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Entscheid des Bundesstrafgerichts: SK.2020.59 vom 10.05.2021

Hier finden Sie das Urteil SK.2020.59 vom 10.05.2021 - Strafkammer

Sachverhalt des Entscheids SK.2020.59


Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Strafkammer

Fallnummer:

SK.2020.59

Datum:

10.05.2021

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Bundes; Beschuldigte; Insider; Urteil; Apos;; Tatsache; Recht; Insiderinformation; Bundesstrafgericht; Beschuldigten; Kammer; FinfraG; Gericht; Bundesstrafgerichts; Bundesanwaltschaft; Ausnützen; Insiderinformationen; Berufung; Zeitpunkt; E-Mail; Verfahren; Verfahrens; Einzelrichter; Effekten; Schweiz; Tatsachen; Google; Store

Rechtskraft:

Weiterzug

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 19 StPO ;Art. 2 StGB ;Art. 2 StPO ;Art. 23 StPO ;Art. 321 OR ;Art. 393 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 42 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 71 OR ;Art. 82 StPO ;

Referenz BGE:

118 Ib 448; 69 IV 75; ;

Kommentar:

Sethe, Fahrländer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, Art. 154 Finfr, 2017

Entscheid des Bundesstrafgerichts

SK.2020.59

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: SK.2020.59 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen

Urteil vom 10. Mai 2021
Strafkammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stefan Heimgartner, Einzelrichter

Gerichtsschreiber Friedo Breitenfeldt

Parteien

          Bundesanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt des Bundes Matthias Portmann

 

gegen

          A., erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt Bernhard Isenring

 

Gegenstand

Ausnützen von Insiderinformationen


Anträge der Bundesanwaltschaft:

1. A. sei schuldig zu sprechen wegen Ausnützens von Insiderinformationen als Sekundärinsider gemäss Art. 40 [des alten Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel (aBEHG; SR 954.1)].

2. A. sei mit einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je Fr. 2'000.--, entsprechend Fr. 320'000.-- zu bestrafen. Der Vollzug der Geldstrafe sei aufzuschieben bei einer Probezeit von 4 Jahren.

3. A. sei mit einer Busse von Fr. 7'000.-- zu bestrafen, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 40 Tagen.

4. A. sei zu verurteilen, der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine Ersatzforderung von Fr. 75'536.25 als unrechtmässigen Vermögensvorteil zu bezahlen.

5. Die Untersuchungskosten von Fr. 5'000.--, zuzüglich Fr. 4'000.-- Aufwand der Bundesanwaltschaft für das Hauptverfahren, sowie die Gerichtskosten seien vollständig A. zur Bezahlung aufzuerlegen.

6. Für den Vollzug sei der Kanton Zürich zuständig zu erklären.

Anträge der Verteidigung:

1. A. sei von Schuld und Strafe freizusprechen;

2. Ausgangsgemäss seien die Verfahrenskosten vollumfänglich auf die Staatskasse zu nehmen;

3. Ausgangsgemäss sei A. für seine Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ausübung seiner Verfahrensrechte gemäss einzureichenden Honorarnoten zu entschädigen.

Sachverhalt:

A. Am 19. Juli 2017 reichte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) bei der Bundesanwaltschaft Anzeige gegen A. ein wegen des Verdachts auf das Mitteilen und/oder Ausnützen von Insiderinformationen (Art. 40 aBEHG bzw. Art. 154 FinfraG).

B. Am 30. November 2020 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage vor Bundesstrafgericht gegen A. (Beschuldigter) wegen des Verdachts auf das Ausnützen von Insiderinformationen als Sekundärinsider gemäss Art. 40 aBEHG.

C. Mit Eingabe vom 9. Februar 2021 beantragte der Beschuldigte die Einvernahme diverser Zeugen (TPF pag. 6.521.003 ff.). Mit Eingabe vom 18. Februar 2021 beantragte die Bundesanwaltschaft die Abweisung der Beweisanträge (TPF pag. 6.510.002 ff.). Mit Verfügung vom 23. Februar 2021 wies das Gericht die Beweisanträge vollumfänglich ab (TPF pag. 6.250.001 f.).

D. Im Rahmen der Prozessvorbereitung holte das Gericht von Amtes wegen die erforderlichen Beweismittel zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten (Straf- und Betreibungsregisterauszug, Steuerunterlagen) ein (TPF pag. 6.231.1.001 ff.).

E. Am 10. Mai 2021 fand die Hauptverhandlung in Anwesenheit der Parteien am Sitz des Bundesstrafgerichts statt. Das Urteil des Einzelrichters der Strafkammer wurde gleichentags mündlich eröffnet und begründet.

F. In der Folge meldete die Bundesanwaltschaft am 12. Mai 2021 fristgerecht Berufung gegen das Urteil an (TPF pag. 6.940.002).

Der Einzelrichter erwägt:

1.             

Bundesgerichtsbarkeit

Nach Art. 22 StPO obliegt die Verfolgung und Beurteilung strafbarer Handlungen grundsätzlich den Kantonen, soweit sie nicht der Bundesgerichtbarkeit unterstehen. Gemäss Art. 44 aBEHG unterstehen die Verfolgung und Beurteilung von Handlungen nach Art. 40 aBEHG, d.h. Ausnützen von Insiderinformationen, der Bundesgerichtbarkeit. Diese Zuständigkeit wurde auch mit Inkrafttreten des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (Bundesgesetz vom 19. Juni 2015 über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel; FinfraG; SR 958.1) beibehalten ( Art. 156 i.V.m. Art. 154 FinfraG). Die Bundesgerichtsbarkeit ist damit gegeben (Art. 44 i.V.m Art. 40 aBEHG i.V.m. Art. 23 Abs. 2 StPO). Die Kompetenz des Einzelrichters der Strafkammer des Bundesstrafgerichts ergibt sich aus Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 36 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes vom 19. März 2010 (StBOG, SR 173.71).

2.             

Anklagevorwurf

2.1

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Beschuldigten A. vor, am 11. Juni 2014 in Z. bei Y., an seinem Domizil in X. oder anderswo in der Schweiz unter den folgenden Umständen vertrauliche Tatsachen als Sekundärinsider ausgenutzt zu haben.

2.2

Die Gesellschaft B. soll vor dem Tatzeitpunkt im Juni 2014 eine Chat-Applikation namens F. betrieben haben, die vor allem im südamerikanischen Mobilfunkmarkt verwendet worden sei. Gegen Ende 2013 bzw. im März 2014 habe B. kommuniziert, sie plane, ihre Applikation zu verbessern, sodass sie unabhängig von bestimmten Mobilfunkbetreibern genutzt werden könnte (sog. OTT-App). Im Laufe des ersten Halbjahres 2014 sei die OTT-App, ihre Funktionen und ihr launch immer wieder Gegenstand von Präsentationen von B. gewesen. Zu dieser Zeit sei C. Chief Executive Officer (CEO) und D. Chief Financial Officer (CFO) von B. gewesen.

2.3

Der Beschuldigte, der zu dieser Zeit bei der E. in der Research-Abteilung tätig gewesen sei, habe in dieser Funktion die genannten Präsentationen und Entwicklungen von B. verfolgt. Er sei in regelmässigem Kontakt mit D. und C. gestanden, die ihn auf seine Anfrage hin über den zeitlichen Rahmem des launches der OTT-App bzw. über dessen Verschiebung auf dem Laufenden gehalten hätten.

2.4

B. habe am Samstag, den 7. Juni 2014 die OTT-Version des F. ohne Vorankündigung im Google Play Store freigeschaltet, sodass die OTT-Version über diesen habe heruntergeladen werden können. Zu diesem Zeitpunkt habe es noch keine Mitteilung zum erfolgten launch des F. gegeben. Die vorbörsliche bzw. «offizielle» Pressemitteilung an das breite Anlegerpublikum, wonach die OTT-App habe heruntergeladen werden können, sei am 12. Juni 2014 erfolgt.

2.5

Am Mittwoch, den 11. Juni 2014 hätten die Mitarbeiter der E. im Verlauf des Vormittags festgestellt, dass die verbesserte Version des neuen F. im Google Play Store habe heruntergeladen werden können. Der Beschuldigte habe daraufhin C. per E-Mail zum erfolgreichen launch gratuliert, woraufhin C. ihm gleichentags, d.h. am 11. Juni 2014, um 9.49 Uhr, geantwortet und ihm mitgeteilt habe, dass am darauffolgenden Tag, d.h. am 12. Juni 2014, das «formal announcement» erfolgen würde.

2.6

Der Beschuldigte habe somit ab dem 11. Juni 2014 um 9.49 Uhr durch seinen Kontakt mit C., dem damaligen CEO von B. vom Zeitpunkt der vorbörslichen Pressemitteilung am darauffolgenden Tag, dem 12. Juni 2014, Kenntnis gehabt

2.7

Der Beschuldigte habe der G. AG mit Sitz in W. am 11. Juni 2014 um 10.46 Uhr von seinem Arbeitsplatz in Z. bei Y., seinem Domizil in X. oder anderswo in der Schweiz telefonisch oder per E-Mail den Auftrag erteilt, über das Depot seiner Ehefrau, H., 75'000 I. an der SIX Swiss Exchange in W. zu kaufen. Die Bank habe infolgedessen vom 11. Juni 2014 75'000 I. zu Fr. 1.46354 in das Depot gebucht und das Konto im Gegenzug mit Fr. 109'957.67 belastet.

2.8

Zwischen dem 4. und 10. Juni 2014 habe der Beschuldigte über das Depot seiner Ehefrau gestaffelt die mutmasslich am 11. Juni 2014 erworbenen B.-Positionen vollständig für insgesamt Fr. 185'493.92 veräussert. Damit habe er einen Gewinn von insgesamt Fr. 75'536.25 erzielt, worauf Fr. 325.08 für Kommissionen und Gebühren entfallen seien.

2.9

Die neue Version des F. sei ohne Vorankündigung ab dem 7. Juni 2014 über den Google Play Store und über die Webseite der B. zum download verfügbar gewesen. Eine vorbörsliche Pressemitteilung oder eine offizielle Ankündigung dieser Lancierung seien indessen einstweilen ausgeblieben. Zu welchem Zeitpunkt die Öffentlichkeit bzw. das breite Anlegerpublikum über die Verfügbarkeit der neuen F.-Version informiert würde, sei am 11. Juni 2014 nicht allgemein bekannt gewesen. Insbesondere sei am 11. Juni 2014 nur einem beschränkten Personenkreis bekannt gewesen, dass das «formal announcement» der OTT-App am 12. Juni 2014 erfolgen würde.

2.10

Am 12. Juni 2014 habe B. eine vorbörsliche Pressemitteilung publiziert, in der sie den erfolgten launch des OTT-Dienstes als wichtige Weiterentwicklung des F. bekannt gegeben habe. Bloomberg habe die Mitteilung ab 6.30 Uhr publiziert. An diesem Tag eröffnete I. bei Fr. 1.75, womit sie 9.37 % über dem Vortagesschlusskurs von Fr. 1.60 gelegen habe und habe bei Fr. 1.88 geschlossen, was einem Plus gegenüber dem Vortagesschlusskurs von 1.75 % entspreche.

2.11

Durch die [in Ziff. 2.8 aufgeführten] Aufträge habe der Beschuldigte und/oder dessen Ehefrau einen unrechtmässigen Vermögensvorteil von Fr. 75'536.25 realisiert, worauf Fr. 325.08 für Kommissionen und Gebühren entfallen seien. Diese Aufträge habe der Beschuldigte in Kenntnis der [in Ziff. 2.5 aufgeführten] Insiderinformationen, die für seinen Kaufentscheid mitentscheidend gewesen seien, erteilt und sich bzw. seiner Ehefrau so einen Vermögensvorteil verschafft.

2.12

Durch dieses Verhalten habe sich der Beschuldigte des Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen i.S.v. Art. 40 aBEHG bzw. Art. 154 FinfraG schuldig gemacht.

3.             

Rechtliches

3.1

Der Beschuldigte A. soll die ihm zur Last gelegte Tat am 11. Juni 2014 begangen haben. Am 1. Mai 2013 war Art. 40 aBEHG in Kraft getreten, welcher den Tatbestand des Ausnützens von Insiderinformationen regelte und den altrechtlichen Art. 161 aStGB (Ausnützen der Kenntnis vertraulicher Tatsachen) ersetzt hatte. Per 1. Januar 2016 wurde der Insidertatbestand vom aBEHG ohne signifikante Änderung in das Bundesgesetz über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturgesetz, FinfraG, SR 958.1) transferiert ( Art. 154 FinfraG [Botschaft vom 3. September 2013 zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG), BBl 2014 S. 7483 Bundesblatt Als Filter hinzufügen Link öffnen ff., 7587; Graf, Befugte Weitergabe von Insiderinformationen, Jusletter 27. März 2017, S. 2 f.]). Unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots gilt das zum Tatzeitpunkt in Kraft gewesene Recht ( Art. 2 Abs. 1 StGB), es sei denn, das neue Recht ist für den Täter das mildere ( Art. 2 Abs. 2 StGB). Letzteres trifft in concreto nicht zu. Es ist somit bezüglich der vor dem 1. Januar 2016 mutmasslich begangenen Taten das aBEHG in der zum mutmasslichen Tatzeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden.

3.2

Gemäss Art. 40 Abs. 1 aBEHG macht sich unter anderem strafbar, wer als Person, die aufgrund ihrer Tätigkeit bestimmungsgemäss Zugang zu Insiderinformationen hat, sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil verschafft, indem er eine Insiderinformation dazu ausnützt, Effekten, die an einer Börse oder einer börsenähnlichen Einrichtung in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, zu erwerben, zu veräussern oder daraus abgeleitete Finanzinstrumente einzusetzen (lit. a), einem anderen mitteilt (lit. b) oder dazu ausnützt, einem anderen eine Empfehlung zum Erwerb oder zur Veräusserung von Effekten, die an einer Börse oder einer börsenähnlichen Einrichtung in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, oder zum Einsatz von daraus abgeleiteten Finanzinstrumenten abzugeben (lit. c). Bei den durch Art. 40 Abs. 1 aBEHG erfassten Personen handelt es sich um sogenannte Primärinsider ( Fahrländer, Der revidierte schweizerische Insiderstraftatbestand, Diss. 2015, S. 121).

3.3

Als Tatsache gelten nicht nur eingetretene Ereignisse, sondern auch Absichten, Pläne und künftige Entwicklungen. Tatsachen im Insiderstrafrecht können auch in Form von Plänen und Absichten bestehen, unabhängig von einer zukünftigen Realisierung. Ferner gelten auch laufende Verhandlungen, unabhängig von ihrem Fortschritt, als Tatsachen ( Koenig, Das Verbot von Insiderhandel, Zürich 2006, S. 164; vgl. Leuenberger, Die materielle kapitalmarktstrafrechtliche Regulierung des Insiderhandels de lege lata und de lege ferenda in der Schweiz, Diss., 2010, S. 350 f.)

Als vertraulich gilt eine Information, wenn sie nicht allgemein, sondern nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist ( Wohlers/Pflaum, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2019, Art. 154 FinfraG N. 41). Sie ist hingegen nicht vertraulich, wenn das Börsenpublikum davon – durch eine offizielle Information oder auf andere Art und Weise – Kenntnis hat. Die Vertraulichkeit einer Tatsache bzw. Information endet, wenn sie «de manière presque certaine, par un cercle élargi d'acteurs boursières» bekannt ist ( BGE 118 Ib 448 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 6b/aa) oder «wenn ein Dritter sie erlangen könnte, wenn auch nur mit Anstrengung» (Urteil des Bundesgerichts 2A.230/1999 Weitere Urteile BGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 2. Februar 2000 E. 6.b m.w.H.; Wohlers/Pflaum, a.a.O.)

3.4

Gemäss Art. 40 Abs. 3 aBEHG macht sich unter anderem auch strafbar, wer sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil verschafft, indem er eine Insiderinformation, die ihm von einer Person nach Abs. 1 mitgeteilt wurde, dazu ausnützt, Effekten, die an einer Börse oder einer börsenähnlichen Einrichtung in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, zu erwerben oder zu veräussern oder daraus abgeleitete Finanzinstrumente einzusetzen. Man spricht vom sog. Sekundärinsider bzw. Tippnehmer ( Fahrländer, a.a.O., Rz. 207).

Ein «Ausnutzen» im Sinne von Art. 40 Abs. 1 aBEHG bzw. Art. 154 FinfraG setzt eine Kausalität zwischen Kenntnis der Insiderinformation und dem Handeln des Insiders voraus (anstelle vieler: Böckli, Insiderstrafrecht und Verantwortung des Verwaltungsrates, 1989, SSHW Bd. 120, S. 76 f.; Wohlers/Pflaum, a.a.O., Art. 154 N. 71). Somit sind Transaktionen, die auch ohne das inkriminierte Insiderwissen vorgenommen worden wären, per definitionem straflos (anstelle vieler: Böckli, a.a.O.; Sethe/Fahrländer, Schulthess-Kommentar, 2017, Art. 154 FinfraG N. 112; relativierend: BezG ZH vom 14. Juni 2001, SJZ 2001 464).

3.5

Art. 40 aBEHG setzt Vorsatz voraus, worunter nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts i.d.R. auch Eventualvorsatz fällt (erstmals: BGE 69 IV 75 E. 5 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen; in neuerer Zeit anstelle vieler: Urteil des Bundesgerichts 6B_870/2018 Weitere Urteile BGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 29. April 2019 E. 3.7). Bei einzelnen Tatbestandselementen ist jedoch direkte Absicht erforderlich ( Sethe/Fahrländer, a.a.O., Art. 154 FinfraG, N. 162).

4.             

Beweiswürdigung und Subsumtion

4.1

Äusserer Sachverhalt

Erstellt ist zunächst, dass der Beschuldigte am 11. Juni 2014 um 10.46 Uhr von seinem Arbeitsplatz in Z. bei Y. telefonisch oder per E-Mail den Auftrag erteilte, über das Depot seiner Ehefrau, H., 75'000 I. an der SIX Swiss Exchange in W. zu kaufen (BA pag. 13.001-0051). Nachdem der Beschuldigte anlässlich seiner Einvernahme vom 23. Juni 2020 zu diesem Vorhalt noch geschwiegen hatte, bestätigte er anlässlich der Hauptverhandlung vom 10. Mai 2021, die inkriminierte Transaktion von seinem Arbeitsplatz aus getätigt zu haben (BA pag. 13.100-0019; TPF pag. 6.731.009).

4.2

Insidereigenschaft

Erstellt ist weiter, dass der Beschuldigte Träger von börsenrelevantem Wissen war. So war er im Rahmen seiner Tätigkeit als «Researcher» bei der E. mit der Gesellschaft B. und ihrem F.-Projekt befasst (BA pag. 13.001-0109; TPF pag. 6.731.003 f.). Auf Grund dessen stand er in Kontakt mit deren CEO C. sowie deren CFO D. (BA pag. 13.001-0110; TPF pag. 6.731.003 ff.). Als Organe der Gesellschaft, die das börsenrelevante Ereignis vermeldete, waren C. und D. bei Vorliegen einer nicht öffentlichen börsenrelevanten Tatsache als Primärinsider zu qualifizieren. Der Beschuldigte kommt folglich grundsätzlich als Sekundärinsider i.S.v. Art. 40 Abs. 3 aBEHG in Betracht.

4.3

Vertraulichkeit

4.3.1

Zu prüfen ist zunächst, ob der geplante launch der OTT-Version zum Zeitpunkt des Aktienkaufs des Beschuldigten am 11. Juni 2014 eine nicht öffentliche börsenrelevante Tatsache, d.h. eine Insiderinformation, darstellte. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang zunächst die Tatsache, dass es der Beschuldigte war, der CEO C. und CFO D. am 11. Juni 2014 kontaktierte, um ihnen zum erfolgreichen launch zu gratulieren. Die Information selbst, nämlich der bereits erfolgte launch, war dem Beschuldigten zu diesem Zeitpunkt in diesem Sinne bereits aus der Verfügbarkeit der App im Google Play Store bekannt (BA pag. 13.001-0059; TPF pag. 6.731.005 f.). So führte der Beschuldigte im Rahmen seiner Einvernahme vom 29. Oktober 2020 ins Felde, beim Google Play Store handle es sich um eine Plattform mit «ca. einer Milliarde User» (BA pag. 13.001-0110). Anlässlich der Hauptverhandlung gab der Beschuldigte zu Protokoll, dass die App zum Zeitpunkt der Lancierung der OTT-Version am 7. Juni 2014 bereits 50 Millionen user gezählt habe (TPF pag. 6.731.006). Gerichtsnotorisch sind zumindest die hohen Nutzerzahlen des Google Play Store. Mit der Veröffentlichung der OTT-Version der F.-App war deren launch folglich bereits öffentlich und somit per definitionem keine Insiderinformation mehr.

4.3.2

Gegen das Vorliegen einer vertraulichen Tatsache i.S.v. Art. 40 aBEHG sprechen weiter der Anstieg des Kurses am Vortag der Veröffentlichung sowie der Umstand, dass der CEO von B. diese Tatsache ohne Weiteres dem Beschuldigten als einem nicht besonders nahestehenden Bankenvertreter preisgab und den CFO ins «cc» setzte. Unter diesen Vorzeichen ist gut denkbar, dass er den weiteren Mitarbeitern, Kollegen und Bekannten diese Information weitergegeben haben könnte. Ein Vertraulichkeitshinweis fehlte im E-Mail und eine besondere Vertrauensstellung kam dem Beschuldigten, wie bereits erwähnt, nicht zu. Folglich fehlte es an der Vertraulichkeit der in der E-Mail vom 11. Juni 2014 (BA pag. 13.001-0058 f.) enthaltenen Informationen.

4.3.3

Was die in der E-Mail von C. zusätzlich erlangten Informationen der WAP Version und der geplanten OS-Version betrifft, so sind diese weder von der Anklage umschrieben – sodass eine diesbezügliche Verurteilung ohne Verletzung des Anklageprinzips ohnehin nicht in Betracht käme – noch wären betreffende Informationen als signifikant kursrelevant zu werten, weil die betreffende WAP Technologie schon zum damaligen Zeitpunkt als überholt galt. Das Vorhaben, künftig zu einem späteren Zeitpunkt auch eine OS-Version anzubieten, war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte nicht darauf spekulierte, da er schon vor dem release die Aktien wieder verkaufte. Demzufolge hätte ein vernünftiger Anleger einzig gestützt auf diese Tatsache keine relevante positive Kursentwicklung angenommen.

4.3.4

Nicht zuletzt gilt eine Information – selbst wenn sie ursprünglich von einem Insider stammt – nicht mehr als vertraulich, wenn sie auf Grund von öffentlich zugänglichen Quellen erschlossen werden konnte.

4.4

Kausalität

4.4.1

Zu prüfen ist sodann, ob die inkriminierte E-Mail vom 11. Juni 2014 für den Kaufentschluss seitens des Beschuldigten ausschlaggebend war. Erstellt ist, dass der Beschuldigte mit seiner Kontaktaufnahme zu CEO und CFO von B. zumindest nicht direkt die Erlangung einer Insiderinformation bezweckte. Vielmehr teilte ihm CEO C. auf sein Gratulations-E-Mail vom 11. Juni 2014 hin – ohne entsprechende Aufforderung – gleichentags mit, dass das formal announcement am Folgetag erfolgen würde (BA pag. 13.001-0058 f.). Diese Information war jedoch kaum geeignet, die Beschlussfassung des Beschuldigten bezüglich des Aktienkaufs zu beeinflussen. Hierzu äusserte sich der Beschuldigte anlässlich der Hauptverhandlung folgendermassen: «[Das E-Mail von C.] war irrelevant. Der Kaufentscheid hat sich über 9 Monate aufgebaut und dann war diese App endlich da. Man wusste über die ganzen neuen Funktionalitäten Bescheid, aber die App musste mal endlich da sein und funktionieren und sollte idealerweise stabil sein und wir haben [sie] ja erst am 11. Juni [2014] entdeckt. Wenn wir sie schon am 10.6. entdeckt hätten, hätte ich wahrscheinlich schon am 10.6. gekauft» (TPF pag. 6.731.009).

4.4.2

Selbst wenn bewiesen wäre, dass das announcement eine vertrauliche Tatsache beinhalten würde (hierzu oben, E. 4.3), wäre dies allerhöchstens ein weiterer marginaler, nicht entscheidrelevanter Beweggrund für den Kauf gewesen. In einer solchen Konstellation würde es auch an der Tatbestandsmässigkeit fehlen, da der natürlich kausale Beweggrund die – unbestrittenermassen ohne Zutun von Insiderwissen festgestellte – öffentliche Verfügbarkeit der verbesserten OTT-Version im Google Play Store war.

4.4.3

Auch die Tatsache, dass am 6., 7. und 8. Mai 2014 bereits ein Austausch zwischen dem Beschuldigten und CFO D. bezüglich des launch stattgefunden hatte (BA pag. 13.001-0056), vermag an dieser Würdigung nichts zu ändern, da es dem entsprechenden Austausch an der zeitlichen Nähe fehlt und dieser somit von vornherein nicht kausal für den Kaufentscheid des Beschuldigten am 11. Juni 2014 gewesen sein konnte.

4.5

Eine Verurteilung des Beschuldigten scheitert folglich bereits am objektiven Tatbestand, womit er vom Vorwurf des Ausnutzens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen i.S.v. Art. 40 aBEHG freizusprechen ist.

5.             

Verfahrenskosten

5.1

Gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO können dem Beschuldigten die Verfahrenskosten in Abweichung von Art. 423 StPO ausnahmsweise ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert haben. Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn die beschuldigte Person in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine Rechtsnorm klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat.

5.2

Auf Grund der vorliegenden Beweismittel klar erstellt und auch nicht bestritten ist, dass der Beschuldigte den Handel mit Effekten der B. am 11. Juni 2014 über das Depot seiner Ehefrau H. bei der G., d.h. einer Drittbank abwickelte, ohne diese Mitarbeitergeschäfte vorab von einem Mitglied der Geschäftsleitung der E. genehmigen zu lassen (TPF pag. 6.720.005). Ebenso klar erstellt und unbestritten ist ferner, dass diese Transaktion eine Gesellschaft betraf, mit der sich der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt eingehend im Rahmen seiner Tätigkeit als «Researcher» bei der E. beschäftigte. Durch dieses Verhalten verstiessen er mehrfach gegen Ziff. 9 und 11 der Weisung «Mitarbeitergeschäfte» der E., wodurch er einerseits in seiner Funktion als Angestellter der Research-Abteilung seine arbeitsrechtliche Treuepflicht ( Art. 321a OR) und andererseits seine Sorgfalts- und Treuepflicht ( Art. 717 OR) als Geschäftsleitungsmitglied verletzte (BA pag. 13.001.0076). Dieses Verhalten beinhaltet ein zivilrechtliches Verschulden. Zugleich war es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, gegenüber dem Beschuldigten den Verdacht von Börsendelikten, namentlich den Verdacht des Ausnützens von Insiderinformationen zu wecken und die Eröffnung des vorliegenden Strafverfahrens zu veranlassen. Im Ergebnis besteht der erforderliche adäquate Kausalzusammenhang und der Beschuldigte ist zur Tragung der Verfahrenskosten zu verpflichten.


Der Einzelrichter erkennt:

I.             

1.              A. wird vom Vorwurf des Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen freigesprochen.

2.              Die Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 11'000.-- (Gebühr Bundesanwaltschaft: 9'000.--; Gerichtsgebühr Fr. 2'000.--) werden A. auferlegt.

Wird seitens A. keine schriftliche Urteilsbegründung verlangt, so reduziert sich die Gerichtsgebühr um die Hälfte.

3.              Es werden keine Parteientschädigungen ausgerichtet.

II.             

Dieses Urteil wird in der Hauptverhandlung eröffnet und durch den Einzelrichter mündlich begründet. Den Parteien wird das Urteilsdispositiv ausgehändigt.

Im Namen der Strafkammer

des Bundesstrafgerichts

Der Einzelrichter                                                               Der Gerichtsschreiber

Nach Eintritt der Rechtskraft mitzuteilen an:

-              Bundesanwaltschaft als Vollzugsbehörde (vollständig)

Rechtsmittelbelehrung

Das Gericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung, wenn es das Urteil mündlich begründet und nicht eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB, eine Behandlung nach Artikel 59 Absatz 3 StGB oder, bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen, einen Freiheitsentzug von mehr als zwei Jahren ausspricht ( Art. 82 Abs. 1 StPO). Das Gericht stellt den Parteien nachträglich ein begründetes Urteil zu, wenn eine Partei dies innert 10 Tagen nach der Zustellung des Dispositivs verlangt oder eine Partei ein Rechtsmittel ergreift ( Art. 82 Abs. 2 StPO).

Berufung an die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts

Gegen Urteile der Strafkammer des Bundesstrafgerichts, die das Verfahren ganz oder teilweise abschliessen, kann innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts mündlich oder schriftlich Berufung angemeldet werden ( Art. 399 Abs. 1 i.V.m. Art. 398 Abs. 1 StPO; Art. 38a StBOG).

Mit der Berufung kann das Urteil in allen Punkten umfassend angefochten werden. Mit der Berufung können gerügt werden: Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung, die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhaltes sowie Unangemessenheit ( Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO).

Die Berufung erhebende Partei hat innert 20 Tagen nach Zustellung des begründeten Urteils der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts eine schriftliche Berufungserklärung einzureichen. Sie hat darin anzugeben, ob sie das Urteil vollumfänglich oder nur in Teilen anficht, welche Abänderungen des erstinstanzlichen Urteils sie verlangt und welche Beweisanträge sie stellt. Werden nur Teile des Urteils angefochten, ist verbindlich anzugeben, auf welche sich die Berufung beschränkt ( Art. 399 Abs. 3 und 4 StPO).

Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der Strafkammer des Bundesstrafgerichts als erstinstanzliches Gericht, ausgenommen verfahrensleitende Entscheide, kann innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geführt werden (Art. 393 Abs. 1 lit. b und Art. 396 Abs. 1 StPO; Art. 37 Abs. 1 StBOG).

Gegen den Entschädigungsentscheid kann die amtliche Verteidigung innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts führen (Art. 135 Abs. 3 lit. a und Art. 396 Abs. 1 StPO; Art. 37 Abs. 1 StBOG).

Mit der Beschwerde können gerügt werden: a. Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung; b. die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts; c. Unangemessenheit ( Art. 393 Abs. 2 StPO).

Versand: 8. Juli 2021

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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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