Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Berufungskammer |
Fallnummer: | CN.2021.10 |
Datum: | 09.07.2021 |
Leitsatz/Stichwort: | |
Schlagwörter | Beschuldigte; Beschuldigten; Sicherheit; Kontakt; Sicherheitshaft; Bundes; Berufung; Person; Telefon; Kammer; Verfügung; Besuch; Personen; Haftanstalt; Untersuchung; Urteil; Verfahren; Untersuchungs; Entscheid; Filter; Besuche; Zeuge; Recht; Sinne; Bewilligung; Telefonat; Entscheide; BStGer |
Rechtskraft: | Kein Weiterzug, rechtskräftig |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 1 BV ;Art. 10 BV ;Art. 13 StGB ;Art. 135 StGB ;Art. 14 EMRK ;Art. 146 StGB ;Art. 22 StPO ;Art. 221 StPO ;Art. 23 StPO ;Art. 235 StPO ;Art. 36 BV ;Art. 48 BGG ;Art. 6 StPO ;Art. 95 SVG ; |
Referenz BGE: | 137 IV 84; 143 I 241; ; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
CN.2021.10
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal |
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Geschäftsnummer: CN.2021.10 Hauptgeschäftsnummer: CA.2020.18
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| Beschluss / Verfügung vom 9. Juli 2021 | |||
Besetzung |
| Richterinnen Andrea Blum, Vorsitzende, Beatrice Kolvodouris Janett und Petra Venetz, Gerichtsschreiber Franz Aschwanden | |||
Parteien |
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Gegenstand |
| Sicherheitshaft im Berufungsverfahren CA.2020.18 |
Sachverhalt:
A. Seit August 2016 führten die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich bzw. seit November 2016 die Bundesanwaltschaft (nachfolgend: BA) eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten durch. Seit seiner am 11. Mai 2017 erfolgten polizeilichen Festnahme befindet er sich in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft (BA pag. 6.0.1 ff.; TPF pag. 32.231.7.13 ff.).
B. Seit seiner Verhaftung war der Beschuldigte in den Haftanstalten V. und ZZ. aufgrund der Art der Tatvorwürfe (insbesondere die mutmassliche Anstiftung einer Frau zu einem Selbstmordanschlag im Libanon), bestehender Kollusionsgefahr sowie seines Verhaltens (diverse Vorfälle) und zum Schluss sogar auf eigenen Wunsch bis am 13. September 2019 in Einzelbehandlung (Einzelhaft) untergebracht (BA pag. 06-00-0022 ff.; 50 ff.; 95 ff.; 101 ff.; 482 ff.; 537 ff.; 562 ff.; 596 ff.). In dieser Zeit stellte die damalige Verfahrensleitung (BA) dem Beschuldigten für Besuche und Telefonate mit Personen ausserhalb der Haftanstalt (Familienangehörige) im Sinne von Art. 235 Abs. 1 und 2 StPO jeweils Einzel- oder Dauerbewilligungen aus. Besuche und Telefonate wurden auf Anweisung der BA durch die Bundeskriminalpolizei (nachfolgend: BKP) überwacht, wobei das Gespräch in Anwesenheit eines Dolmetschers aufgezeichnet wurde und das Thematisieren der laufenden Untersuchung nicht zulässig war bzw. zum Gesprächsabbruch führte (BA pag. 06-00-0038 ff; 46 ff.; 50 ff; 191 ff.; 207 ff.; 233 ff.; 250 ff.; 303 ff.; 349 ff.; 380 ff.; 408 ff.; 427 ff.; 474 ff.; 478 ff.; 523 ff.; 569 ff.; 586 ff.; 624 ff.; 628 ff.; 660 ff.; 678 ff.; 704 ff.; 724). Am 27. Januar 2020 wurde der Beschuldigte ins Kantonalgefängnis U. verlegt (BA pag. 06-00-0671 f.). Die Briefpost des Beschuldigten wurde von der BA überwacht und zensiert (vgl. BA pag. 06-00-01-0001 - 0183).
C. Am 9. April 2020 erhob die BA bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: Strafkammer) Anklage gegen den Beschuldigten wegen Verstosses gegen Art. 2 des Al-Quaïda/IS-Gesetzes (nachfolgend: AQ/IS-Gesetz), Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Art. 260ter Ziffer 1 StGB), gewerbsmässigen Betrugs ( Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB), mehrfachen Herstellens und Lagerns von Gewaltdarstellungen ( Art. 135 Abs. 1 StGB) sowie mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung ( Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG).
D. Mit Verfügung vom 30. April 2020 übertrug der Vorsitzende der Strafkammer den Vollzug der Postkontrolle an die BA, mit der Auflage der Zustellung von Orientierungskopien an das Gericht (TPF pag. 32.231.7.024 f.).
E. In der Folge erteilte der Vorsitzende der Strafkammer dem Beschuldigten betreffend Besuchs-/Telefonkontakt im Sinne von Art. 235 Abs. 1 und 2 StPO jeweils folgende Bewilligungen:
E.1 Verfügung vom 28. Mai 2020: Bewilligung zur Führung von Telefongesprächen wahlweise mit JJJ. (Mutter), KKK. (Bruder) oder D. (Ziehsohn) einmal alle 14 Tage. Dies mit dem Verbot der Führung von Gesprächen über das laufende Strafverfahren sowie unter Aufsicht der BKP und mit Beizug eines Dolmetschers, welcher den Gesprächsinhalt zu kontrollieren und bei jedem Anzeichen einer Missachtung der Bewilligung zu intervenieren/rapportieren habe (TPF pag. 32.231.7.038 f.).
E.2 Verfügung vom 10. Juni 2020: Dauerbesuchsbewilligung für D. für Besuche alle zwei Wochen. Dies unter denselben Bedingungen wie die Telefonate gemäss Verfügung vom 28. Mai 2020 (TPF pag. 32.231.7.050 f.).
E.3 Verfügung vom 21. August 2020: Besuchsbewilligung für LLL. (Chef Bereich polizeiliche Verfügungen fedpol), MMM. (Mitarbeiter Bereich polizeiliche Verfügungen fedpol), NNN. (Kantonspolizei Thurgau, Fachstelle Gewaltschutz), OOO. (Migrationsamt Thurgau, Leiter Asyl und Vollzug) sowie eine Übersetzerin/Dolmetscherin im Hinblick auf die Führung eines Rückreisegesprächs, über welches ein Bericht zu verfassen sei ( Art. 2a VVWAL; SR 142.281) (TPF pag. 32.231.7.073 f. und 100).
E.4 Verfügung vom 10. September 2020: Einmalige Besuchsbewilligung für KKK., PPP., DD. und BBBB. (die in Deutschland und Schweden lebenden Brüder des Beschuldigten) mit akustischer Aufzeichnung (TPF pag. 32.231.7.128 f.).
E.5 Verfügung vom 18. September 2020: Bewilligung für ein wöchentliches Telefonat mit JJJ., KKK. und D., unter Vorbehalt der Einhaltung der Hausordnung der Haftanstalt (TPF pag. 32.231.7.131).
E.6 Verfügung vom 20. Oktober 2020: Bewilligung für ein wöchentliches Telefonat von maximal 15 Minuten mit JJJ., KKK. und D. sowie eine Dauerbesuchsbewilligung für D. für einen Besuch alle zwei Wochen. Dies mit dem Verbot der Führung von Gesprächen über das laufende Strafverfahren sowie unter Aufsicht der BKP und unter Beizug eines Dolmetschers, welcher den Gesprächsinhalt zu kontrollieren und bei jedem Anzeichen einer Missachtung der Bewilligung zu intervenieren/rapportieren habe (TPF 32.231.7.154 - 157).
F. Mit Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 8. Oktober 2020 verurteilte die Strafkammer den Beschuldigten wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Art. 260ter Ziffer 1 StGB), Lagerns von Gewaltdarstellungen ( Art. 135 Abs. 1 und 2 StGB) und mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung ( Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG) zu einer Freiheitsstrafe von 70 Monaten und verwies ihn für die Dauer von 15 Jahren des Landes (CAR pag. 1.100.005 - 011). Mit Beschluss der Strafkammer vom 8. Oktober 2020 wurde zudem die Sicherheitshaft für den Beschuldigten bis zum 7. Januar 2021 verlängert (CAR pag. 1.100.132; TPF pag. 32.231.7.145 ff.). Am 16. Oktober 2020 meldeten der Beschuldigte und am 19. Oktober 2020 die BA Berufung gegen das Urteil an (CAR pag. 1.100.016 ff.).
G. In der Zeit vom 9. Oktober 2020 bis 17. Februar 2021 konnten aufgrund der Covid-Situation bzw. den entsprechenden administrativen Abläufen innerhalb der Haftanstalt die bewilligten Besuche und Telefonate nicht mehr durchgeführt werden (TPF pag. 32.231.7.160 und CAR pag. 4.101.010 ).
H. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 ersuchte der Beschuldigte bei der Strafkammer um Lockerung der Haftbedingungen (Telefonate und Besuchsregelung wie zuvor) (TPF pag. 32.521.034 f.). Diesem Ersuchen wurde vom Vorsitzenden der Strafkammer mit Schreiben vom 22. Dezember 2020 im Hinblick auf den Übergang der Rechtshängigkeit des Hauptverfahrens auf die Berufungsinstanz und damit deren Zuständigkeitsbefugnis für die Anordnung von Sicherheitshaft per 23. Dezember 2020 (Folgetag) nicht entsprochen (CAR pag. 1.100.012).
I. Mit der Übermittlung des vollständig begründeten Urteils SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen vom 8. Oktober 2020 inkl. Verfahrensakten an die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: Berufungskammer) per 23. Dezember 2020 (vgl. CAR pag. 1.100.014 ff. und 143 ff.) ging die Rechtshängigkeit auf Letztere über (vgl. Forster, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 232 StPO N. 1).
J. Mit Verfügung der Vorsitzenden der Berufungskammer vom 4. Januar 2021 wurde die Sicherheitshaft für den Beschuldigten bis zum definitiven Entscheid provisorisch verlängert, den Verfahrensparteien die beabsichtigte Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft in Aussicht gestellt und ihnen das rechtliche Gehör gewährt (CAR pag. 10.100.001 ff.).
K. Mit Verfügung der Vorsitzenden der Berufungskammer CN.2020.5 vom 12. Januar 2021 wurde die Sicherheitshaft für den Beschuldigten zur Sicherung des Strafvollzugs einstweilen aufrechterhalten. Mangels Antrags des Beschuldigten bildete die bei der Vorinstanz beantragte Lockerung der Haftbedingungen nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Zur Begründung der Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft wurde das Bestehen von Fluchtgefahr ( Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO) bejaht, wobei offengelassen wurde, ob auch die weiteren Haftgründe der Verdunkelungs- bzw. Kollusionsgefahr ( Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO) und/oder der Wiederholungsgefahr ( Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO) gegeben sind (CAR pag. 10.101.009 - 014).
L. Mit Verfügung der Vorsitzenden der Berufungskammer CN.2021.5 vom 7. April 2021 wurde die Berechtigung des Beschuldigten zum Empfang von Besuchen von und zur Führung von Telefongesprächen mit Personen ausserhalb der Haftanstalt im Sinne von Art. 235 Abs. 1 und 2 StPO einstweilen aufgehoben und die bisherige Überwachung/Kontrolle des Briefverkehrs des Beschuldigten durch die BA aufrechterhalten (CAR pag. 10.103.028 - 046).
M. Mit Eingabe vom 30. März 2021 beantragte der Beschuldigte die Wiedererteilung seiner Kontakt- und Kommunikationsrechte. Dies mit der Begründung, dass es sich beim Ausspruch «QQQ. solle zu diesem Mann gehen und ihn verrecken lassen!» nur um einen emotionalen Ausspruch und nicht um einen konkreten widerrechtlichen Auftrag (Tötungsauftrag) handle. Die Einschränkungen (Kontaktverbote) seien unverhältnismässig und es bestehe weder Flucht- noch Kollusionsgefahr (CAR pag. 10.103.024 ff.).
N. Anlässlich der Berufungsverhandlung vom 7. Juli 2021 wurden der im Kantonalgefängnis U. untergebrachte Vollzugshäftling RRR. als Zeuge, der gerichtliche psychiatrische Gutachter Dr. med. E. sowie der Beschuldigte von Amtes wegen befragt (vgl. Protokolle Zeugeneinvernahme RRR., Einvernahme Gutachter, Einvernahme Beschuldigter).
O. Mit Urteil der Berufungskammer CA.2020.18 vom 9. Juli 2021 wurde der Beschuldigte des Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des AQ/IS-Gesetzes, des Lagerns von Gewaltdarstellungen ( Art. 135 Abs. 1 StGB) und des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung ( Art. 95 lit. b SVG) schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von 65 Monaten bestraft (unter Anrechnung von 1'520 Tagen ausgestandener Polizei-, Untersuchungs- und Sicherheitshaft) sowie nach absolviertem Strafvollzug für 15 Jahre des Landes verwiesen.
Erwägungen:
I. Sicherheitshaft / Antrag auf Entlassung aus der Sicherheitshaft
1. Mit Urteil CA.2020.18 vom 9. Juli 2021 sprach die Berufungskammer den Beschuldigten des Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des AQ/IS-Gesetzes, des Lagerns von Gewaltdarstellungen und des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung schuldig, bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 65 Monaten (wovon bereits 1'520 Tage in Form von Polizei-, Untersuchungs- und Sicherheitshaft verbüsst wurden) und verwies ihn für 15 Jahre des Landes. Anlässlich der Berufungsverhandlung plädierte der Beschuldigte im Hauptanklagepunkt (Verstoss gegen Art. 2 AQ/IS-Gesetz bzw. Art. 260ter Ziff. 1 StGB) auf Freispruch und beantragte entsprechend seine Entlassung aus der Sicherheitshaft sowie die Ausrichtung einer Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft (Plädoyer HV S. 1 Ziff. II 1., S. 2 Ziff. IV. 1 und S. 46). Die BA verzichtete diesbezüglich auf einen Antrag oder eine Stellungnahme.
2. In Anbetracht des gegen den Beschuldigten am 9. Juli 2021 ergangenen Berufungsurteils CA.2020.18 hat sich an den die Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft rechtfertigenden Gründen gemäss Entscheid CN.2020.5 vom 12. Januar 2021 (vgl. supra lit. K: Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft, wobei mindestens der Haftgrund der Fluchtgefahr zu bejahen ist), nichts geändert. Nach Verbüssung von 1'520 Hafttagen verbleiben nach wie vor deren 430. Insbesondere rechtfertigen auch das Verhalten des Beschuldigten während der Sicherheitshaft im Zusammenhang mit dem Kontakt zu Angehörigen ausserhalb der Haftanstalt (vgl. infra E. II.) bzw. dem Kontakt zu Mithäftlingen innerhalb der Haftanstalt (vgl. infra E. IV.) sowie die ausgesprochene Landesverweisung die Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft. Zusammenfassend ist die Sicherheitshaft zwecks Sicherung des Vollzugs der (Rest-)Strafe und Sicherstellung/Vorbereitung der Landesverweisung aufrechtzuerhalten.
II. Einschränkung der Kontaktrechte des Beschuldigten
1. Rechtliches
1.1 Der Anspruch eines Inhaftierten auf Kontakt mit anderen Menschen ergibt sich aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit ( Art. 10 Abs. 2 BV); ebenso gegebenenfalls aus dem Recht auf Familienleben ( Art. 14 BV und Art. 8 EMRK) und auf Ehe ( Art. 14 BV). Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein ( Art. 36 Abs. 3 BV). Gemäss Art. 235 StPO darf die inhaftierte Person in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern (Abs. 1). Die Kontakte zwischen der inhaftierten Person und anderen Personen bedürfen der Bewilligung der Verfahrensleitung. Besuche finden, wenn nötig unter Aufsicht statt (Abs. 2). Beim vorzeitigen Sanktionsvollzug tritt die beschuldigte Person mit dem Eintritt in die Vollzugsanstalt ihre allfällige Strafe oder Massnahme bereits an; sie untersteht von diesem Zeitpunkt an dem Vollzugsregime, wenn der Zweck der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht (Abs. 4). Die Kantone regeln die Rechte und Pflichten der strafprozessual inhaftierten Personen, ihre Beschwerdemöglichkeiten, die Disziplinarmassnahmen sowie die Aufsicht über die Haftanstalten (Abs. 5).
1.2 Die Bewilligungspflicht erstreckt sich auf persönliche und mündliche Kontakte, bei Personen ausserhalb der Anstalt also auf Besuche oder Telefonate, nicht aber auf den Postverkehr. Dieser wird nach Abs. 3 – mit Ausnahmen – überwacht. Das Bewilligungserfordernis will die Vereitelung des Haftzwecks durch Kontakte des Gefangenen mit anderen Personen verhindern. Er soll daran gehindert werden, Fluchtvorbereitungen oder Kollusionshandlungen vorzunehmen. Die Verfahrensleitung ist am besten in der Lage, zu beurteilen, wie weit der Haftzweck durch derartige Kontakte gefährdet werden kann. Deshalb hat sie zu bewilligen und festzulegen, mit welchen Mitgefangenen und Personen ausserhalb der Anstalt der Untersuchungsgefangene in Kontakt treten darf. Kein Bewilligungserfordernis gilt für den Kontakt des Gefangenen mit der Verteidigung (besondere Regelung in Abs. 4). Keiner Bewilligung bedarf ebenso der Kontakt des ausländischen Untersuchungs-/Sicher heitsgefangenen mit dem Konsularbeamten seines Landes. Der Gefangene und der Konsularbeamte dürfen frei miteinander verkehren. Der Gefangene ist unverzüglich über das Recht zu informieren, sich mit dem Konsularbeamten in Verbindung zu setzen (vgl. dazu Härri, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 235 StPO N. 30 - 34).
Der Bewilligung durch die Verfahrensleitung bedarf die Unterbringung des Untersuchungs- und Sicherheitsgefangenen in einer Zelle mit anderen Gefangenen. Der Untersuchungs- und Sicherheitsgefangene kann also nicht zwischen Einzel- und Gemeinschaftshaft frei wählen. Steht der Haftzweck oder die Ordnung der Sicherheit in der Anstalt dem nicht entgegen, hat die Verfahrensleitung dem durch das Grundrecht der persönlichen Freiheit geschützten Wunsch des Gefangenen auf Gemeinschaftshaft zu entsprechen. Insbesondere die Gefährlichkeit des Untersuchungsgefangenen kann seine Unterbringung auch gegen seinen Willen in Einzelhaft erforderlich machen. Diese stellt für sich allein keine unmenschliche, Art. 10 Abs. 3 BV und Art. 3 EMRK verletzende Behandlung dar. In einer lange dauernden, vollständigen, sozialen Isolierung des Gefangenen, die mit der weitgehenden Isolierung seiner Sinneseindrücke verbunden ist, liegt dagegen eine Behandlung, welche weder mit Sicherheitsinteressen noch mit anderen legitimen Gründen gerechtfertigt werden kann und daher unzulässig ist. Wie dargelegt, stellt insb. die Erlangung eines Geständnisses keinen Haftzweck dar ( Härri, a.a.O., Art. 235 StPO N. 35 f).
1.3
1.3.1 Diese gesetzlichen Regelungen in Art. 235 StPO stützen sich auf die langjährige Praxis des Bundesgerichts. Danach müssen einschränkende Haftbedingungen zur Gewährleistung der gesetzlichen Haftzwecke sachlich notwendig erscheinen. Dabei ist zwischen dem Vollzug von rechtskräftigen Sanktionen und dem strafprozessualen Haftvollzug zu unterscheiden: Letzterer setzt einen dringenden Tatverdacht eines Verbrechens oder Vergehens sowie einen besonderen Haftgrund ( Art. 221 StPO) voraus. Auch können sich alle strafprozessualen Häftlinge bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung auf die Unschuldsvermutung berufen. Je höher im Einzelfall die Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr erscheint oder je stärker die Ordnung oder Sicherheit (namentlich des Gefängnispersonals oder der Mithäftlinge) in der Haftanstalt gefährdet ist, desto restriktiver kann – in den Schranken der Grundrechte – das Regime der strafprozessualen Haft ausfallen ( BGE 143 I 241 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen ff. E. 3.4 m.w.H.). Im erwähnten Bundesgerichtsentscheid wird in E. 4.3 u.a. auf die Empfehlung des Europarates «Europäische Strafvollzugsgrundsätze» (Neufassung 2007, Hrsg. Bundesministerium der Justiz in Berlin, Bundesministerium für Justiz in Wien, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement in Bern) verwiesen, welche im Teil II «Haftbedingungen» unter dem Titel «Aussenkontakte» Folgendes festhält: «Den Gefangenen ist zu gestatten, mit ihren Familien, anderen Personen und Vertretern von aussen stehenden Organisationen so oft wie möglich brieflich, telefonisch oder in anderen Kommunikationsformen zu verkehren und Besuche von ihnen zu empfangen» (Ziffer 24.1). «Besuche und sonstige Kontakte können eingeschränkt und überwacht werden, wenn dies für noch laufende strafrechtliche Ermittlungen, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit, zur Verhütung von Straftaten und zum Schutz der Opfer von Straftaten erforderlich ist; solche Einschränkungen müssen jedoch ein annehmbares Mindestmass an Kontakten zulassen» (Ziffer 24.2).
1.3.2 In dieselbe Richtung zielt die Praxis des Bundesgerichts in Bezug auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr ( Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO). Demnach kann die Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr dem strafprozessualen Ziel der Beschleunigung dienen, indem verhindert wird, dass sich das Verfahren durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der Verhütung weiterer Delikte ist nicht verfassungs- oder konventionswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziffer 1 lit. c EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit, die beschuldigte Person an der Begehung (weiterer) strafbarer Handlungen zu hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund. Die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist zulässig, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind (konkret: «Verbrechen oder schwere Vergehen»). Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen. Zudem muss die beschuldigte Person bereits früher gleichartige Vortaten (Verbrechen oder schwere Vergehen) gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter begangen haben. Diese können sich aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergeben oder auch Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs- und Sicherheitshaft stellt. Das Gesetz spricht von verübten Straftaten und nicht bloss einem Verdacht, so dass dieser Haftgrund nur bejaht werden kann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Neben einer rechtskräftigen Verurteilung gilt der Nachweis auch bei einem glaubhaften Geständnis oder einer erdrückenden Beweislage als erbracht (vgl. Forster, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 221 StPO N 9 - 15 m.w.H., insb. auf BGE 137 IV 84 E. 3.2 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen).
2. Aufhebung des Rechts des Beschuldigten auf Besuche von und Telefonaten mit Personen ausserhalb der Haftanstalt
2.1 Mit Verfügung der Vorsitzenden der Berufungskammer CN.2021.5 vom 7. April 2021 wurde die Berechtigung des Beschuldigten zum Empfang von Besuchen von und zur Führung von Telefongesprächen mit Personen ausserhalb der Haftanstalt im Sinne von Art. 235 Abs. 1 und 2 StPO einstweilen aufgehoben und die bisherige Überwachung/Kontrolle des Briefverkehrs des Beschuldigten durch die BA aufrechterhalten (CAR pag. 10.103.028 - 046).
2.2 Zum Erlass der besagten Verfügung hatten folgende Vorfälle geführt: Gemäss BKP-Meldung (Aktennotiz) vom 12. März 2021 konnte der Beschuldigte in der Haftanstalt (Kantonalgefängnis U.) nach längerem Covid-bedingtem Unterbruch am 18. Februar 2021 wieder mit seiner im Irak wohnhafter Mutter telefonieren, wobei das Telefonat überwacht und von einer Dolmetscherin aufgezeichnet wurde. Dabei habe er von der Tötung (zufolge Verweigerung des Ausweisens und vermuteter Zugehörigkeit zum DAESH/IS) seines im Irak lebenden Neffen SSS. durch die Polizei, sowie der Verhaftung seines Bruders GG. (zufolge Kontakts mit SSS. und mutmasslicher Zugehörigkeit zum DAESH/IS) erfahren. Der Beschuldigte habe dann seiner Mutter ausgerichtet, dass sie seinem (in Deutschland lebenden) Bruder TTT. ausrichten solle, dass er «dieses Oberhaupt in YY.», das seinen Bruder KKK. damals angezeigt hätte, nicht «davonkommen lassen» dürfe . Der Beschuldigte sei darauf hingewiesen worden, dass derartige Bemerkungen in diesem Kontext nicht weiter geduldet würden und zum Abbruch des überwachten bzw. von einer anonymisierten Dolmetscherin niedergeschriebenen Gesprächs führen würden (CAR pag. 4.101.010 - 014 ).
Gemäss BKP-Bericht vom 22. März 2021 habe der Beschuldigte sodann am 17. März 2021 erneut mit der Mutter telefoniert. Der Beschuldigte sei im Vorfeld ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass Anweisungen, Bedrohungen, Aufträge zum Nachteil anderer Personen oder fallrelevanter Informationsaustausch nicht toleriert würden und ansonsten das Gespräch abgebrochen werde. Im Gespräch habe ihm die Mutter erzählt, dass die kurdische PUK-Partei für die Tötung des Neffen verantwortlich sei und gefragt, was nun zu tun sei (wörtlich: «Die ganze Familie wartet auf Deine Anweisungen»). Daraufhin habe der Beschuldigte geäussert: «Mama, sag ihnen, sie sollen ihn …», woraufhin ihn die Beamten unterbrochen und ihm das Telefon weggenommen hätten. Der Beschuldigte habe Widerstand geleistet, sich mit dem Telefon zur Seite gedreht, dieses umklammert und versucht weiterzusprechen, jedoch ohne gegen die Beamten tätlich zu werden. Als die Dolmetscherin der Mutter habe erklären wollen, was gerade vorgefallen sei, habe der Beschuldigte laut ausgerufen: «Mama, sag QQQ. er solle zu diesem Mann gehen und ihn verrecken lassen!» Im Vorfeld dieses Telefonats hatte sich der Beschuldigte ausserdem dahingehend geäussert, dass die Demokratie nicht alles sei und dabei auf das Bibelzitat «Auge um Auge, Zahn um Zahn» verwiesen. Er habe erwähnt, dass die Schuldigen am Tod seines Neffen nur «Blut gegen Blut» verstehen würden und wenn er nichts mache, diese seine ganze Familie auslöschen würden (CAR pag. 4.101.015 - 023).
2.3 Die Argumentation des Beschuldigten im Hinblick auf die Wiedererlangung seiner Kontaktrechte, wonach seine Aussage «QQQ. soll zu diesem Mann gehen und ihn verrecken lassen!» eine blosse «Dummheit» darstellen und keinen widerrechtlichen Auftrag darstellen bzw. kein aktives Handeln implizieren würden (vgl. Eingabe des Beschuldigten vom 30. März 2021 [CAR pag. 10.103.024-026 ]), verfängt nicht. Auch erweisen sich seine Aussagen anlässlich der Berufungsverhandlung, wonach es ein Missverständnis mit der Dolmetscherin gegeben habe (Protokoll Einvernahme Beschuldigter S. 16 Ziff. 9 f. und 39 f.), als reine Schutzbehauptungen. In diesem Zusammenhang erweisen sich die von den Untersuchungsbehörden noch zu verifizierenden, für das Gericht jedoch glaubhaft wirkenden Aussagen des Zeugen RRR. anlässlich der Berufungsverhandlung, wonach der Beschuldigte ihm in der Haftanstalt davon erzählt haben soll, dass er (der Beschuldigte) seiner Mutter am Telefon den Auftrag zur Tötung des Mannes, der im Irak seinen Neffen umgebracht hätte, gegeben haben soll, als ernstzunehmende Indizien. Gemäss Aussagen des Zeugen RRR. sei dieser Vorfall schliesslich auch der Grund gewesen, warum der Beschuldigte nicht mehr telefonieren dürfe (vgl. Protokoll Zeugeneinvernahme RRR. S. 18 Ziff. 39 - 41).
2.4 Eine Beschränkung des Kontaktrechts eines Inhaftierten kann – wie erwähnt – gemäss bundesgerichtlicher Praxis nicht nur wegen Kollusionsgefahr, sondern auch aufgrund präventiver Überlegungen zur Begegnung von Wiederholungsgefahr ( Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO) respektive – in Anlehnung an Ziffer 24.2 der Empfehlung des Europarates (vgl. supra E. 1.3.1) – zur Verhütung von Straftaten und zum Schutz der Opfer von Straftaten gerechtfertigt sein.
In diesem Zusammenhang sei an Folgendes erinnert: Der Beschuldigte wurde vom Berufungsgericht mit Urteil CA.2020.18 vom 9. Juli 2021 der Widerhandlung gegen Art. 2 Abs. 1 AQ/IS-Gesetz schuldig gesprochen, wobei als erstellt gilt, dass dieser seine nach islamischem Recht per Internet-Telefonie angetraute, im Libanon lebende Ehefrau spätestens ab August 2016 in ihrer Befürwortung des IS (durch Gespräche und Zusendung von IS-Propagandamaterial) sowie in ihrer Absicht zur Verübung eines Selbstmordanschlags (mit einem Sprenggürtel auf ein nicht näher identifiziertes Ziel) im Libanon bestärkt, ihr entsprechende Handlungsanweisungen erteilt sowie im Hinblick auf einen möglichen Zugriff der libanesischen Behörden einen (schlussendlich nicht realisierten) Fluchtplan geschmiedet hatte. G. wurde dann kurz vor der Ausführung des Selbstmordanschlags polizeilich festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Kommunikation mit den entsprechenden Handlungsanweisungen erfolgte gemäss Auswertungen der aktenkundigen Überwachungen ausschliesslich telefonisch oder via WhatsApp (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.1 ff.).
Zudem hat der Beschuldigte in der Schweiz verschiedene Personen im Sinne der IS-Ideologie indoktriniert, wobei das Weiterleiten der Propagandavideos ab August 2016 via Telefon und WhatsApp geschah (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.3 ff.). Weiter hat er (wiederum von der Schweiz aus) ab August 2016 diverse Überweisungen an verschiedene IS-Mitglieder wie N., P., LL. (durch Veräusserung eines Autos), KK., K. (für dessen Freilassung) im Umfang von USD 7'500.00 getätigt bzw. telefonisch oder via WhatsApp (Audionachrichten) veranlasst (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.4. ff.). Weiter war der Beschuldigte ab Oktober 2016 auf Facebook sehr aktiv zwecks systematischer Vernetzung mit diversen IS-Mitgliedern bzw. Austausch von Informationen zu Verbleib/Schleusung/Kontaktabgaben anderer IS-Mitglieder (z.B. S.) und Indoktrinierung im Sinne der IS-Ideologie (EEE.) (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.5. ff.). Weiter betrieb er von Dezember 2016 bis März 2017 den Telegram-Gruppenchat «RDI- Kurdish», auf welchem er sich zeitweise mit 19 Teilnehmern (IS-Mitgliedern bzw. -Anhängern) zum Austausch von Informationen/Propaganda (z.B. betreffend Märtyreroperationen und Selbstmordanschlägen mit Sprenggürteln im Kampfgebiet) und Ratschlägen/Warnungen unterhielt (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.6). Ausserdem unternahm er ab Ende Dezember 2017 (wiederum von der Schweiz aus) mehrere Anstrengungen, um verschiedene Personen, namentlich den in Finnland lebenden RR. sowie AAAA. (mittels Vernetzung und Besorgung falscher Identitätspapiere) und weitere Personen zum IS ins Kampfgebiet zu schleusen, wobei sämtliche Anweisungen telefonisch bzw. via WhatsApp/Facebook/Telegram (Audionachrichten) erfolgten (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.7 ff.; 2.6.8 ff.; 2.6.13 ff.). Schliesslich erteilte er seit Februar 2017 verschiedenen IS-Mitgliedern telefonisch und via Telegram-Sprachnachrichten sowie über andere Kanäle Anweisungen zum Aufbau von IS-Schläferzellen, u.a. durch von ihm übergebene kurdische «Brüder» (z.B. mittels Scharia- und Militärkurs) (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.7 ff.; 2.6.8 ff.; 2.6.9 ff.) und sorgte im März 2017 für die Wiederbeschaffung des telefonischen Kontakts zu einem IS-Führungsmitglied, nachdem er diesen aufgrund der polizeilichen Sicherstellung seines Mobiltelefons verloren hatte (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.11 ff.).
Schliesslich blieb der erstinstanzliche Schuldspruch des Lagerns von Gewaltdarstellungen ( Art. 135 StGB), gemäss welchem erstellt ist, dass der Beschuldigte 38 in der Anklageschrift näher umschriebene Bild- und Videoaufnahmen mit IS-Propaganda (grausame Folterungen und Hinrichtungen [v.a. Enthauptungen mittels Messer, Erschiessungen und Verbrennungen] von Geiseln/Gefangenen, u.a. auch durch Kinder vorgenommen und auf die Glorifizierung des IS ausgerichtet) auf seinem Computer abspeicherte und teilweise weiterverbreitete (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 4 ff.).
2.5 Beim Beschuldigten handelt es sich um einen extremistisch-salafistischen, bestens vernetzten IS-Angehörigen, dessen Familienangehörige diese Ideologie teilen bzw. akzeptieren. Sämtliche gemäss Schuldspruch anerkannten Handlungen des Beschuldigten erfolgten nicht vor Ort. Er erteilte seine Anweisungen offenbar via Telefon oder Text-/Sprachnachrichten (Facebook, WhatsApp, Telegram etc.). Gemäss Akten sind sogar telefonische Kontakte des Beschuldigten mit mutmasslichen IS- Angehörigen in der Kampfzone (Anweisungen zum Verhalten während Angriffen/Bombardierungen etc.) dokumentiert (Urteil SK.2020.11 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 2.6.10). Der Beschuldigte zeigt damit eindrücklich auf, wie zielgerichtet er die Kommunikation auf derart vielen Kanälen beherrscht und wie leicht er sie sich im Dienste der mutmasslichen Verbreitung und Ausübung dieser gefährlichen Ideologie zunutze machen kann.
2.6 Die beim Beschuldigten (Diagnose: Dissoziale Persönlichkeitsstörung nach ICD-10: F60.2) gemäss forensisch-psychiatrischem Gutachten vom 30. September 2019 bestehende hohe Rückfallgefahr für ähnlich gelagerte Delikte (BA pag. 11-01-0130 f.) wurde vom Gutachter anlässlich der Berufungsverhandlung nicht nur bestätigt. Der Gutachter betont – sofern sich die Vorfälle so zugetragen haben wie vom Zeugen RRR. und von der Gefängnisleitung geschildert – dass sich die Persönlichkeitsproblematik gar noch akzentuiert darstelle mit einer handlungsstarken Bereitschaft zu gewalttätigem Verhalten. Grundsätzlich sehe er bei jedem Kontakt des Beschuldigten die Gefahr des Missbrauchs, wobei zu befürchten sei, dass sich dies innert Sekundenbruchteilen manifestiere (Protokoll Einvernahme Gutachter S. 4 Ziff. 9, 22 - 24; S. 5 Ziff. 17 ff.; S. 6 Ziff. 25 ff.).
2.7 Vor diesem Hintergrund erweist sich das Verhalten des Beschuldigten anlässlich der telefonischen Kontakte mit seiner Mutter, insbesondere desjenigen vom 17. März 2021, konkret seine Anweisung «Mama, sag QQQ. er solle zu diesem Mann gehen und ihn verrecken lassen!» als Antwort auf die Frage, was nach der Tötung des Neffen SSS. nun zu tun sei (wörtlich: «die ganze Familie wartet auf Deine Anweisungen»), dies in Kombination mit seiner abwertenden Einstellung zu Demokratie/Rechtsstaatlichkeit unter Verweis auf das Bibelzitat «Auge um Auge, Zahn um Zahn» und der Aussage, dass die am Tod seines Neffen Schuldigen nur «Blut gegen Blut verstehen würden», als höchst alarmierend. Es ist in keiner Weise tolerierbar, dass der Beschuldigte aus der Sicherheitshaft via Kontakte zur Aussenwelt Aufträge erteilen kann, mit welchen Drittpersonen an Leib und Leben gefährdet oder verletzt werden. Angesichts der Vorgeschichte, der jüngsten Vorkommnisse bzw. des Verhaltens des Beschuldigten, und der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters (vgl. oben Erw. 2.6) ist Derartiges jedoch zu befürchten, wenn er mit seinen Angehörigen weiterhin persönliche und telefonische Kontakte pflegen kann. Es liegt auf der Hand, dass Aufträge dieser Kategorie mit der bisher praktizierten Überwachung der Gespräche unter Beizug einer Dolmetscherperson nicht verhindert werden können, da die entsprechenden Interventionen lediglich reaktive Wirkung zeigen. Kommt hinzu, dass in diesen Kreisen die Benutzung von Codewörtern absolut üblich ist. Immerhin gestand der Beschuldigte bereits im Untersuchungsverfahren ein, im Rahmen der Kommunikation mit Personen im Iran Codewörter benutzt zu haben (BA pag. 13-01-0039 Ziff. 6 - 14).
2.8 Im Sinne der Prävention, insbesondere der Verhütung weiterer Straftaten und zum Schutz der Opfer von Straftaten – selbst wenn diese nicht namentlich/konkret bekannt sind – (vgl. Ziffer 24.2 der Empfehlung des Europarates «Europäische Strafvollzugsgrundsätze») und im weiteren Sinne zur Begegnung der Wiederholungsgefahr ( Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO) erweist sich für den Beschuldigten die Aufhebung seiner Kontaktrechte zur Führung von Telefonaten mit und zum Empfang von Besuchen von Personen ausserhalb der Haftanstalt (insb. Familienangehörigen – andere Kontakte hatte er nie) vorliegend mangels weniger einschneidender Alternativen als dringend notwendig, zielführend, angemessen und – auch in Anbetracht der aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums absehbaren Restdauer der Sicherheitshaft – im Sinne von Art. 36 Abs. 3 BV als verhältnismässig.
3. Überwachung des Briefverkehrs
3.1 Die Verfahrensleitung kontrolliert die ein- und ausgehende Post, mit Ausnahme der Korrespondenz mit Aufsichts- und Strafbehörden. Während der Sicherheitshaft kann sie diese Aufgabe der Staatsanwaltschaft übertragen ( Art. 235 Abs. 3 StPO). Die Kontrolle des Briefverkehrs soll insb. verhindern, dass der Gefangene Kollusionshandlungen vornimmt oder Fluchtvorbereitungen trifft. Diese Gefahr besteht bei Korrespondenz mit Aufsichts- und Strafbehörden nicht. Daher entfällt hier die Kontrolle. Diese erfolgt ansonsten lückenlos. Art. 235 Abs. 3 StPO gilt nicht für die Korrespondenz mit der Verteidigung. Dazu enthält Abs. 4 eine Sonderregelung. Zuständig für die Postkontrolle ist die Verfahrensleitung. Während der Sicherheitshaft kann sie diese Aufgabe der Staatsanwaltschaft übertragen. Dies dürfte namentlich in komplexeren Fällen regelmässig sinnvoll sein, da der nach Art. 61 StPO das Verfahren leitende Richter unmittelbar nach Eingang der Anklageschrift die Akten noch nicht im Detail kennt und deshalb schwerer als der Staatsanwalt – der mit dem Fall vertraut ist – beurteilen kann, welche Schreiben das Verfahren gefährden könnten (vgl. Härri, Basler Kommentar, a.a.O., Art. 235 StPO N. 42 - 44).
3.2 Die Briefpost des Beschuldigten wurde von der BA bereits während des Untersuchungsverfahrens überwacht und zensiert (BA pag. 06-00-01-0001 - 0183). Nach Anklageerhebung übertrug der Vorsitzende der Strafkammer den Vollzug der Postkontrolle über den Beschuldigten mit Verfügung vom 30. April 2020 an die BA mit der Auflage der Zustellung von Orientierungskopien an das Gericht (TPF pag. 32.231.7.024 f.). Die bisher gehandhabte Überwachung des Briefverkehrs des Beschuldigten durch die BA erweist sich als sinnvoll und angemessen, weshalb diesbezüglich keine Änderungen vorzunehmen sind.
4. Aufhebung des Rechts des Beschuldigten auf Kontakt zu Mitinsassen der Haftanstalt (Einzelbehandlung)
4.1 Gemäss Führungsbericht vom 25. Juni 2021 (CAR pag. 6.401.101 - 104) sowie der telefonischen Auskunft des Leiters des Kantonalgefängnisses U. (CAR pag. 6.401.107 - 108) habe der Beschuldigte in seiner Zelle regelmässig Gebetsstunden mit anderen Häftlingen abgehalten. Seine manipulativen Handlungen in Glaubensfragen würden bei den anderen Häftlingen Ängste auslösen. Es hätten sich diverse Häftlinge darüber beklagt, dass der Beschuldigte im Rahmen des (muslimischen) Glaubensrituals Opferfotos (Fotos von Hinrichtungen) aus den Akten gezeigt hätte um damit Propaganda zu machen.
4.2 Die von den Untersuchungsbehörden noch zu verifizierenden, für das Gericht jedoch glaubhaft wirkenden Aussagen des Zeugen RRR., wonach der Beschuldigte seine Mithäftlinge mit IS-Propaganda (Opferfotos) radikalisiere, alle Angst vor ihm, teilweise deswegen sogar psychische Probleme hätten, ihm aus Angst gehorchen und nach ihrer Freilassung auf Anweisung des Beschuldigten hin zwecks Unterstützung des IS in dessen Kampfgebiet reisen würden (Protokoll Zeugeneinvernahme Mustafa, S. 19 Ziff. 8, S. 23 Ziff. 41 ff., S. 24 Ziff. 5 ff., 14 ff., 20 - 40, S. 25 Ziff. 3 - 9, S. 29 Ziff. 37 - 45, S. 30 1 - 20), erweisen sich diesbezüglich mindestens als ernstzunehmende Indizien. Dasselbe gilt für die vom Zeugen RRR. geäusserten, von den Untersuchungsbehörden noch zu verifizierenden, für das Gericht jedoch glaubhaft wirkenden Aussagen, wonach der Beschuldigte einem eritreischen (christlich bzw. orthodoxen) Mithäftling gedroht habe, ihm wegen eines Kreuz-Tattoos Kopf und Arme abzuschneiden (Protokoll Zeugeneinvernahme RRR. S. 22 Ziff. 40 ff., S. 23 Ziff. 1 - 17) bzw. dem Zeugen selber und verschiedenen Mithäftlingen Aufträge erteilt habe, einzelne seiner Familienangehörigen mit der Tötung der Ex-Frau (Protokoll Zeugeneinvernahme RRR., S. 19 Ziff. 10 - 20, S. 31 Ziff. 39 - 44, S. 32 - 37) und der für den Tod seines im Irak lebenden Neffen SSS. verantwortlichen Person (Protokoll Zeugeneinvernahme RRR., S. 21 Ziff. 11 - 38) zu beauftragen. Die diesbezüglichen Bestreitungen des Beschuldigten (Protokoll Einvernahme Beschuldigter S. 20 Ziff. 25 - 42, S. 21 Ziff. 35, S. 22 Ziff. 1 - 20), mit welchen er den Fragen permanent gezielt ausweicht, erachtet das Gericht angesichts der klaren Aktenlage nicht als glaubhaft.
4.3 Nach Auffassung des gerichtlichen psychiatrischen Gutachters sei auch in Zukunft ernsthaft damit zu rechnen, dass der Beschuldigte Kontakte zu Mithäftlingen missbrauchen würde, um Aufträge zu erteilen, welche für Drittpersonen (bzw. diese) eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bedeuten könnten (vgl. supra E. 2.6).
4.4 Vor diesem Hintergrund erweist sich für den Beschuldigten – insbesondere auch zum Schutz der Mithäftlinge – die Aufhebung des Kontaktrechts zu seinen Mithäftlingen bzw. die Anordnung der Einzelbehandlung mangels weniger einschneidender Alternativen als dringend notwendig, zielführend, angemessen und – auch in Anbetracht der aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums absehbaren Restdauer der Sicherheitshaft – im Sinne von Art. 36 Abs. 3 BV als verhältnismässig.
III. Kosten und Entschädigungen
Für diesen Entscheid sind keine Kosten zu erheben. Sämtliche Aufwendungen der amtlichen Verteidigung werden im Hauptverfahren CA.2020.18 entschädigt.
Die Berufungskammer beschliesst:
1. Der Antrag des Beschuldigten auf unverzügliche Entlassung aus der Sicherheitshaft wird abgewiesen.
2. Für dieses Verfahren werden keine Kosten erhoben.
Die Vorsitzende verfügt:
1. Die Berechtigung des Beschuldigten zum Empfang von Besuchen von und zur Führung von Telefongesprächen mit Personen ausserhalb der Haftanstalt bleibt für die restliche Dauer der Sicherheitshaft aufgehoben.
2. Die Überwachung/Kontrolle des Briefverkehrs des Beschuldigten erfolgt weiterhin durch die Bundesanwaltschaft. Diese hat Kopien der ein- und ausgegangenen Post, inkl. allfälliger Übersetzungen, ausgenommen die Anwaltspost, orientierungshalber dem Gericht zuzustellen.
3. Der Beschuldigte ist für die restliche Dauer der Sicherheitshaft im Sinne einer Einzelbehandlung von den anderen Gefängnisinsassen getrennt zu halten.
4. Für dieses Verfahren werden keine Kosten erhoben.
Im Namen der Berufungskammer
des Bundesstrafgerichts
Die Vorsitzende Der Gerichtsschreiber
Zustellung an (Gerichtsurkunde)
- Bundesanwaltschaft, Herrn Kaspar Bünger, Staatsanwalt des Bundes
- Herrn Rechtsanwalt Sascha Schürch
Kopie an:
- Bundesstrafgericht, Strafkammer (brevi manu)
Nach Eintritt der Rechtskraft Zustellung an:
- Bundesanwaltschaft, Urteilsvollzug und Vermögensverwaltung (zum Vollzug)
- fedpol Bundesamt für Polizei ( Art. 74 Abs. 7 Bundesgesetz über den Nachrichtendienst [NDG, SR 121])
- Nachrichtendienst des Bundes ( Art. 74 Abs. 7 NDG)
- Migrationsamt des Kantons Thurgau (Art. 82 Abs. 1 Verordnung üer Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE, SR 142.201])
Rechtsmittelbelehrung
Beschwerde an das Bundesgericht
Diese Verfügung kann innert 30 Tagen nach Erhalt mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht angefochten werden. Das Beschwerderecht und die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in den Art. 78-81 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG) geregelt. Die begründete Beschwerdeschrift ist beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen.
Gemäss Art. 48 Abs. 1 und 2 BGG müssen Eingaben spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden. Im Falle der elektronischen Einreichung ist für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite der Partei für die Übermittlung notwendig sind.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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