Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BG.2012.23 |
Datum: | 20.08.2012 |
Leitsatz/Stichwort: | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO). |
Schlagwörter | Kanton; Nidwalden; Luzern; Kantons; Gesuch; Gerichtsstand; Staatsanwaltschaft; Behörden; Bundesstrafgericht; Beschwerdekammer; Gesuchsteller; Bundesstrafgerichts; Verfolgungsbehörden; Verfolgung; IV-Stelle; Taten; Recht; Oberstaatsanwalt; Oberstaatsanwaltschaft; Verdacht; Sachverhalt; Betrug; Delikt; Leistung; Beschluss; Anzeige; IV-Rente; Beurteilung |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 11 StGB ;Art. 14 StGB ;Art. 14 StPO ;Art. 146 StGB ;Art. 3 StPO ;Art. 31 ATSG ;Art. 31 StPO ;Art. 33 StPO ;Art. 34 StPO ;Art. 39 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 4 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 423 StPO ; |
Referenz BGE: | 131 IV 83; ; |
Kommentar: | -, Basler Kommentar Basel , Art. 34 StPO, 2011 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BG.2012.23 |
Beschluss vom 20. August 2012 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Andreas J. Keller und Tito Ponti , Gerichtsschreiber Stefan Graf | |
Parteien | Kanton Nidwalden, Staatsanwaltschaft Nidwalden, Gesuchsteller | |
gegen | ||
Kanton Luzern, Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Gesuchsgegner | ||
Gegenstand | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO ) |
Sachverhalt:
A. Mit Eingabe vom 23. April 2012 erhob die IV-Stelle der Ausgleichskasse Nidwalden bei der Staatsanwaltschaft Nidwalden gegen A. und gegen B. Strafanzeige u. a. wegen des Verdachts des Betruges gemäss Art. 146 StGB . In der Anzeige führte sie aus, es bestehe der dringende Verdacht, A. habe während Jahren ungerechtfertigt IV-Leistungen bezogen und sei hierbei von B. unterstützt worden (vgl. Akten StA-Nr. A1 12 3657 & A1 12 3658).
B. Am 9. Mai 2012 gelangte die Staatsanwaltschaft Nidwalden an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern und ersuchte diese um Übernahme des gegen A. und B. geführten Strafverfahrens (act. 1.4, wobei das eingereichte Schreiben sich nur auf B. bezieht). Dieses Ersuchen wurde von der Abteilung 1 der Staatsanwaltschaft Luzern am 16. Mai 2012 abgewiesen (act. 1.3). Das hierauf erfolgte Gesuch vom 25. Mai 2012 der Staatsanwaltschaft Nidwalden um Übernahme des Strafverfahrens (act. 1.2) wies die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern am 13. Juni 2012 ab (act. 1.1).
C. Hierauf gelangte die Staatsanwaltschaft Nidwalden mit Gesuch vom 21. Juni 2012 an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt, es seien die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Luzern berechtigt und verpflichtet zu erklären, die A. und B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen (act. 1).
In ihrer Gesuchsantwort vom 4. Juli 2012 beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, es sei das Gesuch abzuweisen und es seien die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Nidwalden als berechtigt und verpflichtet zu erklären, die A. und B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen (act. 3). Die Gesuchsantwort wurde der Staatsanwaltschaft Nidwalden am 6. Juli 2012 zur Kenntnis gebracht (act. 4).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die B eschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter (Art. 39 Abs. 1 StPO ). Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zuständig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzüglich über die wesentlichen Elemente des Falles und bemühen sich um eine möglichst rasche Einigung (Art. 39 Abs. 2 StPO ). Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid (Art. 40 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 StBOG ). Hinsichtlich der Frist, innerhalb welcher die ersuchende Behörde ihr Gesuch einzureichen hat, ist im Normalfall die Frist von zehn Tagen gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO analog anzuwenden (vgl. hierzu u. a. TPF 2011 94 E. 2.2). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Art. 14 Abs. 4 StPO ; vgl. hierzu Kuhn , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 39 StPO N. 9 sowie Art. 40 StPO N. 10; Schmid , Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2009, N. 488; Galliani/Marcellini , Codice svizzero di procedura penale [CPP] - Commentario, Zurigo/San Gallo 2010, n. 5 ad art. 40 CPP).
1.2 Die Oberstaatsanwältin oder der Oberstaatsanwalt des Kantons Nidwalden ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der Beschwerdekammer zu vertreten (Art. 53 Abs. 1 Ziff. 2 des Gesetzes über die Gerichte und die Justizbehörden des Kantons Nidwalden vom 9. Juni 2010 [Gerichtsgesetz, GerG/NW; NG 261.1]). Bezüglich des Gesuchsgegners steht diese Befugnis der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern zu (vgl. § 4 der Verordnung über die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern vom 14. Dezember 2010 [SRL Nr. 275]). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben vorliegend zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, weshalb auf das Gesuch einzutreten ist.
2. Der dem vorliegenden Gerichtsstandskonflikt zu Grunde liegende Sachverhalt ist zwischen den Parteien nicht umstritten und kann wie folgt zusammengefasst werden (vgl. act. 1, Ziff. 2.1; act. 3, S. 1): Am 18. Juli 1989 war A. in eine Auffahrkollision verwickelt, von der er angeblich ein Schleudertrauma davontrug. Am 17. September 1990 reichte der damals in Z. (Kanton Luzern) wohnhafte A. bei der Ausgleichskasse Luzern die Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen ein, wobei er unter der Rubrik "Angaben über die Behinderung" für Schleudertraumata typische und medizinisch nur schwer nachweisbare Symptome auflistete. Die Ausgleichskasse Luzern anerkannte hierauf den Anspruch von A. auf eine volle IV-Rente. Am
25. Juli 1991 reichten sowohl die Versicherungsgesellschaft C. als auch die Versicherungsgesellschaft D. im Zusammenhang mit dem erwähnten Unfall gegen A. bei der Kantonspolizei Luzern eine Strafklage betreffend Betrug und Urkundenfälschung ein. Sie brachten hierbei vor, die von A. geltend gemachten Beschwerden stünden in einem Missverhältnis zur leichten Auffahrkollision. Zudem hätte A. nach dem Unfall trotz seiner angeblichen, vollumfänglichen Arbeitsunfähigkeit nachweislich für die von ihm beherrschte E. AG gearbeitet und dadurch namhafte Einnahmen generiert. Die Kantonspolizei Luzern erliess hierauf gegenüber A. verschiedene Zwangsmassnahmen und befragte ihn zu den Vorwürfen. Die entsprechende Strafuntersuchung wurde in der Folge durch die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zug übernommen. Obwohl über das Strafverfahren orientiert, sah die Ausgleichkasse Luzern nach eigenen Erhebungen von einer Reduktion der IV-Rente ab. Am 17. Februar 1995 wie auch am 9. Dezember 2004 stellte A. der Ausgleichskasse Luzern im Rahmen einer Überprüfung seines Rentenanspruchs Formulare zu, in welchen er geltend machte, sein Gesundheitszustand sei unverändert und er gehe keiner Erwerbstätigkeit nach. In der Folge verlegte A. seinen Wohnsitz in den Kanton Aargau bzw. in den Kanton Nidwalden, wobei die entsprechenden, A. betreffenden Akten erst der IV-Stelle Aarau und dann der IV-Stelle Nidwalden übermittelt wurden. Anonyme Hinweise und eigene Recherchen führten auf Seiten der IV-Stelle Nidwalden schliesslich zum Verdacht, A. habe trotz Bezugs einer vollen IV-Rente während Jahren gearbeitet und hieraus namhafte Einkommen erzielt. Seine Freundin B. habe hierbei u. a. im Handelsregister als "Strohfrau" fungiert, um die tatsächliche Erwerbstätigkeit von A. verschleiern zu helfen. Gestützt auf diesen Verdacht erhob die IV-Stelle Nidwalden bei der Staatsanwaltschaft Nidwalden gegen A. und B. die eingangs erwähnte Strafanzeige.
3.
3.1 Für die Verfolgung und Beurteilung einer Straftat sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem die Tat verübt worden ist (Art. 31 Abs. 1 Satz 1 StPO ). Ist die Straftat an mehreren Orten verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind (sog. "forum praeventionis"; vgl. Art. 31 Abs. 2 StPO ). Die Entgegennahme einer Anzeige stellt eine solche Verfolgungshandlung dar ( Bartetzko , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 31 StPO N. 12; siehe u. a. auch den Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2012.7 vom 16. März 2012, E. 2.1 m.w.H.). Der gesetzliche Gerichtsstand richtet sich ebenso nach dem "forum praeventionis", wenn die beschuldigte Person mehrere, mit gleich schwerer Strafe bedrohte Straftaten an verschiedenen Orten verübt hat (vgl. Art. 34 Abs. 1 Satz 2 StPO ).
Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage muss von der aktuellen Verdachtslage ausgegangen werden. Massgeblich ist nicht, was dem Beschuldigten schlussendlich nachgewiesen werden kann, sondern der Tatbestand, der Gegenstand der Untersuchung bildet, es sei denn, dieser erweise sich von vornherein als haltlos oder sei sicher ausgeschlossen. Der Gerichtsstand bestimmt sich also nicht nach dem, was der Täter begangen hat, sondern nach dem, was ihm vorgeworfen wird, das heisst, was aufgrund der Aktenlage überhaupt in Frage kommt. Dabei stützt sich die Beschwerdekammer auf Fakten, nicht auf Hypothesen ( Moser , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 34 StPO N. 11; Guidon/Bänziger , Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zum interkantonalen Gerichtsstand in Strafsachen, Jusletter 21. Mai 2007, [Rz 25] m.w.H.; vgl. nebst anderen den Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2010.12 vom 8. September 2010, E. 2.2 m.w.H.). Es gilt der Grundsatz in dubio pro duriore", wonach im Zweifelsfall auf den für den Beschuldigten ungünstigeren Sachverhalt abzustellen bzw. das schwerere Delikt anzunehmen ist ( Guidon/Bänziger , a.a.O., [Rz 42] m.w.H.).
3.2 Der Gesuchsteller macht vorab sinngemäss geltend, A. habe die strafrechtlich relevanten Täuschungshandlungen (Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen; Einreichen weiterer Formulare) alleine im Kanton Luzern vorgenommen (vgl. act. 1, Ziff. 2.2.1 - 2.2.4). Der Gesuchsgegner führt demgegenüber aus, A. hätte sich auch in den Kantonen Aargau und Nidwalden durch Unterlassen einer Meldung gemäss Art. 31 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) des Betrugs schuldig gemacht, weshalb sich der Gerichtsstand nach dem "forum praeventionis" im Kanton Nidwalden befinde (vgl. act. 3, S. 2 f.).
Der auf Grund der Verweisung in Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20) auch für den Bereich der Invalidenversicherungsrenten anwendbare Art. 31 Abs. 1 ATSG sieht vor, dass Leistungsbezügerinnen und -bezüger, ihre Angehörige oder Dritte, denen die Leistung zukommt, dem Versicherungsträger oder dem jeweils zuständigen Durchführungsorgan jede wesentliche Änderung in den für eine Leistung massgebenden Verhältnissen zu melden haben. Ob diese Meldepflicht eine Garantenstellung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 lit. a StGB und somit gegenüber dem Versicherungsträger die Möglichkeit der Begehung eines Betrugs durch Unterlassen begründet, bleibt unklar. Das Bundesgericht hat sich bisher nicht explizit zur Frage geäussert, ob die Meldepflicht nach Art. 31 Abs. 1 ATSG eine solche Garantenstellung zu begründen vermag. Im Bereich der Ergänzungsleistungen hat es demgegenüber - wenn auch ohne ausführliche Begründung - entschieden, dass die Meldepflicht gemäss Art. 24 der Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV, SR 831.301) keine solche Garantenstellung zu begründen vermöge (BGE 131 IV 83 E. 2.1.3 S. 88, mit Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts 6S.288/2000 vom 28. September 2000, E. 4.b.bb). In einem anderen Versicherungsfall beantwortete das Bundesgericht die Frage jedoch anders und bejahte eine sich auf Art. 40 des Bundesgesetzes vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG ; SR 221.229.1) stützende Garantenstellung gegenüber dem Versicherer (Urteil des Bundesgerichts 6S.364/2005 vom 9. März 2006, E. 1). Im Bereich der Sozialhilfe hat u. a. das Obergericht des Kantons Luzern offenbar ähnlich entschieden (zitiert in Krieger Aebli , Sozialhilfe zu Unrecht bezogen, aber dennoch nicht betrogen?, forumpoenale 2010, S. 169 ff., 171 Fn 37 f.). In der zur vorliegenden Streitfrage vorhandenen Literatur wird auf diesen Widerspruch hingewiesen und mit plausiblen Argumenten vertreten, dass Art. 31 Abs. 1 ATSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage darstelle, um eine Garantenstellung gemäss Art. 11 Abs. 2 lit. a StGB zu begründen ( Hug , Strafrechtliche Verfolgung bei Versicherungsmissbrauch - insbesondere zum Tatbestand des Betrugs nach Art. 146 StGB, in Riemer-Kafka (Hrsg.), Versicherungsmissbrauch / Ursachen - Wirkungen - Massnahmen, Zürich 2010, S. 181 ff.; a. M. für den Bereich der Sozialhilfe Krieger Aebli , a.a.O., S. 171).
Angesichts der letztlich unklaren Rechtsprechung sowie der von Hug angeführten Gründe, erscheint es in Anwendung des auch für Rechtsfragen geltenden Grundsatzes "in dubio pro duriore" zumindest nicht als haltlos bzw. als sicher ausgeschlossen, dass sich A. auch durch Missachtung der Meldepflicht nach Art. 31 Abs. 1 ATSG des Betrugs schuldig gemacht haben könnte. Demnach kommen vorliegend auch die Kantone Aargau und Nidwalden als mögliche Begehungsorte im Sinne von Art. 34 Abs. 1 StPO in Betracht.
3.3 Da A. im Verdacht steht, über Jahre hinweg ungerechtfertigt eine volle IV-Rente bezogen zu haben, gehen beide Parteien zu Recht von einer gewerbsmässigen Tatbegehung im Sinne von Art. 146 Abs. 2 StGB aus (act. 1, Ziff. 2.2.6; act. 3, S. 2). Somit wiegen vorliegend allenfalls bloss versuchte Einzeltaten gleich schwer wie die vollendeten (siehe hierzu den Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2012.8 vom 26. März 2012, E. 2.1 m.w.H.). Das "forum praeventionis" im Sinne von Art. 34 Abs. 1 Satz 2 StPO befindet sich auf Grund der von der IV-Stelle Nidwalden bei der Staatsanwaltschaft Nidwalden eingereichten Anzeige demnach im Kanton Nidwalden. Daran nichts zu ändern vermag der Hinweis des Gesuchstellers auf die bereits im Jahr 1991 von zwei privaten Versicherungsgesellschaften gegen A. im Kanton Luzern eingereichten Strafklagen. Den diesbezüglich nur summarischen Ausführungen des Gesuchstellers zufolge ging es bei diesem Verfahren um eine Schädigung der Anzeige erstattenden Gesellschaften und somit um einen anderen Sachverhalt. Selbst wenn das entsprechende im Kanton Luzern eingeleitete und in der Folge durch die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zug abgeschlossene Verfahren denselben Sachverhalt, der vorliegend Gegenstand des Strafverfahrens bildet, betreffen würde, so stünde zum heutigen Zeitpunkt das Prozesshindernis der abgeurteilten Sache einer Mitberücksichtigung des damals zur Anzeige gebrachten Sachverhalts entgegen.
3.4 Nach dem Gesagten befindet sich der gesetzliche Gerichtsstand zur Verfolgung und Beurteilung der A. zur Last gelegten Straftaten gestützt auf
Art. 34 Abs. 1 Satz 2 StPO im Kanton Nidwalden. Die Zuständigkeit des Kantons Nidwalden zur Verfolgung und Beurteilung der B. als Gehilfin von A. zur Last gelegten Straftaten stützt sich demgegenüber auf Art. 33 Abs. 1 StPO (Teilnehmerschaft).
4.
4.1 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften untereinander auch) einen andern als den in den Art. 31 - 37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO ). Ein solches Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand soll indes die Ausnahme bleiben. Eine Vereinbarung bzw. der Beschluss, einen gesetzlich nicht zuständigen Kanton mit der Verfolgung zu betrauen, setzt triftige Gründe voraus und die Überlegungen, welche den gesetzlichen Gerichtsstand als unzweckmässig erscheinen lassen, müssen sich gebieterisch aufdrängen; die Latte für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand ist entsprechend hoch anzusetzen. Überdies kann ein Kanton entgegen dem gesetzlichen Gerichtsstand nur für zuständig erklärt werden resp. sich selber als zuständig erklären, wenn dort tatsächlich ein örtlicher Anknüpfungspunkt besteht (vgl. Moser , a.a.O., Art. 38 StPO N. 2 m.w.H.; siehe auch Bertossa , Commentaire romand, Bâle 2011, n° 2 ad art. 38 CPP; Goldschmid/Maurer/Sollberger , Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Bern 2008, S. 32 f.; Galliani/Marcellini , op. cit., n. 1 e 2 ad art. 38 CPP). Ein triftiger Grund für das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann im Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit der Beschuldigten liegen (vgl. Art. 38 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 3 StPO ; hierzu zuletzt u. a. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2012.15 vom 23. Mai 2012, E. 3.1 m.w.H.).
4.2 Der Gesuchsteller macht diesbezüglich geltend, der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit liege sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch mit Blick auf die erzielte Deliktssumme im Kanton Luzern. A. habe die ihm womöglich nicht oder nicht in vollem Umfang zustehende IV-Rente während knapp zwanzig Jahren von der IV-Stelle Luzern bezogen, währenddem der Rentenbezug in den Kantonen Aargau und Nidwalden sich auf insgesamt weniger als drei Jahre beschränkt habe (act. 1, Ziff. 2.2.7). Diese rein arithmetische Argumentation des Gesuchstellers greift vorliegend jedoch zu kurz. Trotz der mutmasslich langen Deliktszeit und des entsprechend hohen Deliktsbetrages wird den Beschuldigten ein konstantes, gleichartiges Deliktsverhalten zur Last gelegt, dessen strafrechtliche Untersuchung keinen erheblichen prozessualen Aufwand verursachen dürfte. Konkrete prozessökonomische Gesichtspunkte, die eine Verfolgung und Beurteilung der A. und B. zur Last gelegten Taten durch die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Luzern gebieterisch aufdrängen würden, sind vorliegend keine ersichtlich.
5. Nach dem Gesagten erweist sich das Gesuch als unbegründet und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Gesuchstellers für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die A. und B. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen.
6. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 423 Abs. 1 StPO).
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Nidwalden sind berechtigt und verpflichtet, die A. und B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bellinzona, 20. August 2012
Im Namen der Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :
i.V. Tito Ponti, Bundesstrafrichter
Zustellung an
- Staatsanwaltschaft Nidwalden
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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