Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Fallnummer: | SK.2015.4 |
Datum: | 18.03.2015 |
Leitsatz/Stichwort: | Versuchter Mord, eventuell versuchte vorsätzliche Tötung, subeventuell versuchte vorsätzliche schwere Körperverletzung und vollendete vorsätzliche schwere Körperverletzung, Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht, Sachbeschädigung. |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Apos;; Handgranate; Beschuldigten; Opfer; Bundes; Recht; Verletzung; Strasse; Protokoll; Täter; Splitter; Polizei; Urteil; Klage; Bosnien; EV-Protokoll; Ehefrau; Genugtuung; Explosion; Person; Gericht; Opfers; ätzlich |
Rechtskraft: | Kein Weiterzug, rechtskräftig |
Rechtsnorm: | Art. 1 StPO ; Art. 10 StPO ; Art. 100 BGG ; Art. 11 StGB ; Art. 116 StPO ; Art. 12 StGB ; Art. 120 ZGB ; Art. 122 StGB ; Art. 122 StPO ; Art. 123 StPO ; Art. 124 StPO ; Art. 126 StPO ; Art. 13 StPO ; Art. 132 StPO ; Art. 135 StPO ; Art. 138 StPO ; Art. 139 StPO ; Art. 14 StGB ; Art. 144 StGB ; Art. 176 ZGB ; Art. 2 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 224 StGB ; Art. 23 AHVG ; Art. 23 StGB ; Art. 23 StPO ; Art. 24 AHVG ; Art. 25 StPO ; Art. 255 StPO ; Art. 26 StPO ; Art. 3 StGB ; Art. 3 StPO ; Art. 309 StPO ; Art. 325 StPO ; Art. 326 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 4 OR ; Art. 4 StGB ; Art. 41 OR ; Art. 42 OR ; Art. 42 StGB ; Art. |
Referenz BGE: | 101 IV 279; 103 IV 241; 104 IV 232; 106 IV 342; 115 IV 111; 115 IV 113; 115 IV 187; 115 IV 26; 116 IV 300; 118 IV 122; 118 IV 167; 118 IV 366; 120 IV 10; 121 IV 49; 125 IV 242; 127 IV 1; 133 IV 1; 136 IV 55; ; |
Kommentar: | Schmid, Schweizer, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxis, 2. Aufl., Zürich, Art. 251 StPO, 2013 |
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: SK.2015.4 |
Urteil vom 18. März 2015 | |||
Besetzung | Bundesstrafrichter Peter Popp, Vorsitz, Walter Wüthrich und Emanuel Hochstrasser, Gerichtsschreiber Hanspeter Lukács | ||
Parteien | Bundesanwaltschaft , vertreten durch Staatsanwalt des Bundes Peter Lehmann, und als Privatklägerschaft: 1. B., vertreten durch Rechtsanwältin Pia Gössi, 2. Pensionskasse C., | ||
gegen | |||
A., z. Zt. im Regionalgefängnis Bern, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Stefan Meichssner | |||
Gegenstand | Versuchter Mord, eventuell versuchte vorsätzliche |
Anträge der Bundesanwaltschaft: (cl. 9 pag. 9.925.1-2)
1. A. sei
- des versuchten Mordes im Sinne von Art. 112 StGB in Verbindung mit Art. 22 StGB ,
- der Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht im Sinne von Art. 224 StGB und
- der Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 StGB
schuldig zu sprechen.
2. A. sei zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft, zu verurteilen.
3. Für den Vollzug des vorliegenden Urteils sei der Kanton Aargau als zuständig zu erklären.
4. Die sichergestellten Gegenstände gemäss Ziff. 4 der Anklageschrift seien A. auszuhändigen.
5. Rechtsanwalt Stefan Meichssner sei für die amtliche Verteidigung von A. in gerichtlich zu bestimmender Höhe aus der Kasse der Eidgenossenschaft zu entschädigen.
Rechtsanwältin Pia Gössi sei für die amtliche Vertretung des Opfers in gerichtlich zu bestimmender Höhe aus der Kasse der Eidgenossenschaft zu entschädigen.
A. hat die Entschädigung für die amtliche Verteidigung sowie der Vertreterin der Privatklägerschaft an die Eidgenossenschaft zurückzuzahlen, sobald er dazu in der Lage ist.
6. Die Kosten des Verfahrens in der Höhe von insgesamt Fr. 21'555.40 zuzüglich Fr. 8'000.-- Gebühren sowie zusätzlich der durch das Gericht festzulegenden Kosten für das Hauptverfahren seien A. vollständig aufzuerlegen.
7. A. sei zu verpflichten, dem Opfer eine Genugtuung in gerichtlich zu bestimmender Höhe zu entrichten.
8. Die Zivilforderung der Pensionskasse C. sei gutzuheissen und A. sei zu verpflichten, den Schaden in der Höhe von Fr. 3'488.50 zu ersetzen.
Anträge des Opfers (Privatklägerin 1): (cl. 9 pag. 9.925.26)
1. Es sei der Beschuldigte im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen.
2. Es sei der Beschuldigte zu verpflichten, der Privatklägerin einen Schadenersatz von Fr. 75.-- zuzüglich Zins von 5% seit dem 3. April 2014 zu bezahlen.
3. Es sei der Beschuldigte für inskünftig aus und im Zusammenhang mit den verurteilten Strafen anfallenden Kosten dem Grundsatz nach bei einer Haftungsquote von 100% für haftpflichtig zu erklären.
4. Es sei der Beschuldigte zur Zahlung einer Genugtuung an die Privatklägerin in der Höhe von Fr. 40'000.-- zuzüglich Zins von 5% seit dem 3. April 2014 zu verpflichten.
5. Es seien dem Beschuldigten die gesamten Verfahrenskosten inklusive den Kosten der unentgeltlichen Rechtsvertreterin gemäss der richterlich genehmigten Honorarnote (inkl. MWST) aufzuerlegen.
6. Eventualiter seien die gesamten Verfahrenskosten inklusive den Kosten der unentgeltlichen Rechtsvertreterin gemäss der richterlich genehmigten Honorarnote (inkl. MWST) auf die Staatskasse zu nehmen ohne Festsetzung einer Rückerstattungspflicht für die Privatklägerin.
Anträge der Privatklägerin 2: (sinngemäss; cl. 5 pag. 15.2.3)
A. sei zu verpflichten, der Pensionskasse C. Schadenersatz in der Höhe von Fr. 3'488.50 zu bezahlen.
Anträge der Verteidigung: (cl. 9 pag. 9.925.84-85)
Hauptanträge:
1. Der Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen.
2. Der Beschuldigte sei umgehend aus der Sicherheitshaft zu entlassen.
3. Die beschlagnahmten Gegenstände seien dem Beschuldigten nach Rechtskraft des Urteils herauszugeben.
4. Dem Beschuldigten sei eine Entschädigung von mindestens Fr. 50'626.-- für die erlittene wirtschaftliche Einbusse zuzusprechen.
5. Dem Beschuldigten seien mindestens Fr. 51'900.-- als Genugtuung für die ausgestandene Untersuchungshaft zuzusprechen.
6. Die Privatklagen seien abzuweisen.
7. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Eventualanträge:
1. Der Beschuldigte sei der versuchten schweren Körperverletzung, der Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht und der Sachbeschädigung schuldig zu sprechen.
2. Der Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, bedingt vollziehbar während einer Probezeit von drei Jahren, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft, zu verurteilen.
3. Die beschlagnahmten Gegenstände seien dem Beschuldigten nach Rechtskraft des Urteils herauszugeben.
4. Die Privatklage der Pensionskasse C. sei im Umfang von Fr. 3'230.05 gutzuheissen.
5. Die Privatklage von B. sei abzuweisen, eventualiter auf den Zivilweg zu verweisen.
6. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Sachverhalt:
A. Am 3. April 2014 um ca. 06.30 Uhr kam mitten auf der Z.-Strasse in Y. eine Handgranate des Typs M75 zur Explosion. B., welche um diese Zeit etwa auf der Höhe des Explosionsorts auf dem Gehsteig ging, wurde mutmasslich von Stahlkugeln der Granate an der linken Hand und am Unterleib verletzt. Als Tatverdächtiger wurde ihr Ehemann, A., ermittelt. Er wurde am 6. April 2014 beim Grenzübergang Chiasso, von Italien herkommend, festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft.
B. Die Bundesanwaltschaft eröffnete am 10. April 2014 ein Strafverfahren gegen A. wegen Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht (Art. 224 StGB ); hinsichtlich des Tatbestands der versuchten vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB ) vereinigte sie es in der Hand der Bundesbehörden. Am 9. September 2014 dehnte sie das Verfahren auf den Tatbestand des versuchten Mords (Art. 112 StGB ) aus (cl. 1 pag. 1.0.1 ff.) und am 10. Dezember 2014, nach Eingang einer Privatklage, auf den Tatbestand der Sachbeschädigung (Art. 144 StGB ) und vereinigte dieses in der Hand der Bundesbehörden (cl. 1 pag. 1.0.5 f.).
C. B. stellte am 4. April 2014 Strafantrag für alle in Betracht kommenden Antragsdelikte (cl. 5 pag. 15.1.4 f.). Mit Eingabe vom 24. April 2014 liess sie sich durch Pia Gössi anwaltlich vertreten und erklären, sich als Privatklägerin am Strafverfahren zu beteiligen und sich die Geltendmachung von Zivilansprüchen vorzubehalten (cl. 5 pag. 15.1.14 f.). Auf Gesuch vom 14. Mai 2014 (cl. 5 pag. 15.1.20 f.) gewährte ihr die Bundesanwaltschaft die unentgeltliche Rechtspflege mit Wirkung ab 16. April 2014 und setzte Rechtsanwältin Pia Gössi als amtliche Vertreterin ein (cl. 5 pag. 15.1.37 f.). In der Hauptverhandlung bezifferte die Rechtsvertreterin die Zivilklage und begründete sie (cl. 9 pag. 9.920.5, 9.925.26 ff.).
D. Die Pensionskasse C. konstituierte sich mit Eingabe vom 8. Mai 2014 als Straf- und Zivilklägerin und bezifferte ihre Zivilansprüche gegen A. mit Fr. 3'488.50 (cl. 5 pag. 15.2.1 ff.). Zur Begründung führte sie eine Beschädigung von drei Fenstern an der ihr gehörenden Liegenschaft X.-Strasse 1 in Y. durch die Explosion einer Handgranate am 3. April 2014 gemäss Polizeibericht an. Auf eine Teilnahme an der Hauptverhandlung verzichtete sie (cl. 9 pag. 9.562.1).
E. Die Bundesanwaltschaft erhob am 15. Januar 2015 beim Bundesstrafgericht gegen A. Anklage wegen Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht (Art. 224 StGB ), versuchten Mordes (Art. 112 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB ), eventuell versuchter vorsätzlicher Tötung (Art. 111 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB ), sowie Sachbeschädigung (Art. 144 StGB ; cl. 9 pag. 9.100.1). Auf Einladung des Vorsitzenden, eine Ausdehnung der Eventualanklage auf andere Delikte gegen Leib und Leben zu prüfen (cl. 9 pag. 9.300.3), reichte die Bundesanwaltschaft am 24. Februar 2015 eine ergänzte Anklageschrift ein, mit welcher sie ihre Anklage zusätzlich auf "eventuell versuchte vorsätzliche schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB i.V.m. Art. 22 StGB ) sowie vollendete vorsätzliche schwere Körperverletzung (Art. 122 Abs. 2 StGB )" ausdehnte (cl. 9 pag. 9.110.1).
F. Der Vorsitzende der Strafkammer nahm in Vorbereitung der Hauptverhandlung diverse Beweisergänzungen vor (cl. 9 pag. 9.220.1-9.295.2). Die Hauptverhandlung vor Bundesstrafgericht fand am 16. und 17. März 2015 in Anwesenheit der Parteien (ausgenommen die Pensionskasse C.) am Sitz des Gerichts statt. Das Urteil der Strafkammer wurde am 20. März 2015 mündlich eröffnet und begründet.
Die Strafkammer erwägt:
Für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands genügt Eventualvorsatz. Der Vorsatz muss neben der Tötungshandlung auch die objektive Seite der die besondere Skrupellosigkeit bzw. Verwerflichkeit ausmachenden Umstände umfassen, insbesondere hinsichtlich der Art der Ausführung, beispielsweise das Wissen um die Unkontrollierbarkeit des gewählten Tötungsmittels (Gefährdung anderer Menschen). Dabei ist aber nicht notwendig, dass der Täter sie selber ebenfalls als besonders verwerflich einschätzt. Massgebend ist das Bewusstsein im Moment der Tatausführung ( Schwarzenegger , a.a.O., Art. 112 StGB N. 27).
In der Hauptverhandlung bestätigte B. als Auskunftsperson im Wesentlichen ihre im Vorverfahren gemachten Aussagen (EV-Protokoll Fragen 28-31). Sie gab an, der Knall sei seitlich von ihr gewesen, so von der Seite her (EV-Protokoll Frage 35). In einer Skizze zeichnete sie den Ort des Knalls in der Strassenmitte ein, leicht nach vorn versetzt im Vergleich zu ihrem Standort (cl. 9 pag. 9.930.29). Sie erklärte, ihr Mann habe sich neben der Strasse versteckt, bei einem Wald und einem Schulhaus; sie habe ihn daher nicht sehen können. Es sei nicht mehr dunkel gewesen (EV-Protokoll Fragen 28, 30, 31). Zum Polizeibericht vom 8. April 2014, in welchem der Polizeibeamte festhielt, B. habe angegeben, ihren Ehemann auf der Höhe des Schulhauses auf der gegenüberliegenden (Strassen-)Seite gesehen zu haben (cl. 3 pag. 10.1.9), erklärte sie, dass es stimme, was der Polizist geschrieben habe. Sie ergänzte, sie habe der Polizei gesagt, es sei zu 100% ihr Mann gewesen. Sie habe ihn an den zwei Tagen zuvor vom Fenster ihrer Wohnung aus jeweils am Morgen um die gleiche Zeit an dieser Stelle gesehen; am dritten Tag sei der Vorfall mit der Bombe gewesen. Er habe sich dann versteckt. Er habe ganz genau gewusst, wo sie durchgehe und um welche Zeit (EV-Protokoll Frage 32).
a) Die Verteidigung bringt vor, dass zwischen dem Vorfall und dem Auffinden des Sicherungsbügels der Handgranate M75 mehr als 26 Stunden verstrichen seien, obwohl dieser gut sichtbar bei der Einmündung der W.-Strasse gelegen habe. Die Z.-Strasse sei eine stark frequentierte Hauptstrasse mit Fahr- und Fussgängerverkehr; in unmittelbarer Nähe zum Tatort befinde sich ein Schulhaus. Irgendeine Drittperson hätte den Tatort vor der Spurensicherung bearbeitet haben können; dieser sei nicht gesichert gewesen. Nicht nur das Opfer, sondern auch dessen Bruder F. und der Neffe G. seien vor der polizeilichen Spurensicherung am Tatort gewesen. Es stehe nicht fest, dass der Sicherungsbügel zur detonierten Handgranate gehöre. Gemäss Anklage würden Granaten des Typs M75, wie sie in der jugoslawischen Armee und noch heute in sämtlichen nachfolgenden Armeen auf dem Balkan eingesetzt würden, in sehr grosser Zahl für weniger als 10 Euro auf Schwarzmärkten angeboten. Somit könnte irgendjemand nachträglich einen manipulierten Sicherungsbügel am Tatort hingelegt haben. Der Beschuldigte sei laut den eingeholten Gutachten zwar Spurgeber; dass er am 3. April 2014 tatsächlich die Tatwaffe in der Hand gehalten und geworfen habe, sei damit nicht erwiesen. Auf den Sicherungsbügel könnten DNA-Spuren des Beschuldigten - etwa durch das Opfer selbst oder dessen Bruder F. - mittels persönlicher Gegenstände des Beschuldigten übertragen worden sein (Plädoyer S. 5-6, 13-15).
b) Die Verteidigung zieht den Beweiswert der DNA-Gutachten in Zweifel.
B. gab in der Einvernahme durch die Bundesanwaltschaft vom 21. August 2014 - nachdem sie bis anhin ihren Ehemann als einzig möglichen Tatverdächtigen bezeichnet hatte - an, K., der Bruder des Beschuldigten, habe L., dem Ehemann ihrer Schwester, gesagt, er solle sie (B.) liquidieren lassen und auch gefragt, wie viel Geld bezahlt werden müsse. Dies habe ihr L. erzählt, nachdem sie sich (letztmals) vom Beschuldigten getrennt habe. Wann das Gespräch zwischen L. und K. stattgefunden habe, wisse sie nicht mehr. Sie sei jedoch nicht direkt von K. bedroht worden, sondern habe dies von L. erfahren (cl. 4 pag. 12.1.35 f.).
Die militärische Versuchsanordnung unterscheidet sich von der konkreten Situation im Wesentlichen dadurch, dass die Handgranate beim Versuch ruhend auf neutraler Auflage in 1 Meter Höhe, also in der vertikalen Mitte der Stahlblechwände, explodierte (ermittelt wird die wirksame statische Splitterverteilung), in der konkreten Situation aber auf dem Strassenbelag, möglicherweise noch in Bewegung befindlich. Der Experte wies diesbezüglich darauf hin, dass genauere Angaben zur Splitterdichte und -verteilung umfangreichere Versuche erfordern würden, da die Ergebnisse der militärischen Versuche unter dem Gesichtspunkt der (militärischen) Wirksamkeit ermittelt worden sind, die vorliegenden Fragen jedoch die Gefährlichkeit betreffen würden. Die Versuchskonzepte dieser zwei Sichtweisen seien in mehreren Punkten recht unterschiedlich (cl. 4 pag. 11.0.43). Er hielt fest, dass zur Beantwortung der ihm unterbreiteten Fragen die Daten der militärischen Versuchsreihe WTD 91 noch hätten bearbeitet werden müssen. Sodann könnten nebst den "wirksamen" Splittern auch die ausgezählten Einschläge bei der Geschwindigkeitsmessung (wo die Splitter auf Messplatten aufprallten) verwendet werden, und die Splitterdichte könne auch geometrisch geschätzt werden (cl. 4 pag. 11.0.41, 11.0.43). Die im militärischen Versuch bei der Ermittlung der Splitterdichte nicht mitgezählten "nicht-wirksamen" Splitter - also jene Splitter, die die 1,5 mm starke Stahlblechwand nicht durchschlagen hätten - könnten durchaus sehr gefährlich sein. In Berücksichtigung dieser Treffer ergebe sich ein durchaus zuverlässiges Bild der räumlichen Dichte aller Splitter in Relation zur Abgangsrichtung. Dies sei in Abbildung 7 dargestellt; die entsprechenden Werte seien in Tabelle A4 aufgeführt bzw. auf die Frontfläche eines Menschen bezogen in Tabelle A5 (cl. 4 pag. 11.0.46 - die berichtigten Werte sind im Korrigendum zum Gutachten vom 21. Oktober 2014 wiedergegeben [ cl. 4 pag. 11.0.71-73 ] ). Der Umstand, dass im Gutachten nur die Werte für die Frontfläche eines stehenden Menschen, angegeben mit 0,7 m 2, berechnet sind, schmälert seine Aussagekraft nicht. Diese Werte ergeben sich rechnerisch aus der Multiplikation der Werte pro m 2 (Tabelle A4) mit dem Faktor 0,7 (cl. 4 pag. 11.0.46). Bei einer angenommenen Fläche von 0,35 m 2 für das seitliche Profil eines stehenden Menschen sind mithin die Werte von Tabelle A5 einfach zu halbieren. Weiter bemerkte der Experte, dass bei einer Explosion der Handgranate auf einer festen Unterlage ein geringer Teil der nach unten beschleunigten Splitter an der Unterlage abpralle (im Grenzwinkel um 10°). Dadurch werde die Splitterdichte geringfügig vergrössert, allerdings mit Splittern geringerer Energie (cl. 4 pag. 11.0.46). In der Versuchsanordnung wurden die Bodenpraller demgegenüber absorbiert. Damit steht fest, dass der Experte den konkreten Verhältnissen bei der Erstellung des Gutachtens Rechnung getragen hat und seine Berechnungen entsprechend vornahm.
Nach dem Gesagten sind im gesamten Verhalten des Beschuldigten vor und nach der Tat keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine rücksichtslose, primitiv egoistische Gesinnung schliessen liessen. Die ehelichen Probleme, wie sie sich, soweit vorliegend erkennbar, im 14 Jahre dauernden Zusammenleben manifestierten, weisen zwar auf ein zunehmend zerrüttetes Eheverhältnis hin, lassen den Beschuldigten aber nicht als gemütskalten Menschen erscheinen. Nach der Auflösung des gemeinsamen Haushalts reduzierten sich die Probleme im Wesentlichen darauf, ob der Beschuldigte seinen Unterhaltszahlungen nachkomme, und auf die Benützung des Hauses in Bosnien bei gleichzeitigen Aufenthalten der Parteien. Es liegen keine Indizien vor, welche für einen sogenannten Eliminationsmord sprechen würden. Damit ist das von der Anklage angerufene Tatmotiv eine nicht fundierte Mutmassung.
b) Auf Einladung der kantonalen Polizei (cl. 5 pag. 15.2.2) erhob die Pensionskasse C. am 8. Mai 2014 Strafklage gegen den Beschuldigten (cl. 5 pag. 15.2.3). Der Strafantrag ist innert der gesetzlichen Frist von drei Monaten erklärt worden. Ob er gültig sei, ist von Amts wegen zu klären ( Riedo, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 30 StGB N. 93). Im vorliegenden Fall haben N. und O. namens der Pensionskasse C. den Strafantrag unterzeichnet (cl. 5 pag. 15.2.1/3). Im Grundbuch ist die Pensionskasse C. als Grundeigentümerin eingetragen (cl. 9 pag. 9.295.2). Das Handelsregister weist für diese Stiftung N. als Prokuristen mit Zeichnungsbefugnis zu zweien aus. Zur Vertretung einer juristischen Person als Geschädigte sind jedoch nicht nur die im Handelsregister eingetragenen Personen befugt, sondern auch Mitarbeiter, denen nach interner Kompetenzregelung anvertraut ist, die Interessen gerade der Art wahrzunehmen, welche der Straftatbestand schützt (BGE 118 IV 167 E. 1c; Urteil des Bundesgerichts 6B_99/2012 vom 14. November 2012 E. 3.2). Die genannten Personen werden im Begleitbrief zum Strafantrag als Mitarbeiter der Immobilien-Abteilung der Stiftung bezeichnet. Sie erhoben den Strafantrag damit im Rahmen ihrer Zuständigkeit.
Vorleben und persönliche Verhältnisse sowie das Verhalten seit der Tat - im Strafverfahren selbst und in der Strafanstalt - wirken sich neutral aus; es liegen keine Umstände vor, die bei der Strafzumessung zu Gunsten oder zu Lasten des Beschuldigten zu berücksichtigen sind. Eine besondere Strafempfindlichkeit besteht nicht.
Die Gebühren sind für die Verfahrenshandlungen geschuldet, die im Vorverfahren von der Bundeskriminalpolizei und von der Bundesanwaltschaft sowie im erstinstanzlichen Hauptverfahren von der Strafkammer des Bundesstrafgerichts durchgeführt oder angeordnet worden sind (Art. 1 Abs. 2 BStKR ). Die Höhe der Gebühr richtet sich nach Bedeutung und Schwierigkeit der Sache, der Vorgehensweise der Parteien, ihrer finanziellen Situation und dem Kanzleiaufwand (Art. 5 BStKR ). Die Gebühren werden gemäss dem Gebührenrahmen von Art. 6 und Art. 7 BStKR festgesetzt. Die Auslagen umfassen die vom Bund vorausbezahlten Beträge, namentlich die Kosten für die amtliche Verteidigung, Übersetzungen, Gutachten, Mitwirkung anderer Behörden, Porti, Telefonspesen und andere entsprechende Kosten (Art. 422 Abs. 2 StPO und Art. 1 Abs. 3 BStKR ).
Auferlegbar sind die Auslagen für Ermittlungen der Kantonspolizei Aargau (Positionen 1, 5), Gutachten (Positionen 2, 36, 44), Überwachungsmassnahmen (Positionen 17, 28), Gebühren für Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts Bern (Positionen 22, 25, 37 sowie die im Kostenverzeichnis nicht erfassten Entscheide vom 9. und 23. Januar 2015 über Gebühren von Fr. 1'500.-- bzw. Fr. 1'000.--), Kosten im Zusammenhang mit dem beschlagnahmten Wagen des Beschuldigten (Position 8). Von Position 4 (diverse Auslagen von Fr. 1'495.90) ist nur der Betrag von Fr. 335.90 zu berücksichtigen (Schlüsselnotfalldienst); der Betrag von Fr. 1'110.-- für die forensisch-klinische Untersuchung von B. ist bereits in Position 2 erfasst, jener über Fr. 50.-- für den Polizeikostenrapport (vgl. cl. 1 pag. 2.0.13) ist als administrativer Aufwand mit der Gebühr abgegolten (die Polizeikostenrapporte selber sind in den Positionen 1 und 5 erfasst). Nicht zu berücksichtigen ist Position 15 (Auslagen Fr. 162.10); es handelt sich um Gefängniskosten anlässlich der Verhaftung. Die weiteren Positionen betreffen Haft, damit in Zusammenhang stehende Auslagen (Gefangenentransporte, Briefkontrolle etc.) und Übersetzungskosten; diese Kosten sind nicht auferlegbar. Damit betragen die auferlegbaren Auslagen Fr. 27'733.30.
Der Beschuldigte wird gemäss Anklage bzw. Eventualanklage verurteilt. Die durchgeführten Verfahrenshandlungen waren zur Aufklärung der zur Verurteilung führenden Straftaten notwendig. Die Kausalität der Verfahrenskosten ist gegeben. Der Beschuldigte hat demnach die Verfahrenskosten in vollem Umfang zu tragen.
Die Strafkammer erkennt:
1. A. wird der versuchten vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB ) und der Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB ) schuldig erklärt.
2. A. wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren, unter Anrechnung der erstandenen Haft von 346 Tagen, zu vollziehen durch den Kanton Aargau.
3. A. wird verurteilt zu bezahlen:
3.1 an B. Fr. 5'000.-- nebst Zins zu 5% seit 3. April 2014 als Genugtuung;
3.2 an die Pensionskasse C. Fr. 3'230.05 als Schadenersatz;
im Übrigen werden die Zivilklagen abgewiesen.
4. Die Verfahrenskosten betragen
Fr. 8'000.-- Gebühr Vorverfahren
Fr. 27'733.30 Auslagen Vorverfahren
Fr. 8'000.-- Gerichtsgebühr
Fr. 196.70 Auslagen Gericht
Fr. 43'930.-- total
und werden vollumfänglich A. auferlegt.
5. Die Eidgenossenschaft wird verpflichtet, zu entschädigen:
5.1 Rechtsanwalt Stefan Meichssner für die amtliche Verteidigung von A. mit Fr. 50'142.05 (inkl. MWST);
5.2 Rechtsanwältin Pia Gössi für die amtliche Verbeiständung von B. mit Fr. 22'254.70 (inkl. MWST).
6. A. hat der Eidgenossenschaft die Entschädigungen gemäss Ziff. 5 im Umfang von Fr. 55'142.05 (Fr. 50'142.05 gemäss Ziff. 5.1, Fr. 5'000.-- gemäss Ziff. 5.2) zurückzuzahlen, sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben.
7. Die Beschlagnahme der zwei Mobiltelefone Samsung, des Navigationsgerätes MIO und der im Auto aufgefundenen Notizen wird aufgehoben.
8. Dieses Urteil ist den Parteien mitzuteilen.
Dieses Urteil wird in der Hauptverhandlung eröffnet und durch den Vorsitzenden mündlich begründet. Den anwesenden Parteien wird das Urteilsdispositiv ausgehändigt .
Im Namen der Strafkammer
des Bundesstrafgerichts
Der Vorsitzende Der Gerichtsschreiber
Eine vollständige schriftliche Ausfertigung wird zugestellt an
- Bundesanwaltschaft
- Rechtsanwältin Pia Gössi (Vertreterin von B.)
- Pensionskasse C.
- Rechtsanwalt Stefan Meichssner (Verteidiger von A.)
Nach Eintritt der Rechtskraft mitzuteilen an
- Bundesanwaltschaft als Vollzugsbehörde (vollständig)
Rechtsmittelbelehrung
Gegen verfahrensabschliessende Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts kann beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, innert 30 Tagen nach der Zustellung der vollständigen Urteilsausfertigung Beschwerde eingelegt werden (Art. 78 , Art. 80 Abs. 1 , Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG ).
Mit der Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 BGG ). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG ).
Die amtliche Verteidigung und die Rechtsvertreterin des Opfers können gegen den Entschädigungsentscheid innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts, Postfach 2720, 6501 Bellinzona, einlegen (Art. 135 Abs. 3 lit. a und Art. 396 Abs. 1 StPO ; Art. 37 Abs. 1 StBOG ).
Mit der Beschwerde können gerügt werden: a. Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung; b. die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts; c. Unangemessenheit (Art. 393 Abs. 2 StPO ).
Versand: 28. Mai 2015
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