1 BGE 127 III 440 - Bundesgerichtsentscheid vom 10.05.2001

Entscheid des Bundesgerichts: 127 III 440 vom 10.05.2001

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Sachverhalt des Entscheids 127 III 440

Der Eigentümer des Grundstücks Nr. 164, A., hat ein Dienstbarkeitsvertrag vom 6. Oktober 1938 mit der Genossenschaft B. eingeräumt, das Recht, bis an die (gemeinsame) Grundstücksgrenze zu bauen. Dieser Vertrag beinhaltet auch ein Fuss- und Fahrwegrecht, das gemäss Art. 734-736 ZGB aufgrund des Dienstbarkeitsvertrages von 1938 bestehen soll. Der Kläger beantragte jedoch, dass dieses Recht durch die Erweiterung der Bauleistung auf Grundstück Nr. 162 (zum Beispiel für den Bau eines Geschäftshauses "I.") in Verbindung mit dem Dienstbarkeitsvertrag vom 1990 (Fuss- und Fahrwegrecht) bestehen soll, was jedoch nicht durch die genauen Wortlaute der Vereinbarungen im Grundbuch dokumentiert ist. Der Obergericht hat daher festgestellt, dass das Fuss- und Fahrwegrecht von 1938 in Verbindung mit dem Dienstbarkeitsvertrag vom 1990 bestehen soll und somit das Recht des Klägers auf die Bauleistung auf Grundstück Nr. 162 nicht vollständig erloschen ist. Der Kläger verneint einen Verzicht auf den Fuss- und Fahrwegrecht von 1938, da dies impliziert, dass der Eigentümer des Grundstücks Nr. 164 die Bauleistung auf Grundstück Nr. 162 nicht vollständig erloschen hat. Der Kläger argumentiert, dass ein Verzicht auf den Fuss- und Fahrwegrecht von 1938 nur dann gültig wäre, wenn dies mit dem Dienstbarkeitsvertrag vom 1990 in Einklang gebracht würde. Der Obergericht weist die Berufung des Klägers ab, da der Kläger keinen Verzicht auf den Fuss- und Fahrwegrecht von 1938 nachweisen konnte. Der Kläger hat zwar einen Dienstbarkeitsvertrag vom 1990 eingeräumt, aber dies beinhaltet nicht das Recht des Eigentümers des Grundstücks Nr. 164 auf die Bauleistung auf Grundstück Nr. 162. Der Kläger verneint auch einen Verzicht auf den Fuss- und Fahrwegrecht von 1938, da dies impliziert, dass der Eigentümer des Grundstücks Nr. 164 die Bauleistung auf Grundstück Nr. 162 nicht vollständig erloschen hat. Der Obergericht weist daher die Berufung des Klägers ab und bestätigt das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Arbon, das den Fuss- und Fahrwegrecht von 1938 in Verbindung mit dem Dienstbarkeitsvertrag vom 1990 bestehen hat.

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Details zum Bundesgerichtsentscheid von 10.05.2001

Dossiernummer:127 III 440
Datum:10.05.2001
Schlagwörter (i):Grundstück; Eigentümer; Grundstücke; Grundbuch; Grundstückes; Näherbau; Grundstücks; Grenz; Verzicht; Dienstbarkeitsvertrag; Näherbaurecht; Urteil; Dienstbarkeiten; Fahrwegrecht; Genossenschaft; Untergang; Glauben; Berufung; Ausübung; Recht; Grundstücksgrenze; Miteigentümer; Realisierung; Glaubens; Strasse; Dienstbarkeitsverträgen; Obergericht; Eigentümerin; Grundbucheintrag; Verhalten

Rechtsnormen:

BGE: 122 III 219, 109 II 102, 82 II 103

Artikel: Art. 734 ZGB , Art. 3 ZGB , Art. 73 ZGB , Art. 63 Abs. 2 OG , Art. 973 ZGB , Art. 942 ZGB

Kommentar:
-

Entscheid des Bundesgerichts

Urteilskopf
127 III 440

74. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Mai 2001 i.S. A. gegen Genossenschaft B. (Berufung)

Regeste
Untergang von Dienstbarkeiten (Art. 734-736 ZGB).
Der Untergang einer Dienstbarkeit ist, abgesehen von den gesetzlichen Gründen, auch durch Verzicht möglich (E. 2a). Auf ein Wegrecht kann implizit verzichtet werden, wenn dessen Ausübung mit einem späteren, durch Dienstbarkeitsvertrag eingeräumten Recht auf Näherbau unvereinbar ist (E. 2b). Erforderliche Aufmerksamkeit zum Schutz des guten Glaubens in eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit (Art. 973 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 ZGB) (E. 2c).

Sachverhalt ab Seite 440
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A. ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 164. Dieses grenzt nördlich an das Grundstück Nr. 162, welches im Miteigentum der Genossenschaft B. und sechs weiteren Miteigentümern steht. Entlang der Westgrenze beider Grundstücke verläuft die Strasse Q. Die damaligen Eigentümer der Grundstücke vereinbarten mit Dienstbarkeitsverträgen vom 6. Oktober 1938 ein unbeschränktes Fuss-
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und Fahrwegrecht zugunsten von Grundstück Nr. 164 und zulasten von Grundstück Nr. 162 (als Verbindung zwischen der Strasse Q. und dem Hofraum auf Grundstück Nr. 164) sowie ein oberirdisches Näherbaurecht bis auf 2 m an die Grenze zugunsten von Grundstück Nr. 162 und zulasten von Grundstück Nr. 164. Die Grundbucheinträge erfolgten am gleichen Tag. Am 7./10. Dezember 1990 schlossen die damaligen Eigentümer derselben Grundstücke - bei Grundstück Nr. 164 war dies die H. AG - einen Dienstbarkeitsvertrag, der am 10. Dezember 1990 im Grundbuch eingetragen wurde. Inhalt dieses Dienstbarkeitsvertrages war u.a., dass beide Grundeigentümer berechtigt seien, bis an die (gemeinsame) Grundstücksgrenze zu bauen, was in der Folge bezüglich des Grundstückes Nr. 162 getan wurde. Am 8. Juli 1997 erwarb A. das Grundstück Nr. 164.
Mit Einreichung der Weisung am 14. Dezember 1998 erhob A. beim Bezirksgericht Arbon Klage gegen die Genossenschaft B. und sechs weitere derzeitige Miteigentümer des Grundstückes Nr. 162. Er beantragte, es sei festzustellen, dass das Fuss- und Fahrwegrecht zur Strasse Q. gemäss Dienstbarkeitsvertrag und -eintrag von 1938 bestehe, und es seien die Beklagten zu verpflichten, ihm dieses Recht innert angemessener Frist wieder zur uneingeschränkten Ausnützung bereitzustellen; eventuell sei ihm Schadenersatz zuzusprechen. Die Genossenschaft B. und sechs weitere Miteigentümer erhoben Widerklage mit dem Antrag, das Grundbuchamt sei anzuweisen, die beiden Dienstbarkeiten (Fuss- und Fahrwegrecht, Näherbaurecht) gemäss den Dienstbarkeitsverträgen vom 6. Oktober 1938 zu löschen. Mit Urteil vom 5. März 1999 wies das Bezirksgericht Arbon die Klage von A. ab und hiess die Widerklage der Genossenschaft B. und sechs weiteren Miteigentümern gut. Das Obergericht des Kantons Thurgau wies mit Urteil vom 30. November 1999 die Berufung von A. ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
Das Bundesgericht weist die von A. erhobene Berufung ab.

Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. a) Das Obergericht hat im Wesentlichen festgehalten, dass einerseits der das Grenzbaurecht einräumende Dienstbarkeitsvertrag von 1990 und die nachfolgende Realisierung des Grenzbaurechts durch den Eigentümer des Grundstückes Nr. 162, der sich die damalige Eigentümerin des Grundstückes Nr. 164 nicht widersetzt habe, einen beidseitigen stillschweigenden Verzicht auf die Dienstbarkeiten
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von 1938 (Fuss- und Fahrwegrecht, Näherbaurecht) bzw. deren materiellen Untergang beinhalte. Anderseits habe der Kläger bezüglich des Weiterbestehens dieser Dienstbarkeiten trotz des nach wie vor bestehenden Grundbucheintrages nicht gutgläubig sein dürfen.
b) Der Kläger verneint einen Verzicht auf die Dienstbarkeiten von 1938. Zur Begründung bringt er im Wesentlichen vor, ein solcher Verzicht sei nie bewiesen worden; vielmehr spreche der Brief vom 18. März 1992 der damaligen Eigentümerin des Grundstückes Nr. 164 (H. AG) gegen einen Verzicht. Zudem sei eine Baueinsprache gegenüber dem Bauprojekt auf Grundstück Nr. 162 deswegen nicht erfolgt, weil die damalige Eigentümerin des Grundstücks Nr. 164 in Konkursliquidation gestanden habe. Hinsichtlich seines guten Glaubens beruft sich der Kläger auf den Grundbucheintrag und die gesetzliche Vermutung des guten Glaubens.
2. a) Von den gesetzlichen Gründen für den Untergang von Dienstbarkeiten (Art. 734-736 ZGB) steht im konkreten Fall keiner in Frage. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass die Aufzählung dieser Gründe nicht abschliessend ist und insbesondere auch ein - ausdrücklicher oder stillschweigender - Verzicht auf eine Dienstbarkeit, unter Einschluss von entsprechend eindeutigem konkludentem Verhalten, zum Untergang führt (Urteil des Bundesgerichts vom 19. November 1997 i.S. Z. [5C.177/1997], E. 3a, publiziert in: ZBGR 80/1999 S. 125 f.; LIVER, Zürcher Kommentar, N. 197 ff. zu Art. 734 ZGB; RIEMER, Die beschränkten dinglichen Rechte, 2. Aufl. 2000, § 11 Rz. 30). Darunter fällt beispielsweise auch die "Gestattung der Verbauung eines Wegrechts" (LIVER, a.a.O., N. 107 a.E. zu Art. 734 ZGB), was a fortiori gelten muss, wenn dieses Gestatten in Gestalt eines förmlichen Dienstbarkeitsvertrages erfolgt.
b) Ein Verzicht im dargelegten Sinn ist vorliegend klarerweise zu bejahen. Nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz wurde mit dem Dienstbarkeitsvertrag von 1990 den jeweiligen Eigentümern der Grundstücke Nrn. 164 und 162 das Recht eingeräumt, gegenseitig an die Grenze zu bauen; in der Folge wurde auf Grundstück Nr. 162 das Geschäftshaus "I." bis an die gemeinsame Grundstücksgrenze hin erstellt. Indem der damalige Eigentümer des Grundstückes Nr. 164 im Jahre 1990 dem damaligen Eigentümer des Grundstückes Nr. 162 gestattete, gestützt auf das Grenz- bzw. Näherbaurecht an die gemeinsame Grundstücksgrenze zu bauen, verzichtete er implizit - aber dennoch offensichtlich - auf sein
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Fuss- und Fahrwegrecht von 1938 über das Grundstück Nr. 162, da dessen Ausübung mit der Dienstbarkeit von 1990 rechtlich und mit der Realisierung des Grenz- und Näherbaurechts auch faktisch absolut unvereinbar war. Auf das Verhalten des damaligen Eigentümers des Grundstücks Nr. 164 gegenüber der Ausübung (Realisierung) dieses Grenz- und Näherbaurechts kommt es unter diesen Umständen nicht einmal mehr entscheidend an. Der Kläger wendet sich mit seinem Hinweis auf das Schreiben vom 18. März 1992 - da die Beweiswürdigung im Berufungsverfahren nicht überprüfbar ist (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223) - ohnehin vergeblich gegen die verbindliche Feststellung des Obergerichts (Art. 63 Abs. 2 OG), der damalige Eigentümer des Grundstücks Nr. 164 habe sich der Ausübung (Realisierung) des Grenz- und Näherbaurechts auf Grundstück Nr. 162 nicht widersetzt. Im Übrigen kann der Kläger daraus, dass die Untätigkeit des damaligen Eigentümers des Grundstückes Nr. 164 konkursbedingt war, nichts zu seinen Gunsten ableiten, da er sich heute dessen Verhalten auf jeden Fall anrechnen lassen muss.
c) Was den guten Glauben des Klägers in den Grundbucheintrag (Art. 973 Abs. 1 ZGB) betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass dieser Schutz nicht absolut ist; vielmehr darf sich auch im Zusammenhang mit dem Grundbuch derjenige nicht auf seinen guten Glauben berufen, welcher bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte (Art. 3 Abs. 2 ZGB; betreffend das Grundbuch im Besonderen vgl. BGE 109 II 102 E. 2 S. 104; BGE 82 II 103 E. 5 S. 112; DESCHENAUX, Das Grundbuch, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/3 II, S. 788 u. 792 f.). Ein solcher Fall liegt hier vor: Aus dem blossen Vergleich der Dienstbarkeitseinträge von 1938 und 1990, jedenfalls in Verbindung mit den betreffenden, Bestandteile des Grundbuches (Art. 942 Abs. 2 ZGB) bildenden Dienstbarkeitsverträgen, sowie erst recht aufgrund der zwischen den Jahren 1990 und 1997 (Erwerb des Grundstückes Nr. 164 durch den Kläger) erfolgten Erstellung der Baute auf Grundstück Nr. 162 bis an die gemeinsame Grundstücksgrenze, musste sich für den Kläger ohne weiteres die implizite rechtliche Beseitigung des Fuss- und Fahrwegrechts von 1938 ergeben.

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