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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Strafverfahren
Fallnummer:BV.2021.26, BP.2021.46
Datum:02.11.2021
Leitsatz/Stichwort:
Schlagwörter : Revision; VStrR; Verfahren; Entscheid; Entscheide; Filter; Busse; Beschwerdekammer; Bescheid; Mehrwertsteuer; Gericht; Rechtspflege; Abrechnungen; Apos;; Quartal; Bescheide; Bussen; Revisionsgesuch; Verfahren; Verfahrens; Bundesstrafgericht; BStGer; MWSTG; Eingabe; Ehemann
Rechtskraft:Kein Rechtsmittel gegeben
Rechtsnorm: Art. 103 MWSTG ; Art. 29 BV ; Art. 41 StPO ; Art. 66 BGG ; Art. 98 MWSTG ;
Referenz BGE:135 I 91; 142 III 138; ;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

BV.2021.26, BP.2021.46

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BV.2021.26 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen

Nebenverfahren:     BP.2021.46 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen

Beschluss vom 2. November 2021
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Cornelia Cova , Vorsitz,

Miriam Forni und Stephan Blättler,

Gerichtsschreiberin Inga Leonova

Parteien

A. ,

Beschwerdeführerin

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung,
Hauptabteilung Mehrwertsteuer ,

Beschwerdegegnerin

Gegenstand

Revision ( Art. 88 Abs. 4 VStrR); unentgeltliche Rechtspflege im Beschwerdeverfahren ( Art. 29 Abs. 3 BV)


Die Beschwerdekammer hält fest, dass:

-        die Eidgenössische Steuerverwaltung (nachfolgend «ESTV») A. mit Schreiben vom 26. August und 29. September 2019 über die ausstehenden Mehrwertsteuerabrechnungen für die ersten beiden Quartale des Jahres 2019 orientierte (act. 6.12, 6.13);

-        die ESTV A. mit Schlussprotokollen vom 5. und 19. Oktober 2019 über die Eröffnung eines Strafverfahrens wegen Nichteinreichens der Mehrwertsteuerabrechnungen in Kenntnis setzte; die ESTV A. zugleich darauf hinwies, dass bei Einreichen der Abrechnungen innert 10 Tagen keine Busse erhoben werde, anderenfalls ein Strafbescheid ergehe (act. 6.10, 6.11);

-        die ESTV A. mit Strafbescheiden vom 25. Oktober und 8. November 2019 in den Verfahren BU Q12019418511 und BU Q22019143730 wegen fahrlässiger Verletzung der Verfahrenspflichten i.S.v. Art. 98 lit. b MWSTG zu einer Busse von Fr. 1'000.-- bzw. Fr. 500.-- verurteilte und ihr die Verfahrenskosten von je Fr. 110.-- auferlegte (act. 6.8, 6.9);

-        A. vorgeworfen wurde, die Mehrwertsteuerabrechnungen für die ersten beiden Quartale des Jahres 2019 trotz vorheriger Mahnung nicht eingereicht zu haben;

-        A. der ESTV die fraglichen Abrechnungen für das 1. Quartal und das 2. Quartal 2019 am 19. März 2021 einreichte (act. 6.6, 6.7);

-        A. gegen die Strafbescheide vom 25. Oktober und 8. November 2019 mit Eingabe vom 22. März 2021 Einsprache erhob und die ESTV ersuchte, auf die ausgesprochenen Bussen zurückzukommen; A. zur Begründung ausführte, dass ihr bewusst sei, mit den Abrechnungen teilweise im Verzug zu sein, die Höhe der Bussen jedoch in keinem Verhältnis zu ihrem «Vergehen» stünde; das Versäumnis insbesondere auf die physische und psychische Belastung der letzten Jahr zurückzuführen sei, da sie seit über 10 Jahren gegen Behörden kämpfe und ihren schwerkranken Ehemann bis zu seinem Tod gepflegt habe; zudem die vom Bund wegen der COVID-19-Pandemie verhängten mehrmonatigen Lockdowns für Restaurants zu berücksichtigen seien (act. 1.1);

-        die ESTV A. mit Schreiben vom 31. März 2021 daraufhin wies, dass die beiden Strafbescheide vom 25. Oktober und 8. November 2019 ihr am 28. Oktober resp. 13. November 2019 zugestellt und – mangels erhobenen Einsprache innert der gesetzlichen Frist von 30 Tagen ( Art. 67 Abs. 1 VStrR) – in Rechtskraft erwachsen seien, weshalb das Schreiben vom 22. März 2021 als Revisionsgesuch i.S.v. Art. 85 VStrR entgegengenommen werde, mit welchem nur noch erhebliche Tatsachen und Beweismittel berücksichtigt werden können, die der ESTV im Zeitpunkt der Ausstellung der Strafbescheide noch nicht bekannt gewesen seien; die ESTV A. aufforderte, ihr zur Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalt mitzuteilen, ob und in welchem Umfang sie während den betreffenden Zeiträumen ärztlich krankgeschrieben gewesen sei und dies mittels eines Arztzeugnisses zu belegen; die ESTV A. weiter daraufhin wies, dass sie allfällige weitere Beweismittel benennen und ihr Revisionsgesuch ergänzen könne (act. 6.4);

-        A. der ESTV mit Eingabe vom 6. April 2021 nebst anderem einreichte: Unterlagen zu einem Rechtsstreit mit der Gemeinde Z. und dem Kanton Basel-Landschaft; Unterlagen zur Krankheit ihres am 16. Juli 2018 verstorbenen Ehemannes; einen Bericht des Spitals C. vom 9. November 2019 sowie Arbeitsunfähigkeitszeugnisse, die ihr infolge eines Reitunfalls vom 8. November 2019 bis zum 31. Januar 2020 keine bzw. teilweise zumutbare Arbeitsfähigkeit resp. Anwesenheit im Betrieb (10-30%) attestierten (act. 6.3);

-        die ESTV in den von A. geltend gemachten Vorbringen keine Revisionsgründe erkannte und ihre Revisionsgesuche mit zwei Entscheiden vom 28. April 2021 in den Verfahren 64aa001i und 64aa001j abwies (act. 6.1, 6.2);

-        A. dagegen mit Eingabe vom 26. Mai 2021 bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde erhebt und sinngemäss das Eintreten auf ihr Revisionsgesuch beantragt (act. 1) sowie mit Replikschrift vom 23. Juni 2021 ein Schreiben von B. vom gleichen Tage, Expertin für Lebenshilfe in Y./BL, einreicht, worin ausgeführt wird, dass A. seit über fünf Jahren an Depressionen, Überbelastung, Angst-/Panikzuständen, Schlaflosigkeit und Überbelastung des Nervensystems leide und auf die Therapieform «Somatic Experiencing», um ihr Nervensystem zu unterstützen, sehr gut anspreche (act. 7, 7.1);

-        die ESTV in ihrer Beschwerdeantwort vom 10. Juni 2021 die kostenfällige Abweisung der Beschwerde beantragt (act. 6) und auf eine Stellungnahme zur Replikschrift von A. vom 23. Juni 2021 mit Schreiben vom 30. Juni 2021 verzichtete (act. 7, 9).


Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung, dass:

-        für die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen gegen das Mehr-wertsteuergesetz grundsätzlich das VStrR anwendbar ist ( Art. 103 Abs. 1 MWSTG; vgl. auch Camenzind/Honauer/Vallender/Jung/Probst, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 3. Aufl. 2012, N. 2696); bei der Inlandsteuer und bei der Bezugssteuer die Strafverfolgung hierbei der ESTV obliegt ( Art. 103 Abs. 2 MWSTG);

-        ein durch Strafbescheid, Strafverfügung oder Einstellungsverfügung der Verwaltung rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a VStrR aufgrund erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die der Verwaltung zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, auf Antrag wieder aufgenommen werden kann;

-        die in Art. 84 VStrR aufgezählten Revisionsgründe im Wesentlichen mit jenen in Art. 410 StPO aufgeführten übereinstimmen, sodass auf die Rechtsprechung zu Art. 410 StPO abgestellt werden kann;

-        gegen einen abweisenden Revisionsentscheid innert 30 Tagen seit der Eröffnung bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden kann, wobei die Verfahrensvorschriften von Art. 28 Abs. 2-5 VStrR sinngemäss gelten ( Art. 88 Abs. 4 VStrR);

-        die Beschwerdeführerin als Adressatin der angefochtenen Entscheide beschwerdelegitimiert ist und die Beschwerde sowohl frist- als auch formgerecht erhoben wurde; auf die Beschwerde deshalb einzutreten ist;

-        die Beschwerdeführerin – wie bereits gegenüber der Beschwerdegegnerin –in der hier zu beurteilenden Beschwerde eingesteht, das (rechtzeitige) Einreichen der Abrechnungen versäumt zu haben, dies weil sie völlig überlastet, psychisch und physisch sehr angeschlagen und teilweise auch mit allen Aufgaben überfordert gewesen sei; ihr schwerkranker Ehemann nicht habe mithelfen können und ihr Buchhalter sie zeitweise im Stich gelassen habe; aus diesem Grund sich die Beschwerdeführerin frage, ob der ihr gemachte Vorwurf eine derart schlimme Straftat darstelle, die mit einer solch hohen Busse geahndet werden müsse (act. 1);

-        die Beschwerdeführerin den ihr vorgeworfenen Sachverhalt nicht in Abrede stellt, sondern sich sinngemäss gegen die Bestrafung bzw. Höhe der ihr auferlegten Bussen wendet;


-        laut den von der Beschwerdeführerin eingereichten Unterlagen ihr Ehemann am 16. Juli 2018 verstorben ist; sie nach einem Reitunfall vom 8. November 2019 bis zum 31. Januar 2020 wegen einer Fraktur der Querfortsätze ganz resp. (ab dem 9. Dezember 2019) teilweise arbeitsunfähig war; sie im September 2020 gegen drei Personen Strafanzeige eingereicht und am 16. November 2020 gegen die Gemeinde Z. Klage im Zusammenhang mit einem im Jahr 2009 erfolgten Kauf von Liegenschaften erhoben hat;

-        wie die Beschwerdegegnerin in den Revisionsentscheiden zutreffend ausführt, die Beschwerdeführerin mit den nachgereichten Unterlagen für die Abrechnungsperiode der ersten beiden Quartale des Jahres 2019 keine Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen vermochte und die übrigen geltend gemachten Gründe, die Beschwerdeführerin nicht von ihren Verpflichtungen zu entbinden vermochten;

-        es somit keiner Korrektur eines allfällig unrichtig festgestellten Sachverhalts bedarf;

-        die Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen war, alle notwendigen organisatorischen Massnahmen zu treffen, damit sie die Abrechnungen hätte fristgerecht einreichen können; die Beschwerdeführerin beispielsweise hierzu die Beschwerdegegnerin um Fristerstreckung hätte ersuchen und dadurch die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens verhindern können; die Beschwerdeführerin jedoch weder auf die ihr zugestellten Mahnschreiben vom 26. August und 29. September 2019 noch auf die Schlussprotokolle vom 5. und 19. Oktober 2019 reagierte und gegen die Strafbescheide vom 25. Oktober und 8. November 2019 keine Einsprache erhob, wobei ihr sämtliche dieser sechs Schriften über ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes und überwiegend Wochen bis Monaten vor der durch den Reitunfall erlittenen Verletzung zugestellt wurden und nicht ersichtlich ist, inwiefern die genannten Ereignisse ihr in der Zeit von August bis Dezember 2019 eine angemessene Reaktion bzw. schriftliche Eingaben verunmöglicht haben sollen (act. 6.10, 6.11);

-        das Schreiben von B. (act. 7.1) erst im Juni 2021 eingereicht wurde und die Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt ihrer Entscheide keine Kenntnis davon hatte; das Schreiben pauschal gehalten ist und daraus insbesondere nicht hervorgeht, von wann bis wann, wie oft (mit welcher Frequenz, in welchen Zeitspannen) die Therapien der Beschwerdeführerin erfolgten, und zudem keine Handlungsunfähigkeit o.Ä. für die im vorliegenden Verfahren relevanten Daten konkret zu substantiieren vermag;


-        einem Revisionsgesuch von vornherein kein Erfolg beschieden ist, wenn eine Rechtsmittelmöglichkeit nicht genutzt und längst bekannte Tatsachen nicht früher mitgeteilt wurden ( Heer, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 410 StPO N. 42);

-        der Vollständigkeit halber angemerkt sei, dass angesichts der Möglichkeit gestützt auf Art. 8 VStrR Bussen bis zu Fr. 5'000.-- zu verhängen, die der Beschwerdeführerin auferlegten Bussen von Fr. 500.-- bzw. Fr. 1'000.-- im unteren Rahmen liegen;

-        ein Revisionsgrund vorliegend nicht zu erkennen ist und die angefochtenen Revisionsentscheide deshalb nicht zu beanstanden sind;

-        nach dem Gesagten die Beschwerde abzuweisen ist;

-        die Beschwerdeführerin das Gericht am 31. Mai 2021 um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchte ( BP.2021.46 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen, act. 2 und 4);

-        Art. 29 Abs. 3 BV einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege gibt (BGE 135 I 91 E. 2.4.2.2 S. 96; 133 III 614 E. 5 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen S. 616); gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen sind, wenn die Gewinnaussichten beträchtlich geringer erscheinen als die Verlustgefahren; dagegen ein Begehren nicht als aussichtslos gilt, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese ( BGE 142 III 138 E. 5.1 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen S. 139 f.; 140 V 521 E. 9.1 BGE Als Filter hinzufügen Link öffnen);

-        die Beschwerde sich nach dem oben Ausgeführten als aussichtslos erwies, weshalb das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege BP.2021.46 Entscheide BStGer Als Filter hinzufügen Link öffnen un­besehen der finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin aufgrund der Auslosigkeit der vorliegenden Beschwerde abzuweisen ist (vgl. Art. 29 Abs. 3 BV);

-        bei diesem Ausgang des Verfahrens die Beschwerdeführerin als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen hat ( Art. 25 Abs. 4 VStrR i.V.m. Art. 66 Abs. 1 BGG analog, siehe dazu TPF 2011 25 Entscheide der Amtlichen Sammlung Als Filter hinzufügen Link öffnen E. 3);

-        die Gerichtsgebühr auf Fr. 1'000.-- festzusetzen und der Beschwerdeführerin aufzuerlegen ist (vgl. Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 BStKR).


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

Bellinzona, 2. November 2021

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Die Vizepräsidentin:                                                    Die Gerichtsschreiberin :

Zustellung an

-              A.

-              Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

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