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Entscheid des Bundesstrafgerichts: RR.2013.12 vom 02.04.2013

Hier finden Sie das Urteil RR.2013.12 vom 02.04.2013 - Beschwerdekammer: Rechtshilfe

Sachverhalt des Entscheids RR.2013.12


Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Rechtshilfe

Fallnummer:

RR.2013.12

Datum:

02.04.2013

Leitsatz/Stichwort:

Auslieferung an Deutschland. Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG).

Schlagwörter

Steuer; Auslieferung; Recht; MWSTG; Steuerhinterziehung; Apos;; Sachverhalt; Rechtshilfe; Tatbestand; Justiz; Barkeit; Entscheid; Deutschland; Schweiz; Mehrwertsteuer; Täter; Bundesstrafgericht; Beschwerdekammer; Justizministerium; Bundesstrafgerichts; Staates; Auslieferungsunterlagen; Abrechnung; Baden; Württemberg

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 13 StGB ;Art. 20 VwVG ;Art. 22 StGB ;Art. 34 MWSTG ;Art. 35 MWSTG ;Art. 50 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 84 BGG ;Art. 9 MWSTG ;Art. 96 MWSTG ;Art. 97 MWSTG ;

Referenz BGE:

101 Ia 405; 110 IV 30; 119 IV 129; 125 II 569; 129 IV 253; 132 II 81; 133 IV 76; 135 IV 212; 136 IV 179; 136 IV 88; 137 IV 33; ;

Kommentar:

-

Entscheid des Bundesstrafgerichts

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: RR.2013.12

Entscheid vom 2. April 2013
Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz,

Andreas J. Keller und Cornelia Cova ,

Gerichtsschreiber Miro Dangubic

Parteien

A. , vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Holenstein,

Beschwerdeführer

gegen

Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung,

Beschwerdegegner

Gegenstand

Auslieferung an Deutschland

Auslieferungsentscheid (Art. 55 IRSG )


Sachverhalt:

A. Mit Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) vom 8. Juni 2010 ersuchten die deutschen Behörden um Verhaftung zwecks Auslieferung von A. zur Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung (act. 8.1). Am 30. September 2012 wurde A. am Flughafen Z. festgenommen (act. 8.3). Mit Haftanordnung vom 30. September 2012 ordnete das Bundesamt für Justiz (nachfolgend "BJ") die provisorische Auslieferungshaft gegen A. an (act. 8.2). In der Einvernahme vom 1. Oktober 2012 erklärte A., mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden zu sein (act. 8.4).

B. Mit Auslieferungshaftbefehl vom 2. Oktober 2012 verfügte das BJ die Auslieferungshaft gegen A.(act. 8.5). Dagegen wurde keine Beschwerde erhoben.

C. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2012 ersuchte das Justizministerium Baden-Württemberg das BJ formell um Auslieferung von A. für die ihm im Haftbefehl vom 16. April 2010 des Amtsgerichts Stuttgart zur Last gelegten Straftaten (act. 8.7). In der Einvernahme vom 24. Oktober 2012 erklärte A. erneut, mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden zu sein (act. 8.8). Mit Schreiben vom 25. Oktober 2012 ergänzte das Justizministerium Baden-Württemberg das Ersuchen vom 16. Oktober 2012 (act. 8.9).

D. Mit Stellungnahme vom 7. November 2012 beantragte A., vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Holenstein, das Auslieferungsersuchen des Justizministeriums Baden-Württemberg sei abzuweisen und er sei unverzüglich aus der Auslieferungshaft zu entlassen (act. 8.10). Mit Schreiben vom 15. November 2012 nahm das Justizministerium Baden-Württemberg Stellung zur Anfrage des BJ vom 13. November 2012 betreffend Zusatzinformationen bezüglich A. (act. 8.11 und 8.12), wozu A., vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Holenstein, mit Schreiben vom 29. November 2012 Stellung nahm (act. 8.14).

E. Mit Auslieferungsentscheid vom 12. Dezember 2012 bewilligte das BJ die Auslieferung von A. an Deutschland für die dem Auslieferungsersuchen des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 16. Oktober 2012 zugrunde liegenden Straftaten (act. 8.15). Dagegen gelangte A. mit Beschwerde vom 11. Januar 2013 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt Folgendes (act. 1):

"1. Es sei der Auslieferungsentscheid B 218'798-VOM des Bundesamtes für Justiz vom 12. Dezember 2012 aufzuheben und die Auslieferung des Beschwerdeführers an Deutschland zu verweisen [sic].

2. Es sei der Beschwerdeführer aus der Auslieferungshaft zu entlassen.

3. Unter Kosten und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Vorinstanz."

F. Mit Beschwerdeantwort vom 31. Januar 2013 beantragt der Beschwerdegegner die Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge (act. 8). Der Beschwerdeführer hält mit Replik vom 15. Februar 2013 an seinen Anträgen fest (act. 12), worüber der Beschwerdegegner am 18. Februar 2013 in Kenntnis gesetzt wurde (act. 13).

Auf die weiteren Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Für den Auslieferungsverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland sind primär das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1), das hierzu ergangene zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 (ZPII EAUe, SR 0.353.12), welchem beide Staaten beigetreten sind, sowie der Vertrag vom 13. November 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EAUe und die Erleichterung seiner Anwendung (ZV EAUe, SR 0.353.913.61) massgebend. Ausserdem gelangen die Bestimmungen der Art. 59 ff. des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (Schengener Durchführungsübereinkommen, SDÜ; Abl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19 - 62) zur Anwendung (BGE 136 IV 88 E. 3.1 S. 89), wobei die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler Abkommen unberührt bleiben (Art. 59 Abs. 2 SDÜ).

1.2 Soweit diese Staatsverträge bestimmte Fragen nicht abschliessend regeln, findet auf das Verfahren der Auslieferung ausschliesslich das Recht des ersuchten Staates Anwendung (Art. 22 EAUe ), vorliegend also das Bundesgesetz vom 20. März 1981 (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) und die Verordnung vom 24. Februar 1982 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfeverordnung, IRSV; SR 351.11). Dies gilt auch im Verhältnis zum SDÜ (Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG ). Das innerstaatliche Recht gelangt nach dem Günstigkeitsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn dieses geringere Anforderungen an die Auslieferung stellt (BGE 137 IV 33 E. 2.2.2 S. 40 f.; 136 IV 82 E. 3.1; 122 II 140 E. 2 S. 142). Vorbehalten bleibt die Wahrung der Menschenrechte (BGE 135 IV 212 E. 2.3; 123 II 595 E. 7c S. 616).

2.

2.1 Gegen Auslieferungsentscheide des BJ kann innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung des Entscheids bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden (Art. 55 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG; Art. 12 Abs. 1 IRSG i.V.m. Art. 50 Abs. 1 VwVG). Die Frist beginnt an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tage zu laufen (Art. 20 Abs. 1 VwVG ).

2.2 Der angefochtene Entscheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2012 eröffnet (act. 8.16). Die Beschwerde vom 11. Januar 2012 erweist sich somit als fristgerecht. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben keinen Anlass zu weiteren Bemerkungen. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.

3. Die Beschwerdekammer ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 25 Abs. 6 IRSG). Sie prüft die Auslieferungsvoraussetzungen grundsätzlich mit freier Kognition. Die Beschwerdekammer befasst sich jedoch nur mit Tat- und Rechtsfragen, die Streitgegenstand der Beschwerde bilden (BGE 132 II 81 E. 1.4; 130 II 337 E. 1.4; TPF 2011 97 E. 5; Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2012.229 vom 23. Oktober 2012, E. 3; RR.2012.40 vom 23. August 2012, E. 5).

4.

4.1 Der Beschwerdeführer rügt die mangelhafte Sachverhaltsschilderung im Rechtshilfeersuchen sowie das Fehlen des Rechtshilfeerfordernisses der beidseitigen Strafbarkeit (act. 1).

4.2 Gemäss Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe hat das Auslieferungsersuchen eine Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, zu enthalten. Zeit und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen sind so genau wie möglich anzugeben. Unter dem Gesichtspunkt des hier massgebenden EAUe reicht es grundsätzlich aus, wenn die Angaben im Rechtshilfeersuchen sowie in dessen Ergänzungen und Beilagen es den schweizerischen Behörden ermöglichen zu prüfen, ob ausreichende Anhaltspunkte für auslieferungsfähige Straftaten vorliegen, ob Verweigerungsgründe gegeben sind bzw. für welche mutmasslichen Delikte dem Begehren allenfalls zu entsprechen ist. Der Rechtshilferichter muss namentlich prüfen können, ob die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt ist. Es kann hingegen nicht verlangt werden, dass die Behörden des ersuchenden Staates den Sachverhalt, der Gegenstand ihrer Strafuntersuchung bildet, lückenlos und völlig widerspruchsfrei darstellen und die Tatvorwürfe bereits abschliessend mit Beweisen belegen. Das wäre mit dem Sinn und Zweck des Auslieferungsverfahrens unvereinbar. Die ersuchte schweizerische Behörde hat sich beim Entscheid über ein ausländisches Begehren nicht dazu auszusprechen, ob die darin angeführten Tatsachen zutreffen oder nicht. Sie hat somit nach dem Grundsatz der abstrakten beidseitigen Strafbarkeit (vgl. BGE 136 IV 179 E. 2, 2.3.4) weder Tat- noch Schuldfragen zu prüfen und grundsätzlich auch keine Beweiswürdigung vorzunehmen. Sie ist vielmehr an die Darstellung des Sachverhalts im Ersuchen gebunden, soweit diese nicht durch offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche sofort entkräftet wird (vgl. BGE 133 IV 76 E. 2.2 S. 79; 132 II 81 E. 2.1 S. 83 f.; Urteile des Bundesgerichts 1C_205/2007 vom 18. Dezember 2007, E. 3.2; 1A.297/2005 vom 13. Januar 2006, E. 2.3 und 3.5, je m.w.H.).

4.3 Die Vertragsparteien des EAUe sind grundsätzlich verpflichtet, einander Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen strafbaren Handlungen verfolgt werden, welche sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden sichernden Massnahme im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind ( Art. 1 und 2 Ziff. 1 Satz 1 EAUe ). Ist im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates eine Verurteilung zu einer Strafe erfolgt oder eine sichernde Massnahme angeordnet worden, so muss deren Mass mindestens vier Monate betragen (Art. 2 Ziff. 1 Satz 2 EAUe).

4.4 Für die Frage der beidseitigen Strafbarkeit nach schweizerischem Recht ist der im Ersuchen dargelegte Sachverhalt so zu subsumieren, wie wenn die Schweiz wegen des analogen Sachverhalts ein Strafverfahren eingeleitet hätte ( BGE 132 II 81 E. 2.7.2 S. 90 ). Der Rechtshilferichter prüft daher bloss "prima facie", ob der im Ausland verübte inkriminierte Sachverhalt, sofern er - analog - in der Schweiz begangen worden wäre, die Tatbestandsmerkmale einer schweizerischen Strafnorm erfüllen würde (Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2009.257 vom 29. März 2010, E. 3.2 mit Hinweisen). Die Strafnormen brauchen nach den Rechtssystemen der Schweiz und des ersuchenden Staates nicht identisch zu sein (Urteil des Bundesgerichts 1A.125/2006 vom 10. August 2006, E. 2.1 m.w.H.). Die richtige Qualifikation nach ausländischem Recht stellt kein formelles Gültigkeitserfordernis dar und ist vom Auslieferungsrichter daher nicht zu überprüfen, wenn feststeht, dass der in den Auslieferungsunterlagen umschriebene Sachverhalt den Tatbestand eines Auslieferungsdeliktes erfüllt (vgl. BGE 101 Ia 405 E. 4 S. 410 m.w.H.; Zimmermann , a.a.O., S. 536 N. 583). Anders als im Bereich der "akzessorischen" Rechtshilfe ist die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht für jeden Sachverhalt, für den die Schweiz die Auslieferung gewähren soll, gesondert zu prüfen ( BGE 125 II 569 E. 6 S. 575 ; Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2007.55 vom 5. Juli 2007, E. 6.2).

Nachfolgend ist somit zu prüfen, ob der von der ersuchenden Behörde dargelegte Sachverhalt unter eine Strafbestimmung des schweizerischen Rechts subsumiert werden kann .

4.5 Wie die nachstehende Wiedergabe des Sachverhaltsvorwurfs zeigen wird, sind der Sachverhaltsdarstellung der ersuchenden Behörde keine offensichtlichen Fehler, Lücken oder Widersprüche zu entnehmen, welche die Sachverhaltsvorwürfe sofort entkräften würden. Aus diesem Grund ist diese Sachverhaltsdarstellung für den Rechtshilferichter bindend und den nachfolgenden Erwägungen zu Grunde zu legen.

Dem internationalem Haftbefehl vom 16. April 2010 des Amtsgerichts Stuttgart, präzisiert mit Schreiben vom 15. November 2012 des Justizministeriums Baden-Württemberg, liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer sei Geschäftsführer der B. GmbH in Y., bzw. später X. gewesen. Obgleich er gewusst habe, dass er zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet war, habe er es bewusst und pflichtwidrig unterlassen, die Umsatzsteuervoranmeldungen für das III. und IV. Quartal 2008 beim zuständigen Finanzamt einzureichen. Dadurch habe er dem Finanzamt Umsatzsteuer in der Höhe von EUR 3'959'667.22 verschwiegen mit der Folge, dass ihm dieser Geldbetrag - über die B. GmbH in den Monaten Juli bis Dezember 2008 zur Verfügung gestanden hätte. Durch sein Verhalten habe er sich der zweifachen Umsatzsteuerhinterziehung schuldig gemacht. Der eigentliche Gewinn der B. GmbH habe nicht im Vertrieb von Mobilfunkgeräten, sondern im Abschöpfen der Umsatzsteuer gelegen.

Die B. GmbH habe im Zeitraum vom 4. Juli bis 28. November 2008 allein der C. GmbH für Lieferungen von Mobiltelefonen EUR 14'762'076.-- in Rechnung gestellt. Insgesamt seien Rechnungen in der Höhe von EUR 20'840'353.81 gestellt worden. Nach den vorliegenden Erkenntnissen habe die B. GmbH im III. und IV. Quartal 2008 Handys im Bruttowert von EUR 5'439'215'61 bezogen.

4.6 Der Beschwerdegegner hat das dem Beschwerdeführer in den Auslieferungsunterlagen vorgeworfene Verhalten unter den Tatbestand von Art. 96 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 97 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer vom 12. Juni 2009 (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG; SR 641.20) subsumiert. Gemäss Art. 96 Abs. 1 MWSTG wird mit Busse bis zu CHF 400'000.-- unter anderem bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig die Steuerforderung zulasten des Staates verkürzt, indem er in einer Steuerperiode nicht sämtliche Einnahmen (...) deklariert (lit. a). Die Busse beträgt bis zu CHF 800'000.--, wenn diese hinterzogene Steuer in einer Form überwälzt wird, die zum Vorsteuerabzug berechtigt (Art. 96 Abs. 2 MWSTG). Der Versuch ist strafbar (Art. 96 Abs. 5 MWSTG ). Wird der Steuervorteil aufgrund einer fehlerhaften Abrechnung erzielt, so ist die Steuerhinterziehung erst strafbar, wenn die Frist zur Korrektur von Mängeln in der Abrechnung (Art. 72 Abs. 1 ) abgelaufen ist und der Fehler nicht korrigiert wurde (Art. 96 Abs. 6 MWSTG ). Die qualifizierte Mehrwertsteuerhinterziehung ist in Art. 97 Abs. 2 MWSTG geregelt. Art. 97 Abs. 2 MWSTG erlaubt die Erhöhung des Höchstmasses der angedrohten Busse um die Hälfte sowie zusätzlich das Erkennen auf eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, sofern erschwerende Umstände vorliegen, worunter unter anderem das gewerbsmässige Verüben von Widerhandlungen gegen das Mehrwertsteuerrecht fällt (lit. b). Gemäss Rechtsprechung (BGE 129 IV 253 ) handelt der Täter oder die Täterin gewerbsmässig, wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die er oder sie für die deliktische Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er oder sie die deliktische Tätigkeit wie einen Beruf, wenn auch als Nebenberuf, ausübt. Wesentlich ist ausserdem, dass der Täter oder die Täterin sich darauf einrichtet, durch sein oder ihr deliktisches Handeln relativ regelmässige Einnahmen zu erzielen, die einen namhaften Beitrag an die Lebenshaltungskosten darstellen, und er oder sie sich somit gleichsam in der Kriminalität eingerichtet hat. Der Täter oder die Täterin muss die Tat bereits mehrfach und mit der Absicht, Einnahmen zu erzielen, begangen haben. Zudem muss er oder sie bereit sein, diese Taten zu wiederholen (BGE 119 IV 129 ). Die erschwerenden Umstände können nur im Rahmen einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung geahndet werden. Daher sind unbeabsichtigte wiederkehrende Abrechnungsfehler nicht Tatbestand der gewerbsmässigen Steuerhinterziehung (vgl. zum Ganzen Botschaft zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer vom 25. Juni 2008, BBL 2008 6885, S. 7019 f.).

Die qualifizierte Steuerhinterziehung im Sinne der vorgenannten Bestimmungen des MWSTG stellt ein Delikt der indirekten Fiskalität dar, das u.a. mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht wird. Gemäss Art. 63 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 SDÜ besteht zwischen den Vertragsstaaten eine gegenseitige Auslieferungspflicht für Delikte der indirekten Fiskalität, sofern die Voraussetzungen von Art. 2 EAUe erfüllt sind. Mit Blick auf die Rechtshilfevoraussetzungen stellt die qualifizierte Steuerhinterziehung (Art. 96 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 97 Abs. 2 lit. b MWSTG ) - im Gegensatz zur einfachen - eine auslieferungsfähige Tat dar.

4.7 Zunächst macht der Beschwerdeführer geltend, das Justizministerium Baden Württemberg hätte im Rechtshilfeersuchen nicht erwähnt, dass das Finanzamt die von der GmbH geschuldete Steuer geschätzt habe und in der Folge die Zwangsvollstreckung eingeleitet habe (act. 1, Ziff. 29). Der Beschwerdeführer deutet an, dass deswegen der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt sei. Er macht geltend, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Erfolgsdelikt handle. Der tatbestandsmässige Erfolg würde in der Verkürzung der Steuerforderung zu Lasten des Staates bestehen. Eine Verkürzung sei gegeben, wenn die festgesetzte Steuer tiefer sei, als die bei ordnungsgemässer Erfüllung der Deklarationspflichten geschuldete Steuer. Schätzt die Steuerverwaltung die Steuer nach pflichtgemässen Ermessen mindestens so hoch, wie die Steuer bei ordnungsgemässer Deklaration festgesetzt worden wäre, würde nach schweizerischem Verständnis keine Steuerverkürzung vorliegen (act. 1, Ziff. 28).

Ob - wie der Beschwerdeführer behauptet - tatsächlich eine Schätzung durch das Finanzamt mit anschliessender Zwangsvollstreckung in Deutschland stattgefunden hat, ist aus den Auslieferungsunterlagen nicht ersichtlich, jedoch auch - wie in der Folge dargelegt - für die Beurteilung der Strafbarkeit nach schweizerischem Recht irrelevant.

Die Steuerhinterziehung im Sinne von Art. 96 Abs. 1 lit. a MWSTG ist ein Erfolgsdelikt und der tatbestandsmässige Erfolg besteht im Steuerausfall des Gemeinwesens bzw. der allgemeinen Verletzung des staatlichen Steueranspruchs. Dieser Ausfall braucht allerdings nicht definitiv zu sein; ein vorläufiger Steuerausfall genügt bereits für die Vollendung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung ( Beusch/Malla , Steuerstrafrecht - ein Entwirrungsversuch, ZStrR 130/2012 S. 249 ff., 272). Das bedeutet, dass selbst wenn das Gemeinwesen die hinterzogene Steuer nachträglich einzieht, der Tatbestand der Steuerhinterziehung vollendet sein kann. Aus den Auslieferungsunterlagen geht hervor, dass dem Beschwerdeführer durch seine zweifache Umsatzsteuerhinterziehung EUR 3'959'667.22 in der Zeit von Juli bis Dezember 2008 zur Verfügung gestanden sind. Entsprechend lag beim Gemeinwesen ein vorübergehender Steuerausfall vor, weswegen sich das in den Auslieferungsunterlagen dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten nach schweizerischem Recht ohne Weiteres unter den Tatbestand von Art. 96 Abs. 1 lit. a MWSTG subsumieren lässt.

Ferner verkennt der Beschwerdeführer, dass selbst wenn - wie von ihm angedeutet - der Tatbestand von Art. 96 Abs. 1 lit. a MWSTG nicht vollendet wäre, dies einer allfälligen Auslieferung nicht entgegenstehen würde, da auch die versuchte qualifizierte Steuerhinterziehung ein auslieferungsfähiges Delikt darstellt. Qualifizierte Mehrwertsteuerhinterziehung stellt ein Vergehen dar ( Art. 96 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 97 Abs. 2 lit. b MWSTG i.V.m. Art. 333 Abs. 1 i.V.m. 10 Abs. 3 StGB ), entsprechend ist der Versuch strafbar (Art. 22 Abs. 1 StGB ). Versuchte qualifizierte Steuerhinterziehung wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht und ist eine auslieferungsfähige strafbare Handlung im Sinne von Art. 2 Ziff. 1 EAUe . Folglich erweist sich diese Rüge des Beschwerdeführers als unbegründet.

4.8 Weiter rügt der Beschwerdeführer, dass das ihm in den Auslieferungsunterlagen vorgeworfenen Verhalten nicht als "gewerbsmässig" im Sinne von Art. 97 Abs. 2 lit. b MWSTG eingestuft werden könne. Zunächst bringt er gegen das Vorliegen von gewerbsmässiger Steuerhinterziehung vor, dass diese gemäss Rechtsprechung die Wiederholung der Tat voraussetzen würde (act. 1, Ziff. 37). Er führt sinngemäss aus, dass ihm in Deutschland zweifache Steuerhinterziehung vorgeworfen werde. Hätte sich jedoch der im Ersuchen dargelegte Sachverhalt in der Schweiz ereignet, würde er nur eine Steuerhinterziehung darstellen. Da lediglich eine Steuerperiode betroffen gewesen wäre, nämlich das Kalenderjahr 2008, hätte er höchstens eine Tat begehen können (act. 1, Ziff. 41).

Die Mehrwertsteuer wird in der Schweiz - wie in Deutschland - im Selbstveranlagungsverfahren erhoben. Sie wird je Steuerperiode erhoben, wobei als Steuerperiode das Kalenderjahr gilt (Art. 34 Abs. 1 und 2 MWSTG ). Innerhalb der Steuerperiode erfolgt die Abrechnung der Steuer in der Regel vierteljährlich (Art. 35 Abs. 1 lit. a MWSTG). Das bedeutet, dass alle drei Monate die steuerpflichtige Person ihre MWST-Abrechnungen einreicht und die entsprechenden Steuerforderungen bezahlt.

Der objektive Tatbestand von Art. 96 Abs. 1 lit. a . MWSTG ist - unter Vorbehalt von 96 Abs. 6 MWSTG - erfüllt, wenn die im Rahmen der Abrechnungsperiode deklarierungspflichtigen Steuern in Missachtung der Selbstveranlagungspflicht nicht angemeldet oder deklariert worden sind (Urteil des Aargauischen Obergerichts vom 17. Februar 1977 E. 4). Abs. 6 von Art. 96 MWSTG ist eine objektive Strafbarkeitsbedingung der Hinterziehung von Mehrwertsteuern. Da objektive Strafbarkeitsbedingungen bei der Beurteilung der Strafbarkeit nach schweizerischem Recht nicht berücksichtigt werden (Art. 35 Abs. 2 lit. a IRSG ), ist nicht weiter auf diese Bestimmung einzugehen.

Dem Beschwerdeführer ist zunächst entgegenzuhalten, dass während einer Steuerperiode bzw. eines Kalenderjahres der Tatbestand der Mehrwertsteuerhinterziehung mehrfach erfüllt werden kann, nämlich während jeder Abrechnungsperiode. Jede Abrechnungsperiode begründet eine Selbstveranlagungspflicht. Wird diese verletzt, ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Jedoch ist dies insofern irrelevant, als im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der beidseitigen Strafbarkeit nationale Unterschiede betreffend Zeitpunkt, Periodizität etc. im Veranlagungsverfahren unbeachtlich sind (vgl. Entscheid des Bundesstrafgerichts RR.2010.69 -75 vom 9. März 2011, E. 5.10). Ausschlaggebend ist, dass der Beschwerdeführer zweimal seiner Verpflichtung der Selbstveranlagung in Deutschland nicht nachgekommen ist. Hätte er in der Schweiz die deklarierungspflichtigen Steuern in Missachtung der Selbstveranlagungspflicht während zwei verschiedenen Perioden nicht angemeldet, so hätte er auch in der Schweiz zweimal den Tatbestand von Art. 96 Abs. 1 lit. a . MWSTG erfüllt.

Wie viele Straftaten erforderlich sind, damit Gewerbsmässigkeit vorliegt, lässt sich nicht genau beziffern. Man wird viel mehr berücksichtigen müssen in welchem Zeitraum und in welchem Deliktsbetrag diese verübt wurden ( Niggli/Riedo , Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 139 StGB N. 91). Dem Beschwerdeführer wird "lediglich" zweifache Tatbegehung vorgeworfen, was bezüglich der Quantität der verübten Delikte das absolute Minimum darstellt. Da jedoch der Deliktsbetrag ausserordentlich hoch ist, nämlich EUR 3'959'667.22, und der Zeitraum für zweifache Tatbegehung der kürzest mögliche ist, ist Gewerbsmässigkeit zu bejahen. Dies ist mit Bezug auf die gewerbsmäßige Begehung der Mehrwertsteuerhinterziehung nach Art. 96 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 97 Abs. 2 lit. b MWSTG umso mehr anzunehmen, als die Strafandrohung zwischen 1 Tagessatz Geldstrafe und maximal zwei Jahren Freiheitsstrafe sowie Busse beträgt. Damit ist sie um ein vielfaches tiefer angesetzt als beim gewerbsmässigen Diebstahl. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat der Richter bei der Frage, ob im konkreten Fall Gewerbsmässigkeit anzunehmen ist, stets auch die Höhe der angedrohten Höchststrafe zu berücksichtigen (BGE 119 IV 129 , S. 133).

4.9 In einem nächsten Punkt bringt der Beschwerdeführer vor, dass um unter die gewerbsmässige Tatbegehung zu fallen, die unrechtmässigen Einnahmen einen namhaften Beitrag an die Lebenshaltungskosten des Täters leisten müssen. Vorliegend würden keine Einnahmen vorliegen sondern Ersparnisse, welche sich nicht zugunsten des Beschwerdeführers sondern der GmbH ergeben hätten. Die Steuerverkürzung hätte somit keinen Beitrag an die Lebenshaltungskosten des Beschwerdeführers leisten können (act. 1, Ziff. 43 und 46).

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist für das Vorhandensein der Gewerbsmässigkeit wesentlich, dass der Täter oder die Täterin sich darauf einrichtet, durch sein oder ihr deliktisches Handeln relativ regelmässige Einnahmen zu erzielen, die einen namhaften Beitrag an die Lebenshaltungskosten darstellen. Das in dieser Begriffsumschreibung enthaltene Element der auf Erlangung eines "Erwerbseinkommens" gerichteten Absicht ist nicht dahin zu verstehen, dass gewerbsmässig nur handeln würde, wer unmittelbar Geld einnahmen erzielt . Ein Erwerbseinkommen im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis kann vielmehr im Erwirken irgendwelcher Vermögensvorteile bestehen. Dabei ist ohne Belang, ob der Täter sich diese unmittelbar zur Fristung seines Lebens, zur Bezahlung von Vergnügen, zum Zweck gewinnbringender Anlage oder zur Hortung verschafft (BGE 110 IV 30 S. 31 E. 2). Durch das Unterlassen der Ablieferung der im weiterverrechneten Verkaufspreis bereits enthaltenen Steuern entstand ein Vermögensvorteil. Den Auslieferungsunterlagen ist zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer über die B. GmbH das besagte Geld zur Verfügung stand. Folglich erweist sich auch diese Rüge des Beschwerdeführers als unbegründet.

4.10 Damit kann das dem Beschwerdeführer in den Auslieferungsunterlagen vorgeworfene Verhalten prima facie unter den Tatbestand der qualifizierten Steuerhinterziehung (Art. 96 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 97 Abs. 2 lit. b MWSTG ) subsumiert werden, womit die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit gemäss Art. 2 Ziff. 1 EAUe erfüllt ist. Die diesbezügliche Rüge erweist sich demnach als unbegründet.

5. Andere Auslieferungshindernisse werden weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich. Die Auslieferung des Beschwerdeführers an Deutschland für die dem Auslieferungsersuchen vom 16. Oktober 2012 des Justizministeriums Baden-Württemberg zugrunde liegenden Straftaten ist zulässig, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.

6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten selber zu tragen (Art. 63 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 39 Abs. 2 lit. b StBOG). Für die Berechnung der Gerichtsgebühren gelangt das Reglement des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren (BStKR; SR 173.713.162) i.V.m. Art. 63 Abs. 5 VwVG zur Anwendung. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Gerichtsgebühr vorliegend auf Fr. 3'000.-- festzusetzen, unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in gleicher Höhe.


Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt, unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in derselben Höhe.

Bellinzona, 2. April 2013

Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :

Zustellung an

- Rechtsanwalt Daniel Holenstein

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen kann innert zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 und 2 lit. b BGG ).

Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 Abs. 1 BGG ). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG ).

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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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