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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Beschwerdekammer: Rechtshilfe
Fallnummer:RR.2019.120
Datum:21.08.2019
Leitsatz/Stichwort:Auslieferung an die Türkei. Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG).
Schlagwörter : Auslieferung; Türkei; Bundes; Recht; Schweiz; Urteil; Garantie; Folter; Staat; Bundesgericht; Entscheid; Bundesgerichts; Bundesstrafgericht; Gefängnis; Behandlung; Verfahren; Vertretung; Ausgelieferte; Vollzug; Bundesstrafgerichts; Garantien; Verfahren; Rechtshilfe; Beschwerdekammer; Zimmermann; Justiz; Auslieferungsersuchen; Erwägung
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 1 EMRK ; Art. 10 BV ; Art. 12 StGB ; Art. 15 EMRK ; Art. 25 BV ; Art. 48 VwVG ; Art. 5 StPO ; Art. 50 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 84 BGG ;
Referenz BGE:129 II 100; 130 II 217; 131 II 235; 133 IV 76; 134 IV 156; 135 I 191; 139 II 65; 142 IV 250; 143 IV 91; ;
Kommentar:
-
Entscheid

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: RR.2019.120

Entscheid vom 21. August 2019
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter

Giorgio Bomio-Giovanascini, Vorsitz,

Roy Garré und Cornelia Cova ,

Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

A. , zurzeit im vorzeitigen Strafvollzug,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung ,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Auslieferung an die Türkei

Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG )


Sachverhalt:

A. Die Türkei ersuchte die Schweiz mit diplomatischer Note vom 7. März 2017, A. auszuliefern. Gegen A. soll in der Türkei eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen vorsätzlicher Tötung ("Mordschlags") vollstreckt werden. Die Strafe stammte aus einem rechtskräftigen Urteil der 2. Kammer des Schwurgerichts in Z. vom 19. September 2007.

A. wurde in der Türkei verurteilt, weil er am 6. Dezember 2006 B. in Z. getötet habe. Am fraglichen Tag sei A. mit seinem Cousin C. teetrinkend vor einem Kaffeehaus in Z. gesessen. B. sei zu ihnen gestossen. Es sei ein Streit zwischen C. und B. entbrannt. B. habe sich das Fahrzeug von C. ausgeliehen, einen Verkehrsunfall verursacht und dabei das Fahrzeug beschädigt. Der Streit habe sich zu einer heftigen Auseinandersetzung entwickelt. A. habe eingegriffen, um zu schlichten. B. habe A. mit Schimpfworten beleidigt und ihm einen Faustschlag versetzt. A. habe ein Messer gezückt und mehrmals zugestochen. B. habe drei Stichwunden erlitten, zwei am Oberarm und eine am Oberschenkel. Die Oberschenkelwunde sei tödlich gewesen.

B. Auf Rückfragen des BJ vom 16. März und 24. April 2017 übermittelte die Türkei am 12. und 24. April 2017 den Wortlaut der einschlägigen türkischen Strafbestimmung (act. 5-2-5.5).

Das BJ erliess daraufhin am 26. April 2017 den Auslieferungshaftbefehl gegen A. (act. 5.6, 5.7).

C. A. befand sich bereits wegen eines Schweizer Strafverfahrens in der Justizvollzugsanstalt in Y. Sein Asylgesuch war am 20. Mai 2015 abgelehnt worden (act. 5.8 Schreiben des Staatssekretariates für Migration SEM vom 5. Mai 2017). Die Wegweisung bestätigte das Bundesverwaltungsgericht am 15. Dezember 2015 letztinstanzlich (act. 5.19 S. 2 Ziff. 1).

Die Kantonale Staatsanwaltschaft Aargau befragte A. am 9. Mai 2017 zum Auslieferungsverfahren, wobei er aussagte: Er verzichte nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsprinzips und verlange das ordentliche Auslieferungsverfahren. Er wolle nicht in die Türkei ausgeliefert werden. Er sei dort bereits 5.5 Jahre im Gefängnis gewesen und auch gefoltert worden. Werde er an die Türkei ausgeliefert, überlebe er keinen Tag. Am zweiten Tag eines Hafturlaubs seien Verwandte des Getöteten, worunter "hohe Tiere" seien, bei ihm zu Hause erschienen und hätten auf ihn und seine Familie geschossen. Seiner Mutter ins Bein, er sei an Hand und Kopf verletzt worden. Es werde erst Ruhe geben, wenn die Blutrache vollzogen sei (act. 5.9).

D. Das BJ ernannte am 19. Mai 2017 D. als amtlichen Rechtsbeistand von A. (act. 5.13).

E. Am 12. Juli 2017 ersuchte das BJ die Türkei, die physische und psychische Integrität von A. im Strafvollzug (Art. 3 EMRK Folterverbot) diplomatisch zu garantieren (act. 5.16). Das BJ verwies dabei darauf, dass die Türkei dem Europarat mitgeteilt hatte, nach Art. 15 EMRK (Notstandsfall) von der Menschenrechtskonvention abzuweichen. Die Botschaft der Türkei in der Schweiz gab diese Garantie mit Schreiben vom 24. Juli 2017 ab.

F. Rechtsanwalt D. reichte am 17. August 2017 die Stellungnahme zum Auslieferungsersuchen ein (act. 5.18). Er beantragt darin namens von A., das Auslieferungsersuchen sei abzuweisen. Eventualiter sei die Vollstreckung von der Schweiz zu übernehmen. Das Auslieferungsverfahren sei zudem bis zum Abschluss der Vollstreckung einer Schweizer Strafe zu sistieren. Die Abweisung werde verlangt, weil die Auslieferung dem ordre public widerspreche, weil die damaligen Geständnisse unter Folter zustande gekommen seien, weil A. in türkischen Gefängnissen eine konkrete Gefahr an Leib und Leben drohe und weil der verfolgten Person im Strafvollzug in der Türkei wegen der Ausserkraftsetzung der EMRK durch die Türkei die Mindestrechte der EMRK nicht gewährt würden (act. 5.18 S. 2 Ziff. 1).

G. Das BJ erliess am 10. Mai 2019 den Auslieferungsentscheid. Es bewilligte die Auslieferung von A. an die Türkei für die dem Auslieferungsersuchen vom 7. März 2017 zugrundeliegenden Straftaten (act. 5.19).

H. Dagegen gelangte A. persönlich mit Schreiben vom 2. Juni 2019 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Er beantragt, die Bewilligung seiner Auslieferung sei aufzuheben (act. 1).

Auf Aufforderung des Gerichts vom 4. Juni 2019 reichte das BJ am 7. Juni und 19. Juli 2019 die Akten ein (act. 4-6). Die Beschwerdeantwort des BJ erging am 31. Juli 2019 (act. 8). Ihr beigelegt war das Schreiben des Amts für Justizvollzug des Kantons Aargau. Danach ist der 22. Dezember 2031 das ordentliche Vollzugsende für A., wobei eine bedingte Entlassung frühestens per 19. Oktober 2026 geprüft werde. A. reichte keine Replik ein.

Auf die Ausführungen der Partei und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Türkei und der Schweiz sind primär massgebend das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) sowie das zu diesem Übereinkommen ergangene Zusatzprotokoll vom 15. Oktober 1975 (ZP EAUe; SR 0.353.11), das zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 (2. ZP EAUe; SR 0.353.12), das dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 (3. ZP EAUe; SR 0.353.13) und das vierte Zusatzprotokoll vom 20. September 2012 (4. ZP EAUe; SR 0.353.14). Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 139 II 65 E. 5.4 letzter Absatz; 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c; Urteil des Bundesgerichts 1C_274/2015 vom 12. August 2015 E. 6.1; Zimmermann , La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 5. Aufl. 2019, N. 211 ff., 223 ff., 681 ff.).

1.2 Soweit diese Staatsverträge bestimmte Fragen nicht abschliessend regeln, findet auf das Verfahren der Auslieferung ausschliesslich das Recht des er­suchten Staates Anwendung (Art. 22 EAUe), vorliegend also das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) und die dazugehörige Verordnung vom 24. Februar 1982 (Rechtshilfeverordnung, IRSV; SR 351.11; Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG ; BGE 143 IV 91 E. 1.3; 136 IV 82 E. 3.1; 130 II 337 E. 1; vgl. auch Art. 54 StPO ). Das innerstaatliche Recht gelangt nach dem Günstigkeitsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn dieses geringere Anforderungen an die Auslieferung stellt (BGE 142 IV 250 E. 3; 140 IV 123 E. 2; 137 IV 33 E. 2.2.2; 136 IV 82 E. 3.1; 135 IV 212 E. 2.3; 122 II 140 E. 2 ; Zimmermann, a.a.O., N. 229).

2.

2.1 Das Bundesamt für Justiz entscheidet über die Auslieferung des Verfolgten (vgl. Art. 55 Abs. 1 IRSG). Gegen diesen Entscheid kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 25 Abs. 1 IRSG; Art. 37 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes, Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71 ). Auf das Verfahren sind die Bestimmungen der einschlägigen Rechtshilfeerlasse (Art. 39 Abs. 2 lit. b StBOG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 IRSG) sowie das Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021) anwendbar. Die Beschwerdefrist beträgt 30 Tage ab der schriftlichen Eröffnung des Entscheids (Art. 80 k IRSG; Art. 50 Abs. 1 VwVG). Zur Beschwerde ist berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Art. 80 h lit. b IRSG ; Art. 48 Abs. 1 VwVG ).

2.2 Als Verfolgter (vgl. Art. 11 Abs. 1 IRSG ) ist der Beschwerdeführer zur Einreichung des Rechtsmittels legitimiert. Dieses ist auch frist- und formgerecht erhoben worden. Auf die Beschwerde ist damit einzutreten.

3.

3.1 Der Beschwerdeführer rügt, der massgebliche Sachverhalt sei unrichtig festgestellt worden und sein bisheriger Anwalt habe die Kernargumente nicht vorgebracht, welche gegen eine Auslieferung sprächen. Er sei bereit, die Reststrafe in der Schweiz zu verbüssen. Sobald sein Name in einem türkischen Gefängnis auftauche, würde die Familie des Getöteten (mit über 3000 Mitgliedern) Bescheid wissen. Er habe kaum Überlebenschancen. In der Haft in der Türkei sei er nur knapp einem Mordanschlag entgangen. Er trage davon eine bleibende Narbe am Hals. Als Kurde sei er von den Gefängniswärtern auch geschlagen worden. Beim ersten Hafturlaub hätten die Familie des Getöteten bei seiner Mutter zuhause auf ihn geschossen. Davon habe er Narben an der Hand und am Unterarm. Fotos der Narben könnten auf Anforderung des Gerichts vom Sozialdienst der JVA Y. geliefert werden. Die Türkei habe in den vergangenen zwei Jahren gezeigt, wie sie die Entscheide des EGMR (nicht) respektiere. Solange die Familie auf Rache Sinne würde die diplomatische Garantie ohnehin nichts bringen (act. 1).

3.2 Im Verfahren vor dem BJ brachte der Anwalt des Beschwerdeführers vor, das Auslieferungsersuchen widerspreche dem ordre public. Zwischen der Tat und dem Eintreffen der Ambulanz seien 45 Minuten verstrichen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geschähe die Intervention der Ambulanz innert Minuten. Die ausbleibende Ambulanz habe die Kausalkette zum Todesfall unterbrochen; in der Schweiz läge schlimmstenfalls eine schwere Körperverletzung mit höchstens 10 Jahre Freiheitsstrafe vor. Diese Strafe sei unter Berücksichtigung einer bedingten Entlassung bereits abgesessen. Dennoch auszuliefern widerspreche dem ordre public (act. 5.18 S. 2 f. Ziff. 2, 3).

A. drohe in einem türkischen Gefängnis sodann Gefahr an Leib und Leben. Er sei dort im Jahr 2011 Opfer eines versuchten Auftragsmords der Opferfamilie geworden. Er habe den Messerschnitt in den Hals nur dank der raschen Behandlung im Staatsspital überlebt. Die Türkei habe die physische Integrität von A. nicht gewährleisten können und werde dazu auch nicht in der Lage sein (act. 5.18 S. 3 f. Ziff. 6-8).

A. sei während des Strafverfahrens in der Türkei auch gefoltert worden. Schläge ins Gesicht hätten zu einem gebrochenen Kiefer und einem perforierten Trommelfell geführt. Die medizinischen Akten von A. würden dies aufzeigen und seien dafür von der Türkei zu edieren. Weil das türkische Urteil auf Folterungen beruhe, sei die verlangte Auslieferung zu verweigern (act. 5.18 S. 3 Ziff. 4, 5).

Angesichts der nicht gewährten Mindestrechte der EMRK im türkischen Strafvollzug habe denn auch das brandenburgische Oberlandesgericht in einem Beschluss vom 20. März 2017 eine Auslieferung in die Türkei aufgrund der politischen Situation sowie der Ausserkraftsetzung der EMRK verweigert. Selbst eine Garantie hätte gemäss dem Beschluss keine Auslieferung erlaubt (act. 5.18 S. 4 ff. Ziff. 9-18).

3.3 Das Rechtshilfegericht hat weder Tat- noch Schuldfragen zu prüfen und grundsätzlich auch keine Beweiswürdigung vorzunehmen, sondern ist vielmehr an die Sachverhaltsdarstellung im Ersuchen gebunden, soweit sie nicht durch offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche sofort entkräftet wird (BGE 142 IV 250 E. 6.3; 139 II 404 E. 7.2.2; 136 IV 4 E. 4.1; 133 IV 76 E. 2.2; Urteil des Bundesgerichts 1C_644/2015 vom 23. Februar 2016 E. 3.1; TPF 2012 114 E. 7.2/7.3; Zimmermann, a.a.O., N. 22 f., 291 ff.). Der Beschwerdeführer wie auch sein Anwalt im vorinstanzlichen Verfahren beschränken sich darauf, die materielle Sachverhaltsdarstellung der ersuchenden Behörden mit vagen Behauptungen zu bestreiten, ohne darzulegen, inwiefern sie offensichtlich unrichtig, lückenhaft oder widersprüchlich ist. Der Sachverhalt des Auslieferungsersuchens erfüllte in der Schweiz prima facie den Tatbestand der schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB, Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren).

3.4 Gemäss Art. 1 a IRSG ist bei der Anwendung des IRSG den Hoheitsrechten, der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder anderen wesentlichen Interessen der Schweiz Rechnung zu tragen. Diese Bestimmung wird sehr selten angewendet. In der Lehre ist es nur schwer vorstellbar, dass eine Auslieferung den Schweizer ordre public verletzt, also vitale Interessen der Schweiz gefährdete ( Zimmermann , a.a.O., N. 710). Solches wäre weder dargelegt noch ist es in casu der Fall.

Nach Art. 94 Abs. 2 IRSG werden im Ausland verhängte Sanktionen in der Schweiz vollzogen, soweit sie das Höchstmass der im schweizerischen Recht für eine entsprechende Tat vorgesehene Strafe nicht übersteigen. Sanktionen, die unter dem schweizerischen Strafrahmen bleiben, dürfen vollzogen werden. Vorliegend geht es nicht um einen Strafvollzug in der Schweiz oder eine Nachprüfung eines ausländischen Urteils, sondern um eine Auslieferung an die Türkei zur Vollstreckung der dort ausgesprochenen Strafe. Aus der EMRK ergibt sich dabei kein Anspruch, nach dem Recht des Staates mit der milderen Strafandrohung verurteilt zu werden. Dass ein Staat eine Tat strafrechtlich anders würdigt oder andere Strafrahmen als die Schweiz kennt, stellt denn auch noch kein Auslieferungshindernis dar (BGE 129 II 100 E. 3.4). Eine offensichtlich unverhältnismässige und nicht zu rechtfertigende Schwere der Strafe ( Zimmermann , a.a.O., N. 217) ist vorliegend nicht gegeben. Gründe für einen Strafvollzug in der Schweiz (vgl. Art. 37 Abs. 1 IRSG ), wie namentlich der grundrechtliche Anspruch auf Gefängnisbesuche durch engste Familienangehörige (Urteil des Bundesgerichts 1C_214/2019 vom 5. Juni 2019 E. 2.5 bis 2.8), liegen ebenfalls nicht vor. Die Rügen gehen fehl.

3.5 Die Schweiz prüft die Auslieferungsvoraussetzungen des EAUe auch im Lichte ihrer grundrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Nach zwingendem Völkerrecht - das sämtlichen völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen vorgeht, vgl. Art. 53 und 64 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge ( SR 0.111) - sind Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung verboten (Art. 10 Abs. 3 BV , Art. 3 EMRK , Art. 7 und Art. 10 Ziff. 1 UNO-Pakt II [ SR 0.103.2]). Niemand darf in einen Staat ausgeliefert werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 25 Abs. 3 BV ; Art. 37 Abs. 3 IRSG ). Auch behält sich die Schweiz die Verweigerung von Rechtshilfe vor, wenn im ersuchenden Staat die Respektierung eines vom internationalen ordre public anerkannten Minimalstandards an Verfahrensrechten nicht gewährleistet erscheint (BGE 139 II 65 E. 5.4 letzter Absatz; 135 IV 212 E. 2.3; BGE 133 IV 76 E. 4.1; 126 II 324 E. 4; 123 II 595 E. 7c; Urteile des Bundesgerichts 1C_644/2015 vom 23. Februar 2016 E. 8.1; 1C_274/2015 vom 12. August 2015 E. 6.1.3; 1A.17/2005 vom 11. April 2005 E. 3.1; TPF 2008 24 E. 1.1; Zimmermann , a.a.O., N. 211 ff., 223 ff., 681 ff. ).

3.6 Die Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Folterungen während des türkischen Strafverfahrens sind reine Behauptungen ohne jegliche medizinischen oder sonstigen Belege. Das türkische Strafurteil stützt sich primär auf Zeugenaussagen, Spuren- sowie Obduktionsberichte ab (act. 5.1 Auslieferungsantrag der Oberstaatsanwaltschaft in Z. vom 8. November 2016 S. 4, 41 ff.). Die Tat habe sich denn auch in der Öffentlichkeit (vor einem Kaffeehaus) abgespielt. Es kann daher von vornherein nicht davon gesprochen werden, das Urteil sei gestützt auf Folterungen des Beschwerdeführers ergangen (vgl. aber das Vorbringen der Verteidigung, obige Erwägung 3.2). Wie sodann schon das BJ ausführte, hat der Beschwerdeführer das Urteil bezüglich der Foltervorwürfe weder an türkische Gerichtsinstanzen noch letztinstanzlich an den EGMR weitergezogen (act. 2.1 S. 7 Auslieferungsentscheid; vgl. zu diesem Kriterium das Urteil des Bundesgerichts 1C_261/2019 vom 21. Mai 2019 E. 1.2). Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, es sei auf ihn in der Türkei innerhalb und ausserhalb der Strafvollzugsanstalt durch die Opferfamilie je ein Mordversuch verübt worden und er sei auf türkischem Boden in Lebensgefahr, geht sein Vorbringen fehl. Narben, welche zudem nicht belegt wurden, sind noch kein Beleg für Mordanschläge. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Türkei als Signatarstaat sowohl der EMRK als auch des EAUe diplomatisch garantierten, wirksamen Verpflichtungen zum Schutz des Lebens des Beschwerdeführers nachkommen wird (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2017.127 vom 25. Juli 2017 E. 5.4 zum Vertrauensprinzip). Die Rügen gehen fehl.

4.

4.1 Für die Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall eine Auslieferung nur nach Einholung einer förmlichen Garantieerklärung zulässig ist, ist eine Risikobeurteilung vorzunehmen. Zunächst ist die allgemeine menschenrechtliche Situation im ersuchenden Staat zu würdigen. Sodann - und vor allem - ist zu prüfen, ob der Verfolgte selber aufgrund der konkreten Umstände seines Falles der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt wäre. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, ob er gegebenenfalls zu einer Personengruppe gehört, die im ersuchenden Staat in besonderem Masse gefährdet ist (BGE 139 II 65 E. 5.4; 134 IV 156 E. 6.8; TPF 2010 56 E. 6.3.2; Zimmermann , a. a. O., N. 315, 653). Der im ausländischen Strafverfahren Beschuldigte muss glaubhaft machen, dass er objektiv und ernsthaft eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten hat (BGE 130 II 217 E. 8). Abstrakte Behauptungen genügen nicht. Der Beschwerdeführer muss seine Vorbringen im Einzelnen präzisieren (Urteil des Bundesgerichts 1A.210/1999 vom 12. Dezember 1999 E. 8b).

Bei Ländern mit bewährter Rechtsstaatskultur - insbesondere jenen Westeuropas - bestehen regelmässig keine ernsthaften Gründe für die Annahme, dass der Verfolgte bei einer Auslieferung dem Risiko einer die EMRK verletzenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Deshalb wird hier die Auslieferung ohne Auflagen gewährt. Demgegenüber gibt es Fälle, in denen zwar ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte im ersuchenden Staat einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein könnte, dieses Risiko aber mittels diplomatischer Garantien behoben oder jedenfalls auf ein so geringes Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint, so dass dem Auslieferungsersuchen, unter Auflagen, dennoch stattgegeben werden kann. Eine gänzliche Verweigerung der Auslieferung rechtfertigt sich nur ausnahmsweise, wenn das Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung auch mit diplomatischen Zusicherungen nicht auf ein Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint (BGE 135 I 191 E. 2.3; 134 IV 156 E. 6.7; TPF 2010 56 E. 6.3.2 [Iran]; TPF 2008 24 E. 4 [Moldawien]).

4.2 Der Beschwerdeführer beruft sich auf ein Urteil des brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. März 2017 mit dem Aktenzeichen "(1) 53 AusA 21/16 (11/16)" (in act. 5.17). Er verweist auf die dortigen Erwägungen und stellt damit die Praxis im Auslieferungsverkehr der Schweiz mit der Türkei in Frage. Freilich endete zwischenzeitlich am 19. Juli 2018 die Suspendierung der EMRK in der Türkei und anders als im brandenburgischen, gibt es im vorliegenden Fall keinen politischen Hintergrund der Tat. Immerhin verlangte auch das BJ in casu, nach den Ereignissen vom Juli 2016, eine Garantie ( Einhaltung von Art. 3 EMRK ). Die Auslieferungspraxis (vgl. die Kategorien in obiger Erwägung 3.4 letzter Absatz) ist nach den Ereignissen vom Juli 2016 zu überprüfen (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2016.126 vom 6. September 2016 E. 4.3). Massgeblich ist die aktuelle menschenrechtliche Situation in der Türkei.

Die menschenrechtliche Situation in der Türkei ist tatsächlich nicht unproblematisch. Davon zeugen zum einen Entscheidungen des EGMR (vgl. dessen Länderprofil Türkei auf der Seite https://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=press/ country&c= ). Der EGMR führt zu Art. 3 EMRK freilich kein Pilotverfahren gegen die Türkei. Der Länderbericht 2017/2018 von Amnesty International zur Türkei weist darauf hin, dass nach wie vor über Fälle von Folterungen und unmenschlicher Behandlung, speziell in Polizeigewahrsam, berichtet werde. Im Vergleich zu den Wochen nach den Ereignissen vom Juli 2016 seien deutlich weniger Berichte eingegangen. Die Türkei verweigere indes nach wie vor die Publikation von Berichten des Europäischen Komitees für die Verhütung von Folter. Entsprechendes geschah schon bei den Besuchen in den 1990er Jahren zu den systematischen Folterungen mutmasslicher Terroristen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_644/2015 vom 23. Februar 2016 E. 3.3.1). Effektive innerstaatliche Präventions- oder Untersuchungsmechanismen würden fehlen (so auch der UN-Sonderbeauftragte für die Bekämpfung der Folter im Bericht vom 18 Dezember 2017, para 71, [A/HRC/37/50/Add.1], zu seinem Besuch Ende 2016). Auch in der Rechtsprechung wurde darauf hingewiesen, dass in der Türkei die Straflosigkeit bei Folterfällen ein grosses Problem bleibe (Urteil des Bundesgerichts 1C_644/2015 vom 23. Februar 2016 E. 3.3.4; Mitteilung Nr. 747/2016 des UN Antifolterkomitees para 10.6). Das Europäische Komitee für die Verhütung von Folter konnte die Türkei vom 29. August bis 6. September 2016, vom 10. bis zum 23. Mai 2017, vom 4. bis zum 13. April 2018 sowie kürzlich vom 6. bis zum 17. Mai 2019 ad hoc besuchen, wobei die entsprechenden Berichte bisher nicht publiziert sind. Beim letzten Besuch ging es gemäss Pressemitteilung des Komitees vom 20. Mai 2019 um die Behandlung von Personen in Polizeigewahrsam sowie im Hochsicherheitsgefängnis.

4.3 Im Auslieferungsverkehr mit der Türkei wurde vor den Ereignissen vom Juli 2016 die Einholung von Garantien für gewöhnlich nicht vorausgesetzt (Urteile des Bundesgerichts 1C_356/2014 vom 3. September 2014 E. 2.2.2; 1A.215/2000 vom 16. Oktober 2000 E. 6c). Die Rechtsprechung verlangte von der Türkei diplomatische Zusicherungen der menschenrechtskonformen Behandlung des Verfolgten lediglich in heiklen Fällen mit politischem Hintergrund (Urteile des Bundesgerichts 1C_356/2014 vom 3. September 2014 E. 2.2.2 unter Hinweis auf BGE 133 IV 76 E. 4.4, 4.5 und 4.6 S. 88 ff.; 1A.215/2000 vom 16. Oktober 2000 E. 6b f.; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2015.119 vom 10. November 2015 E. 8.3; RR.2015.50 vom 2. Juli 2015 E. 10.5.4; RR.2013.261 vom 30. Oktober 2014 E. 6.9; RR.2016.10 vom 3. März 2016 E. 4.3). Die Beschwerdekammer wies - nach der Suspendierung der EMRK gemäss deren Art. 15 durch die Türkei - einen vorher erlassenen Auslieferungsentscheid zur erneuten Entscheidung an das Bundesamt für Justiz zurück (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2016.126 vom 6. September 2016 E. 4.3).

4.4 Das BJ hat die Türkei um die Garantie der Einhaltung des Folterverbots (Art. 3 EMRK ) ersucht und sie am 24. Juli 2017 erhalten. Nach Art. 15 Abs. 2 EMRK darf selbst bei Suspendierung der EMRK nach Absatz 1 des Artikels vom Folterverbot "in keinem Fall abgewichen werden". In der geschilderten menschenrechtlichen Situation (vgl. obige Erwägung 4.2) hat das BJ die diplomatische Garantie zu Recht verlangt. Eine erneute Evaluation kann angezeigt sein, wenn die Berichte des Europäischen Komitees für die Verhütung von Folter oder zum geplanten Besuch im Jahr 2020 des UN-Antifolterkomitees vorliegen.

Wer unter Garantien ausgeliefert wird, dem soll ein wirksamer Schutz mitgegeben werden (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2017.278 vom 21. Dezember 2017 E. 6.2). Gerade angesichts der fehlenden innerstaatlichen Präventions- oder Untersuchungsmechanismen gibt es vorliegend keinen Grund, um von der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Garantien der Staaten abzuweichen, welche in die zweite Kategorie fallen. Dies bedeutet insbesondere, dass es auch der schweizerischen diplomatischen Vertretung möglich sein muss, die Einhaltung der Garantien zu überwachen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_670/2017 vom 13. Dezember 2017 E. 3.3 m.w.H.). Voraussetzung einer Auslieferung sind damit weiter die folgenden Garantien (Art. 80 p Abs. 1 IRSG ): "(1) Die diplomatische Vertretung der Schweiz ist berechtigt, den Ausgelieferten jederzeit und unangemeldet ohne jegliche Überwachungsmassnahmen zu besuchen. Der Ausgelieferte hat das Recht, sich jederzeit an die diplomatische Vertretung der Schweiz zu wenden. (2) Die Behörden des ersuchenden Staates geben der diplomatischen Vertretung der Schweiz den Ort der Inhaftierung des Ausgelieferten bekannt. Wird er in ein anderes Gefängnis verlegt, informieren sie die diplomatische Vertretung der Schweiz unverzüglich über den neuen Ort der Inhaftierung. (3) Der Ausgelieferte hat das Recht, mit seinem Wahl- oder Offizialverteidiger uneingeschränkt und unbewacht zu verkehren. (4) Die Angehörigen des Ausgelieferten haben das Recht, ihn im Gefängnis zu besuchen." Die Bedeutung der beiden letzten Garantien wurde in BGE 134 IV 156 (E. 6.14.3 und 6.14.4) hervorgehoben. Das BJ wird in enger Zusammenarbeit mit dem Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA sicherzustellen haben, dass die schweizerische diplomatische Vertretung die Einhaltung der Garantien überwacht (vgl. BGE 134 IV 156 E. 6.16; 123 II 511 E. 7c am Schluss S. 525; Urteil des Bundesgerichts 1A.4/2005 vom 28. Februar 2005 E. 4.6 nicht publ. in BGE 131 II 235 ).

5. Es sind keine weiteren Auslieferungshindernisse ersichtlich. Die Auslieferung an die Türkische Republik ist daher zu bewilligen, unter den vorgenannten ergänzenden Garantien. Die Beschwerde ist abzuweisen.

6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG ). Unter Berücksichtigung aller massgeblichen Umstände ist die Gerichtsgebühr vorliegend auf Fr. 500.-- festzusetzen (vgl. Art. 63 Abs. 5 VwVG i.V.m. Art. 73 StBOG sowie Art. 5 und 8 Abs. 3 lit. a des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]).


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die Auslieferung wird in Ergänzung zur diplomatischen Garantie der Türkischen Republik vom 24. Juli 2017 von der Bedingung abhängig gemacht, dass die zuständige türkische Behörde folgende zusätzliche Garantieerklärung abgibt:

"1. Die diplomatische Vertretung der Schweiz ist berechtigt, den Ausgelieferten jederzeit und unangemeldet ohne jegliche Überwachungsmassnahmen zu besuchen. Der Ausgelieferte hat das Recht, sich jederzeit an die diplomatische Vertretung der Schweiz zu wenden.

2. Die Behörden des ersuchenden Staates geben der diplomatischen Vertretung der Schweiz den Ort der Inhaftierung des Ausgelieferten bekannt. Wird er in ein anderes Gefängnis verlegt, informieren sie die diplomatische Vertretung der Schweiz unverzüglich über den neuen Ort der Inhaftierung.

3. Der Ausgelieferte hat das Recht, mit seinem Wahl- oder Offizialverteidiger uneingeschränkt und unbewacht zu verkehren.

4. Die Angehörigen des Ausgelieferten haben das Recht, ihn im Gefängnis zu besuchen."

3. Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

Bellinzona, 22. August 2019

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :


Zustellung an

- A.

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG ; SR 173.110).

Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG ). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG ).

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