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Bundesstrafgericht Urteil

Kopfdaten
Instanz:Bundesstrafgericht
Abteilung:Strafkammer
Fallnummer:SN.2016.26
Datum:06.12.2016
Leitsatz/Stichwort:Verlängerung Sicherheitshaft (Art. 231 StPO)
Schlagwörter : Bundes; Sicherheitshaft; Schweiz; Gericht; Verurteilte; Bundesstrafgericht; Kammer; Urteil; Flucht; Vollzug; Bundesstrafgerichts; Freiheit; Beschwerde; Bundesgericht; Sicherung; Erstinstanzliche; Beschluss; Freiheitsstrafe; Vollzugs; Gilomen; Verfahren; Verl?ngerung; Rechtsanwalt; Fluchtgefahr; M?glichkeit; Monate; Verurteilten; Erwarten; Entlassung; Frist
Rechtskraft:Kein Weiterzug, rechtskräftig
Rechtsnorm: Art. 2 StGB ; Art. 212 StPO ; Art. 22 StPO ; Art. 225 StPO ; Art. 227 StPO ; Art. 229 StPO ; Art. 23 StPO ; Art. 231 StPO ; Art. 237 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ;
Referenz BGE:107 Ia 3; 117 Ia 69; 123 I 268; 137 IV 180; 139 IV 94; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: SN.2016.26

(Hauptgeschäftsnummer: SK.2015.45 )

Beschluss vom 6. Dezember 2016
Strafkammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Walter Wüthrich, Vorsitz,
Miriam Forni und Giuseppe Muschietti ,
Gerichtsschreiberin Anne Berkemeier

Parteien

Bundesanwaltschaft , vertreten durch
Staatsanwältin des Bundes Juliette Noto,

gegen

A.,
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Remo Gilomen,

Gegenstand

Verlängerung Sicherheitshaft (Art. 231 StPO )


Sachverhalt:

A. A. (Verurteilter) wurde mit Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2015.45 vom 18. März 2016 wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Art. 260 ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB ), versuchter Förderung der rechtswidrigen Einreise in die Schweiz (Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG und Art. 22 StGB) und Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts in der Schweiz (Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 8 Monaten verurteilt.

B. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts verfügte mit Beschluss SN.2016.5 vom 18. März 2016, dass der Verurteilte zur Sicherung des Strafvollzugs vorerst befristet bis 17. Juni 2016 in Sicherheitshaft zu behalten sei. Anschliessend entschied die Strafkammer des Bundesstrafgerichts mit Beschluss SN.2016.12 vom 14. Juni 2016, dass der Verurteilte vom 17. Juni 2016 bis 16. September 2016 sowie mit Beschluss SN.2016.18 vom 8. September 2016, dass er vom 17. September 2016 bis zum 16. Dezember 2016 zur Sicherung des Strafvollzuges in Sicherheitshaft zu behalten sei.

C. Das begründete Urteil SK.2015.45 wurde am 30. August 2016 versandt. Der Verteidiger des Verurteilten, Rechtsanwalt Remo Gilomen, legte dagegen mit Eingabe vom 30. September 2016 Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein. Das Verfahren ist derzeit noch am Bundesgericht hängig und das Urteil SK.2015.45 ist demzufolge noch nicht in Rechtskraft erwachsen.

D. Ebenfalls am 30. September 2016 ersuchte Rechtsanwalt Gilomen das Bundesstrafgericht um die Haftentlassung des Verurteilten. Dieses Gesuch wies das Gericht mit Verfügung vom 6. Oktober 2016 ab. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 1B_407/2016 vom 28. November 2016 ab.


Die Strafkammer erwägt:

1.

1.1 Gemäss Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO entscheidet das erstinstanzliche Gericht mit dem Urteil, ob eine verurteilte Person zur Sicherung des Straf- oder Massnahmevollzugs in Sicherheitshaft zu setzen oder zu behalten ist ( Forster, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Auflage, Basel 2014, Art. 231 StPO N. 3). Die Sicherheitshaft zielt darauf ab, den effektiven Strafvollzug des Verurteilten sicherzustellen, wenn konkrete Indizien vorliegen, dass er die Absicht hat, ins Ausland zu fliehen oder sich in der Schweiz zu verstecken ( Logos, Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, Bâle 2011, Art. 231 StPO N. 7). Das Bundesgericht hat hervorgehoben, dass die in jedem Verfahren vorhandene abstrakte Möglichkeit der Flucht für die Verhaftung nicht genügt, sondern dass Gründe vorliegen müssen, die eine Flucht nicht nur als objektiv möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen (BGE 107 Ia 3 E. 5). Für die Annahme der Fluchtgefahr bedarf es einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, dem Strafverfahren und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde (BGE 117 Ia 69 E. 4a). Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden (BGE 117 Ia 69 E. 4a). Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Verhältnisse des Beschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 117 Ia 69 E. 4a). Es sind auch der Charakter des Beschuldigten, seine finanziellen Ressourcen, sein Bezug zum Land, welches ihn strafrechtlich verfolgt, und seine Kontakte zum Ausland zu analysieren.

1.2 Das Gericht hat bei einer Anordnung von Sicherheitshaft immer das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu wahren. Im Speziellen hat es gemäss Art. 212 Abs. 3 StPO stets zu berücksichtigen, dass die Sicherheitshaft nicht länger dauert als die zu erwartende Freiheitsstrafe. Eine übermässige Haft stellt nämlich eine unverhältnismässige Beschränkung des Grundrechts der persönlichen Freiheit dar (BGE 123 I 268 E. 3a; Forster, a.a.O., Art. 227 StPO N. 8). Bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer ist der Möglichkeit einer bedingten Entlassung aus dem ordentlichen Strafvollzug nur in Ausnahmefällen Rechnung zu tragen, nämlich wenn bereits im hängigen Strafverfahren aufgrund der konkreten Umstände absehbar ist, dass eine bedingte Entlassung mit grosser Wahrscheinlichkeit erfolgen dürfte (Urteil des Bundesgerichts 1B_407/2016 vom 28. November 2016 E. 4.1). Eine Haftentlassung unter Anordnung von Ersatzmassnahmen (Art. 237 -240 StPO) ist von Amtes wegen zu prüfen.

1.3 Die Regel, wonach die Dauer der Sicherheitshaft zu begrenzen ist, gilt auch dann, wenn sie vom erstinstanzlichen Gericht in Anwendung von Art. 231 StPO verhängt wird (BGE 139 IV 94 E. 2.3.1). Die Auslegung von Art. 229 Abs. 3 StPO verweist auf die analoge Anwendung der Art. 225 -227 StPO (BGE 137 IV 180 E. 3.5). Gemäss Art. 227 Abs. 7 StPO ist Untersuchungshaft - bzw. analog die Sicherheitshaft - auf längstens drei Monate, in Ausnahmefällen auf sechs Monate zu befristen. Nach Ablauf der Frist von 227 Abs. 7 StPO hat das Gericht die Haftvoraussetzungen von Amtes wegen neu zu prüfen und die Haft gegebenenfalls für eine bestimmte Dauer zu verlängern (BGE 139 IV 94 E. 2.3.2).

2. Der Verurteilte ist gemäss eigener Angabe irakischer Staatsangehöriger. Gemäss seiner Aussage an der Hauptverhandlung hat er den Irak im Jahre 2010 wegen eines politischen Grundes verlassen, um nach Syrien zu gehen. Dort blieb er ungefähr ein Jahr und einen Monat. Anschliessend reiste er 2012 via Türkei und Italien in die Schweiz. Hier ersuchte er um Asyl, was er vorher erfolglos bereits bei der UNO in Syrien und in die Türkei getan hatte. Er ist aufgrund einer Verletzung invalid und an den Rollstuhl gebunden. Von der Migrationsbehörde wurde er dem Kanton Schaffhausen zugeteilt. Dort war er bis zum Jahre 2013 in einem Altersheim. Im Paraplegikerzentrum in Nottwil wurde er dann untersucht und mehrfach operiert. Vor seiner Verhaftung am 21. März 2014 lebte er in Z. Er hat eine noch nicht rechtskräftig widerrufene Aufenthaltsbewilligung B. Er bezeichnet einige wenige Personen in der Schweiz namentlich als seine Freunde bzw. Bekannten. Einen vertieften Sozialbezug zur Schweiz hat er nicht. Als Beruf gibt er Erdölingenieur an.

3. Auf die Frage des Tatverdachts ist nicht näher einzugehen, da ein erstinstanzliches Urteil vorliegt. Darauf kann verwiesen werden.

4. Für die Annahme einer Fluchtgefahr spricht folgendes:

Der Verurteilte hat in der Schweiz eine befristete Aufenthaltsbewilligung B, mit welcher er ohne behördliche Bewilligung nicht arbeiten darf, deren Widerruf zwar behördlich verfügt, aber noch nicht rechtskräftig ist. Mit einer Arbeitsbewilligung kann er in Anbetracht des konkreten hängigen Strafverfahrens nicht rechnen. Dazu kommt, dass er als Invalider aus einem Drittstaat Schwierigkeiten hätte, eine Arbeit zu finden und auch vor seiner Verhaftung keine solche hatte. Er hat eine längere Freiheitsstrafe zu erwarten. Trotz Invalidität bewegte er sich vor seiner Einreise in die Schweiz in diversen Staaten im Raum zwischen Irak und der Schweiz, sodass er als durchaus agil zu bezeichnen ist. Er hat in der Schweiz keine sozialen Bezugspunkte, welche ein integriertes Leben indizieren. Er unterhielt vor seiner Haft Kontakte zu seinen irakischen und syrischen Schleusern und kennt die Möglichkeiten, sich jenseits behördlicher Blicke in diversen Ländern zu bewegen. Dass er in den letzten Monaten keine Anstalten zur Flucht traf, ist die Folge der seit rund 2¾ Jahren bestehenden Haft. Fluchtgefahr ist zu bejahen.

Zum gleichen Schluss gelangte auch das Bundesgericht im Urteil 1B_407/2016 vom 28. November 2016.

5. Wirksame Ersatzmassnahmen fallen nicht in Betracht.

6. Zusammenfassend steht fest, dass der Verurteilte zur Sicherung des Strafvollzugs weiterhin in Sicherheitshaft zu behalten ist (Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO).

7. In Analogie zu Art. 227 Abs. 7 StPO ist die Verlängerung der Sicherheitshaft jeweils auf längstens drei Monate, in Ausnahmefällen auf sechs Monate, zu befristen. Da eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in den nächsten sechs Monaten nicht zu erwarten ist, rechtfertigt sich in concreto eine Verlängerung um sechs Monate. Mit einem Antritt des Strafvollzugs vor Ende dieser Frist endet die Sicherheitshaft von Gesetzes wegen. Die Verlängerung um sechs Monate steht auch der Möglichkeit nicht entgegen, dass das Gericht auf den Zeitpunkt hin, da der Verurteilte zwei Drittel der gegen ihn ausgesprochenen Freiheitsstrafe verbüsst hat, prüft, ob sich eine Entlassung aus der Sicherheitshaft ausnahmsweise rechtfertige (Urteil des Bundesgerichts 1B_407/2016 vom 28. November 2016, E. 4.1).

Damit bleibt in Anbetracht der vom erstinstanzlichen Gericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe auch die Verhältnismässigkeit gewahrt (vorne E. 1.2). Die Sicherheitshaft kann bei Fristablauf verlängert werden.

8. Es werden keine Kosten erhoben.


Die Strafkammer beschliesst:

1. A. wird zur Sicherung des Strafvollzugs vom 17. Dezember 2016 bis 17. Juni 2017 in Sicherheitshaft behalten (Art. 231 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 227 Abs. 7 StPO ):

2. Es werden keine Kosten erhoben.

Im Namen der Strafkammer

des Bundesstrafgerichts

Der Vorsitzende Die Gerichtsschreiberin

Dieser Beschluss wird zugestellt an

- Bundesanwaltschaft, Frau Juliette Noto

- Rechtsanwalt Remo Gilomen, Verteidiger von A. (Beschuldigter)

Rechtsmittelbelehrung

Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der Strafkammer des Bundesstrafgerichts als erstinstanzliches Gericht, ausgenommen verfahrensleitende Entscheide, kann innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geführt werden (Art. 393 Abs. 1 lit. b und Art. 396 Abs. 1 StPO; Art. 37 Abs. 1 StBOG).

Mit der Beschwerde können gerügt werden: a. Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung; b. die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts; c. Unangemessenheit (Art. 393 Abs. 2 StPO).

Versand: 6. Dezember 2016

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