Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Fallnummer: | SK.2017.36 |
Datum: | 27.10.2017 |
Leitsatz/Stichwort: | Gewerbsmässiger Diebstahl (Art. 139 Ziff. 1 und 2 StGB), mehrfache, teilweise versuchte Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 321ter Abs. 1 StGB) |
Schlagwörter | Sendung; Sendungen; Beschuldigte; Apos;; Arbeit; Brief; IBRS-; IBRS-Sendung; IBRS-Sendungen; Arbeitsplatz; Video; Bunde; Bundes; Kiste; Beschuldigten; Briefbehälter; Privat; Briefe; Person; Diebstahl; Privatkläger; Bereich; Recht; Bargeld; ührt |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 10 StGB ;Art. 100 BGG ;Art. 106 StGB ;Art. 110 StGB ;Art. 119 StPO ;Art. 122 StPO ;Art. 123 StPO ;Art. 124 StPO ;Art. 126 StPO ;Art. 13 BV ;Art. 13 StGB ;Art. 130 StPO ;Art. 132 StPO ;Art. 134 StPO ;Art. 135 StPO ;Art. 139 StGB ;Art. 14 StPO ;Art. 17 StPO ;Art. 170 StPO ;Art. 2 StGB ;Art. 2 StPO ;Art. 22 StGB ;Art. 23 StPO ;Art. 26 StPO ;Art. 263 StPO ;Art. 267 StPO ;Art. 3 StGB ;Art. 3 StPO ;Art. 306 StPO ;Art. 31 StPO ;Art. 312 StPO ;Art. 321 StGB ;Art. 329 StPO ;Art. 33 StPO ;Art. 339 StPO ;Art. 34 StGB ;Art. 34 StPO ;Art. 393 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 4 StGB ;Art. 41 OR ;Art. 42 OR ; |
Referenz BGE: | 102 IV 242; 105 IV 157; 106 Ib 273; 116 IV 319; 119 IV 129; 123 IV 113; 123 IV 197; 131 IV 100; 135 IV 198; 136 IV 55; 137 IV 57; 138 IV 120; 139 IV 161; 70 IV 219; 94 I 639; 98 IV 83; ; |
Kommentar: | Oberholzer, Basler Kommentar 3. Aufl., Art. 321 ter , 2013 |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: SK.2017.36 |
Urteil vom 27. Oktober 2017 und Berichtigung vom 30. Oktober 2017 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Joséphine Contu Albrizio, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Daniel Kipfer Fasciati, Gerichtsschreiber Hanspeter Lukacs | |
Parteien | Bundesanwaltschaft , vertreten durch und als Privatklägerschaft: 1 . B., 2 . C., 3 . D., 4 . E., 5 . F., 6 . G., | |
gegen | ||
A., amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin Caroline Ehlert, | ||
Gegenstand | Gewerbsmässiger Diebstahl, mehrfache, teilweise versuchte Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses |
Anträge der Bundesanwaltschaft:
1. A. sei schuldig zu sprechen:
- des gewerbsmässigen Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 2 StGB ) sowie
- der mehrfachen, teilweise versuchten Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 321 ter Abs. 1 StGB).
2. A. sei mit einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten zu bestrafen, davon 18 Monate bedingt vollziehbar (Art. 27 , 40 , 47 und 49 StGB ).
Die Untersuchungshaft von insgesamt 15 Tagen sei auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen (Art. 51 StGB ).
3. Für den Vollzug des vorliegenden Urteils sei der Kanton Zürich als zuständig zu erklären (Art. 74 Abs. 2 StBOG i.V.m. Art. 31 StPO ).
4. Folgende Beträge seien von den mit Verfügung vom 17. November 2016 gesperrten Konten einzuziehen:
- Fr. 39'000.-- (Art. 70 Abs. 1 StGB );
- Fr. 83'500.-- (Art. 71 Abs. 1 StGB ; vgl. Ziff. 6);
- Fr. 5'000.-- (Gebühren Vorverfahren) zzgl. vom Gericht festzulegende Kosten für das Hauptverfahren (Art. 426 Abs. 1 i.V.m. Art. 442 Abs. 4 StPO ; vgl. Ziff. 7);
- Kosten der amtlichen Verteidigung (Art. 426 Abs. 1 i.V.m. Art. 442 Abs. 4 StPO ; vgl. Ziff. 8).
Im Restbetrag seien die Kontosperren nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils aufzuheben.
5. Folgende, zur Beweissicherung beschlagnahmten Gegenstände und Dokumente seien nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils nachgenannten Berechtigten herauszugeben:
- A009'404'642, 58 IBRS-Briefsendungen: Schweizerische Post;
- A009'830'028, Empfangsscheinbuch der Post: A.;
- A009'830'040, 2 Quittungen, Einzahlungen auf eigenes Konto: A.
6. A. sei zur Zahlung einer Ersatzforderung in Höhe von Fr. 83'500.-- zu verpflichten (Art. 71 Abs. 1 StGB ), wobei davon Vormerk zu nehmen sei, dass dieser Betrag durch die Einziehung gemäss Ziff. 4 gedeckt sei.
7. Die bisher entstandenen Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 5'000.-- zuzüglich der durch das Gericht festzulegenden Kosten für das Hauptverfahren seien A. aufzuerlegen (Art. 422 ff . StPO ), wobei davon Vormerk zu nehmen sei, dass dieser Betrag durch die Einziehung gemäss Ziff. 4 gedeckt sei.
8. Rechtsanwältin Caroline Ehlert sei für die amtliche Verteidigung von A. in gerichtlich zu bestimmender Höhe aus der Kasse der Eidgenossenschaft zu entschädigen (Art. 135 Abs. 1 StPO ).
Es sei davon Vormerk zu nehmen, dass Rechtsanwältin Caroline Ehlert für die amtliche Verteidigung von A. für das Verfahren im Kanton Zürich mit Fr. 2'894.95 (inkl. MWST) aus der Kasse der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis entschädigt wurde.
9. A. sei zu verpflichten, der Eidgenossenschaft die Kosten der amtlichen Verteidigung im vollen Umfang zurückzuerstatten (Art. 426 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 StPO ), wobei davon Vormerk zu nehmen sei, dass dieser Betrag durch die Einziehung gemäss Ziff. 4 gedeckt sei.
10. Die Zivilklagen seien auf den Zivilweg zu verweisen.
11. Das Urteil sei nach Eintritt der Rechtskraft den zuständigen Migrationsdiensten zuzustellen (Art. 82 VZAE ).
Anträge der Privatklägerschaft:
1. B. (pag. BA 15.9.3) :
Es wird 5% Zins für Schadenersatz und Genugtuung verlangt (ohne Bezifferung).
2 . C. (pag. BA 15.42.5) :
Es wird Schadenersatz von Fr. 1'600.-- und Genugtuung von Fr. 100.-- verlangt.
3 . D. (pag. BA 15.5.3) :
Es wird Schadenersatz in der Höhe des entwendeten Betrags zuzüglich 5% Zins verlangt.
4 . E. (pag. BA 15.16.3) :
Es wird Schadenersatz von Fr. 600.-- verlangt.
5 . F. (pag. BA 15.13.3) :
Es wird Schadenersatz in der Höhe des einbezahlten Betrags zuzüglich 5% Zins verlangt.
6 . G. (pag. BA 15.38.3) :
Es wird Genugtuung von Fr. 5'000.-- verlangt.
Anträge der Verteidigung:
1. Der Beschuldigte sei vollumfänglich freizusprechen.
2. Die beschlagnahmten Vermögenswerte und Gegenstände sowie Dokumente seien freizugeben und dem Beschuldigten auf erstes Verlangen auszuhändigen.
3. Der Beschuldigte sei für die erlittenen Zwangsmassnahmen angemessen zu entschädigen.
4. Die Forderungen der Privatkläger seien abzuweisen.
5. Unter ausgangsgemässer Kosten- und Entschädigungsfolge.
Prozessgeschichte:
A. Am 8. März 2016 erstattete H., Ermittler im Bereich Unternehmenssicherheit bei der Post CH AG, gegen deren Mitarbeiter A. Anzeige bei der Kantonspolizei Zürich (pag. BA 10.1.2). Hierauf eröffnete diese ein Ermittlungsverfahren gegen A. wegen Diebstahls sowie Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses.
B. Am 14. März 2016 wurden am individuellen Arbeitsplatz von A. (Niv. 2/G3) im Briefzentrum International in Zürich-Mülligen (BZI) 58 IBRS-Sendungen polizeilich sichergestellt. Hiervon enthielten 33 (pag. BA 15.1.6 ff.; dass die Angabe dieser Zahl im Bericht der Kantonspolizei Zürich vom 14. November 2016 mit 35 auf einer irrtümlichen Berechnung beruht, ergibt sich aus dem Bericht selbst, vgl. pag. BA 10.1.77 f.) Bargeld in der Höhe von total Fr. 1'690.-- und EUR 30.-- (pag. BA 10.1.82 ff.). A. wurde gleichentags festgenommen, polizeilich einvernommen und wieder entlassen (pag. BA 10.1.1 sowie 13.1.1 ff.). Anschliessend wurde er durch H. im BZI einvernommen und hierauf von seiner Arbeit freigestellt bzw. fristlos entlassen (pag. BA 10.1.4, -8 ff., -14 ff.; pag. BA 2.0.1).
C. Gestützt auf den Anzeigerapport der Kantonspolizei Zürich vom 1. Juli 2016 eröffnete die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis ein Strafverfahren gegen A. wegen Diebstahls sowie Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses.
D. Die Kantonspolizei Zürich führte Ermittlungen durch, darunter die Auswertung der Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras am Arbeitsort von A. rückwirkend bis zum 18. Januar 2016 (vgl. BA pag. 10.1.1 ff.) sowie die Eruierung von 44 Absendern der sichergestellten Briefsendungen. Hiervon hatten 25 ihren jeweiligen Sendungen Bargeld beigelegt (vgl. BA pag. 10.1.66 ff., -77). Von den 44 Betroffenen konstituierten sich deren sechs als Privatkläger (siehe Rubrum).
E. Am 11. August 2016 edierte die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis bei der I. AG Kontounterlagen betreffend A. Am 17. November 2016 edierte sie weitere Unterlagen und verfügte die Sperre von Konten, die auf A. (Privatkonto Nr. 3) bzw. ihn und seine Ehefrau lauten (Privatkonto Nr. 1; Sparkonto Nr. 2) (pag. BA 7.2.1 ff., -31 ff., -34 f., -36 f.). Am 30. November 2016 wurde die Sperre des Privatkontos Nr. 1 im Fr. 40'000.-- übersteigenden Betrag aufgehoben (pag. BA 7.2.65 ff.).
F. Die Kantonspolizei Zürich führte am 16. und 25. November 2016 Hausdurchsuchungen in der Wohnung und im Schrebergarten von A. durch und stellte diverse Gegenstände sicher. Die beweisrelevanten Gegenstände, darunter die am 14. März 2016 sichergestellten 58 IBRS-Sendungen (vorne lit. B.), wurden in der Folge von der Bundesanwaltschaft am 19. Mai 2017 beschlagnahmt (pag. BA 8.1.7 f., -67 f.). Die sichergestellten Mobiltelefone wurden A. anlässlich der Schlusseinvernahme vom 31. Mai 2017 ausgehändigt (pag. BA 8.1.69 ff.).
G. A. wurde am 16. November 2016 festgenommen. Er befand bis am 30. November 2016 in Untersuchungshaft (pag. BA 6.1.0.1-39).
H. Mit Vollmacht vom 18. November 2016 liess sich A. von Rechtsanwältin Caroline Ehlert für das Strafverfahren anwaltlich vertreten (pag. BA 16.1.4). Mit Verfügung der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 7. Dezember 2016 wurde A. rückwirkend auf den 18. November 2016 die amtliche Verteidigung gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO i.V.m. Art. 130 lit. b StPO in der Person von RA Ehlert gewährt (pag. BA 16.1.19 f.). Die Bundesanwaltschaft bestätigte die amtliche Verteidigung (pag. BA 16.1.21 f.).
I. Mit Gerichtsstandsanfrage vom 9. Dezember 2016 ersuchte die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis die Bundesanwaltschaft um Übernahme des Verfahrens (pag. BA 2.0.1). Am 23. Dezember 2016 bestätigte die Bundesanwaltschaft die Übernahme des Verfahrens und vereinigte dieses am 9. Januar 2017 gestützt auf Art. 26 Abs. 2 StPO in der Hand der Bundesbehörden (BA pag. 1.0.1 f.).
J. Am 31. Mai 2017 führte die Bundesanwaltschaft die Schlusseinvernahme durch (pag. BA 13.1.37 ff.). Am 8. Juni 2017 kündigte sie A. den bevorstehenden Abschluss der Untersuchung gemäss Art. 318 StPO an (pag. BA 16.1.41 f.).
K. Am 19. Juli 2017 erhob die Bundesanwaltschaft beim Bundesstrafgericht Anklage gegen A. wegen gewerbsmässigem Diebstahl und mehrfacher Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (pag. TPF 4.100.1 ff.).
L. Von Amtes wegen holte die Strafkammer je einen Strafregister- und Betreibungsregisterauszug sowie Steuerunterlagen betreffend A. ein (pag. TPF 4.221.2, 4.261.4 f., 4.261.12 ff.). Sie ersuchte die Post CH AG um Erstellung eines Sachberichts betreffend IBRS-Sendungen, unter Einbezug der relevanten postrechtlichen Grundlagen (pag. TPF 4.292.1 f.), und um Auskunft darüber, ob A. im Rahmen seiner Tätigkeit mit IBRS-Sendungen in Kontakt gekommen und ob er beim Verlassen der Arbeitsstätte vom Sicherheitsdienst durchsucht worden sei (pag. TPF 4.292.10). Mit Schreiben vom 29. September 2017 erteilte die Post CH AG diese Auskünfte (pag. TPF 4.292.12 ff.).
M. Auf Aufforderung der Prozessleitung hin reichte die Bundesanwaltschaft am 26. September 2017 ein Schreiben des Generalsekretariats des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (GS EJPD) vom 15. März 2016 ein, wonach aufgrund einer Praxisänderung des EJPD für die Strafverfolgung von Postangestellten keine Ermächtigung mehr erforderlich sei (pag. TPF 4.510.2 ff.).
N. Die Hauptverhandlung fand am 26. Oktober 2017 in Anwesenheit der Bundesanwaltschaft und des Beschuldigten sowie der amtlichen Verteidigerin am Sitz des Bundesstrafgerichts statt. Die Privatkläger erschienen nicht. Das Urteil wurde am 27. Oktober 2017 mündlich eröffnet und begründet. Das Gericht berichtigte am 30. Oktober 2017 Dispositiv-Ziffer 2 und eröffnete dies den Parteien schriftlich.
O. Die Bundesanwaltschaft verlangte mit Eingabe vom 30. Oktober 2017 eine schriftliche Urteilsbegründung (pag. TPF 4.510.6).