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Entscheid des Bundesstrafgerichts: SK.2017.24 vom 14.09.2017

Hier finden Sie das Urteil SK.2017.24 vom 14.09.2017 - Strafkammer

Sachverhalt des Entscheids SK.2017.24


Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Strafkammer

Fallnummer:

SK.2017.24

Datum:

14.09.2017

Leitsatz/Stichwort:

Fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs. Fahrlässige Gefährdung durch die Luftfahrt.

Schlagwörter

Beschuldigte; Bundes; Pilot; Luftfahrzeug; Beschuldigten; Verkehr; Helikopter; Piloten; HB-ZLG; Luftfahrzeuge; HB-ZMU; Bundesanwaltschaft; Verkehrs; Kollision; Verfahren; Gefährdung; Verfahrens; Ausweichmanöver; Erfolg; Sicht; Entschädigung; Urteil; Gericht; Schlussbericht; Verhalten; ührte

Rechtskraft:

Kein Weiterzug, rechtskräftig

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 1 StGB ;Art. 1 VRV ;Art. 100 BGG ;Art. 12 StGB ;Art. 19 StPO ;Art. 23 StGB ;Art. 23 StPO ;Art. 33 StPO ;Art. 356 StPO ;Art. 42 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 429 StPO ;Art. 82 StPO ;Art. 9 BGG ;Art. 95 BGG ;Art. 97 BGG ;

Referenz BGE:

105 IV 41; 106 IV 370; 130 IV 7; 134 IV 255; 135 IV 56; ;

Kommentar:

Fingerhuth, Trechsel, Praxis, 2. Aufl., Zürich, Art. 237 StGB, 2013

Entscheid des Bundesstrafgerichts

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: SK.2017.24

Urteil vom 14. September 2017
Strafkammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Martin Stupf, Einzelrichter

Gerichtsschreiberin Anne Kathrin Herzog

Parteien

Bundesanwaltschaft , vertreten durch Staatsanwalt des Bundes Hansjörg Stadler,

gegen

A., erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt Philipp Perren,

Gegenstand

Fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs, fahrlässige Gefährdung durch die Luftfahrt


Anträge der Bundesanwaltschaft:

Gestützt auf Art. 337 StPO wird dem Gericht beantragt, der Beschuldigte A. sei gemäss Strafbefehl der Bundesanwaltschaft vom 13. März 2017 zu verurteilen und zu bestrafen. Dem Dispositiv des genannten Strafbefehls können folgende Anträge entnommen werden:

1. A. sei wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2 i.V.m. Ziff. 1 Abs. 1 StGB) und fahrlässiger Gefährdung durch die Luftfahrt (Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LFG) schuldig zu sprechen.

2. A. sei mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 130. , ausmachend Fr. 2'600. , zu bestrafen. Der Vollzug der Geldstrafe sei aufzuschieben unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren.

3. A. sei zudem mit einer Busse von Fr. 600. zu bestrafen, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 5 Tagen.

4. Die Kosten des Verfahrens von insgesamt Fr. 1'000. (Fr. 990. Gebühren und Fr. 20. Auslagen) seien zur Hälfte A.(...), ausmachend Fr. 500. , aufzuerlegen.

5. Nach Rechtskraft des Strafbefehls sei der Kanton Graubünden für den Strafvollzug zuständig zu erklären (Art. 74 StBOG ).

Anträge der Verteidigung:

Das Verfahren gegen A. sei einzustellen,

unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Gunsten des Angeschuldigten.


Prozessgeschichte:

A. Am 1. JuIi 2015, um 14:11 Uhr, kam es am südlichen Talhang des Engadins zu einer Fastkollision (Airprox) zwischen dem vom Piloten B. gesteuerten Helikopter (Funkrufzeichen HB-ZLG; betrieben durch Swiss Helicopter AG) und dem vom Piloten A. (nachfolgend Beschuldigter/ beschuldigter Pilot) geführten Helikopter (Funkrufzeichen HB-ZMU; betrieben durch Heli Bernina AG). Durch ein brüskes Ausweichmanöver der HB-ZMU konnte eine Kollision der Luftfahrzeuge verhindert werden. Nach dem Vorfall führten beide Piloten ihren jeweiligen Flugauftrag fort (vgl. BA pag. 3-01-1 f.; 11-01-8).

B. Der Vorfall wurde durch die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle (nachfolgend SUST) untersucht. Der entsprechende Schlussbericht wurde am 8. September 2016 erstattet (nachfolgend SUST-Schlussbericht; BA pag. 11-01-10 ff.).

C. Mit Verfügung vom 21. September 2016 eröffnete die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt wegen Verdacht der Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 StGB), welche am 8. November 2016 auf den Beschuldigten ausgedehnt wurde (pag. BA 1-01-1 f.).

D. Mit Strafbefehl vom 13. März 2017 verurteilte die Bundesanwaltschaft den Beschuldigten wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs und wegen fahrlässiger Gefährdung durch die Luftfahrt zu einer bedingten Geldstrafe und zu einer Busse (BA pag. 3-01-1 ff.). Der Beschuldigte erhob hierauf am 31. März 2017 fristgerecht Einsprache und beantragte die Einstellung des Verfahrens, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu seinen Gunsten (BA pag. 3-01-8 f.).

E. Die Bundesanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest (Art. 355 Abs. 3 lit. a der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 [StPO; SR 312.0]) und überwies diesen am 24. April 2017 dem hiesigen Gericht als Anklageschrift zwecks Durchführung eines ordentlichen Verfahrens (Art. 356 Abs. 1 StPO ). Gleichzeitig gab sie bekannt, auf eine Teilnahme an der Hauptverhandlung zu verzichten (Art. 337 StPO ; TPF pag. 2-100-1 f.).

F. Im Rahmen der Prozessvorbereitung holte das Gericht von Amtes wegen den Straf- und Betreibungsregisterauszug sowie die Steuerunterlagen des Beschuldigten ein. Darüber hinaus erkannte es vom BAZL nebst einem Amtsbericht auch zwei gegen den Beschuldigten ergangene Strafbescheide sowie von der SUST die Untersuchungsakten zu den Akten (TPF pag. 2-222; 2-260-3 ff.; 2-291-1;
2-292-8...15 ff.).

Mit Verfügung vom 8. Juni 2017 hiess das Gericht den Beweisantrag der Verteidigung auf Einvernahme des B. als Zeugen gut; die übrigen Anträge wies es ab (TPF pag. 2-280-1 f.).

G. Am 14. September 2017 fand die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Bundesanwaltschaft und in Anwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers am Sitz des Bundesstrafgerichts statt. Gleichentags eröffnete der Einzelrichter das Urteil und begründete es mündlich (TPF pag. 2-970-2).

H. Am 18. September 2017 verlangte die Bundesanwaltschaft fristgerecht eine schriftliche Begründung des Urteils (Art. 82 Abs. 2 lit. a StPO ; TPF pag. 2-970-5).

Der Einzelrichter erwägt:

1. Prozessuales

1.1 Zuständigkeit

Gemäss Art. 98 Abs. 1 LFG des Bundesgesetzes über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 (Luftfahrtgesetz; LFG, SR 748.0) unterstehen die an Bord eines Luftfahrzeugs begangenen strafbaren Handlungen - unter Vorbehalt des hier nicht anwendbaren Absatzes 2 dieser Bestimmung - der Bundesgerichtsbarkeit. Die zur Beurteilung stehenden Taten sollen an Bord eines Helikopters begangen worden sein, welcher im schweizerischen Luftfahrzeugregister eingetragen ist (pag. 11-01-12) und gemäss Art. 55 LFG als Luftfahrzeug gilt. Die Bundesge-richtsbarkeit ist damit gegeben (Art. 98 Abs. 1 LFG i.V.m. Art. 23 Abs. 2 StPO).

Die Kompetenz des Einzelgerichts ergibt sich aus Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 36 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Organisation der Strafbehörden des Bundes vom 19. März 2010 ( StBOG ; SR 173.71).

1.2 Gültigkeit des Strafbefehls und der Einsprache

Hinsichtlich der Gültigkeit des Strafbefehls und der Einsprache, die das Gericht vorfrageweise zu prüfen hat (Art. 356 Abs. 2 StPO ), stellen sich keine besonde-ren Fragen.

2. Fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs und fahrlässige Gefährdung durch die Luftfahrt

2.1 Nach Art. 237 Ziff. 2 i.V.m. Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer fahrlässig den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr in der Luft hindert, stört oder gefährdet und dadurch Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt.

2.1.1 Der Tatbestand von Art. 237 StGB schützt das Leben und die körperliche Unversehrtheit der am öffentlichen Verkehr teilnehmenden Personen (BGE 106 IV 370 E. 2a; 100 IV 55 E. 5). Öffentlich ist der Verkehr, wenn er an einem jedermann bzw. einem unbestimmten Personenkreis zugänglichem Ort stattfindet, welcher nicht nur dem privaten Gebrauch dient (BGE 134 IV 255 E. 4.1, m.w.H.). Tatbestandsmässig ist jedes Verhalten, welches eine Erhöhung der dem Verkehr immanenten Gefahr zur Folge hat ( Trechsel/Fingerhuth , Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 237 StGB N. 10; Fiolka , Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 237 StGB N. 18).

2.1.2 Der Erfolg besteht in der konkreten Gefährdung von Leib und Leben mindestens eines Menschen. Konkrete Gefährdung bedeutet eine nahe und ernsthafte Wahrscheinlichkeit, dass es zur Tötung oder Verletzung von Personen kommt (BGE 134 IV 255 E. 4.1; Stratenwerth/Bommer , Strafrecht BT II, 7. Aufl., Bern 2013, § 32 N. 8 f.). Ob eine konkrete Gefährdung zu bejahen ist, beurteilt sich nicht allein nach dem, was schliesslich eingetreten ist, sondern es kommt darauf an, ob das fragliche Vorkommnis nach dem normalen Gang der Dinge die Verletzung eines Menschen ernstlich wahrscheinlich gemacht hat. Art. 237 StGB ist deshalb auch anwendbar, wenn der Eintritt eines schädigenden Erfolgs durch Zufall oder das Verhalten der Beteiligten verhütet wird ( BGE 134 IV 255 E. 4.1; 106 IV 121 E. 3c; Urteile des Bundesgerichts 6B_779/2009 vom 12. April 2010 E. 2.2.1; 6S.312/2003 vom 1. Oktober 2003 E. 2.2).

2.1.3 Fahrlässig handelt, wer die Folgen seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat (Art. 12 Abs. 3 Satz 1 StGB ). Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 StGB ). Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften; das Gleiche gilt für entsprechende allgemein anerkannte Verhaltensregeln, auch wenn diese von einem privaten oder halböffentlichen Verband erlassen wurden und keine Rechtsnormen darstellen (BGE 130 IV 7 E. 3.3). Das schliesst jedoch nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (BGE 135 IV 56 E. 2.1; 134 IV 193 E. 7.2).

2.1.4 Eine Sorgfaltspflichtverletzung liegt nur vor, wenn die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe für den Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar waren und der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz, wonach das Verhalten geeignet sein muss, um nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Vorhersehbarkeit der zu beurteilenden Ursache für den Erfolg ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 135 IV 56 E. 2.1; 134 IV 193 E. 7.3, jeweils mit Hinweisen).

2.1.5 Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt seine blosse Vorhersehbarkeit nicht, sondern der Erfolg muss auch vermeidbar gewesen sein. Anhand eines hypothetischen Kausalverlaufs ist zu prüfen, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Der tatbestandliche Erfolg ist dem Täter zuzurechnen, wenn sein Verhalten mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolges bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1; Urteil des Bundesgerichts 6B_779/2009 vom 12. April 2010, E. 3.3.1, jeweils mit Hinweisen).

2.2 Gemäss Art. 90 Abs. 2 i.V.m Abs. 1 LFG ist u.a. der Kommandant eines Luftfahrzeuges strafbar, der anerkannte Regeln des Verkehrs missachtet und dadurch fahrlässig Leib oder Gut Dritter auf der Erdoberfläche in Gefahr bringt. Diese Strafbestimmung ist gegenüber der Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 StGB) und anderen Tatbeständen des Strafgesetzbuches subsidiär anzuwenden (BGE 105 IV 41 E. 3a).

3. Anklagevorwurf

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Beschuldigten zusammengefasst vor, am 1. Juli 2015 als Pilot eines Helikopters pflichtwidrig unsorgfältig gehandelt zu haben, indem er geltende Flugvorschriften, namentlich das für Sichtflüge geltende Prinzip see and avoid" verletzt, den öffentlichen Verkehr gehindert und deshalb eine Fastkollision (Airprox) mit einem anderen Helikopter verursacht habe. Dadurch seien Leib und Leben beider Besatzungen konkret gefährdet worden. Durch diese pflichtwidrige Unvorsichtigkeit habe er zudem in Missachtung anerkannter Regeln des (Luft-)Verkehrs Leib oder Gut Dritter auf der Erdoberfläche gefährdet.

4. Untersuchung der SUST

4.1 Im Schlussbericht stellte die SUST den Sachverhalt wie folgt dar: Am 1. JuIi 2015, um 14:05 Uhr verliess die aus dem beschuldigten Piloten und dem Flughelfer C. bestehende Besatzung mit dem Helikopter HB-ZMU den Regionalflugplatz Samedan (LSZS) in südwestlicher Richtung mit Bestimmungsort Pranzaira im Bergell, um dort zwei Monteure abzuholen und zu einer SAC-Hütte zu fliegen. Seit ungefähr 13:55 Uhr war der Pilot der HB-ZLG, B., damit beschäftigt, mit dem von ihm geführten Helikopter Beton mittels eines Betonkübels an einem 15 Meter langen Transportseil vom Parkplatz bei der Talstation der Bergbahn Furtschellas zum Bergrestaurant zu transportieren. Die HB-ZMU hatte den Meldepunkt Whiskey (W) passiert und folgte dem südlichen Talhang des Engadins im südwestlichen Kurs auf einer Höhe von ungefähr 7000 ft AMSL und einer Geschwindigkeit von 110 kt, als der beschuldigte Pilot beim Beobachten eines Kite-Surfers auf der Oberfläche des Silvaplanersees zufällig einen Schatten wahrnahm. Über intercom informierte er sogleich Flughelfer C. auf dem Rücksitz. Im nächsten Moment entdeckte die Besatzung den anderen Helikopter HB-ZLG im Steigflug rechts unter sich. Der Beschuldigte leitete sofort ein brüskes Ausweichmanöver nach oben Iinks ein, um eine Kollision der beiden Luftfahrzeuge zu verhindern. Pilot B. (HB-ZLG) befand sich auf der fünften Rotation des Auftrages im Steigflug und konzentrierte sich auf den Flugweg, die Leistungseinstellungen und die zwischen 750 kg und 800 kg schwere Unterlast, die er mittels Spiegel kontrollierte. Er folgte mit einer Fluggeschwindigkeit von rund 60 kt dem ansteigenden Hang. Die gefährliche Annäherung zwischen den beiden Helikoptern ereignete sich um 14:11:41 Uhr, auf einer Höhe von rund 2035 m/M. Dabei betrug der geringste horizontale Abstand rund 15 m, bei einer Höhendifferenz von ungefähr 25 m (BA pag. 11-1-1 ff.).

Gemäss SUST-Schlussbericht ist der Vorfall im Wesentlichen auf eine späte, gegenseitige visuelle Erkennung des anderen Helikopters zurückzuführen. Zudem war nur in der vom Beschuldigten geführten HB-ZMU ein Kollisionswarnsystem eingebaut. Ausserdem sei die Entstehung des schweren Vorfalls dadurch begünstigt worden, dass dem Flugplatzinformationsdienst keine Informationen über den Lastentransport durch den Piloten B. in der Nähe des Flugplatzes Samedan vorgelegen haben (BA pag. 11-01-8;...-23).

4.2 Anlässlich der Hauptverhandlung vom 14. September 2017 bestätigten sowohl der Beschuldigte, als auch der als Zeuge einvernommene Pilot B. die Sachverhaltsdarstellung der SUST (TPF pag. 2-930-3;...-11). Im Übrigen bestreitet der Beschuldigte jedoch jegliches Fehlverhalten (BA pag. 13-01-3 ff.; 16-01-6 ff.; pag. TPF 2-930-3 ff.).

5. Vorbemerkungen

5.1 Vor der Prüfung der in der Anklage erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Beschuldigten sind zunächst die folgenden Feststellungen der SUST sowie Aussagen des Beschuldigten festzuhalten:

5.1.1 Die beiden in den Vorfall involvierten Luftfahrzeuge befanden sich am Unfalltag in einem technisch einwandfreien Zustand (BA pag. 11-11-9).

5.1.2 Die Abklärungen zu den meteorologischen Verhältnissen am 1. Juli 2015 ergaben, dass über den Oberengadiner Seen sonniges Wetter mit Quellwolken entlang der Bergkämme herrschte. Die Sicht betrug 60 km und es bestanden keine Gefahren für einen Sichtflug (BA pag. 11-1-13).

5.1.3 Die vom Beschuldigten pilotierte HB-ZMU war mit einem Kollisionswarnsystem ausgerüstet; die vom Piloten B. gesteuerte HB-ZLG verfügte demgegenüber über kein Kollisionswarngerät, weswegen das in der HB-ZMU installierte Gerät die HB-ZLG nicht detektieren und nicht vor dem drohenden Zusammenstoss warnen konnte (BA pag. 11-1-8;...-18 f.;...-21). Es handelt sich dabei um eine systemische Ursache, welche für die Beurteilung der Strafbarkeit nicht von Belang ist.

5.1.4 Gemäss SUST-Schlussbericht wurde die späte gegenseitige Erkennbarkeit der beiden Helikopter dadurch begünstigt, dass sich die Helikopter während der rund letzten zehn Sekunden vor der gefährlichen Annäherung in einer stehenden Seitenpeilung ( bearing) aufeinander zubewegten, weshalb vom Blickwinkel des Betrachters die Position des jeweils anderen Objektes unverändert blieb. Zudem kam im vorliegenden Fall hinzu, dass die Annäherung nicht im horizontalen Reiseflug - also auf gleicher Höhe - stattfand, sondern sich die HB-ZLG von B. von unten der HB-ZMU des Beschuldigten näherte (BA pag. 11-01-20).

5.1.5 In Bezug auf die menschlichen Aspekte sowie die Flugerfahrung des Beschuldigten sind weder dessen Gesundheitszustand, mangelnde Kenntnisse des betreffenden Flugzeugtyps noch andere Gründe - wie etwa eine Blendung durch die Sonne unmittelbar vor der gefährlichen Annäherung - ursächlich für den fliegerischen Vorfall gewesen (vgl. BA pag. 11-1-11 ff.; TPF pag. 2-923-3 ff.).

5.2 Das Gericht kommt basierend auf den obigen Feststellungen zum Schluss, dass die Erkennbarkeit des gegnerischen Flugzeugs durch den Beschuldigten am Unfalltag grundsätzlich möglich war.

6. Strafrechtliche Verantwortlichkeit

Im Folgenden ist zu prüfen, ob dem Beschuldigten im Sinne der Anklage eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit im Luftverkehr vorzuwerfen ist. Im Wesentlichen ist die Frage zu klären, ob der beschuldigte Pilot das beim Sichtflug geltende Prinzip von see and avoid" und/oder das fliegerische Vortrittsrecht verletzte.

6.1 Als wesentliche Methode zur Vermeidung von Kollisionen gilt die im Luftverkehr allgemeingültige Regel see and avoid" (Art. 7 der Verordnung über die Rechte und Pflichten des Kommandanten eines Luftfahrzeuges vom 22. Januar 1960 [KdtV, SR 748.225]; vgl. Übereinkommen über die internationale Zivilluftfahrt vom 4. April 1947, Annex 2, Kapitel 3.2, [ ICAO-Übereinkommen, SR 0.748.0]; European General Aviation Safety Team, Collision Avoidance, Safety Promotion Leaflet, S. 3, Jan. 2010). Wie der Name des Prinzips besagt, ist es lebenswichtig, anderen Luftverkehr zu sehen und von anderem Luftverkehr gesehen zu werden, um Kollisionen zu vermeiden. Kernelement ist demzufolge die Fähigkeit des Piloten, andere Flugzeuge zu erfassen bzw. zu erkennen, Kurs und Geschwindigkeit abzuschätzen und daraus die richtige Handlung zur Kollisionsvermeidung einzuleiten bzw. für die Situation richtige Aktion abzuleiten (siehe dazu Bericht BAZL Die Grenzen des Wahrnehmungsvermögens - Effektivität von see and avoid" zur Verhinderung von Zusammenstössen, unter https://www.bazl.admin.ch ). Bei Sichtflugbedingungen ist der Pilot verantwortlich für das Vermeiden von Kollisionen. Das unerlässliche "Sehen und Gesehen werden" kann durch eine effektive Luftraumüberwachung und Good Airmanship" erreicht werden (vgl. Bericht BAZL Vermeidung von Annäherungen [Airprox] unter Sichtflugregeln in den Lufträumen G und E", unter https://www.bazl.admin.ch). Das Wichtigste zur Förderung der Erkennbarkeit und Wahrnehmung anderer Luftfahrzeuge ist eine gezielte Erwartungshaltung des Piloten.

6.1.1 Der vom Beschuldigten gewählte Flugweg und die Geschwindigkeit der von ihm geführten HB-ZMU geben zu keinen Bemerkungen Anlass: Der Beschuldigte flog die HB-ZMU in korrekter Weise und mit einer zulässigen Geschwindigkeit (pag. BA 11-1-10).

6.1.2 Der Beschuldigte betonte bei all seinen Befragungen, das bei Sichtflügen vorgeschriebene Scanning des Luftweges und des Luftraumes korrekt und situationsgerecht durchgeführt zu haben. Aufgrund der Akten ist erstellt, dass er unmittelbar nach dem Erkennen eines für ihn unbekannten Schattens auf der Oberfläche des Silvaplanersees umgehend seinen Flugbegleiter via intercom anvisierte, den Luftraum nach einem möglichen anderen Objekt abzusuchen, worauf ein intensives Scanning durch die Besatzung der HB-ZMU erfolgte. Die diesbezüglichen Aussagen des Beschuldigten und dem Flugbegleiter sind übereinstimmend. Der Beschuldigte gab zudem an, er habe nach Wahrnehmung des Schattens die Flugplatzfrequenz aufgedreht um mitzuhören, ob sich jemand auf dem Einflug nach Samedan melde (TPF pag. 2-930-5). Der SUST-Schlussbericht folgert, das intensive Scannen des Flugweges durch die Besatzung der HB-ZMU habe zur Entdeckung der sich auf Kollisionskurs befindenden HB-ZLG geführt. Der Vorfall verdeutliche, dass das Bild eines unbekannten Schattens am Boden ein guter Anstoss sein könne, das zugehörige Flugobjekt um sich zu suchen (BA pag. 11-1-20).

6.1.3 Was die gezielte Erwartungshaltung des beschuldigten Piloten anbelangt, ob er mit dem plötzlichen Auftauchen des anderen Luftfahrzeugs in der nämlichen Flugzone hat rechnen müssen, ergibt sich Folgendes: Pilot B. führte mit der HB-ZLG bereits ab 13:55 Uhr und damit 10 Minuten vor dem Start der vom Beschuldigten geführten HB-ZMU Transportflüge mit Unterlast aus. B. meldete die von ihm durchgeführten Lastentransporte dem flight information officer des Flugplatzes Samedan weder vorgängig noch im Rahmen seiner Flüge. Anlässlich der Hauptverhandlung erklärte er als Zeuge, mangels Vorschrift sei er nicht verpflichtet gewesen, den Transportflug zu melden (TPF pag. 2-930-013). Der Beschuldigte gab zu Protokoll, grundsätzlich informiere der zuständige Flughafen andere Flugobjekte (welche sich in derselben Flugzone befinden) über derartige Transportflüge. Es wäre für ihn sicher besser gewesen und der Airprox hätte vermieden werden können, wenn er von den Lastentransportflügen gewusst hätte (TPF pag. 2-930-6 ff.). Der SUST-Schlussbericht hält diesbezüglich fest, die Entstehung des schweren Vorfalls sei dadurch begünstigt worden, dass dem Fluginformationsdienst keine Informationen über den Lastentransport in der Nähe des Flugplatzes Samedan vorgelegen habe (pag. BA 11-1-23).

Zwar gilt als erwiesen, dass Pilot B. den Lastentragsportflug nicht hatte melden müssen, da er sich 7 km ausserhalb der Fluginformationszone bewegte (BA pag. 11-01-14). Beide Piloten bestätigten jedoch auf entsprechende Frage des Gerichts, dass dieser Airprox vermeidbar gewesen wäre, wenn der Beschuldigte von den Transportflügen des Piloten B. gewusst hätte (TPF pag. 2-930-7;...-13). Die Erwartungshaltung des Beschuldigten wäre zweifelsohne eine andere gewesen, wenn er mit dem Transportflug des Piloten B. hätte rechnen müssen und gezielt nach der HB-ZLG hätte Ausschau halten können.

6.1.4 Pilot B. machte zudem geltend, sein Helikopter sei aufgrund der Unterlast (zwischen 750 kg bis 800 kg) sehr träge gewesen (TPF pag. 2-930-14). Der SUST-Schlussbericht hält in diesem Zusammenhang fest, der die HB-ZLG steuernde Pilot B. sei vor der Fastkollision mit der Überwachung der angehängten Last, dem Einteilen des Steigflugs und der Überwachung der Leistungseinstellung stark absorbiert gewesen, was für die Luftraumüberwachung nicht mehr viel Kapazität übrig gelassen habe (pag. BA 11-1-20). Diese, ausschliesslich die HB-ZLG betreffenden Umstände hat der Beschuldigte nicht zu verantworten.

6.1.5 Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass der Beschuldigte die ihm als Kommandant obliegenden Sichtflugregeln korrekt beachtet hatte. Im Übrigen bestehen weder in den Untersuchungsakten der SUST, noch in den übrigen Verfahrensakten Hinweise oder Anhaltspunkte, wonach der Beschuldigte den Helikopter HB-ZMU in nachlässiger oder unvorsichtiger Weise geführt und anderweitig den Luftraum mangelhaft überwacht haben soll. Folglich ist ihm keine Nachlässigkeit und damit auch keine Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen.

6.2 Der Beschuldigte flog am südlichen Talhang des Engadins den Silvaplanersee entlang und führte wegen der von unten, im Steigflug herannahenden HB-ZLG ein brüskes Ausweichmanöver nach oben links durch. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Beschuldigten in diesem Zusammenhang vor, das sehr späte Erkennen des jeweils anderen Helikopters habe dazu geführt, dass er dem von rechts kommenden Piloten B. den Vortritt nicht habe gewähren und dieser kein Ausweichmanöver habe einleiten können (BA pag. 3-1-3).

6.2.1 Das Vortrittsrecht ist eine Sorgfaltspflicht, die sich aus den allgemeinen Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge ergibt. Gemäss Art. 1 lit. a der Verordnung des UVEK über die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge vom 20. Mai 2015 (VRV-L, SR 748.121.11) richten sich die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge in erster Linie nach der EU-Durchführungsverordnung Nr. 923/2012. Die Bestimmungen im Anhang der Verordnung, dritter Abschnitt, Kapitel 2, entheben den verantwortlichen Piloten eines Luftfahrzeuges nicht von seiner Verpflichtung, Massnahmen zur Vermeidung eines Zusammenstosses zu ergreifen - einschliesslich Ausweichmanövern, die auf Ausweichempfehlungen eines Kollisionsverhütungssystems beruhen. Laut der Ausweichregel SERA.3210 lit. b hat ein Luftfahrzeug einem anderen Luftfahrzeug, das erkennbar in seiner Manövrierfähigkeit behindert ist, auszuweichen. Kreuzen sich die Flugrichtungen zweier Luftfahrzeuge in nahezu gleicher Höhe, so hat das Luftfahrzeug, bei dem sich das andere Luftfahrzeug auf der rechten Seite befindet, auszuweichen, wobei ein motorgetriebenes Luftfahrzeug einem anderen Luftfahrzeug, das erkennbar Gegenstände schleppt, stets auszuweichen hat (Ausweichregel SERA.3210 lit. c Ziff. 2 iv). Bei sich schneidenden Kursen zweier Luftfahrzeuge im Flug auf gleicher Höhe hat das rechts kommende Luftfahrzeug grundsätzlich Vortritt. Begegnen sich zwei Luftfahrzeuge am Hang in ganz oder nahezu entgegengesetzter Flugrichtung und ungefähr auf gleicher Höhe, so hat das Luftfahrzeug, das den Hang zu seiner Linken hat, nach rechts auszuweichen. Es darf das andere Luftfahrzeug nicht unter- oder überfliegen (Art. 12 i.V.m. Art. 1 lit. b VRV -L).

6.2.2 Aufgrund der Feststellungen im SUST-Schlussbericht und der Aussagen des Beschuldigten ist erstellt, dass nach rund 2 bis maximal 3 Sekunden der vom Piloten B. geführte Helikopter plötzlich von rechts unten sichtbar wurde (BA pag. 11-01-9; TPF pag. 2-930-4 f.). Daraufhin leitete der Beschuldigte ein brüskes Ausweichmanöver nach links oben ein und konnte dadurch einen Zusammenstoss der beiden Helikopter vermeiden. Der Beschuldigte erklärte, er wisse nicht, wie er den Rechtsvortritt hätte gewähren können, da der andere Verkehrsteilnehmer von unten rechts herangeflogen sei und er diesen nicht gesehen habe. Deshalb habe er nach links ausweichen müssen (BA pag. 13-1-10; TPF pag. 2-930-7). Der Flugbegleiter erklärte, der Beschuldigte habe in dieser Situation ganz ruhig reagiert, sei blitzschnell ausgewichen und weitergeflogen (BA pag. 12-01-7). Der Pilot B. hielt fest, er selber hätte mit seiner HB-ZLG in diesem Moment nicht mehr reagieren können (BA pag. 13-02-6; TPF pag. 2-930-14).

6.2.3 Es gilt zwar als erwiesen (und ist im Übrigen auch nicht bestritten), dass der Beschuldigte aufgrund der sich ihm unmittelbar stellenden Gefahrensituation die Vortrittsregel im Luftverkehr missachtet hat (BA pag. 11-01-09 f.; TPF pag. 2-930-4). Wäre er aber nach rechts ausgewichen, hätten sich die Rotorblätter der beiden Helikopter berührt und es wäre wahrscheinlich zu einer Kollision gekommen (vgl. SUST-Schlussbericht, BA pag. 11-01-10), welche unter Umständen für beide Besatzungen tödlich geendet hätte. Insofern schliesst sich das Gericht der Feststellung der SUST an, wonach mit grosser Wahrscheinlichkeit das vom beschuldigten Piloten eingeleitete Ausweichmanöver nach oben den Zusammenstoss mit der HB-ZLG verhinderte (pag. BA 11-1-20).

6.2.4 Wie unter E. 6.1.5 festgehalten, ist dem Beschuldigten keine Verletzung von Sichtflugregeln vorzuwerfen. Aufgrund der gefährlichen Annäherung und des Flugverlaufs der beiden Luftfahrzeuge war das von ihm gewählte Ausweichmanöver die einzig situationsadäquate Reaktion, um eine Kollision mit dem entgegenkommenden Luftfahrzeug zu verhindern. Unter rechtlichen Aspekten ist sein Handeln daher gerechtfertigt und nicht zu beanstanden: Der Beschuldigte rettete durch das von ihm gewählte Ausweichmanöver Leib und Leben beider Besatzungen aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr. Er wahrte da­durch höherwertige Interessen und handelte folglich rechtmässig (Art. 17 StGB ).

6.2.5 Aus Sicht des Gerichts reagierte der Beschuldigte richtig, indem er nach Wahrnehmung des Schattens der HB-ZLG auf dem Silvaplanersee - mit deren plötzlichem Erscheinen er aufgrund des vom Piloten B. nicht gemeldeten Transportfluges nicht rechnen musste - nicht alleine den Luftraum abscannte, sondern seinen Flugbegleiter aufforderte, ebenfalls den Luftraum nach anderen Flugkörpern intensiv abzusuchen. Der Entscheid des Beschuldigten, nach Auftauchen der HB-ZLG ein brüskes Ausweichmanöver nach links oben zu fliegen, war aufgrund der sich ihm stellenden Notstandsituation nachvollziehbar, situationsadäquat und letztlich kollisionsverhindernd. Insgesamt erachtet es das Gericht aufgrund der Akten, der Untersuchungsergebnisse der SUST, der Aussagen der am Vorfall beteiligten Personen und der übrigen Ermittlungen als erwiesen, dass der Beschuldigte als verantwortlicher Kommandant seines Luftfahrzeuges den Luftraum vor der Fastkollision (Airprox) korrekt überwachte und alle erforderlichen Massnahmen pflichtgemäss traf, um eine Kollision zu verhindern. Eine Verletzung einer Sorgfaltspflicht ist nicht gegeben. Infolgedessen wird der Beschuldigte vom Vorwurf der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss Art. 237 Ziff. 2 i.V.m. Ziff. 1 Abs. 1 StGB freigesprochen.

6.3 Die Bundesanwaltschaft wirft dem Beschuldigten sodann vor, es habe als Folge von dessen pflichtwidrigen Unvorsichtigkeit eine konkrete Gefährdung von Personen am Boden gegeben, da ein Wanderweg entlang des Seeufers führe und auf dem Silvaplanersee Wasseraktivitäten ausgeübt würden (TPF pag. 2-100-6).

6.3.1 Wer während eines Fluges als Kommandant des Luftfahrzeuges, als Mitglied der Besatzung oder als Passagier die gesetzlichen Vorschriften oder anerkannte Regeln des Verkehrs vorsätzlich missachtet und dadurch wissentlich Leib oder Gut Dritter auf der Erdoberfläche in Gefahr bringt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Busse bis zu 10'000 Franken (Art. 90 Abs. 1 und 2 LFG ).

6.3.2 Wie unter E. 6.2.5 festgestellt, ist dem Beschuldigten als verantwortlichem Kommandant der HB-ZMU keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen. Die anerkannten Regeln für Sichtflüge hat er korrekt beachtet; das von ihm geflogene Ausweichmanöver war rechtens. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LFG ist folglich nicht gegeben.

6.3.3 In rechtlicher Hinsicht bleibt zu ergänzen, dass Art. 90 LFG eine konkrete Gefährdung voraussetzt (vgl. Urteile des Bundesstrafgerichts SK.2015.39 vom 29. Januar 2016, E 4.3 und SK.2015.15 vom 27 Mai 2015, E. 2.1.3 sowie ZBJV 139/2003, S. 575 f.). Der Beschuldigte hatte gemäss eigenen Angaben weder den Kite-Sufer noch andere Personen oder Güter bzw. Objekte (wie z.B. eine Hochspannungsleitung) im näheren Umkreis der Fastkollision wahrgenommen, für die eine (konkrete) Gefahr bestanden hätte (TPF pag. 2-930-7). In den Verfahrensakten finden sich denn auch keine Anhaltspunkte, ob und inwiefern eine konkrete Gefährdung für Personen und Gut am Boden (z.B. Wanderweg) bzw. auf dem Silvaplanersee nahe und ernstlich wahrscheinlich gewesen sein sollte. Somit wird der Beschuldigte auch vom Vorwurf der fahrlässigen Gefährdung durch die Luftfahrt gemäss Art. 90 Abs. 2 i.V.m Abs. 1 LFG freigesprochen.

7. Verfahrenskosten

Im Gesamten bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für eine allfällige Kostenauferlegung an die freigesprochene Person im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO . Die Verfahrenskosten sind demnach von der Eidgenossenschaft zu tragen.

8. Entschädigung

8.1 Gemäss Art. 429 StPO hat die beschuldigte Person bei vollständigem oder teilweisem Freispruch oder bei Einstellung des Verfahrens u.a. Anspruch darauf, für ihre Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (lit. a) sowie für die wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind (lit. b) entschädigt zu werden. Gemäss Art. 429 Abs. 2 StPO prüft die Strafbehörde den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen. Den Freigesprochenen trifft eine Mitwirkungspflicht bzw. ein Mitwirkungsrecht zur Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruchs.

8.2 Die Entschädigung richtet sich nach dem Reglement des Bundesstrafgerichts über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren vom 31. August 2010 (BStKR; SR 173.713.162). Auf die Berechnung der Entschädi-gung der Wahlverteidigung sind die Bestimmungen über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung anwendbar (Art. 10 BStKR ). Gemäss Art. 11 Abs. 1 BStKR umfasst die Entschädigung das Honorar und die notwendigen Auslagen, namentlich für Reise, Verpflegung und Unterkunft sowie Porti und Telefonspesen. Das Honorar wird nach dem notwendigen und ausgewiesenen Zeitaufwand des Anwalts für die Verteidigung bemessen, wobei der Stundenansatz mindestens 200 und höchstens 300 Franken beträgt (Art. 12 Abs. 1 BStKR ). Bei Fällen im ordentlichen Schwierigkeitsbereich beträgt der Stundenansatz gemäss ständiger Praxis der Strafkammer Fr. 230. für Arbeitszeit und Fr. 200. für Reisezeit. Die Auslagen werden im reglementarischen Rahmen aufgrund der tatsächlichen Kosten vergütet, wobei ausnahmsweise anstelle der tatsächlichen Kosten ein Pauschalbetrag vergütet werden kann (Art. 13 Abs. 4 BStKR ). Gemäss Art. 14 BStKR kommt die Mehrwertsteuer zum Honorar und den Auslagen hinzu.

8.3 Der Beschuldigte beantragte anlässlich der Hauptverhandlung eine Entschädigung für die entstandenen Verteidigungskosten (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO ), welche ihm zu erstatten seien (TPF pag. 2-270-2 ff.).

8.3.1 Rechtsanwalt Perren macht mittels Honorarnote eine Entschädigung von gesamthaft Fr. 41'895.40 (inkl. MWST) geltend. Er weist darin einen Arbeitsaufwand von 116.75 Stunden eigene Arbeitszeit zu einem Ansatz von Fr. 300. , 11 Stunden Reisezeit zu einem Ansatz von Fr. 200. und Spesen von 4 Prozent aus.

8.3.2 Die Honorarnote von Rechtsanwalt Perren entspricht nicht sämtlichen reglementarischen Vorgaben des Bundesstrafgerichts: Der Stundenansatz für den Arbeitsaufwand ist von Fr. 300. auf Fr. 230. herabzusetzen, da es sich vorliegend um ein Verfahren im ordentlichen Schwierigkeitsbereich handelt. Der geltend gemachte Stundenaufwand erscheint bis auf die folgenden zwei Leistungen angemessen: Die anwaltliche Korrespondenz mit Versicherungen ist nicht von der Eidgenossenschaft zu tragen, weshalb der Arbeitsaufwand um 1 Stunde gekürzt wird. Sodann ist die Teilnahme und Nachbereitung für die Hauptverhandlung auf die effektive Dauer von 5 ½ Stunden (statt den angegebenen 7 Stunden) zu reduzieren. Daraus ergibt sich ein Arbeitsaufwand von total 114.25 (Dezimal-)Stunden, der mit Fr. 26'277.50 zu beziffern ist. Die Reisekosten von Fr. 2'200. sind nicht zu beanstanden. Im üblichen Rahmen liegt eine Pauschalentschädigung für Auslagen/Spesen von 3 Prozent (vgl. Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2016.14 vom 16. Mai 2017, E. 6.3.2), in casu ausmachend rund Fr. 855. . Die Mehrwertsteuer (MWST) von 8 Prozent beläuft sich vorliegend auf Fr. 2'346.60. Somit hat die Eidgenossenschaft den Beschuldigten für seine entstandenen Verteidigungskosten im Umfang von Fr. 31'680. zu entschädigen.

8.3.3 Weitere Entschädigungsansprüche wurden vom Beschuldigten nicht geltend gemacht und sind auch nicht geschuldet.

9. Entscheidmitteilung

Dieses Urteil ist nach Eintritt der Rechtskraft dem Bundesamt für Zivilluftfahrt mitzuteilen (Art. 100 LFG).


Der Einzelrichter erkennt:

I.

1. A. wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Eidgenossenschaft.

3. Die Eidgenossenschaft hat A. für die Kosten seiner Verteidigung in der Höhe von Fr. 31'680. inkl. MWST zu entschädigen.

II.

Dieses Urteil wird in der Hauptverhandlung eröffnet und durch den Einzelrichter mündlich begründet. Der Verteidigung von A. wird das Urteilsdispositiv ausgehändigt; der nicht anwesenden Bundesanwaltschaft wird es zugestellt.

Im Namen der Strafkammer

des Bundesstrafgerichts

Der Einzelrichter Die Gerichtsschreiberin

Zustellung der vollständigen schriftlichen Ausfertigung an:

- Bundesanwaltschaft, Herr Hansjörg Stadler, Staatsanwalt des Bundes

- Rechtsanwalt Philipp Perren, Verteidiger von A. (Beschuldigter)

Nach Eintritt der Rechtskraft mitzuteilen an:

- Bundesanwaltschaft als Vollzugsbehörde (vollständig)

- Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL, Sektion Standardisierung und Sanktionen, (Ziffer 1 des Dispositivs) (Art. 100 LFG )


-

Rechtsmittelbelehrung

Beschwerde an das Bundesgericht

Gegen verfahrensabschliessende Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts kann beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, innert 30 Tagen nach der Zustellung der vollständigen Ausfertigung Beschwerde eingelegt werden (Art. 78 , Art. 80 Abs. 1 , Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG ).

Mit der Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und b BGG ). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG ).

Versand: 28. November 2017

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