Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BG.2011.3 |
Datum: | 08.04.2011 |
Leitsatz/Stichwort: | Anfechtung des Gerichtsstands (Art. 41 Abs. 2 StPO). |
Schlagwörter | Gericht; Gerichtsstand; Kanton; Solothurn; Staatsanwaltschaft; Kantons; Zuständig; Zuständigkeit; Solothurn-Lebern; Recht; Verfügung; Inkrafttreten; Bundesstrafgericht; Beschwerdekammer; Richteramt; Verfahren; Parteien; Gerichtsstands; Verfahren; Kommentar; Basel; Erwägung; Hauptverhandlung; Bundesstrafgerichts; Gerichtsstandes; Unternehmen |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 102 StGB ;Art. 104 StPO ;Art. 19 Or;Art. 3 StPO ;Art. 31 StPO ;Art. 36 StPO ;Art. 38 StPO ;Art. 39 StPO ;Art. 4 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 41 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 44 StPO ;Art. 448 StPO ;Art. 449 StPO ;Art. 45 StPO ; |
Kommentar: | Lieber, Basler Kommentar Basel , Art. 38 StPO, 2011 |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BG.2011.3 |
Beschluss vom 8. April 2011 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Tito Ponti, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Joséphine Contu , Gerichtsschreiber Stefan Graf | |
Parteien | A., vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, Beschwerdeführerin | |
gegen | ||
1. Kanton Solothurn, Staatsanwaltschaft, 2. Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft, Beschwerdegegner | ||
Gegenstand | Anfechtung des Gerichtsstands (Art. 41 Abs. 2 StPO ) |
Sachverhalt:
A. Am 10. August 2007 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eine Strafuntersuchung gegen die A. wegen des Verdachts der Geldwäscherei gestützt auf Art. 305 bis Ziff. 1 i.V.m. Art. 102 Abs. 2 StGB . Mit Schreiben vom 24. Juni 2008 gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn an die Generalprokuratur des Kantons Bern, nachdem aus ihrer Sicht der Kanton Bern für die Beurteilung der Straftaten zuständig sei (act. 5.1). Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn erachtete aufgrund des Begehungsortes am Sitz des Unternehmens den Kanton Bern als zuständig und verwies auf den zukünftigen Art. 36 Abs. 2 StPO . Die Generalprokuratur des Kantons Bern verneinte mit Schreiben vom 7. Juli 2008 die Zuständigkeit der bernischen Strafverfolgungsbehörden (act. 5.2). Nachfolgend anerkannte die Staatsanwaltschaft Solothurn mit Verfügung vom 21. Juli 2008 den Gerichtsstand (act. 1.4). Die A. focht diese Verfügung nicht an. Am 16. Juli 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Solothurn Anklage beim Richteramt Solothurn-Lebern betreffend Geldwäscherei (act. 1.5). Der Termin der Hauptverhandlung wurde am 19. Oktober 2010 auf den 19. April 2011 angesetzt. Am 6. Januar 2011 beantragte die A. beim Gerichtspräsidenten des Richteramts Solothurn-Lebern die örtliche Zuständigkeit zu überprüfen, nachdem aus ihrer Sicht aufgrund von Art. 36 Abs. 2 StPO der Gerichtsstand zwingend am Sitz des Unternehmens, also im Kanton Bern liege (act. 1.2). Mit Verfügung vom 21. Februar 2011 (der A. zugestellt am 25. Februar 2011) wies der Amtsgerichtspräsident des Richteramts Solothurn-Lebern den Antrag der A. ohne Begründung ab (act. 1.1).
B. Hiergegen gelangte die A. mit Beschwerde vom 7. März 2011 an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt was folgt (act. 1):
1. In Aufhebung der Verfügung des Gerichtspräsidenten von Solothurn-Lebern vom 21. Februar 2011 sei festzustellen, dass der Gerichtspräsident von Solothurn-Lebern im Verfahren gegen die A. örtlich nicht zuständig ist.
2. Der Kanton Bern sei zu berechtigen und zu verpflichten, die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde und Feststellung des Gerichtsstandes im Kanton Solothurn (act. 5). Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn schliesst auf Nichteintreten, eventualiter auf Abweisung der Beschwerde (act. 6).
Die A. hält in ihrer Replik vom 30. März bzw. vom 6. April 2011 an ihren Anträgen fest (act. 7 und 9). Die eingegangenen Schriftsätze wurden den Parteien am 5. April bzw. am 7. April 2011 wechselseitig zur Kenntnis gebracht (act. 8 und 10).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die I. B eschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Will eine Partei die Zuständigkeit der mit dem Strafverfahren befassten Behörde anfechten, so hat sie dieser unverzüglich die Überweisung des Falles an die zuständige Strafbehörde zu beantragen (Art. 41 Abs. 1 StPO ). Die mit dem Antrag befasste Behörde hat gegebenenfalls einen Meinungsaustausch im Sinne von Art. 39 Abs. 2 StPO einzuleiten oder direkt eine ihre eigene Zuständigkeit bestätigende Verfügung zu erlassen, welche mit Beschwerde angefochten werden kann (vgl. hierzu Fingerhuth/Lieber , Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 41 StPO N. 4 mit Hinweis auf Schmid , Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2009, Art. 41 StPO N. 3). Gegen eine von den am allfälligen Meinungsaustausch beteiligten Staatsanwaltschaften getroffene Entscheidung über den Gerichtsstand können sich die Parteien innert zehn Tagen beschweren (Art. 40 Abs. 2 StPO). Zuständig zur Beurteilung entsprechender, Fragen der interkantonalen Zuständigkeit betreffender Beschwerden ist die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 2 StPO, Art. 37 Abs. 1 StBOG und Art. 19 Abs. 1 des Organisationsreglements vom 31. August 2010 für das Bundesstrafgericht [Organisationsreglement BStGer, BStGerOR; SR 173.713.161]).
1.2 Die Beschwerdeführerin ist als beschuldigte Person Partei des Strafverfahrens (Art. 104 Abs. 1 lit. a StPO ) und daher grundsätzlich zur Einreichung einer Beschwerde gegen eine Gerichtsstandsverfügung legitimiert. Ebensowenig zu Diskussionen Anlass gibt vorliegend die Einhaltung der zehntägigen Beschwerdefrist nach Art. 41 Abs. 2 StPO.
1.3 Der Beschwerdegegner 1 weist in seiner Beschwerdeantwort darauf hin, dass er den Gerichtsstand bereits mit Verfügung vom 21. Juli 2008 anerkannt habe. Die entsprechende Verfügung sei auch der Beschwerdeführerin zugestellt worden, weswegen ihre nunmehr erhobene Beschwerde als klarerweise verspätet gelten müsse (act. 6). Dieser Argumentation kann wohl daher nicht gefolgt werden, als mit dem am 1. Januar 2011 erfolgten Inkrafttreten der StPO für Strafverfahren gegen Unternehmen ein neuer Gerichtsstand geschaffen wurde (Art. 36 Abs. 2 StPO ). Zwar wurde dieser neue Gerichtsstand schon im Verlaufe des im Jahre 2008 durchgeführten Meinungsaustausches thematisiert (vgl. act. 5.1, S. 3 f.). Jedoch dürfte zu jenem Zeitpunkt allerdings noch mit einer Beurteilung der Strafsache vor dem Inkrafttreten der neuen StPO gerechnet worden sein. Diesbezüglich stellt sich eher die Frage, ob die Beschwerdeführerin nicht unverzüglich nach der am 19. Oktober 2010 erfolgten Ansetzung der Hauptverhandlung auf den 19. April 2011, mithin auf einen Termin nach Inkrafttreten der neuen StPO, zur unverzüglichen Geltendmachung der Unzuständigkeit des Richteramtes Solothurn-Lebern verpflichtet gewesen wäre, lagen doch zu jenem Zeitpunkt alle der Beschwerdeführerin hierzu notwendigen Kenntnisse vor. Diese Frage kann aber den nachfolgenden Erwägungen entsprechend letztendlich offen bleiben.
1.4 Aufgrund der nunmehr geltenden gesetzlichen Bestimmungen eindeutig erweist sich die Regel, dass nach der Anklageerhebung im interkantonalen Verhältnis keine Änderung des Gerichtsstandes mehr vorzunehmen ist. Dies ergibt sich namentlich aus den Art. 34 Abs. 2 , 40 Abs. 2 und 42 Abs. 3 StPO (vgl. hierzu Kuhn , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 39 StPO N. 5 und Art. 41 StPO N. 5 in fine). Ob und aus welchen Gründen der Gesetzgeber durch die übergangsrechtliche Bestimmung in Art. 450 StPO tatsächlich von diesem Grundsatz hat abweichen wollen, kann insbesondere gestützt auf die nachfolgende Erwägung 2.4 ebenso offen gelassen werden.
1.5 Nach dem Gesagten erweisen sich die Fragen nach der grundsätzlichen Zulässigkeit der Beschwerde im jetzigen Verfahrensstadium sowie nach einer allfälligen Verwirkung des Beschwerderechts der Beschwerdeführerin durch Zuwarten mit ihrer Bestreitung der örtlichen Zuständigkeit des Richteramtes Solothurn-Lebern über rund zweieinhalb Monate nach Ansetzen der Hauptverhandlung als nicht befriedigend beantwortbar. Nachdem die Beschwerde aber infolge der nachstehenden Erwägungen ohnehin abzuweisen ist, können diese Eintretensfragen vorliegend offen gelassen werden.
2.
2.1 Verfahren, die bei Inkrafttreten der StPO hängig sind, werden grundsätzlich von den nach neuem Recht zuständigen Behörden weitergeführt (vgl. Art. 449 Abs. 1 StPO ). War bei Inkrafttreten der StPO die Hauptverhandlung bereits eröffnet, so ist sie nach bisherigem Recht, vom bisher zuständigen erstinstanzlichen Gericht, fortzuführen (Art. 450 StPO).
2.2 Angesichts dieser übergangsrechtlichen Bestimmungen sowie des mit Inkrafttreten der StPO ebenfalls neu geschaffenen Gerichtsstandes am Sitze des im Rahmen des Strafverfahrens beschuldigten Unternehmens (Art. 36 Abs. 2 StPO ), ist im vorliegenden Fall auf Grund des Wortlauts des Gesetzes vom gesetzlichen Gerichtsstand am Sitz der Beschwerdeführerin im Kanton Bern auszugehen. Dies scheint auch unter den Parteien nicht umstritten zu sein, so dass sich diesbezüglich unnötige Weiterungen erübrigen.
2.3 Vorliegend zu berücksichtigen ist aber der Umstand, dass die beiden Beschwerdegegner sich im Jahre 2008 über die Gerichtsstandsfrage geeinigt haben. Diese Gerichtsstandsvereinbarung behält gestützt auf Art. 448 Abs. 2 StPO auch unter neuem Recht grundsätzlich ihre Gültigkeit, sofern sie hinsichtlich der Beachtung der Grundrechte dem Standard entsprechen, den die StPO vorgibt ( Fingerhuth , Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 448 StPO N. 5, u. a. mit Hinweis auf Schmid , a.a.O., Art. 448 StPO N. 4). Sowohl unter neuem (Art. 38 Abs. 1 StPO ) wie auch unter bisherigem Recht ( Fingerhuth/Lieber , a.a.O., Art. 38 StPO N. 1; Moser , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 38 StPO N. 1 m.w.H.) steht bzw. stand es den Kantonen zu, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen andere als die in den gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Gerichtsstände zu vereinbaren. Zu berücksichtigen ist hierbei u. a., dass ein Kanton in Abweichung vom gesetzlichen Gerichtsstand nur zuständig erklärt werden bzw. dieser sich selber nur zuständig erklären kann, wenn dort tatsächlich ein örtlicher Anknüpfungspunkt besteht ( Moser , a.a.O., Art. 38 StPO N. 2). Zwingende und ausschliessliche gesetzliche Gerichtsstände, wie von der Beschwerdeführerin wiederholt geltend gemacht (u. a. act. 1, S. 3 Ziff. 2, S. 4 Ziff. 5), gibt es im Strafverfahrensrecht also grundsätzlich keine.
2.4 Dies zeigt sich auch darin, dass die I. Beschwerdekammer selber auch einen anderen als den in den Art. 31 - 37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen kann, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO ). Solche triftigen Gründe, welche ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand bzw. ein Festhalten an der im Jahr 2008 getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung rechtfertigen, liegen in casu vor. Angesichts des aktuell weit fortgeschrittenen Verfahrensstadiums wäre ein Wechsel der interkantonalen Zuständigkeit zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich weder zweckmässig, noch wirtschaftlich oder prozessökonomisch (vgl. hierzu Fingerhuth/Lieber , a.a.O., Art. 40 StPO N. 16 m.w.H.; Moser , a.a.O., Art. 38 StPO N. 5 m.w.H.). Abgesehen vom irrigen Festhalten an einem zwingenden gesetzlichen Gerichtsstand bringt denn auch die Beschwerdeführerin selber keinerlei Gründe vor, die einen Zuständigkeitswechsel zum jetzigen Zeitpunkt noch als sinnvoll erscheinen lassen würden. Dass die in Art. 450 StPO enthaltene Übergangsregelung als solche vor den Gesichtspunkten der Prozessökonomie und dem vor allem zum Schutze der beschuldigten Person zu beachtenden Beschleunigungsgebot nach Art. 5 StPO insbesondere auch in Bezug auf die Festlegung des interkantonalen Gerichtsstandes wenig sinnvollen Gehalt aufweist, lässt sich schon dem in der Literatur auffindbaren Lösungsansatz entnehmen, wonach die Staatsanwaltschaft zur Vermeidung von aufgrund Art. 450 StPO auftretender Schwierigkeiten eine gewisse Zeit vor Inkrafttreten keine Anklagen mehr erheben solle (vgl. Uster , Basler Kommentar, Basel 2011, Art. 450 StPO N. 2).
3. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.
4. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 428 Abs. 1 StPO ). Die Gerichtsgebühr wird auf Fr. 1'500.-- festgesetzt (Art. 73 StBOG i.V.m. Art. 5 und 8 Abs. 1 des Reglements vom Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]), unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in derselben Höhe.
Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt, unter Anrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in derselben Höhe.
Bellinzona, 8. April 2011
Im Namen der I. Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :
Zustellung an
- Rechtsanwalt Konrad Jeker
- Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern
- Richteramt Solothurn-Lebern
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
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