E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Entscheid des Bundesstrafgerichts: BB.2009.66 vom 08.07.2009

Hier finden Sie das Urteil BB.2009.66 vom 08.07.2009 - Beschwerdekammer: Strafverfahren

Sachverhalt des Entscheids BB.2009.66

Der Bundesrat hat die Beschlagnahme von Unterlagen im Rahmen der Voruntersuchung (VU.2008.3) des Eidgenössischen Untersuchungsrichteramts (Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, EUIR) vom 2. Juli 2009 aufgefordert, die sich in dessen Obhut befindlichen Kopien von Verfahrensakten herauszugeben bzw. jederzeit zugänglich zu machen. Der Bundesrat hat diesen Weigerungserweis als Beschwerde geltend gemacht und verlangt, dass die Unterlagen versiegelt werden. Die Beschlagnahme ist jedoch als Zwangsmittel angesehen worden und es wurde verlangt, dass die Unterlagen sicherzustellt werden, dass sie nicht beschlagnahmt oder verschoben werden können. Der Bundesrat hat diese Weigerung als Einsprache im Sinne von Art. 69 Abs. 3 BStP geltend gemacht und verlangt, dass die Versiegelung der Unterlagen durch Siegelung Rechnung getragen wird. Die Beschwerdekammer hat den Entscheid des Eidgenössischen Untersuchungsrichteramts als unverhältnismässig angesehen und verlangt, dass die Beschlagnahme aufgehoben wird.

Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Beschwerdekammer: Strafverfahren

Fallnummer:

BB.2009.66

Datum:

08.07.2009

Leitsatz/Stichwort:

Beschlagnahme (Art. 65 BStP)

Schlagwörter

Bundes; Bundesrat; Unterlagen; Recht; Beschlagnahme; Verfügung; Bundesrates; Herausgabe; Untersuchungsrichter; Beschwerdekammer; Vorinstanz; Eingabe; Zwangsmittel; Postfach; Eidgenössische; Rechtsmittel; Weigerung; Herausgabeaufforderung; Schweizerische; Tribunal; Bundesanwaltschaft; Über; Verfahrens; Untersuchungsbehörde; Inhaber; Zwangsmitteln; Einsprache; Sinne

Rechtskraft:

Kein Weiterzug, rechtskräftig

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 185 BV ;

Kommentar:

-

Entscheid des Bundesstrafgerichts

Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BB.2009.66

Entscheid vom 8. Juli 2009
I. Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz,

Tito Ponti und Alex Staub ,

Gerichtsschreiber Stefan Graf

Parteien

Schweizerischer Bundesrat, 3003 Bern,

gegen

Bundesanwaltschaft, Postfach, 3003 Bern,

Vorinstanz

Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Taubenstrasse 16, 3003 Bern

Gegenstand

Beschlagnahme (Art. 65 BStP )


Sachverhalt:

A. Im Rahmen der gegen A., B., C. und D. geführten Voruntersuchung (VU.2008.3) forderte der Eidgenössische Untersuchungsrichter (nachfolgend UR") den Schweizerischen Bundesrat (nachfolgend Bundesrat") mit Verfügung vom 2. Juli 2009 auf, die sich in dessen Obhut befindlichen Kopien von Verfahrensakten herauszugeben bzw. jederzeit zugänglich zu machen (act. 1.1).

B. In seinem Schreiben vom 6. Juli 2009 an den UR hielt der Bundesrat fest, er habe bereits am 24. Juni 2009 bezüglich der bei der Bundesanwaltschaft aufgefundenen NPT-relevanten Akten" gestützt auf sein verfas-sungsunmittelbares Verordnungs- und Verfügungsrecht gemäss den Artikeln 184 und 185 BV " einen endgültigen Beschluss gefasst, gegen welchen kein Rechtsmittel bestehe. Über das Schicksal der in Frage stehenden Unterlagen sei deshalb bereits abschliessend entschieden, weshalb die Beschlagnahmeanordnung ins Leere stosse (act. 1.2).

C. Mit Eingabe vom 7. Juli 2009 leitete der UR das Schreiben des Bundesrates vom 6. Juli 2009 an die I. Beschwerdekammer weiter. Mit dem Hinweis, der Bundesrat widersetze sich offenbar der Beschlagnahmeverfügung und gebe dazu eine juristische Begründung an, erwog der UR, das Schreiben des Bundesrates könnte als Beschwerde angesehen werden (act. 1).

D. Angesichts des Ausgangs des Verfahrens wurde auf die Einholung von Stellungnahmen verzichtet (Art. 219 Abs. 1 BStP e contrario). Soweit relevant sind zusätzliche Sachverhaltselemente den nachfolgenden Erwägungen zu entnehmen.

Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Überlegungen der Vorinstanz bezüglich der Qualifikation der Eingabe des Bundesrates vom 6. Juli 2009 (act. 1.2) als Beschwerde sind nachvollziehbar. Die Weigerung, einer Aufforderung nachzukommen, in Verbindung mit einer rechtlichen Begründung für diese Weigerung kann gesamthaft als Beschwerdeerhebung betrachtet werden, zumal der Bundesrat seine Äusserungen innerhalb der Beschwerdefrist vorgetragen hat. Das Schreiben des Bundesrates an die Vorinstanz ist daher als mögliche Beschwerde zu prüfen.

2. Zum besseren Verständnis des Vorgehens der Verfahrensbeteiligten ist als Erstes zu klären, welchen rechtlichen Charakter die vorinstanzliche Verfügung vom 2. Juli 2009 hat, und in welchem Stadium sich das Beschlagnahmeverfahren heute befindet.

2.1 Die vorinstanzliche Verfügung (act. 1.1) hält unter Ziffer 1 fest, die zur Frage stehenden Aktenkopien würden beschlagnahmt": sie seien dem Untersuchungsrichter herauszugeben bzw. jederzeit zugänglich zu machen". Die Verfügung ist ausserdem mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Der Bundesrat seinerseits bezeichnet die vorinstanzliche Verfügung als Beschlagnahmeanordnung" (act. 1.2, S. 2).

2.2 Gemäss dem Bundesgesetz vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege (BStP; SR 312.0) verfügt die Untersuchungsbehörde beim Sammeln der notwendigen Beweismittel über ein weites Ermessen. Ist der Untersuchungszweck nicht gefährdet, so kann insbesondere bei der Beschlagnahme von Unterlagen auf Zwangsmittel verzichtet und der Inhaber der Unterlagen vorerst aufgefordert werden, diese herauszugeben. Im Gegensatz zum noch nicht in Kraft getretenen Art. 265 der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) ist die der Beschlagnahme vorausgehende Herausgabeaufforderung in der BStP nicht ausdrücklich geregelt ( TPF 2005 190 E. 3.1); sie ergibt sich jedoch aus dem Prinzip der Verhältnismässigkeit und aus dem Grundsatz in maiore minus.

2.3 Die Herausgabeaufforderung ist, für sich alleine betrachtet, keine Zwangsmassnahme (Urteil des Bundesgerichts 1S.4/2006 vom 16. Mai 2006 E. 1.3), sondern lediglich Surrogat von Zwangsmitteln ( TPF 2006 218 ).

2.4 Der Inhaber von zu beschlagnahmenden Unterlagen hat das Recht, gegen deren Durchsuchung Einsprache zu erheben (Art. 69 Abs. 3 BStP ), was zu deren Versiegelung führt, jedoch den physischen Übergang der Unterlagen an die Untersuchungsbehörde nicht hindert ( TPF 2006 218 ).

2.5 Verweigert der Inhaber von Unterlagen deren Herausgabe, so sind diese unter Inanspruchnahme prozessualer Zwangsmittel (Hausdurchsuchung etc.) unverzüglich sicherzustellen. Einer eventuell gegen die Herausgabeaufforderung erhobenen Beschwerde wird im Normalfall keine aufschiebende Wirkung gewährt, zumindest nicht in dem Sinne, als die physische Kontrollübernahme durch die Untersuchungsbehörde dadurch verhindert werden soll.

2.6 Vorliegend ist die vorinstanzliche Verfügung als Herausgabeaufforderung im obigen Sinne zu betrachten. Der Weigerung des Bundesrates, die Unterlagen herauszugeben, ist mit ordentlichen Zwangsmitteln zu begegnen, wobei diese Weigerung als Einsprache im Sinne von Art. 69 Abs. 3 BStP zu betrachten ist und die Unterlagen zu versiegeln sind (siehe unter E. 3 nachstehend).

3. Der Bundesrat verweist in seiner Eingabe vom 6. Juli 2009 (act. 1.2) pauschal und ohne weitere konkrete Angaben zu den eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit" (Art. 185 Abs. 3 BV ) auf das verfassungsunmittelbare Notverordnungsrecht gemäss den Artikeln 184 und 185 BV . Offenbar wurden die zur Frage stehenden Unterlagen vom Bundesrat gestützt auf die NPT-Abkommen als proliferationsrelevant eingestuft, was insbesondere deren Geheimhaltung nach sich zieht. Strafprozessual legitimiert diese Situation den Bundesrat jedoch nicht zur Verweigerung der Herausgabe, sondern er kann gestützt auf die sinngemäss geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen Einsprache gemäss Art. 69 Abs. 3 BStP erheben und damit die Versiegelung verlangen.

4. Die Eingabe des Bundesrates vom 6. Juli 2009 (act. 1.2) ist nach dem Gesagten nicht als Beschwerde entgegen zu nehmen; sie ist der Vorinstanz im Original zurückzugeben. Die Vorinstanz hat, soweit sich der Bundesrat weiterhin einer Herausgabe widersetzen sollte, nötigenfalls mit Zwangsmitteln die Unterlagen zu beschaffen. Den vom Bundesrat geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen ist durch Siegelung der Unterlagen Rechnung zu tragen.


Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:

1. Die Eingabe des Bundesrates vom 6. Juli 2009 an den Eidgenössischen Untersuchungsrichter wird nicht als Beschwerde entgegen genommen.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bellinzona, 9. Juli 2009

Im Namen der I. Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber :

Zustellung an

- Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesrat, 3003 Bern

- Bundesanwaltschaft, Peter Lehmann, Staatsanwalt des Bundes, Postfach, 3003 Bern

- Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Andreas Müller, Eidg. Untersuchungsrichter, Taubenstrasse 16, 3003 Bern (unter Beilage des Originals von act. 1.2)

- Rechtsanwalt Roman Bögli, Toggenburgerstrasse 31, 9532 Rickenbach b. Wil

- Rechtsanwalt Peter Volkart, Vadianstrasse 44, Postfach 262, 9001 St. Gallen

- Rechtsanwalt Jakob Rhyner, St. Gallerstrasse 5, Postfach 945, 9471 Buchs

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.