreien (SV lit. B.4 Ziffer 2 unten). Eine Bestrafung wegen Beschimpfung komme auch deshalb nicht in Frage, weil die Privatkläger durch ihr ungebührliches Verhalten in der Neujahrsnacht zur Beschimpfung, sollte sie überhaupt stattgefunden haben, jedenfalls selber unmittelbar Anlass gegeben hätten (Art. 177 Abs. 2 StGB) bzw. der Beschuldigte höchstens eine Beschimpfung durch die Privatkläger mit einer solchen erwidert hätte (Art. 177 Abs. 3 StGB; CAR pag. 5.200.017 unten).

1.10.1.2 Dazu ist Folgendes festzuhalten: Erstens ist (in dubio pro reo) bloss – aber immerhin – davon auszugehen, dass B. den Beschuldigten als «Kosovare» bezeichnet hat. Dafür, dass auch C. dies getan hätte, gibt es keine relevanten Anzeichen (vgl. oben E. II. 1.5.3.2). Bereits aus diesem Grund vermag die Argumentation des Beschuldigten nicht zu überzeugen.

1.10.1.3 Aus den Aussagen von C. geht hervor, dass sich der Konflikt zunächst vor allem zwischen B. und dem Beschuldigten entwickelte und C. sich erst in zweiter Linie in das Geschehen einbrachte, in der Hoffnung, deeskalierend wirken zu können. Bei dieser Betrachtung macht Sinn, dass der Beschuldigte sich auch in Bezug auf die Geschlechterrolle negativ äusserte – wie dies von beiden Privatklägern geschildert wird –, indem er sagte, er lasse sich von Frauen nichts sagen. In diesem Kontext ist aber auch nicht auszuschliessen, dass B. einen Bezug auf einen anderen Kulturkreis machte, in welchem sie die Geschlechtergleichheit nicht vermutete – offenbar auf den Kosovo – und sich auch entsprechend äusserte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäss C.s glaubhafter Aussage «zusätzlich in einer Fremdsprache geschrien worden» sei (BA pag. 13-01-0011 Rz. 29 f.). In der Äusserung «Kosovare» liegt im vorliegenden Kontext, insbesondere angesichts des renitenten (beschimpfenden / drohenden) Verhaltens des Beschuldigten – und entgegen dessen Ansicht – jedoch weder ein «ungebührliches Verhalten» gemäss Art. 177 Abs. 2 StGB, noch handelt es sich um eine «Beschimpfung» im Sinne von Art. 177 Abs. 3 StGB, die eine Retorsion des Beschuldigten erlaubt hätte. Eine Strafbefreiung gestützt auf Art. 177 Abs. 2 oder 3 StGB fällt somit ausser Betracht.

1.10.2    Schuldunfähigkeit gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB

              Zwar dürfte der Alkoholisierungsgrad des Beschuldigten von 1,7 ‰ zu einer gewissen Enthemmung geführt haben. Von einer Schuldunfähigkeit (Art. 19 Abs. 1 StGB) ist jedoch – in Bezug auf beide vorliegend relevanten Tatbestände – nicht auszugehen. Aus den Aussagen der beiden Privatkläger geht insgesamt nämlich glaubhaft hervor, dass der Beschuldigte zwar alkoholisiert gewesen sei, er sie aber verstanden habe und man mit ihm gut habe kommunizieren können (vgl. insbesondere BA pag. 13-01-0010 Rz. 6; vgl. Bommer/Dittmann, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 19 StGB N. 35, 40 ff., 58 f.).

1.11       Konkurrenzen

Wie erwähnt (oben E. II. 1.8.6), war das leichte Schubsen von B. durch den Beschuldigten zu wenig intensiv, um (isoliert für sich betrachtet) als Gewalt gegen Behörden und Beamte (bzw. als tätlicher Angriff während einer Amtshandlung) qualifiziert zu werden. In diesem Sinne kommt aus analogen Gründen keine separate Verurteilung wegen Art. 126 StGB (Tätlichkeiten) in Betracht. Auch im Übrigen stellen sich vorliegend keine Konkurrenzfragen.

1.12       Fazit

              Zusammenfassend hat sich der Beschuldigte der Beschimpfung (Art. 177 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) sowie der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte nach Art. 285 Ziffer 1 StGB (im Sinne der Tatbestandsvariante der Hinderung einer Amtshandlung durch Drohung) schuldig gemacht.

2. Strafzumessung

2.1         Rechtliches

2.1.1      Anwendbares Recht

Aufgrund des vorliegenden Tatzeitpunkts vom 1. Januar 2020 stellen sich betreffend das anwendbare Recht keine näher zu klärenden Fragen. Das per 1. Januar 2018 in Kraft getretene neue Sanktionenrecht ist ohne Weiteres anwendbar.

2.1.2      Grundsätze der Strafzumessung

2.1.2.1   Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden bestimmt sich nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Verletzung oder Gefährdung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB).

2.1.2.2   Der für die Strafzumessung zentrale Begriff des Verschuldens im Sinne von Art. 47 StGB bezieht sich auf den gesamten Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Straftat. Dabei unterscheidet das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung zwischen der Tat- und der Täterkomponente. Die Tatkomponente umfasst das Ausmass des verschuldeten Erfolges, die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges, die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat und seine Beweggründe. Die Täterkomponente umfasst das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, wie z.B. Reue, Einsicht und Strafempfindlichkeit (BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 19 f.; BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 20 f.; BGE 101 IV E. 2 S. 103 ff.).

2.1.2.3   Gemäss Art. 50 StGB hält das Gericht, sofern es ein Urteil zu begründen hat, die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung fest. Für die Beurteilung der Schwere des Verschuldens ist eine Gesamtwürdigung der den Beschuldigten belastenden und der ihn entlastenden Umstände er—forderlich (BGE 136 IV 55 E. 5.5 S. 59 f.). Bei der Gewichtung der einzelnen zu beachtenden Komponente steht dem Gericht – innerhalb des ordentlichen oder gegebenenfalls ausserordentlichen Strafrahmens – ein erheblicher Ermessensspielraum zu (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 60 ff.; 135 IV 130 E. 5.3.1 S. 134 f.; Urteil des BGer 6B_1077/2014 vom 21. April 2015 E. 4).

2.1.2.4   Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat, d.h. derjenigen Tat, die mit der schwersten Strafe bedroht ist, und erhöht sie angemessen (Asperationsprinzip). Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB).

2.2         Strafrahmen

              Der Strafrahmen des vorliegend gravierendsten Tatbestands, der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB), erstreckt sich von Geldstrafe von drei Tagessätzen (Art. 34 Abs. 1 StGB) bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Bei der pekuniären Sanktion beträgt die Höchststrafe 180 Tages—sätze (Art. 34 Abs. 1 StGB). Der Strafrahmen des Tatbestands der Beschimpfung (Art. 177 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) erstreckt sich von Geldstrafe von drei (Art. 34 Abs. 1 StGB) bis zu 90 Tagessätzen. In Anbetracht des noch leichten Verschuldens des Beschuldigten (unten E. II. 2.3.1 ff.) kommen vorliegend als Sanktionen nur je Geldstrafen in Betracht. Aufgrund der Gleichartigkeit der auszusprechenden Sanktionen, bzw. der vorzunehmenden Asperation (Art. 49 Abs. 1 StGB; oben E. II. 2.1.2.4), beträgt der konkrete Strafrahmen somit Geldstrafe von vier bis 180 Tagessätzen.

2.3         Tatkomponenten der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB)

2.3.1      Objektive Tatkomponenten

Die Drohungen des Beschuldigten, die beiden F.-Mitarbeiter «kalt» bzw. «kaputt» zu machen, waren markant. Dazu kam das drohende Verhalten des Beschuldigten, C. sehr nahe (Stirn an Stirn) zu kommen. Ein wenig verstärkt bzw. unterstrichen wurden diese drohenden Verhaltensweisen, indem der Beschuldigte B. mit der Hand leicht an der Schulter stiess. Es handelt sich somit um eine Kombination von verbalen und nonverbalen drohenden Verhaltensweisen. Der Vorfall erstreckte sich über einen nicht unerheblichen Zeitraum. Im Rahmen aller möglichen Drohungen, mit denen Amtshandlungen behindert/verzögert werden können, bewegte sich die Schwere der vorliegenden drohenden Verhaltensweisen indes noch im unteren Drittel. Das objektive Tatverschulden ist demnach noch als leicht zu qualifizieren.

2.3.2      Subjektive Tatkomponenten

Der Beschuldigte verhielt sich auf diese Weise aus nichtigem Anlass, wegen eines nichtbezahlten Nachtzuschlags bzw. einer deswegen in Aussicht gestellten Busse, im Rahmen einer legitimen Kontrolle. Der Beschuldigte musste mit einer Billetkontrolle im Zug rechnen und es war ihm bewusst, dass die beiden Privatkläger die Befugnis dazu hatten, diese durchzuführen. Leicht erschwerend fällt ins Gewicht, dass ihm die Privatkläger sogar die Möglichkeit boten, beim nächsten Halt aus dem Zug auszusteigen. Diese Möglichkeit nahm der Beschuldigte indes nicht wahr. Es wäre ihm folglich ein Leichtes gewesen, von der Tat abzusehen. Das zeigt im Vergleich auch das Verhalten von E., der ebenfalls keinen Nachtzuschlag gelöst hatte, seinen Fehler jedoch einsah und bereit war, eine Busse zu akzeptieren. Der Beschuldigte war ziemlich alkoholisiert (1,7 ‰, BA pag. 05-00-0005, -0023; CAR pag. 5.302.006 Rz. 26) und seine Hemmschwelle dadurch etwas gesenkt. Eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB wird jedoch nicht geltend gemacht und liegt nicht vor (vgl. Bommer/Dittmann, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 19 StGB N. 58 f.; oben E. II. 1.10.2). Auch ein entsprechender Strafminderungsgrund (im Sinne eines innerhalb des gegebenen Strafrahmens reduzierend zu berücksichtigenden Strafzumessungsfaktors; zum Begriff Wiprächtiger/Keller, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 48 StGB N. 3) ist diesbezüglich nicht gegeben. Das subjektive Tatverschulden wird jedoch dadurch leicht gemindert, dass der Beschuldigte von B. offenbar als «Kosovare» bezeichnet wurde. Gesamthaft betrachtet ist auch das subjektive Tatverschulden noch als leicht zu werten.

2.3.3      Gedankliche Einsatzstrafe

In Anbetracht des insgesamt noch als leicht einzustufenden Verschuldens des Beschuldigten erscheint eine gedankliche Einsatzstrafe von 30 Tages—sätzen Geldstrafe als angemessen.

2.3.4      Asperation

Diese Strafe ist in Anwendung des Asperationsprinzips – da gleichartige Strafen gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB auszusprechen sind (E. II. 2.1.2.4) – infolge Deliktsmehrheit angemessen zu erhöhen. Der Beschuldigte hat die beiden Privatkläger als «Arschlöcher» beschimpft. Innerhalb des Spektrums von möglichen Beschimpfungen ist die vorliegend ausgesprochene noch als leicht zu werten, und entsprechend auch das Verschulden des Beschuldigten. Demzufolge ist die Strafe um 15 Tagessätze auf eine (hypothetische) Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu erhöhen.

2.4         Täterkomponenten

2.4.1      Rechtliches

Im Gegensatz zu den Tatkomponenten, die sich auf den Zeitpunkt der Tatbegehung beschränken, umfassen die Täterkomponenten den Zeitraum vor oder nach der Tat. Bei der Würdigung des Täters sind jedoch die Umstände massgeblich, wie sie sich zur Zeit der Beurteilung ergeben (Mathys, Leitfaden Strafzumessung, 2. Aufl. 2019, S. 117 N. 313; BGE 113 IV 56 E. 4). Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann bloss ein hartnäckiges Bestreiten der Tatvorwürfe unter gewissen Umständen als fehlende Einsicht und Reue ausgelegt und straferhöhend berücksichtigt werden (vgl. Urteil des BGer 6B_1032/2017 vom 1. Juni 2018 E. 6.4.2; Wiprächtiger/Keller, Basler Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 47 StGB N. 173). Ein deliktfreies Verhalten während eines laufenden Strafverfahrens darf vorausgesetzt werden (Urteil des BGer 6B_882/2009 vom 30. März 2010 E. 2.5); Delinquenz während der Probezeit und der Strafuntersuchung wirkt sich hingegen straferhöhend aus (Mathys, a.a.O., S. 124 f. N. 329 f.). Aufrichtige Reue, Zeitablauf verbunden mit Wohlverhalten sowie Betroffenheit durch die Tat wirken sich strafmildernd aus (Mathys, a.a.O., S. 126 ff. N. 334 ff.). Ein Geständnis wiederum führt nicht zwingend zu einer Strafreduktion, es muss als Zeichen der Einsicht und Reue stehen und die Strafverfolgung erleichtern (Mathys, a.a.O., S. 136 f. N. 363).

2.4.2      Vorleben und persönliche Verhältnisse

Der Beschuldigte ist 26-jährig. Beruflich ist er bei der Post fest als Lagermitarbeiter angestellt. Er wohnt noch bei seinen Eltern zuhause (CAR pag. 5.302.002). Was das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten anbelangt, so wirken sich diese neutral auf die Strafzumessung aus.

2.4.3      Nachtatverhalten und Verhalten im Strafverfahren

Der Beschuldigte bestritt den Sachverhalt, was die Anklagevorwürfe (im engeren Sinne) betrifft, verhielt sich jedoch hinsichtlich seines Aussageverhaltens zumindest durchschnittlich kooperativ. Allerdings ist es ohnehin das gute Recht eines Beschuldigten, die Kooperation in einem Strafverfahren zu verweigern. Der Beschuldigte hat sich seit Begehung der Tat wohl verhalten, was erwartet werden darf. Vorstrafen liegen keine vor (CAR pag. 4.401.009). Der Beschuldigte zeigte weder Einsicht noch Reue für die begangenen Taten. Auch das Nachtatverhalten und Verhalten im Strafverfahren wirken sich neutral auf die Strafzumessung aus.

2.5         Auswirkung der Täterkomponenten auf die (hypothetische) Strafe

              Insgesamt wirken sich die Täterkomponenten auf die Strafzumessung neutral aus. Eine besondere Strafempfindlichkeit liegt beim Beschuldigten nicht vor. Gesamthaft betrachtet ist das Verschulden des Beschuldigten noch als leicht zu wer—ten; eine Geldstrafe von insgesamt 45 Tagessätzen erscheint als schuldadäquat.

2.6         Höhe des Tagessatzes der Geldstrafe

2.6.1      Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken. Ausnahmsweise, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten, kann der Tagessatz bis auf 10 Franken gesenkt werden. Das Gericht bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum (Art. 34 Abs. 2 StGB; vgl. BGE 142 IV 315 E. 5.3.3). Ausgangspunkt für die Tagessatzberechnung ist das Einkommen, welches dem Täter durchschnittlich an einem Tag zufliesst. Dabei bleibt belanglos, aus welcher Quelle dieses Einkommen stammt. Abzuziehen ist, was gesetzlich geschuldet ist oder dem Täter wirtschaftlich nicht zufliesst, so etwa laufende Steuern, obligatorische Versicherungsbeiträge oder allfällige Unterhalts- und Unterstützungsbeiträge, soweit tatsächlich geleistet, nicht jedoch Schulden oder Wohnkosten (vgl. BGE 134 IV 60 S. 68 ff. E. 6.1 ff.; vgl. Dolge, Basler Kommentar, Basler Kommentar, 4. Aufl., Art. 34 StGB N. 45 ff. mit Hinweisen). Eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters im pflichtgemässen Ermessen ist dann möglich, wenn sich die Berechnung des Tagessatzes sonst als unverhältnismässig schwierig erweisen würde (vgl. Dolge, a.a.O., Art. 34 StGB N. 91 mit Hinweisen).

2.6.2      Der Beschuldigte erzielt als Lagermitarbeiter bei der Post ein Nettogehalt von monatlich ca. Fr. 4'000.--. Seine beruflichen Auslagen belaufen sich auf monatlich Fr. 200.--, die Krankenkassenkosten auf monatlich ca. Fr. 410.-- (CAR pag. 4.401.004, -064 ff., -085; 5.302.002 f.; vgl. auch Urteil SK.2021.14 E. 6.3.1;). Er verfügt über ein Vermögen von Fr. 89'000.-- (TPF pag. 2.231.2.002; CAR pag. 4.401.003, -005, -090), was vorliegend bei der Tagessatzberechnung nicht zu berücksichtigen ist. Der Beschuldigte hat weder Schulden, noch Unterstützungspflichten oder Betreibungen (vgl. CAR pag. 4.401.011; 5.302.002 ff.). Seine Miete beträgt monatlich zwischen Fr. 0 und 500.-- (CAR pag. 5.302.002). Angesichts dieser finanziellen Verhältnisse (erwähntes Einkommen; Auslagen, bzw. nach einem Pauschalabzug für Krankenkasse, Steuern von 30 %) erscheint ein Tagessatz von Fr. 80.-- als angemessen.

2.7         Vollzug

2.7.1      Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1 StGB). Materiell wird das Fehlen einer ungünstigen Prognose vorausgesetzt, womit praxisgemäss auf das Fehlen von Anhaltspunkten für eine Wiederholungsgefahr abgestellt wird (BGE 134 IV 60 S. 73 f. E. 7.2).

2.7.2      Die objektiven Grenzen des bedingten Strafvollzugs sind vorliegend nicht überschritten (Art. 42 Abs. 1 StGB). Der bedingte Aufschub der Geldstrafe kann ohne Weiteres gewährt werden (Vorstrafenlosigkeit, keine Anhaltspunkte für eine ungünstige Prognose). Die Probezeit ist auf das Minimum von zwei Jahren anzusetzen (Art. 44 Abs. 1 StGB). Die Verbindung der bedingten Geldstrafe mit einer Busse nach Art. 106 StGB (Art. 42 Abs. 4 StGB) ist vorliegend nicht angezeigt, zumal keine Schnittstellenproblematik vorliegt.

2.8         Fazit der Strafzumessung

              Demgemäss ist der Beschuldigte mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen à Fr. 80.-- zu bestrafen, bedingt vollziehbar, bei einer Probezeit von 2 Jahren.

2.9         Vollzugskanton

Als Vollzugskanton wurde vorinstanzlich der Kanton Zürich bestimmt, was wie erwähnt in Rechtskraft erwachsen ist (Art. 74 Abs. 2 StBOG; oben E. I. 2.1).

3. Verfahrenskosten

3.1         Anträge

3.1.1      Die BA stellte diesbezüglich folgenden Antrag: «5. Die Verfahrenskosten in der Höhe von CHF 1'500.00, zuzüglich der vom Gericht festzulegenden Verfahrenskosten, seien A. aufzuerlegen» (CAR pag. 5.200.010; oben SV lit. B.4).

3.1.2      Der Beschuldigte stellte folgenden Antrag: «3. AIIes unter gesetzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen» (CAR pag. 5.200.012; oben SV lit. B.4).

3.2         Gesetzliche Grundlagen

3.2.1      Die beschuldigte Person trägt die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 Satz 1 StPO). Fällt die Rechtsmittelinstanz selber einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO).

3.2.2      Das Bundesstrafgericht regelt durch Reglement (a) die Berechnung der Verfahrenskosten, (b) die Gebühren, (c) die Entschädigungen an Parteien, die amtliche Verteidigung, den unentgeltlichen Rechtsbeistand, Sachverständige sowie Zeuginnen und Zeugen (Art. 73 Abs. 1 StBOG). Die Gebühr richtet sich nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien sowie nach dem Kanzleiaufwand (Art. 73 Abs. 2 StBOG; vgl. Art. 5 Reglement des Bundesstrafgerichts über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR, SR. 173.713.162]). Es gilt ein Gebührenrahmen von Fr. 200.00 bis Fr. 100'000.00 für jedes der folgenden Verfahren: (a) Vorverfahren, (b) erstinstanzliches Verfahren, (c) Rechtsmittelverfahren (Art. 73 Abs. 3 StBOG; vgl. Art. 6 - 7bis BStKR).

3.2.3      Die Verfahrenskosten umfassen die Gebühren und Auslagen (Art. 1 Abs. 1 BStKR). Die Gebühren sind für die Verfahrenshandlungen geschuldet, die im Vorverfahren von der BKP und von der BA, im erstinstanzlichen Hauptverfahren von der Strafkammer, im Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren von der Berufungskammer und in Beschwerdeverfahren gemäss Artikel 37 StBOG von der Beschwerdekammer durchgeführt oder angeordnet worden sind (Art. 1 Abs. 2 BStKR). Die Auslagen umfassen die vom Bund vorausbezahlten Beträge, namentlich die Kosten für die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Verbeiständung, Übersetzungen, Gutachten, Mitwirkung anderer Behörden, Porti, Telefonspesen und andere entsprechende Kosten (Art. 1 Abs. 3 BStKR). Die Auslagen werden entsprechend den dem Bund verrechneten oder von ihm bezahlten Beträgen festgelegt (Art. 9 Abs. 1 BStKR).

3.3         Kosten des Vorverfahrens und des erstinstanzlichen Verfahrens

              Die Rechtsmittelinstanz fällt vorliegend selber einen neuen Entscheid. Der erstinstanzliche Schuldspruch wegen Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG) ist in Rechtskraft erwachsen. Der erstinstanzliche Schuldspruch wegen Beschimpfung (Art. 177 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) wird bestätigt. Zudem wird der Beschuldigte im Berufungsverfahren (neu) wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB) schuldig gesprochen. Der Beschuldigte ist im Berufungsverfahren somit vollumfänglich unterlegen, während die BA vollumfänglich obsiegt hat. Demzufolge sind die Gebühr der BA von Fr. 500.-- und die erstinstanzliche Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- (zusammen Fr. 1'500.--; vgl. Urteil SK.2021.14 E. 8.2 bzw. Dispositivziffer I. 6) vollumfänglich dem Beschuldigten aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 3 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 StPO).

3.4         Kosten des Berufungsverfahrens

              Die Kosten des Berufungsverfahrens bestehen vorliegend aus einer Gerichts——gebühr, die im Lichte der erwähnten Grundsätze (oben E. II. 3.2.1 ff.) auf Fr. 3'000.-- (inkl. Auslagen; vgl. Art. 73 Abs. 1 Iit. a und b sowie Abs. 3 lit. c StBOG; Art. 1, 5, 7bis und 9 BStKR) festgelegt wird und ausgangsgemäss vom unterliegenden Beschuldigten zu tragen ist.

4.           Entschädigung

4.1         Anträge

4.1.1      Die BA machte im Rahmen ihrer Anschlussberufung vom 31. März 2022 klar, dass sich diese auch gegen «die (teilweise) Entschädigung mit CHF 2'135.00 für die Aufwendungen im Zusammenhang mit der erbetenen Verteidigung gemäss Ziff. I / 7. des Urteilsdispositivs SK.2021.14 vom 03.12.2021» richtet (CAR pag. 1.100.040; oben SV lit. B.2). Zudem beantragte sie anlässlich der Berufungsverhandlung vom 30. September 2022, «6. Die weiteren Verfügungen seien von Amtes wegen zu treffen» (CAR pag. 5.200.010; oben SV lit. B.4).

4.1.2      Der Beschuldigte stellte wie erwähnt den Antrag «3. AIIes unter gesetzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen» (CAR pag. 5.200.012; oben SV lit. B.4).

4.2         Gesetzliche Grundlagen

4.2.1      Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf: a. Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte; b. Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind; c. Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (Art. 429 Abs. 1 StPO). Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldig—te Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen (Art. 429 Abs. 2 StPO).

4.2.2      Ansprüche auf Entschädigung und Genugtuung im Rechtsmittelverfahren richten sich nach den Artikeln 429–434 (Art. 436 Abs. 1 StPO).

4.2.3      Auf die Berechnung der Entschädigung der ganz oder teilweise freigesprochenen beschuldigten Person, der Wahlverteidigung, der gänzlich oder teilweise obsiegenden Privatklägerschaft und der Drittperson im Sinne von Artikel 434 StPO sind die Bestimmungen über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung anwendbar (Art. 10 BStKR). Die Anwaltskosten umfassen das Honorar und die notwendigen Auslagen, namentlich für Reise, Verpflegung und Unterkunft sowie Porti und Telefonspesen (Art. 11 Abs. 1 BStKR). Das Honorar wird nach dem notwendigen und ausgewiesenen Zeitaufwand der Anwältin oder des Anwalts für die Verteidigung bemessen. Der Stundenansatz beträgt mindestens 200 und höchstens 300 Franken (Art. 12 Abs. 1 BStKR). Die Auslagen werden im Rahmen der Höchstansätze aufgrund der tatsächlichen Kosten vergütet (vgl. Art. 13 BStKR). Bei Fällen im ordentlichen Schwierigkeitsbereich, d.h. für Verfahren ohne hohe Komplexität und ohne Mehrsprachigkeit, beträgt der Stundenansatz gemäss ständiger Praxis der Straf- und der Berufungskammer Fr. 230.-- für Arbeitszeit und Fr. 200.-- für Reise- und Wartezeit (vgl. Beschluss der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts BK.2011.21 vom 24. April 2012 E. 2.1; Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SN.2011.16 vom 5. Oktober 2011 E. 4.1).

4.3         Vorverfahren / erstinstanzliches Verfahren

              Ausgangsgemäss (vgl. oben E. II. 3.3 und 4.2.1) ist dem Beschuldigten für das erstinstanzliche Verfahren und das Vorverfahren keine Entschädigung auszurichten.

4.4         Berufungsverfahren

Auch für das Berufungsverfahren ist dem Beschuldigten ausgangsgemäss keine Entschädigung auszurichten (vgl. oben E. II. 3.3 f. und 4.2.2).

Die Berufungskammer erkennt:

I. Feststellung der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils

Es wird festgestellt, dass das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2021.14 vom 3. Dezember 2021 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:

1.       A. wird schuldig gesprochen:

          -   […]

          -   der Benutzung eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigung (Art. 57 Abs. 3 PBG).

2.       […]

3.       […]

4.       A. wird bestraft mit einer Übertretungsbusse von Fr. 100.--, bei schuldhafter Nichtbezahlung ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von einem Tag.

5.       Der Kanton Zürich wird als Vollzugskanton bezeichnet.

6.       […]

7.       […]

II. Neues Urteil

1.       A. wird der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziffer 1 StGB) sowie der Beschimpfung (Art. 177 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 10 BGST) schuldig gesprochen.

2.       A. wird bestraft mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen à Fr. 80.--, bedingt vollziehbar, bei einer Probezeit von 2 Jahren.

3.       Die Gebühr der Bundesanwaltschaft von Fr. 500.-- und die erstinstanzliche Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- (zusammen Fr. 1'500.--) werden A. auferlegt.

4.       A. wird für das erstinstanzliche Verfahren und das Vorverfahren keine Entschädigung ausgerichtet.

III. Kosten und Entschädigungen im Berufungsverfahren

1.       Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 3'000.-- (Gerichtsgebühr inkl. Auslagen) werden A. auferlegt.

2.       A. wird für das Berufungsverfahren keine Entschädigung ausgerichtet.

Im Namen der Berufungskammer

des Bundesstrafgerichts

Die Vorsitzende                                                                Der Gerichtsschreiber

Brigitte Stump Wendt                                                       Franz Aschwanden

Zustellung an (Gerichtsurkunde):

- Bundesanwaltschaft, Herrn Johannes Rinnerthaler, Staatsanwalt des Bundes

- Herrn Rechtsanwalt Jürg Federspiel

- Frau B., p.A. F. AG

- Herrn C., p.A. F. AG

- D. AG

Kopie an (brevi manu):

- Bundesstrafgericht Strafkammer

Nach Eintritt der Rechtskraft mitzuteilen an:

- Bundesanwaltschaft, Urteilsvollzug und Vermögensverwaltung (zum Vollzug)

Rechtsmittelbelehrung

Beschwerde an das Bundesgericht

Dieses Urteil kann innert 30 Tagen nach Eröffnung der vollständigen Ausfertigung mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht angefochten werden. Das Beschwerderecht und die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in den Art. 78-81 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG) geregelt. Die begründete Beschwerdeschrift ist beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen.

Die Fristeinhaltung bei Einreichung der Beschwerdeschrift in der Schweiz, im Ausland bzw. im Falle der elektronischen Einreichung ist in Art. 48 Abs. 1 und 2 BGG geregelt.

                                                                                                               Versand: 13. Januar 2023

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