Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts
Instanz: | Bundesstrafgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer: Strafverfahren |
Fallnummer: | BG.2011.26 |
Datum: | 26.08.2011 |
Leitsatz/Stichwort: | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO). |
Schlagwörter | Kanton; Gericht; Kantons; Gesuch; Gerichtsstand; Thurgau; Gesuchs; Beschwerdekammer; Bundes; Generalstaatsanwaltschaft; Bundesstrafgericht; Gesuchsgegner; Staatsanwaltschaft; Verfahren; Gerichtsstandsakten; Faszikel; Bundesstrafgerichts; Gesuchsteller; Untersuchung; Menschenhandel; Eröffnung; Kantonspolizei; Übernahme; Prozessordnung; Behörden; Meinungsaustausch; Tribunal |
Rechtskraft: | Kein Rechtsmittel gegeben |
Rechtsgrundlagen des Urteils: | Art. 19 Or;Art. 29 arg;Art. 3 StPO ;Art. 30 StPO ;Art. 34 StPO ;Art. 38 StPO ;Art. 4 StPO ;Art. 40 StPO ;Art. 423 StPO ; |
Kommentar: | - |
Entscheid des Bundesstrafgerichts
Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal | |
Geschäftsnummer: BG.2011.26 |
Beschluss vom 26. August 2011 | ||
Besetzung | Bundesstrafrichter Tito Ponti, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Joséphine Contu , Gerichtsschreiber Sarah Wirz | |
Parteien | Kanton Thurgau, Generalstaatsanwaltschaft, Gesuchsteller | |
gegen | ||
Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft, Gesuchsgegner | ||
Gegenstand | Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO ) |
Sachverhalt:
A. Am 11. Januar 2011 wurde von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern gestützt auf Art. 309 StPO unter anderem gegen eine unbekannte Thailänderin namens A." eine Strafuntersuchung eröffnet wegen Menschenhandel, Prostitution und qualifizierter Widerhandlung gegen das Ausländergesetz (Ordner Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Aktion 36, uT A., Band I, Faszikel 1: Eröffnungsverfügung). Dieser formellen Eröffnung waren Ermittlungen der Kantonspolizei Bern vorausgegangen, die bereits im März 2010 zu formellen Befragungen führten (a.a.O., Faszikel 9, Bericht der Kantonspolizei Bern vom 8. April 2010 inkl. Beilagen). Diese Ermittlungen führten spätestens ab dem 10. Januar 2011 mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Schluss, dass es sich bei der unbekannten Thailänderin namens A." um B., wohnhaft in Y. (Kanton Thurgau) handeln muss (a.a.O., Faszikel 6, Einvernahme C. vom 10. Januar 2010, S. 4 oben und Beilage). Am 14. Juni 2011 wurde von der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen TG ebenfalls ein Strafverfahren wegen Menschenhandels eröffnet, unter anderem auch gegen B. (Ordner 1 Staatsanwaltschaft Kreuzlingen, Verfahren No. SUV_K.2011.594, vor Faszikel 1, Eröffnungsverfügung). Dieser Eröffnung waren Ermittlungen und Zwangsmassnahmen der Kantonspolizei Thurgau ab dem 7. Juni 2011 vorausgegangen (a.a.O., Faszikel 1, Rapport der Kantonspolizei Thurgau vom 14. Juni 2011).
B. Mit Ersuchen um Verfahrensübernahme vom 15. Juni 2011 gelangte die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen (nachfolgend Kanton Thurgau") an die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (nachfolgend Kanton Bern") und ersuchte diese um Übernahme der Strafuntersuchung wegen Menschenhandels, bezüglich B. gestützt auf Art. 34 Abs. 1 StPO , bezüglich D. und E. gestützt auf Art. 33 StPO (Gerichtsstandsakten Bern, act. 1). Mit Stellungnahme vom 22. Juni 2011 lehnte der Kanton Bern diese Übernahme gestützt auf Art. 38 Abs. 1 StPO ab (Gerichtsstandsakten Bern, act. 2). Der Kanton Thurgau nahm mit Schreiben vom 28. Juni 2011 Stellung zur Begründung der Ablehnung und erneuerte das Gesuch um Übernahme durch den Kanton Bern (Gerichtsstandsakten Bern, act. 3). Mit Schreiben vom 4. Juli 2011 verweigerte der Kanton Bern die Verfahrensübernahme, diesmal unter anderem mit der Begründung, die Festlegung des Gerichtsstandes sei gestützt auf den unbekannten Aufenthalt der einen Mittäterin zu sistieren (Gerichtsstandsakten Bern, act. 4). Mit einem weiteren Ersuchen um Verfahrensübernahme vom 26. Juli 2011 nahm der Kanton Thurgau Stellung zu dieser zweiten Ablehnung (Gerichtsstandsakten Bern, act. 5), worauf der Kanton Bern mit einer dritten Begründung, die insbesondere mit dem Grundsatz der Verfahrenseinheit, bzw. -mehrheit gemäss Art. 29 StPO argumentierte, die Übernahme erneut ablehnte (Gerichtsstandsakten Bern, act. 6).
C. Mit Gesuch vom 12. August 2011 gelangte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt, die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Bern seien berechtigt und verpflichtet zu erklären, die Strafuntersuchung gegen die beschuldigten B. und D. sowie E. durchzuführen und zum Abschluss zu bringen (act. 1).
Mit Vernehmlassung vom 22. August 2011 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern einerseits, der Kanton Thurgau sei zur Verfolgung und Beurteilung von D. und E. zu verpflichten, andererseits sei das Gerichtsstandsverfahren bezüglich B. aufzuschieben, weil diese flüchtig sei. Eventualiter sei der Kanton Thurgau zur Verfolgung und Beurteilung von B. zu verpflichten (act. 3).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Unterlagen wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 D ie Zuständigkeit der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 40 Abs. 2 sowie Art. 449 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0), Art. 37 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG; SR 173.71) sowie Art. 19 Abs. 1 des Organisationsreglements für das Bundesstrafgericht vom 31. August 2010 (Organisationsreglement BStGer, BStGerOR; SR 173.713.161). Voraussetzung für die Anrufung der I. Beschwerdekammer ist, dass ein Streit über einen interkantonalen Gerichtsstand vorliegt und dass die Kantone über diesen Streit einen Meinungsaustausch durchgeführt haben ( Donatsch/Hansjakob/Lieber , a.a.O., Art. 40 StPO N. 9). Dabei unterbreitet die Staatsanwaltschaft desjenigen Kantons, welcher zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich dem Gericht (Art. 40 Abs. 2 StPO). Nach der Praxis der I. Beschwerdekammer ist das Kriterium der Unverzüglichkeit erfüllt, wenn das Gerichtsstandsgesuch innert 10 Tagen seit dem Abschluss des Meinungsaustausches eingereicht wird und keine zwingenden Gründe für ein Abweichen von der 10-Tagefrist vom Gesuchsteller liquid dargelegt werden (siehe Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG 2011.7 vom 17. Juni 2011, E. 2.2 und BG.2011.17 vom 15. Juli 2011, E. 2.1).
1.2 Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau ist berechtigt, den Gesuchsteller in interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zu vertreten (Art. 31 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Zivil- und Strafrechtspflege [ZSRG/TG; TG Rechtsbuch 312.1]). Bezüglich des Gesuchsgegners gilt das Gleiche für die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Art. 24 lit. b des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung des Kantons Bern vom 11. Juni 2009 [EG ZSJ/BE; BSG 271.1]).
1.3 Der Gesuchsteller hat mit dem Gesuchsgegner vor Einreichung des Gesuchs einen Meinungsaustausch mit drei Schriftenwechseln durchgeführt, wobei sich keine Einigung ergab. Der Meinungsaustausch ist deshalb als abgeschlossen zu betrachten.
1.4 Mit einer Klarheit sondergleichen ergibt sich aus den Akten, dass von den zwei Verfahrensparteien der Gesuchsgegner als Erster mit der Strafuntersuchung wegen Menschenhandels gegen B., die in der Untersuchung offenbar eine der Schlüsselfiguren darstellt, befasst war (vgl. zuvor unter lit. A.). Es wäre deshalb gemäss Art. 40 Abs. 2 StPO Sache des Gesuchsgegners gewesen, nach dem 3-fachen Schriftenwechsel, der keine Einigung ergab, unverzüglich, d.h. gemäss der Gerichtspraxis innert 10 Tagen an die I. Beschwerdekammer zu gelangen. Nachdem der Gesuchsgegner als erstbefasster Kanton dieser Pflicht nicht nachgekommen ist und dieser auch keine zwingenden Gründe für ein Abweichen von der 10-Tagesfrist dargelegt hat, rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall ohne Eintreten auf das Gesuch und ohne weitere materielle Prüfung des Gerichtsstandskonflikts die Zuständigkeit des Gesuchsgegners aufgrund dessen Säumnis bei der Lösung dieses Konflikts festzulegen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 423 Abs. 1 StPO).
Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Bern sind berechtigt und verpflichtet, die B. und D. sowie E. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bellinzona, 26. August 2011
Im Namen der I. Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :
Zustellung an
- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (unter Rücksendung sämtlicher Akten)
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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