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Entscheid des Bundesstrafgerichts: BG.2020.19 vom 23.07.2020

Hier finden Sie das Urteil BG.2020.19 vom 23.07.2020 - Beschwerdekammer: Strafverfahren

Sachverhalt des Entscheids BG.2020.19

Der Bundesstrafgericht hat einen Beschluss vom 23. Juli 2020 abgegeben, in dem er die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts an die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verweist, um die Verfahrensübernahme bei der Ermittlung der Straftaten der Beschuldigten im Kanton Bern zu leiten. Der Beschluss wird mit dem folgenden Inhalt begründet: Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat den Gesuchsteller angesprochen und ihn um die Verfolgung und Beurteilung aller Straftaten der eingangs erwähnten Beschuldigten gebeten. Die Beschwerdekammer hat jedoch bereits am 31. Januar 2020 die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat abgelehnt, da sie angenommen hatte, dass die Verfahrensübernahme in den Kantonen Bern und St Gallen nicht zuständig sei. Der Gesuchsteller hat dann am 10. Juni 2020 eine Beschwerde beim Bundesstrafgericht gestellt, in der er seine Meinung äusserte, dass die Verfolgung und Beurteilung der Straftaten der Beschuldigten nicht in die Zuständigkeit des Gesuchstellers fällt. Der Bundesstrafgericht hat den Gesuchsteller dann am 23. Juli 2020 einen neuen Antrag an die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verweist, um die Verfahrensübernahme bei der Ermittlung der Straftaten der Beschuldigten im Kanton Bern zu leiten. Der Bundesstrafgericht hat auch festgestellt, dass die qualifizierte Erpressung in zwei verschiedenen Kantonen stattgefunden hat und daher den Gerichtsstand anhand des Ortes zu bestimmen sei, wo die Verfolgungshandlungen zuerst vorgenommen worden sind. Der Bundesstrafgericht hat auch festgestellt, dass es keine Gerichtskosten für den Gesuchsteller gibt.

Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Strafverfahren

Fallnummer:

BG.2020.19

Datum:

23.07.2020

Leitsatz/Stichwort:

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO).

Schlagwörter

ädigt; Geschädigte; Kanton; Schwiegermutter; Geschädigten; Schwiegereltern; Schuld; Kantons; Verfolgung; Schwiegervater; Schuldanerkennung; Behörden; Gallen; Erpressung; Wohnung; Beschuldigte; Unterzeichnung; Beschuldigten; Gericht; Mittäter; Nötigung; Gesuch; Ortes; Drohung; Delikt; Ex-Ehefrau

Rechtskraft:

Kein Rechtsmittel gegeben

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 15 StGB ;Art. 156 StGB ;Art. 18 StGB ;Art. 183 StGB ;Art. 31 StPO ;Art. 33 StPO ;Art. 34 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 423 StPO ;

Referenz BGE:

118 IV 397; 121 IV 38; 129 IV 6; 74 IV 92; 86 IV 222; ;

Kommentar:

-

Entscheid des Bundesstrafgerichts

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2020.19

Beschluss vom 23. Juli 2020
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Roy Garré, Vorsitz,

Andreas J. Keller und Stephan Blättler ,

Gerichtsschreiberin Inga Leonova

Parteien

Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft,

Gesuchsteller

gegen

1. Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft,

2. Kanton St. Gallen, Staatsanwaltschaft,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO )


Sachverhalt:

A. A. (nachfolgend «Geschädigter») zeigte am 14. Juni 2019 bei der Kantonspolizei Bern seine Schwiegereltern, B. (nachfolgend «Schwiegervater») und C. (nachfolgend «Schwiegermutter»), sowie seine Ex-Ehefrau, D. (nachfolgend «Ex-Frau»), wegen Erpressung, Urkundenfälschung, einfacher Körperverletzung, Drohung, Nötigung und Tätlichkeiten an. Der Geschädigte beschuldigt die Schwiegereltern unter anderem, ihn am 5. August 2018 erpresst, bedroht, genötigt und tätlich angegriffen zu haben. Namentlich soll ihn die Schwiegermutter in der Wohnung im Kanton Zürich eingeschlossen und mehrfach geohrfeigt haben, um ihn zur Unterzeichnung einer Schuldanerkennung betreffend die Hochzeitskosten zu bewegen. Nachdem die Schwiegermutter keinen Erfolg gehabt habe, habe sie ihren Ehemann angerufen, der den Geschädigten von St. Gallen aus am Telefon mit dem Tod gedroht habe. Schliesslich habe er die Schuldanerkennung unterzeichnet (Verfahrensakten BE, unpaginiert, Nachtrag der Kantonspolizei Bern vom 7. Januar 2020).

B. Die Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (nachfolgend «GStA BE») vom 31. Januar 2020 betreffend die Verfahrensübernahme lehnte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat am 8. April 2020 ab (act. 1.1, 1.2). Die in der Folge gestellte Anfrage um Verfahrensübernahme der GStA BE vom 16. April 2020 lehnte die Staatsanwaltschaft St. Gallen (nachfolgend «StA SG ») am 28. April 2020 ab (act. 1.3, 1.4). Daraufhin gelangte die GStA BE am 29. April 2020 an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (nachfolgend «OStA ZH») und die StA SG (act. 1.5). Beide lehnten die Anfrage um Verfahrensübernahme mit Schreiben vom 30. April und 27. Mai 2020 ab (act. 1.6, 1.7).

C. Mit Gesuch vom 10. Juni 2020 gelangte die GStA BE an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragt, die Behörden des Kantons Zürich, eventualiter die Behörden des Kantons St. Gallen, seien zur Verfolgung und Beurteilung aller Straftaten der eingangs erwähnten Beschuldigten für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).

D. Der Kanton St. Gallen teilte dem Gericht mit Schreiben vom 15. Juni 2020 mit, dass er sich der Meinung des Kantons Bern vollumfänglich anschliesse und der Kanton Zürich zur Verfolgung und Beurteilung aller Straftaten für zuständig zu erklären sei (act. 3). Die Eingabe vom 18. Juni 2020, mit welcher die OStA ZH zum Gesuch Stellung nahm und ausführte, dass sie den Kanton St. Gallen als zuständig erachte, wurde den beteiligten Kantonen am 23. Juni 2020 zur Kenntnis gebracht (act. 4, 5).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die B eschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form; vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. März 2014 E. 1) sind vorliegend erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.

2.1 Für die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem die Tat verübt worden ist. Liegt nur der Ort, an dem der Erfolg der Straftat eingetreten ist, in der Schweiz, so sind die Behörden dieses Ortes zuständig (Art. 31 Abs. 1 StPO ). Ist die Straftat an mehreren Orten verübt worden oder ist der Erfolg an mehreren Orten eingetreten, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 31 Abs. 2 StPO). Der Ausführungsort befindet sich dort, wo der Täter gehandelt hat (BGE 86 IV 222 E. 1).

2.2 Gemäss Art. 33 Abs. 1 StPO werden die Teilnehmer einer Straftat von den gleichen Behörden verfolgt wie der Täter. Ist eine Straftat von mehreren Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 33 Abs. 2 StPO). Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 StPO). Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (Art. 34 Abs. 1 Satz 2 StPO ).

Begehen mehrere Beschuldigte zusammen in verschiedenen Kantonen mehrere Delikte, so sind Art. 33 und Art. 34 Abs. 1 StPO so miteinander zu kombinieren, dass in der Regel alle Mitwirkenden an dem Orte verfolgt werden, wo von einem Mittäter die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist. Bei gleich schweren Strafdrohungen bestimmt sich der Gerichtsstand für alle Beteiligten nach dem Ort, wo die Verfolgungshandlungen zuerst vorgenommen worden sind (vgl. hierzu u.a. Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2011.49 vom 19. Januar 2012 E. 2.1; BG.2011.33 vom 28. September 2011 E. 2.2.1; BG.2011.4 vom 10. August 2011 E. 2.2.2).

2.3 Die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage richtet sich nach der aktuellen Verdachtslage. Massgeblich ist nicht, was dem Beschuldigten letztlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder sei sicher ausgeschlossen. Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore, wonach im Zweifelsfall auf den für den Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist (vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.10 vom 10. Juni 2014 E. 2.1).

3.

3.1 Unbestritten ist zwischen den Parteien, dass die Verfolgung und Beurteilung der den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten nicht in die Zuständigkeit des Gesuchstellers fällt und dass die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat die qualifizierte Erpressung darstellt (act. 1, 3, 4). Umstritten ist hingegen, wo die qualifizierte Erpressung stattgefunden hat. Der Gesuchsteller begründet sein Gesuch im Wesentlichen damit, dass die Handlungen der Schwiegereltern als Gesamtheit (Ohrfeigen und Einsperren in der Wohnung durch die Schwiegermutter und die Drohung mit dem Tod durch den Schwiegervater) zur Unterzeichnung der Schuldanerkennung als Erfolg geführt hätten. Nach dem Grundsatz in dubio pro duriore seien die Tathandlungen als qualifizierte Erpressung zu werten, wobei die Handlungen teils in Zürich und teils in St. Gallen erfolgt seien (act. 1, S. 5 f.).

3.2 Der Kanton Zürich wendet dagegen ein, dass erst die massive Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben durch den Schwiegervater dafür massgebend gewesen sei, dass der Geschädigte die Schuldanerkennung unterzeichnet habe . Die Worte des Schwiegervaters hätten ihn verängstigt und ihn dazu bewegt, die Schuldanerkennung zu unterzeichnen. Die Handlung des Schwiegervaters stelle eine qualifizierte Erpressungshandlung dar und sei am Wohnort in St. Gallen am Telefon erfolgt. Die Handlungen der Schwiegermutter seien nicht als Erpressung, sondern lediglich als versuchte Nötigung und Freiheitsberaubung zu qualifizieren (act. 4, S. 2).

4.

4.1 Wer jemanden unrechtmässig festnimmt oder gefangen hält oder jemandem in anderer Weise unrechtmässig die Freiheit entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 183 Ziff. 1 StGB).

4.2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird wegen Nötigung bestraft, wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden (Art. 181 StGB ). Die weite Umschreibung des Nötigungstatbestandes hat zur Folge, dass nicht jedes tatbestandsmässige Verhalten bei Fehlen von Rechtfertigungsgründen auch rechtswidrig ist. Vielmehr bedarf die Rechtswidrigkeit bei Art. 181 StGB einer zusätzlichen, besonderen Begründung. Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 129 IV 6 E. 3.4 S. 16; 122 IV 322 E. 2a S. 326; je m.w.H.).

4.3 Gemäss Art. 156 Ziff. 1 StGB wird wegen Erpressung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selber oder einen andern am Vermögen schädigt. Wendet der Täter gegen eine Person Gewalt an oder bedroht er sie mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft (Art. 156 Ziff. 3 StGB ).

Anders als beim Tatbestand der Nötigung nach Art. 181 StGB ergibt sich bei Art. 156 StGB die Rechtswidrigkeit grundsätzlich bereits aus dem Zweck der Nötigung, da die erpresserische Handlung darauf gerichtet ist, das Opfer zu einer schädigenden Vermögensdisposition zu motivieren, um dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu erlangen (Urteil des Bundesgerichts 6B_47/2010 vom 30. März 2010 E. 2.2 m.w.H.). Anerkennen einer nicht bestehenden Schuld stellt eine solche schädigende Vermögensdisposition dar (BGE 74 IV 92 E. 2 S. 94). Der Vermögensvorteil muss unrechtmässig sein. Hat der Täter darauf einen Anspruch, so liegt höchstens Nötigung vor ( Trechsel/Cameri , in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 156 N. 10).

4.4 Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgebender Weise mit anderen Tätern so zusammenwirkt, dass er als Hauptbeteiligter dasteht, und der über die tatsächliche Begehung der Tat nicht allein zu bestimmen hat, sondern zusammen mit anderen; Mittäterschaft setzt somit eine (Mit-) Tatherrschaft voraus. Dabei kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falles und dem Tatplan für die Ausführung des Deliktes so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt. Mittäterschaft setzt unter anderem einen gemeinsamen Tatentschluss voraus. Dieser muss indes nicht ausdrücklich bekundet werden; es genügt, wenn er konkludent zum Ausdruck kommt. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Mittäter bei der Entschlussfassung mitwirkte; es genügt, dass er sich später den Vorsatz seines Mittäters zu eigen macht. Mittäter ist danach, wer auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes die Durchführung der gemeinschaftlichen Tat durch seinen Beitrag zusammen mit den übrigen Beteiligten beherrscht; Mitherrschaft ist dabei jede arbeitsteilige, für den Erfolg wesentliche Mitwirkung im Ausführungsstadium (BGE 118 IV 397 E. 2b S. 399 f. mit weiteren Hinweisen zur Literatur und Rechtsprechung).

5.

5.1 Der Geschädigte gab anlässlich der Einvernahme vom 24. Juni 2019 unter anderem an, am 5. August 2018 in die ehemalige gemeinsame Wohnung in Zürich gefahren zu sein, um seine Kleider abzuholen. In der Wohnung sei nebst seiner Ex-Ehefrau die Schwiegermutter anwesend gewesen. Plötzlich habe die Schwiegermutter die Eingangstüre geschlossen und den Schlüssel entfernt. Sie habe ihn aufgefordert die Schlüssel der Wohnung zurückzugeben und sich ins Wohnzimmer zu begeben, was er getan habe. Die Schwiegermutter habe von ihm die Unterzeichnung von Dokumenten verlangt, was er jedoch verweigert habe. Auch nachdem die Schwiegermutter ihn mit der Hand auf die Seite des Kopfes geschlagen habe, habe er sich geweigert, die Dokumente zu unterschreiben. Daraufhin habe die Schwiegermutter ihren Ehemann angerufen und dieser habe gesagt, er werde den Geschädigten «aufschlitzen», wenn er nicht unterschreibe. Der Geschädigte habe dies gehört, weil das Telefon auf Lautsprecher gestellt gewesen sei. Der Geschädigte gab an, danach verängstigt und durcheinander gewesen zu sein. Er habe gezittert, habe keinen klaren Kopf mehr gehabt und habe nur noch die Wohnung verlassen wollen. Zu diesem Zeitpunkt habe er noch nicht unterschrieben. Erst danach habe er gesehen, dass auf dem Blatt CHF 70'000.-- geschrieben gewesen sei, woraufhin er die Schwiegermutter gefragt habe, was diese Summe zu bedeuten habe. Sie habe ihm gesagt, es handle sich um den Betrag, den sie [die Schwiegereltern] zur Hochzeit beigetragen hätten. Woraufhin er der Schwiegermutter geantwortet habe, dass sie [die Schwiegereltern] dies auf freiwilliger Basis getan hätten und niemand dies von ihnen verlangt hätte. Daraufhin habe seine Ex-Ehefrau den Betrag von CHF 70'000.-- auf CHF 40'000.-- korrigiert. Als er gesagt habe, dass er ihnen nichts schulde, habe er von der Schwiegermutter wieder einen Schlag auf den Kopf bekommen. Danach habe er das Dokument unterzeichnet. Weiter gab der Geschädigte an, dass der Schwiegervater während der ganzen Zeit auf Lautsprecher am Telefon zugeschaltet gewesen sei (Verfahrensakten BE, unpaginiert, Einvernahme des Geschädigten vom 24. Juni 2019).

Anlässlich der Einvernahme vom 25. Oktober 2019 gab der Geschädigte zu Protokoll, dass er nach dem Telefonat mit dem Schwiegervater so verängstigt gewesen sei, dass er die Formulare unterschrieben habe. Nach deren Unterzeichnung habe er die Wohnung verlassen können. Weiter gab er zu Protokoll, dass der Vorfall vom 5. Dezember 2018 in der Wohnung ca. 30 Minuten oder sogar länger gedauert habe (Verfahrensakten BE, unpaginiert, Einvernahme des Geschädigten 25. Oktober 2019).

5.2 Die Schwiegereltern bestritten gegenüber der Polizei, den Geschädigten bedroht, genötigt oder sonst wie unter Druck gesetzt zu haben. Er habe sämtliche Dokumente freiwillig unterzeichnet. Beide gaben an, dass die Schwiegermutter den Geschädigten lediglich anlässlich einer verbalen Auseinandersetzung vom 3. Dezember 2018 bei ihnen zu Hause auf die Wange geschlagen habe. Der Schwiegervater gab zu, den Geschädigte am 3. Dezember 2018 mit einem Holzstab aus einer Pflanze auf die Hand geschlagen zu haben, als dieser gegen die Schwiegermutter die Hand erhoben habe. Bezüglich des geschuldeten Betrages gab die Schwiegermutter an, dass der Geschädigte zum Zeitpunkt der Heirat keinen Job gehabt habe, weshalb sie [die Schwiegereltern] gesagt hätten, dass sie sämtliche Hochzeitskosten übernehmen würden. Sie hätten vereinbart, dass der Geschädigte ihnen die Hälfte der Kosten zurückbezahle, wenn er wieder arbeite. Aufgrund der Trennung hätten sie diesbezüglich ein Formular aufgesetzt und dem Geschädigten am 5. August 2018 zur Unterzeichnung vorgelegt. Er sei ihnen zwar CHF 50'000.-- schuldig, sie hätten sich in Zürich jedoch auf CHF 40'000.-- einigen können. Weiter gab die Schwiegermutter an, dass die Wohnung im Kanton Zürich zwar abgeschlossen, der Schlüssel jedoch in der Tür gesteckt habe (Verfahrensakten BE, unpaginiert, Einvernahmen der Schwiegereltern vom 11. August 2019).

5.3 Die Ex-Ehefrau stritt ebenfalls ab, dass ihr Vater gegenüber dem Geschädigten Drohungen am Telefon ausgesprochen haben soll. Hingegen bestätigte sie, dass sie sich in Zürich auf einen Betrag von CHF 40'000.-- geeinigt hätten (Verfahrensakten BE, unpaginiert, Einvernahmen der Ex-Ehefrau vom 23. Dezember 2019).

5.4 Die vom Geschädigten erhobenen Vorwürfe, ihn mit dem Tod bedroht zu haben, um ihn unter anderem zur Unterzeichnung einer Schuldanerkennung im Umfang von Fr. 40'000.-- zu bewegen, werden von den Beschuldigten vollumfänglich bestritten. Der mutmasslich Geschädigte bestreitet hingegen, den Schwiegereltern den von ihnen verlangten Betrag an die Hochzeitskosten zu schulden. Somit liegt eine «Aussage gegen Aussage»-Konstellation vor. In Anwendung des Grundsatzes in dubio pro duriore ist vom für die Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt auszugehen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen. Mithin ist gestützt auf die vom Geschädigten gemachten Aussagen anzunehmen, dass die Schwiegermutter den Geschädigten geschlagen und der Schwiegervater ihn mit dem Tode gedroht hat, um ihn zur Anerkennung einer nicht bestehenden Schuld zu bewegen.

5.5 Die am 24. Juni 2019 gemachte Aussage des Geschädigten deutet daraufhin, dass die Handlungen der Schwiegereltern als eine Einheit zu betrachten sind. Soweit ersichtlich, wussten die Schwiegereltern, dass der Geschädigte am 5. August 2018 in die ehemalige Wohnung im Kanton Zürich kommen werde, um seine Kleider abzuholen. Mit Blick auf dieses Treffen hatte die Ex-Ehefrau bzw. die Schwiegereltern die vom Geschädigten zu unterzeichnenden Dokumente vorbereitet. Nachdem das Festhalten und Ohrfeigen des Geschädigten nicht zum gewünschten Erfolg, d.h. der Unterzeichnung der Schuldanerkennung geführt hatte, holte sich die Schwiegermutter die telefonische Unterstützung durch den Schwiegervater. Laut der Aussage des Geschädigten sprach dieser ihm gegenüber Todesdrohungen aus, sodass er verängstigt gewesen sei. Somit hatten die Schwiegereltern ein gemeinsames Ziel verfolgt, namentlich die Unterzeichnung der Schuldanerkennung, und wirkten gemeinsam auf den Geschädigten als Mittäter ein. Den Angaben des Geschädigten zufolge war der Schwiegervater während der gesamten Zeit auf Lautsprecher gestellt und konnte das Gespräch zwischen dem Geschädigten und der Schwiegermutter bzw. Ex-Ehefrau verfolgen. Aus diesem Grund ist von einem gemeinsamen Einwirken der Schwiegereltern auf den Geschädigten auszugehen. Indem die Schwiegermutter nach der mutmasslich ausgesprochenen Todesdrohung den Ehemann auf Lautsprecher behielt und weiterhin auf der Unterzeichnung der Schuldanerkennung bestand, hat sie den Vorsatz des Ehemannes allenfalls nachträglich zu eigen gemacht. Bei diesem Ergebnis kann die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Geschädigte die Schuldanerkennung im Anschluss an die Todesdrohung seitens des Schwiegervaters oder erst daraufhin erfolgten Schlag auf den Kopf durch die Schwiegermutter unterzeichnet hat, dahingestellt bleiben. Demgemäss ist von einer qualifizierten Erpressung auszugehen, die teilweise im Kanton Zürich und teilweise im Kanton St. Gallen erfolgt ist.

5.6 Da die qualifizierte Erpressung in zwei verschiedenen Kantonen stattgefunden hat, wäre der Gerichtsstand anhand des Ortes zu bestimmen, wo die Verfolgungshandlungen zuerst vorgenommen worden sind (vgl. supra E. 2.2). Indes sind die ersten Verfolgungshandlungen lediglich im Kanton Bern erfolgt, dessen Unzuständigkeit vorliegend ausser Frage steht. Unter diesen Umständen ist auf den Ort abzustellen, an dem die Straftat zu Ende geführt worden ist (BGE 121 IV 38 E. 2c und 2d S. 40). Der Geschädigte unterzeichnete die Schuldanerkennung im Kanton Zürich, mithin ist der Erfolg der qualifizierten Erpressung im Kanton Zürich eingetreten. Somit ist der Kanton Zürich für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die den Beschuldigten zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen.

6. Nach dem Gesagten ist der Antrag des Gesuchstellers gutzuheissen und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die den Beschuldigten zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen.

7. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 423 Abs. 1 StPO ).


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich sind berechtigt und verpflichtet, die den Beschuldigten zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und beurteilen.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bellinzona, 23. Juli 2020

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin :

Zustellung an

- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

- Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

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